| “Die Reise” anlässlich einer 10 wöchigen USA Reise 1914 sowie während des 1. Weltkriegs das Gedicht “Ypern”, mit dem seine zwiespältig - ablehnende Haltung gegenüber dem Krieg zum Ausdruck kommt. Dann folgt eine fast drei
Jahrzehnte andauernde Abstinenz gegenüber Gedichten. Erst 1942 unter dem lebensbedrohlichen Eindruck der eigenen Internierung und entsetzt vom Ausbruch des neuerlichen Weltkriegs, verfasst Vollmoeller einen Zyklus Altersgedichte, deren Thematik um Glaubensauseinandersetzung, eine kritische Auseinandersetzung mit Macht, Politik und Krieg, sowie einem doppelten Angstschrei um die Zukunft der Welt, speziell des von Vollmoeller so geliebten und vermissten Europas. Diese Altersgedichte
werden erst 1960 verlegt und erscheinen in Marbach, in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Nationalarchiv. Auszug wichtiger Gedichte: DIE ALTE WEISE Die alte Weise kann ich nimmer finden.
Der Mondschein flutet silbern in den Gründen es ist als wollt die Nacht im Duft vergehen. In solchen Nächten kamst du sonst zu mir Dann klangen feine Stimmen in den Winden und leise träumend sass ich fromm bei dir — Nun ist es lang dass ich dich nicht gesehen. Kennst du das Herz und der Gedanken Sünden Die alte Weise kann ich nimmer finden DES MORGENS IN EINEM FREMDEN LAND Des morgens im Frühlichtschwanken
wenn es tastend zu dämmern begann da kommen die verworrnen Gedanken die mein Herz nicht bannen kann : Ein Schuppen, alt und verfallen wir Kinder sitzen spät noch darin still draussen die Flocken fallen — ` Kennt ihr die Schneekönigin?' Und die Mädchen erzählen mit Flüstern
von der kalten Königin klingender Pracht die die Kinder verlockt in der düstern schneestreuenden Winternacht und wie in des Teufels Krallen der Zauberspiegel in Splitter zersprang in wess Herz die Splitter fallen der krankt daran sein Leben lang, Mich fröstelt' ich schmiege mich fester
an dich (mein Herz ist bang und weh) was bist du so kalt meine Schwester, giengst du zu lange im Schnee? ich wollte ja gern mit dir wandern ich suchte dich immer. Was winkt ihr mir zu und lächelt so höhnisch ihr andern? Mein alter Freund, da bist auch du: wir hielten zusammen im schroffen
jähen Wechsel von Leid und Lust. haben dich nun die Splitter getroffen oder trag ich sie in der Brust Und mein Vater, du mit dem blassen verstörten Antlitz, was suchst du hier? Vater, wo hast du die Mutter gelassen.. und was wollt ihr denn alle von mir Schneekönigin lass mir die Seele
dein Lächeln ist Frost, Eis deine Stirn — Die Angst sitzt mir an der Kehle Das Blut braust in meinem Hirn des morgens im Frühlichtschimmer da es tastend zu dämmern begann.. starr seh ich umher im Zimmer: Etwas fremdes schaut mich an. Und dass du nie dir selbst entfliehst Und dass du nie dir selbst entfliehst und dass wohin du auch in wilder Verzweiflung flüchtest durch die alten Prachtsäle des erträumten Lebens du stets dieselben blassen Bilder in blinden Spiegelreihen siehst Und dass du stets und stets vergebens erglüht ein neues zu gestalten doch immer nur im Kreise jagst und in denselben Labyrinthen die kaum von deinen Schritten hallten und wie im bleichen Rausch des Strebens dir Erd und Zeit hintaumelnd schwinden, du wieder nur an Gräbern klagst. wo modernde Sehnsüchte liegen...
und dass, wo EiNmal du gescheitert wie stark dein Schiff du steuern magst, DEN Fels du stets musst wiederfinden Ja, ganz ruhmlos sollst du erliegen der alten 'Wunde die vereitert sich stets bedeckt mit neuer Schwaere — glaubst einmal noch auf letzten Planen die Horizonte du erweitert und Adler dir zu Häupten fliegen: es sind von einst die gleissenden Morganen es ist die alte heulende Chimaere... Und ganz am Ende deines Wegs wo rings ums tote Schloss sich drängen die Platanen erhebt sich mehr und mehr das dunkle schwere basaltne Ungetüm der grossen Sphinx. LIED DES FISCHERS
Still an jedem morgen senk ich Meine netze in die tiefe Und geduldig hoffend denk ich Daß ein fremdes güldnes glück Mir im grund des flusses schliefe Leer kehrt stets das garn zurück
Hin und her den nachen lenk ich Mittag glüht und abend schauert Gläsern grün das wasser lauert. Manchmal lockt es aus der Tiefe Wie ein rätselhaftes güldnes glück. VOLARE NECESSE EST I
Dich sing ich Zeit der Zeiten - meine Zeit: Ein später Herbst verschollener Sagenblüten Wandelst du bleiches Traumgold ferner Mythen In Stahl der Wirklichkeit.
