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Von 1949 bis heute

von Manfred Bruns, Sprecher das LSVD

Stand: Dezember 2010

Inhalt

Inhalt
1. Die fünfziger Jahre
2. Die sechziger Jahre
3. Die siebziger Jahre
4. Die achtziger Jahre
5. Die neunziger Jahre
6. Das Lebenspartnerschaftsgesetz und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
7. Die Reaktionen der Konservativen
8. Fortschritte bei der Gleichstellung der Lebenspartnerschaft mit der Ehe
9. Die neuen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
10. Resume
11. Ist ein Rückfall in die fünfziger und sechziger Jahre denkbar?


Die Bundesrepublik Deutschland hat sich seit ihren Anfängen 1949 in vielen Bereichen wesentlich verändert. Das gilt in ganz besonderem Maße für die gesellschaftlichen Moralvorstellungen und die Einstellung der Gesellschaft zur Homosexualität.

1. Die fünfziger Jahre

Die Bundesrepublik verstand sich zunächst nicht als pluralistische Demokratie, sondern als Staat, der sich den Wertvorstellungen der beiden großen Kirchen verpflichtet fühlte. Demgemäß galt in den fünfziger Jahre das christliche Moralgebot, dass Sexualität nur in der Ehe stattfinden dürfe, ganz unangefochten. Vor- und nachehelicher Sex sowie „ehebrecherische" Beziehungen galten als unsittlich und waren streng verpönt. Wer dagegen verstieß, wurde sozial geächtet und unter Umständen sogar bestraft. Die Kirchen und der Staat betrachteten die „Wahrung der Sittlichkeit" als ihre gemeinsame Aufgabe. Deshalb sicherte der Staat die sittlichen Forderungen der Kirchen durch seine Strafgesetze ab. So wurde z.B. das Zusammenleben nichtehelicher Paare durch die Strafvorschriften über die Kuppelei pönalisiert. Aus diesem Grund konnte damals kein Hotelier oder Vermieter einem unverheirateten Paar ein Zimmer oder eine Wohnung vermieten, ohne sich strafbar zu machen.

Homosexualität gilt nach christlich-abendländischer Vorstellung als unsittlich und strafwürdig. Deshalb sind die Homosexuellen nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes zwei Jahrzehnte lang unbarmherzig verfolgt worden. Die junge Bundesrepublik hat die nationalsozialistische Verfolgung der Homosexuellen bruchlos fortgesetzt. Die von den Nazis verschärften Strafvorschriften wurden beibehalten und ebenso exzessiv angewandt. Homosexuelle, die die nationalsozialistischen Konzentrationslager überlebt hatten, wurden zur Fortsetzung der Strafverbüßung wieder eingesperrt. Man setzte - wie zu Zeiten der Nationalsozialisten - alles daran, die Homosexuellen aufzuspüren und „unschädlich" zu machen. Wenn jemand auffiel, durchkämmte man seinen gesamten Bekanntenkreis. Die Strafen für überführte Homosexuelle waren gnadenlos hoch. Die Verurteilung bedeutete für sie zugleich den sozialen Tod. Nicht wenige Homosexuelle, die die Verfolgung der Nazis überlebt hatten, sind in den fünfziger Jahren aus Verzweiflung über diese Verfolgungspraxis freiwillig aus dem Leben geschieden.

Das Ausmaß der Verfolgung wird deutlich, wenn man sich die Strafverfolgungsstatistiken anschaut. Seit 1950 stieg die Zahl der Verurteilten von knapp 2000 kontinuierlich an und erreichte im Jahre 1959 mit mehr als 3500 ihren Höhepunkt. Allein in den ersten fünfzehn Jahren wurden in der Bundesrepublik insgesamt fast 45.000 Personen verurteilt. Ein Vergleich mit den Verurteilungszahlen für die fünfzehn Jahre des Bestehens der Weimarer Republik von 1918 bis 1932 macht den Verfolgungseifer deutlich: Während in Weimar insgesamt 9375 Personen verurteilt worden sind, hat sich die Zahl der Verurteilten unter dem Schutz des Grundgesetzes mehr als vervierfacht. Dabei zeigt die Polizeistatistik für die Bundesrepublik Deutschland, dass nur etwa jeder vierte Fall von Homosexualität, der der Polizei gemeldet wurde, abgeurteilt worden ist. Die Statistik gibt 7100 "gemeldete Fälle" für das Jahr 1953 an, die bis zum Jahre 1959, dem Höhepunkt der Verfolgung, auf rund 8700 anstiegen und insgesamt für den Zeitraum von 1953 bis 1966 zusammen mehr als 100.000 betrugen.

Keiner dieser Verfolgten ist entschädigt worden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat zwar seit den achtziger Jahren wiederholt entschieden, dass die Bestrafung einvernehmlicher homosexueller Handlungen unter erwachsenen Männern gegen die Menschenrechte verstößt. Aber das Bundesverfassungsgericht hatte die Verfolgung der Homosexuellen 1957 gebilligt. Und man argumentiert auch heute noch nach dem Vorbild des früheren Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg Filbinger, dass nicht Unrecht sein kann, was damals Recht war. Immerhin hat der Deutsche Bundestag in einer am 07.12.2000 einstimmig verabschiedeten Resolution bekannt, dass durch die nach 1945 weiter bestehende Strafdrohung homosexuelle Bürger in ihrer Menschenwürde verletzt worden sind.



2. Die sechziger Jahre

Die strafrechtliche Verfolgung der Homosexuellen dauerte bis in die sechziger Jahre hinein an. Erst die sogenannte sexuelle Revolution bewirkte eine Änderung des öffentlichen Bewusstseins mit der Folge, dass dem Staat auf diesem Gebiet die Befugnis abgesprochen wurde, die „sittliche Ordnung" mit den Mitteln des Strafrechts zu verteidigen. Er sollte nur noch bei sozialschädlichen Handlungen strafen dürfen. Deshalb wurde die Strafbarkeit homosexueller Handlungen unter Erwachsenen in der DDR 1968 und in der Bundesrepublik 1969 aufgehoben. Die Sprecher aller im Bundestag vertretenen Parteien betonten aber bei der Verabschiedung des Gesetzes, dass damit homosexuelles Verhalten nicht gebilligt werde, sondern dass es nach wie vor moralisch verwerflich sei.



3. Die siebziger Jahre

Wegen dieses Makels der Unsittlichkeit war das Leben der Lesben und Schwulen in den siebziger Jahren noch immer sehr schwierig. Man brauchte zwar nicht mehr zu befürchten, dass die Polizei vor der Tür stehen könnte, wenn es unerwartet klingelte. Auch war es jetzt sehr viel einfacher, andere Lesben und Schwule zu treffen oder lesbische und schwule Zeitungen zu beziehen, aber ein offenes Zusammenleben als Paar war in der Regel nicht möglich. Ein Coming Out war noch immer existenzgefährdend. In den neu entstehenden Schwulengruppen engagierten sich deshalb fast nur Studenten. Die Aktionen dieser Gruppen wurden von den Behörden stark behindert. Dazu beriefen sich die Behörden auf den fortbestehenden § 175 StGB, der einvernehmliche homosexuelle Kontakte mit jungen Männern mit Strafe bedrohte, während einvernehmliche heterosexuelle Kontakte mit jungen Mädchen straffrei waren. Unter Berufung auf diese Sondervorschrift wurden z.B. Infostände von Schwulen mit der Begründung verboten, dass das Infomaterial die Jugend gefährden könne.



4. Die achtziger Jahre

Einen ganz wesentlichen Fortschritt brachte dann die AIDS-Debatte in den achtziger Jahren. Die Schwulen erkannten früh die mit Aids verbundenen Gefahren und reagierten darauf in großer Solidarität. Sie schufen binnen kurzem ein breites Netz von Selbsthilfegruppen. Das führte bei vielen der Aktivisten zum Coming public. Dadurch begannen die Behörden sich daran zu gewöhnen, mit Männern zu verhandeln, die offen als Schwule auftraten.