Wie stöhnte noch das sinkende Jahrhundert In selbstgeschaffner Fron, in Qualm und Dampf, Im Lärm von Stahl und Hammer, Hast und Krampf - Nun schauen wir verwundert,
Wie die Tyrannen, die wir selbst gesetzt, Die dräuenden Geschlechter der Maschinen, Uns plötzlich untertan und willig jetzt
Zum Traum der Träume dienen.
Denn Wirklichkeit ward Traum: die rußigen Quadern Der knechtischen Epoche, eng und hart, Verrückten sich. Pochend in allen Adern Vom Blut der Gegenwart,
Spreitet ein neues Fabeltier die Schwingen Aus schwacher Leinwand, dünnem Holz und Rohr. Der Raum entsinkt, die Erde deckt ein Flor. Die straffen Drähte singen,
Singen das alte Lied vom Schwanenkleide, Vom finstern König und vom falschen Schmied,
Das Lied vom hohen Flug und lahmen Neide, Die Schraube braust das Lied
Vom Götterliebling und vom Sonnenroß, Die Leinwand rauscht das Lied der Adlerfeder, Die schwanken Rippen vom verschlagnen Kreter Und leis von Ikaros.
Singen das Lied der großen Menschentat, Vom Urwelt-Morgen, wo am Gletscherfjorde Der stillre Werkmann einer lauten Horde, Nicht wissend was er tat,
Den ersten Stamm gehöhlt mit Beil und Feuer,
Das erste Segel kühn irn Wind gestellt: Der ganze Vogel tönt wie eine Leier Vom neuen Rausch der Welt.
Bis zu dem Morgen, wo in Wolkendräun Von Nebeltau besprüht und Englands herber Salziger Brise Bleriots schlanker Sperber Von Neunzehnhundertneun
Englischen Rasen pflügte und die scharfe Klippe von Dover für die Welt geweiht: Der ganze Vogel tönt wie eine Harfe Vom neuen Glanz der Zeit.
Der Westwind selber bläst uns die Fanfare,
Hell wie von Flöten, dumpf wie Orgelbässe, Klingend wie kriegerisches Erz: Volare Necesse est - vivere non necesse.
II
Vivere non necesse! —Aller Schöne Und aller Taten Herrin, streng und klar, Mutter der mutigen Fahrt und starken Söhne, Glänzt sie zum kühnen Auszug euch: Gefahr!
Ihr Wetterleuchten zuckt um eure schnellen Schimmernden Vögel und umglänzt das Ziel — So schärfte sie im Grönlandmeer den Kiel
Von Eiriks Drachen, trieb die Karavellen
Aus Palos gischtend über den Atlant. Und was erst leeres Spiel und Abenteuer Gescholten und geschmäht, ward bald ein neuer, Ein Weg der Vielen in ein neues Land:
Entfliegt! Mit jeder der pfadlosen Bahnen, Die eure Schwingen jetzt im Blau durchmaßen, Bereitet ihr der Zukunft Völkerstraßen. Entfliegt! — Zuvor ein Opfer noch den Manen,
Den Toten all, den vielen stillen Toten!
Wie, heimkehrlechzend, des Laertes Sohn Erst noch im Schattenreich am warmen roten Tranke die Seelen labte und davon
Heimkehr empfing und glückhaft Fahrtenende — Opfert auch ihr, im Licht des ewigen Strahls Lebende ihr : Rinne die erste Spende Dem märkischen Sand und Hügel Lilienthals !
Dem fränkischen Capitaine mit deutschem Namen Nach ihm! Da schon das Leben strömend floh, Stöhnt er noch stolz und heiß vom wundersamen
Traume: » Demain je volerai plus haut. ..«
Dem dritten, ihm, der dem Gespenst der Pässe Und eisigen Schlucht zu starr ins Auge sah: Schüttet die dritte Spende der Zypresse Von Domodossola!
Und Hand zur Steuerung! Werft an! Volare Necesse est! — Die Schraube braust in großen Ringen von Licht. — Ein Guß noch am Altare Der Ungenannten und der Namenlosen !