Die allgemeine Furcht vor AIDS wurde damals von einem Teil der Ärzte-Funktionäre und von Scharfmachern aus Bayern so instrumentalisiert, dass die Debatte zeitweilig hysterische Züge annahm. Sie bewirkte aber auch, dass nun zum ersten Mal in aller Öffentlichkeit und abends zur Hauptsendezeit des Fernsehens darüber diskutiert wurde, wie Schwule leben und wie sie sexuell mit einander umgehen. Der Ausgang dieser AIDS-Debatte ist, so meine ich, der erste große Erfolg der Schwulen im vergangenen Jahrhundert. Durch ihren engagierten, intelligenten und solidarischen Einsatz ist es gelungen, in der Bundesrepublik eine tolerante, menschliche und vernünftige AIDS-Politik zu etablieren.

Als Folge der AIDS-Debatte fiel in den achtziger Jahren das Stigma der Unsittlichkeit. Der Bundesgerichtshof urteilte damals, es könne heute nicht mehr festgestellt werden, dass das Zusammenleben unverheirateter Personen gleichen oder verschiedenen Geschlechts als sittlich anstößig empfunden werde. Das Zusammenleben stehe deshalb als Ausfluss der allgemeinen Handlungsfreiheit unter dem Schutz des Grundgesetzes. Das hat inzwischen auch das Bundesverfassungsgericht anerkannt. Außerdem hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, dass das von der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierte Recht auf Achtung des Privatlebens auch das Zusammenleben gleichgeschlechtlicher Menschen schützt und dass deshalb die Bestrafung von einvernehmlichen homosexuellen Handlungen zwischen Erwachsenen menschenrechtswidrig ist. Inzwischen erkennt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sogar an, dass das Zusammenleben gleichgeschlechtlicher Menschen durch das Recht auf Achtung der Familienlebens geschützt ist.



5. Die neunziger Jahre

Aufgrund dieses Einstellungswandels konnten Lesben und Schwule nun offen als Paar zusammenleben. Das führte natürlich zu der Frage, warum Lesben und Schwulen eine Heirat weiterhin verwehrt wird.

Der „Lesben- und Schwulenverband in Deutschland“, der 1990 als "Schwulenverband in Deutschland" in der DDR gegründet worden ist, machte sich die Forderung nach Öffnung der Ehe für Lesben und Schwule zu eigen und trug die Diskussion 1992 mit der „Aktion Standesamt“ in die Öffentlichkeit. Damals versuchten rund 250 Lesben- und Schwulenpaare bei den Standesämtern das Aufgebot zu bestellen. Das wurde natürlich abgelehnt, zuletzt 1993 auch vom Bundesverfassungsgericht. Aber das Medienecho war ungeheuer. Noch nie hatte eine Aktion von Lesben und Schwulen so viel Aufsehen erregt. Die heiratswilligen Lesben- und Schwulenpaare waren in allen Medien präsent. Für manche von ihnen war die "Aktion Standesamt" zugleich das öffentliche Coming out.

Die Forderung nach Öffnung der Ehe für Lesben und Schwulen führte in der Community zu heftigen Diskussionen. Die Gegner der "Homo-Ehe" argumentierten, dass die Ehe überholt und dass es kontraproduktiv sei, ihre Ausdehnung auf Lesben und Schwule statt ihre Abschaffung zu fordern. Außerdem sei die Ehe das Instrument des Patriarchats zur Unterdrückung der Frau, und es bestehe die Gefahr, dass es bei den Lebensgemeinschaften der Lesben und Schwulen zu ähnlichen Strukturen und Abhängigkeitsverhältnissen komme.

Die Befürworter der "Homo-Ehe" bestritten die Reformbedürftigkeit der Ehe nicht, sondern machten geltend, dass sich die Reform des Eherechts noch lange hinziehen werde und dass man mit der Durchsetzung der Gleichberechtigung nicht so lange warten wolle. Lesben und Schwule sollten sich genauso wie Heterosexuelle frei entscheiden können, ob sie mit hoher Verbindlichkeit in der Ehe oder weniger verbindlich in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammenleben wollen.

Heute wird das Projekt "Lebenspartnerschaft" von der ganz überwiegenden Mehrheit der Lesben und Schwulen als "Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsprojekt" begriffen und bejaht und zwar ganz unabhängig davon, ob die Betroffenen eine Lebenspartnerschaft eingehen wollen oder nicht.

In der allgemeinen Öffentlichkeit kreiste die Diskussion fast ausschließlich um die Frage, ob und inwieweit Art 6 Abs. 1 GG die Schaffung eines neuen Rechtsinstituts für Lesben und Schwule zulässt. Auch die Vertreter der Kirchen beriefen sich in der öffentlichen Diskussion nicht mehr auf „Gottes Gebot" oder auf „Aussagen der Bibel", sondern nur noch auf den besonderen Schutz von Ehe und Familie durch Art 6 Abs. 1 GG, um ihre Ablehnung zu begründen. Das zeigt, dass die Bundesrepublik auf dem Weg zu einem pluralistischen Gemeinwesen schon ein gutes Stück vorangekommen ist.

Die allgemeine Zustimmung zur "Homo-Ehe" nahm im Verlauf der Jahre immer mehr zu. Während sie 1992 bei der "Aktion Standesamt" noch bei rund 30 % lag, wird die Lebenspartnerschaft heute durchweg akzeptiert.



6. Das Lebenspartnerschaftsgesetz und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Mit dem Lebenspartnerschaftsgesetz und dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17.07.2002 (BVerfGE 105, 313) ist diese positive Entwicklung offiziell festgeschrieben worden.

Kern des Streites, den das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, war das sogenannte "Abstandsgebot", das von den Juristen aus Art. 6 Abs. 1 GG abgeleitet wurde. Die Vorschrift lautet: "Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung." Daraus hatte das Bundesverfassungsgericht gefolgert, dass die Ehe gefördert werden muss und die Ehefreudigkeit nicht beeinträchtigt werden darf. Deshalb dürfen eheähnliche Lebensgemeinschaften verschiedengeschlechtlicher Partner nicht mit den gleichen Rechten ausgestattet werden wie Ehen, weil sonst die Leute nicht mehr heiraten; zwischen den eheähnlichen Lebensgemeinschaften und den Ehen muss rechtlich ein „Abstand" bestehen. Diesen Grundsatz hatten die Konservativen einfach auf gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften übertragen. Wir hatten dagegen gehalten, dass dieser Grundsatz für uns nicht gelte, weil unsere Partnerschaften nicht mit der Ehe konkurrieren.

Da Art. 6 Abs. 1 GG von einem "besonderen" Schutz spricht, hatten die Konservativen außerdem argumentiert, dass die Ehe nichts Besonderes mehr sei, wenn der Gesetzgeber für Lesben und Schwulen ein weitgehend ähnliches Rechtsinstitut schaffe. Wir hatten dem entgegengehalten, dass die Ehe schon deshalb immer etwas Besonderes sei, weil nur sie verfassungsrechtlich geschützt sei. Außerdem ermächtige Art. 6 Abs. 1 GG den Gesetzgeber, die Ehe unter Außerachtlassung des Gleichheitssatzes besonders zu begünstigen.

Überraschenderweise hat sich das Bundesverfassungsgericht nicht der fast einhelligen Meinung der Juristen angeschlossen, sondern hat unsere Positionen übernommen. Das Gericht hat entschieden, dass der besondere Schutz der Ehe in Art. 6 Abs. 1 GG den Gesetzgeber nicht hindere, für die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft Rechte und Pflichten vorzusehen, die denen der Ehe gleich oder nahe kommen. Dem Institut der Ehe drohten keine Einbußen durch ein Institut, das sich an Personen wendet, die miteinander keine Ehe eingehen können.