Dann segelt, ein Geschwader lichter Aare, Kreisend im Blau um Mast und Dom und Esse
An Elbe, Rhein und Nordmeer: Navigare Necesse est — vivere non necesse! DIE RIESIN
I
Ihr Rückgrat maß die Länge einer Straße, Ihr Brustkorb hielt die Häuser einer Stadt. Ein schwärzlich dünner Keim auf rauhem Blatt, Wuchs sie im Spiel der Kreis- und Winkelmaße,
Nächtlich bebrütet von den giftig hellen Quecksilberlampen weiß auf blauem Grund, Und langsam aus der Fläche in das Rund Von ragenden Gerüsten und Modellen.
Sie lag und schlief und wuchs in dumpfem Dämmern Mit Halm und Baum und Frucht der grünen Insel, Und nimmer schwieg das reibende Gewinsel Der tausend Bohrer und gehetztes Hämmern.
Durch ihre Träume zog der saure Rauch Der Kohlenfeuer, heulte laut die Fräse,
Stöhnten die Krane, zischte das Gefauch Und grüne Wut der Sauerstoffgebläse.
Sie lag und schlief. Und rings auf nächtigen Gleisen Fuhr gälische Kohle ihr und wälisches Erz, Kupfer von Utah, weiches schwedisches Eisen. Sie lag und schlief. Noch schwieg das große Herz,
Vierfach geteilt mit starrenden Lamellen, Noch war kein Atem in den Kesselflanken, Noch ruhten die vier blankgeschliffnen Wellen, Doch schon für den elektrischen Gedanken
Lief im besponnenen Kupfer dünne Fährte, Und tief in Stahl und Bronze herrschte stumm Der Geist des Phosphors und geheime Härte Von Wolfram, Nickel und Vanadium.
Sie schlief und wuchs, einsam wie alle Riesen, Stumpf wie der Nebel, grau wie der Atlant, Und schlürfte träg das Salz der feuchten Brisen. Nur nachts zuweilen scholl ihr zum Diskant
Des Sturms die tiefe Brandung wie ein frommer Tröstlicher Chor verwandter Riesenkinder —
Sie lag und schlief zwei kühle irische Sommer, Sie schlief und wuchs zwei laue irische Winter.
II
Dann war ein Tag mit Frühlings -Glanz und Fahnen. Sie bebte leicht, so wie Lawinen zittern Am Gletscherhang beim ersten Tauwindmahnen. Sie ahnte dumpf, so wie Lawinen ahnen — Und glitt durch Rauch und Qualm und Bruch und Splittern
Und Schaum und Gischt zur bräutlichen Umarmung Ins festlich blaue morgenliche Meer
Und sah das Licht. Und hielt — wie in Erbarmung — Denn sie begriff mit plötzlicher Verarmung Die Kleinheit aller Wesen rings umher
Und daß die trägen Kähne, niedern Fähren, Die flinken Schlepper, funkenrauchumknistert, Nie die erträumten Spielgenossen wären, Ihr ewig fremd und heute doch verschwistert — Sie reckte sich zum fernen Rand der Schären
Und warf den Bug. Das menschliche Gewimmel Auf Bau und Brücken ward sie kaum gewahr
Wie einen grauen Schorf und trüben Schimmel — Sie reckte sich zum fernen Rand der Himmel, Sie wußte nun, daß es ihr Schicksal war,
Einsam und herrisch in den Raum zu stoßen: Schon zog sie grün und silbern ihre Spur, Wie ein Versprengter von den Urweltgroßen Aus den versunkenen Wäldern im Silur – Die jetzt als Flammengarben aus ihr schossen,
Zu Glut verbrannt auf dreißig wilden Herden, Als Rauch gepreßt aus vier gewaltigen Schloten,
Und die als Feuerseele in ihr lohten Als Kraft von ihren siebzigtausend Pferden, Als Lust von ihren siebenundzwanzig Knoten.
So lief sie, weil es ihr Geschick zu rasen, Und wie der Erdball selbst im Raume rast: Blind, sinnlos groß. Tags liefen weiße Blasen Weit hinter ihr und nachts metallischer Glast. Schon sah sie brüderliche Wale blasen
Im Meer, das höher ging und grün und hohl, Schon spürte sie den großen Wind vom Pol
Mit herbem Schneegeruch und scharfer Ätze — Zuweilen auch die kleinen Menschen wohl So auf sich wie der Pottfisch seine Krätze
Schmarotzenden Gewürms, so wie die Erde Aus Wald und Dschungel fühlt ihr wirres Haar, Der greise Götterberg die Ziegenherde — Dann zuckte sie mit störrischer Gebärde. .. Und dann war eine Nacht: dunstlos und klar
Klomm der Skorpion und wendete der Wagen, Kniete der Schütze, schwebte hoch der Schwan.