Damit sind die Lesben und Schwulen nach fast 53 Jahren endlich als vollwertige, gleichberechtigte Bürger der Bundesrepublik anerkannt worden. Die Konservativen können jetzt nicht mehr damit argumentieren, dass die Lebenspartnerschaft die Ehe gefährde. Das Urteil ist für die klagenden Länder Bayern, Sachsen und Thüringen ein ausgesprochener Rohrkrepierer. Ihnen sind mit dem Urteil alle Argumente gegen eine Gleichstellung der Lebenspartner mit Ehegatten abgeschnitten worden bis auf das Neid-Argument, das die Gleichstellung zu viel koste.



7. Die Reaktionen der Konservativen

Allerdings war das am 01.08.2001 in Kraft getreten Lebenspartnerschaftsgesetz nur ein Torso. Da die CDU/CSU und die FDP das Gesetz ablehnten und diese Parteien im Bundesrat die Mehrheit hatten, wurde der Gesetzentwurf in einen zustimmungsfreien und einen zustimmungsbedürftigen Teil aufgeteilt. Der zustimmungsfreie Teil trat als Lebenspartnerschaftsgesetz in Kraft, der zustimmungsbedürftige scheiterte im Bundesrat. Das hatte zur Folge, dass die Lebenspartner zwar von Anfang an dieselben Verpflichtungen wie Ehegatten hatten, aber zunächst kaum Rechte.

Die Konservativen in der CDU/CSU und die konservativen Landesverbände der FDP sind auch heute noch gegen eine Gleichstellung der Lebenspartnerschaft mit der Ehe. Sie verweisen auf den demographischen Wandel und leiten daraus ab, dass Deutschland ein aussterbendes Volk sei und dass wir es uns deshalb nicht leisten könnten, Lebensgemeinschaften zu fördern, von denen kein Nachwuchs zu erwarten sei. Das ist natürlich Unsinn. Es gibt bisher erst sehr wenige Lebenspartnerschaften. Die Bundesregierung schätzt ihre Zahl auf rund 19.000. Die Kosten, die diese Lebenspartnerschaften dem Staat verursachen, sind - gemessen am Volumen des Bundeshaushalts und der Haushalte der Länder - so gering, das damit Deutschland nicht vor dem Aussterben gerettet werden kann.

Außerdem behaupten die Gegner der „Homo-Ehe“, die Rechtsinstitute Ehe und Familie würden durch eine Gleichstellung von Lebenspartnern mit Ehegatten nivelliert und ausgehöhlt. Das ist nicht nachvollziehbar. Ich meine, wenn Lesben und Schwule mit Nachdruck darauf drängen, dass ihre Lebenspartnerschaften dieselbe Verbindlichkeit wie eine Ehe haben sollen, bringen sie damit doch nur zum Ausdruck, wie sehr sie dieses Rechtsinstitut schätzen.

Es gibt auch keinerlei soziologische Erkenntnisse dafür, dass die Hochschätzung der Ehe in Ländern abgenommen hat, in denen die Ehe für Lesben und Schwule geöffnet worden ist. Oder anders gewendet: Ich habe noch nie gehört, dass ein verschiedengeschlechtliches Paar es abgelehnt hat zu heiraten oder dass ein Ehegatte seinen Partner verlassen hat, weil nun auch Lesben und Schwule heiraten dürfen.

Typisch für die Argumentationsweise der Konservativen ist die Rede des CDU Abgeordneten Armin Schuster aus Weil am Rhein, die er am 02.12.2010 im Bundestag zu Protokoll gegeben hat. Es ging dabei um den Gesetzentwurf der Bundesregierung, durch den die verpartnerten Beamten und Richter des Bundes sowie die Soldaten im Besoldungs- und Versorgungsrecht mit ihren verheirateten Kollegen gleichgestellt werden sollen.

Schuster räumte zwar ein, dass die Lebenspartnerschaften längst Teil der Realität unserer modernen Gesellschaft geworden seien und dass es unchristlich sei, trauernde Hinterbliebene einer Lebenspartnerschaft nicht zu versorgen; denn ihre verstorbenen Lebenspartner hätten sich doch auch für die Sicherheit und das Wohl unseres Staates eingesetzt. Auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz habe sich mit entsprechenden staatlichen Regelungen zur Lebenspartnerschaft einverstanden erklärt, soweit sie keine Gleichstellung zur Ehe darstellen. Darauf haben die CDU/CSU bei dem Gesetzentwurf geachtet. Sie werde weiterhin die Besonderheit von Ehe und Familie als Keimzelle unserer Gesellschaft schützen und verteidigen. Die Heterosexualität allen Lebens sei die allgemeine Normvorgabe für die Weitergabe des Lebens, wie sie sich in Jahrmillionen entwickelt habe. Deshalb lehne die CDU/CSU die vollständige Gleichstellung der Lebenspartnerschaft mit der Ehe aus Überzeugung ab.



8. Fortschritte bei der Gleichstellung der Lebenspartnerschaft mit der Ehe

Trotz des Widerstandes der Konservativen haben wir erreicht, dass das Rechtsinstitut der Lebenspartnerschaft in den Jahren seit seinem Inkrafttreten so weiter entwickelt wurde, dass Lebenspartner heute weitgehend dieselben Rechte wie Ehegatten haben.

Benachteiligungen bestehen noch beim Einkommensteuer- und beim Adoptionsrecht sowie in einigen Bundesländern beim Beamtenbesoldungs- und -versorgungsrecht. Auch haben noch nicht alle Bundesländer ihr Landesrecht vollständig an das Lebenspartnerschaftsgesetz angepasst.

Diese Fortschritte hat der „Lesben- und Schwulenverband" auf zwei Wegen erreicht. Zum einen durch intensive Lobbyarbeit im Bund und in den 16 Bundesländern. Dabei ist es uns immer wieder gelungen, auch konservative Politiker zu überzeugen.

So hat z.B. die CDU/CSU in der letzten Wahlperiode nach anfänglicher Weigerung schließlich doch darin eingewilligt, dass Lebenspartner im Erbschaftsteuerrecht weitgehend mit Ehegatten gleichgestellt worden sind. In anderen Bereichen hat die CDU/CSU der Gleichstellung nach längerem Hin und Her zwar zugestimmt, aber darauf bestanden, dass die Lebenspartner im Gesetz nicht erwähnt werden. Nur der Fachmann erkennt, dass sie tatsächlich doch gleichgestellt worden sind.

Aber insgesamt war der Widerstand doch sehr erheblich. Deshalb hat der "Lesben- und Schwulenverband" auch versucht, über die Gerichte Fortschritte zu erzielen. Dazu hat er auf seiner Webseite Mustertexte bereitgestellt und benachteiligten Lesben und Schwulen, die gegen ihre Diskriminierung klagen wollten, angeboten, sie als „Beistand“ zu begleiten. Dies hat für die Betroffenen den Vorteil, dass sie keinen Rechtsanwalt benötigen und nur den Gerichtskostenvorschuss zu zahlen brauchen. Deshalb sind sehr viele Lesben und Schwule unserem Aufruf zu klagen gefolgt. Der LSVD begleitet zurzeit rund 250 solcher Prozesse.

Aber diese Strategie war zunächst ebenfalls lange Jahre erfolglos. Vor allem die Richter an den Obergerichten scheinen sehr konservativ zu sein. Sie haben die Klagen mit immer neuen Winkelzügen abgeschmettert. Wenn ein solches Urteil auf meinem Schreibtisch landete, war ich oft versucht, gegen die Richter Strafanzeige wegen Rechtsbeugung zu erstatten.



9. Die neuen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

Nur beim Bundesarbeitsgericht hatten wir von Anfang an Erfolg. Dagegen hat ein Vorprüfungsausschuss (1. Kammer) des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts eine Reihe von Verfassungsbeschwerden zum Beamtenrecht mit haarsträubender Begründung nicht angenommen. Das hat die Gleichstellung mehrere Jahre lang blockiert.

Glücklicherweise hat inzwischen der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mit zwei Beschlüssen von 07.07.2009 (1 BvR 1164/07, BVerfGE 124, 199) und vom 21.07.2010 (1 BvR 611 u. 2464/07; NJW 2010, 2783) zu unseren Gunsten entschieden. Dabei hat er die Nichtannahmebeschlüsse des Vorprüfungsausschusses des Zweiten Senats ausdrücklich als unzutreffend bezeichnet. Da es sich bei den Beschlüssen des Ersten Senats um Entscheidungen des Plenums handelt, ist auch der Zweite Senat an diese Entscheidungen gebunden.

Der Erste Senat hat in den zwei neuen Beschlüssen klargestellt, dass Ehegatten nur besser behandelt werden dürfen als Lebenspartner, wenn die Vergünstigung an das Vorhandensein von Kindern anknüpft. Das ist z.B. beim Einkommensteuerrecht nicht der Fall. Denn das Ehegattensplitting kann auch von Ehegatten in Anspruch genommen werden, die aus hedonistischen Gründen auf Kinder verzichtet haben. Es darf deshalb Lebenspartner nicht vorenthalten werden.

Trotzdem lehnt Bundesfinanzminister Schäuble eine entsprechende Änderung des Einkommensteuergesetzes weiterhin ab. Er wolle erst abwarten, was bei den Verfassungsbeschwerden herauskomme, die zum Einkommensteuerrecht beim Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts anhängig sind. Dabei steht fest, dass Zweite Senat nicht mehr anders entscheiden kann als der Erste.

Typisch ist auch die Reaktion eines Richters am Verwaltungsgericht Stuttgart. In dem Prozess geht es um den Familienzuschlag der Stufe 1, den die verheirateten Beamten Baden-Württembergs erhalten, die verpartnerten Beamten dagegen nicht. Der Richter ist jetzt auf die Idee gekommen, der Kläger müsse sich entgegenhalten lassen, dass er den Familienzuschlag erst nach Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 2009 beantragt habe. Bei rechtswidrig vorenthaltener Besoldung könnten Beamte einen Ausgleich erst ab dem Haushaltsjahr verlangen, in dem sie einen entsprechenden Antrag gestellt hätten. Das ist klar rechtswidrig. Zum einen gilt bei verheirateten Beamten schon die Übersendung der Heiratsurkunde als Antrag. Das muss natürlich entsprechend für die Übersendung der Lebenspartnerschaftsurkunde gelten. Zum anderen haben die Besoldungsämter die Betroffenen immer wieder belehrt, dass Anträge zwecklos seien, und die Gerichte haben das bestätigt. Den Betroffenen dann entgegenzuhalten, sie könnten sich nicht auf das Bundesverfassungsgericht berufen, weil sie keinen Antrag gestellt haben, verstößt gegen Treu und Glauben.

Aber ich denke, das sind nur noch Rückzugsgefechte. In wenigen Jahren werden Lebenspartner vollständig mit Ehegatten gleichgestellt sein. Dann werden wir die Frage stellen, warum noch zwei Rechtsinstitute, die sich nur im Namen unterscheiden?



10. Resume

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat uns mit seinem Urteil zum Lebenspartnerschaftsgesetz aus dem Jahre 2002 und mit seinen beiden neuen Entscheidungen aus den Jahren 2009 und 2010 sehr geholfen.

Aber er hatte ja auch viel gutzumachen. Sein Urteil aus dem Jahre 1957 (BVerfGE 6, 389), durch das er die damalige wütende Strafverfolgung der Homosexuellen gebilligt hat, hat die Emanzipationsbewegung der deutschen Homosexuellen – im Vergleich zu Skandinavien und den Niederlanden – um Jahrzehnte zurückgeworfen.

Wenn man sich vergegenwärtigt, dass wir die Öffnung der Ehe für Lesben und Schwule erstmals 1989 gefordert haben, ist der Erfolg, den wir in so kurzer Zeit errungen haben, beeindruckend.

In den achtziger Jahren ist es wegen des Verdachts, dass ein hoher General der Bundeswehr homosexuel sei, noch zu einem großen Skandal gekommen (Kießling-Affaire). Heute haben wir einen schwulen Außenminister und in Berlin und Hamburg haben bzw. hatten wir schwule Regierende Bürgermeister.  Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verbietet seit 2006 die Benachteiligung vom Lesben und Schwulen wegen ihrer Sexualität.

Das ist eine ganz außerordentliche Erfolgsgeschichte, zu der der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland Wesentliches beigetragen hat. Damit diese Erfolgsgeschichte weiter geht, sollten möglichst viele Lesben und Schwulen die Arbeit des LSVD dadurch unterstützen, dass sie ihm als Mitglied beitreten. Auf diese Unterstützung ist der LSVD dringend angewiesen.



11. Ist ein Rückfall in die fünfziger und sechziger Jahre denkbar?

Besorgte Lesben und Schwulen fragen immer wieder, ob unsere emanzipatorischen Erfolge von Dauer sein werden oder ob auch ein Rückfall in die fünfziger und sechziger Jahre denkbar ist.

Üblicherweise wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass der mit der Strafrechtsreform befasste Ausschuss des Reichstages 1929 mehrheitlich für die Abschaffung des § 175 RStGB gestimmt hat und dass nur fünf Jahre später die Nationalsozialisten den § 175 RStGB verschärft und die Homosexuellen in die KZs verschleppt und umgebracht haben. Wir halten einen solchen Rückfall aus folgenden Gründen so gut wie ausgeschlossen:

  1. In den vergangenen sechzig Jahren ist es rechtsradikalen Gruppierungen zwar immer mal wieder gelungen, mit einem hohen Stimmenanteil in einen Landtag einzuziehen. Aber sie haben sich nie dort halten können, weil die Presse ihre populistischen Thesen sehr bald als hohles Geschwätz entlarvt hat. Das unterscheidet die Bundesrepublik sehr wesentlich von Weimar.
     
  2. Aufgrund der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte könnte die Bundesrepublik nur nach einer Änderung des Grundgesetzes und nach Aufkündigung der Europäischen Menschenrechtskonvention zu den Zuständen in den fünfziger und sechziger Jahren zurückkehren. Das ist eine sehr hohe Hürde.
     
  3. Das Verbot der Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung ist inzwischen im Recht der Europäischen Union verankert und für die Bundesrepublik bindend. Sie kann es nicht einfach missachten, sondern müsste aus der Europäischen Union ausscheiden. Das erscheint so gut wie ausgeschlossen.
     
  4. Die Lebenspartnerschaften sind inzwischen ein selbstverständlicher Teil unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit. Je mehr Lesben und Schwule eine Lebenspartnerschaft eingehen, desto "normaler" wird dieser Vorgang werden, und desto mehr Lesben und Schwulen werden als Bürger wie Du und ich wahrnehmbar. Das wird zu einer Normalisierung beitragen.
     
  5. So ist die Entwicklung auch in Dänemark verlaufen. Dort sind vor der Einführung der "Registrierten Partnerschaft" im Jahre 1989 sowohl von den Konservativen als auch von einzelnen Lesben und Schwulen gegen das Gesetz dieselben Einwände vorgebracht und dieselben Befürchtungen geäußert worden wie in den vergangenen Jahren bei uns im Hinblick auf das Lebenspartnerschaftsgesetz. Alle diese damals in Dänemark geäußerten Einwände und Befürchtungen haben sich als unbegründet erwiesen. Deshalb haben inzwischen auch die damaligen Gegner nichts mehr gegen das Gesetz einzuwenden.
     
  6. Die Bundesrepublik könnte natürlich das Lebenspartnerschaftsgesetz wieder aufheben, aber nur für die Zukunft. Den bereits verpartnerten Paaren könnte dieser Status nur nach einer Grundgesetzänderung wieder entzogen werden.

Wir denken deshalb, dass wir einen Rückfall in die fünfziger und sechziger Jahre nicht zu befürchten brauchen. Vorstellbar erscheint uns höchstens, dass eine homofeindliche Regierung alle öffentlichen Mittel für lesbische und schwule Projekte streicht und die lesbische und schwule Subkultur durch Schikanen zu behindern und zu zerstören versucht. Aber auch das wird sich aufgrund unserer föderalen Struktur wahrscheinlich nicht bundesweit durchsetzen lassen.

 
 

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