Sie hörte lauter laut ihr Herzblut schlagen - Sie jagte, weil es ihr gefiel zu jagen -, Schwarz spiegelnder Achat der Ozean.
Und durch die schaurige verwunschne Glätte Und durch die zaubrische erstarrte Milde Lief sie mit ihrem blanken Spiegelbilde, Lief sie mit ihrem Pulsschlag um die Wette ... Da tauchten ferne lockende Gebilde:
In Nebelschleiern weiße Gletscherfrauen, Silberne Inseln, Klippen; Turm und Schloß. In ihrem Herzen brannte sie zu schauen;
Lief spielend näher, zwischen Lust und Grauen; Wendete kurz, empfing den großen Stoß.
Und wußte schon ... Was war ihr Angst und Rennen Der Tausende und WAhn der tausend Köpfe; Notschrei von allen fiebernden Antennen - Sie fühlte nur ihr Eingeweide brennen Und suchte blind, wie alle Meergeschöpfe;
Den Schutz der Tiefe für die Todeswunde _ Schoß steil vornüber, reckte ihre vier Schlagenden Flossen und das dunkle runde Ragende Heck und tauchte jäh zum Grunde
Und starb im Dunkel wie ein großes edles Tier. YPERN I Im Scherenfernrohr steht das brennende Ypern Wie eine ausgehöhlte Film-Dekoration. Querschläger drehn sich klatschend in der weichen Lehmigen Grabenwand. Fluchwinde wehn. Es riecht süßlich nach Leichen.
Und unten im muffigen Unterstand Wimmert bei Tag und Nacht Wie ein böser Säugling bei Tag und Nacht Das Feldtelefon.
Von hinten feuert eine sächsische Batterie – Die Kanadier, die so schön Fußball spielten, Antworten übelgelaunt. Weiter westlich im Sektor Unterhalten sich tratschend ein paar Maschinengewehre. – War das ein Tier das da vorne schrie? Zwei Leuchtraketen lautlos dem Nichts entschwebt Erklären das wesenlose Wesen, Die leere Leere. . .
Und Menschen blicken als hätten sie nie gelebt, Und Jahre sind als seien sie nie Nie gewesen
II
Da liegen sie die alten Landstürmer von Ulm, Familienväter Von Urach, Reutlingen und der rauhen Alb, Im flandrischen Dreck und haben schon lang die Welt Und dass sie einst ein Leben besessen, Haus, Tier und Kind Und schon das Vergessen vergessen...
Nun stapfen sie abends zu drei und vier Hintereinander tastend
Mit hohlen Gesichtern verwittert und falb Durch Schlamm Schrapnell und bösen Wind Ins Ruhequartier . . . Längst sehn sie nicht mehr hinter Draht und Graben Die grauen Heere von ärmlichen Kreuzen, schon halb Vom gierigen Boden verschlungen Vom Regen zerfressen Vom Wind zerschaben. . .
Nur einer hält und spuckt und kratzt sich im Haar Und denkt jetzt dunkel an einen halbwüchsigen Knaben, Der früher still an seinem Abendtisch gesessen
Und der dann, wie die Zeitung schrieb, mit andern Jungen Sich hier so heldenhaft in den Tod gesungen...
Und er spuckt noch einmal und macht sich stark: » Zum Teufel, nicht unsrethalb. . . Um uns alte Scheißer, um das Weib und das bißchen Geld, Wer scheert sich? Doch drüben die Jungen: Alles ungevögelte Jungen. . . « — Ja Langemark Ja Paschendäle und Gheluvelt.
III
Aber der Neckar fliesst halkyonisch heiter Unbekümmert lächelnd taub
Und die gedachte hallende Balkenbrücke ist dieselbe — Ins wässrige Blau stechen die gleichen Kirchturmspitzen, Von den gleichen Weinbergtreppen rinnt dasselbe gelbe Laub.
Am vieldeutigen Dreiweg von Marbach ruht er die Wasser breiter Träumt in Herbstmittagsfrieden vor sich hin, Ein verzauberter Teich. . . Hellenisch schlank stehn die zarten Erlen, Fromm die Weidenbüsche am Ufer knien... Lautlose Laute sind in der dünnen Luft,
Unhörbare Stimmen vom andern Reich — Ab und zu auf der glatten Flasche von hellen Perlen Ein leichtes Blitzen Rasch verpufft : Sind es Traumschwalben Mörikes, die den Spiegel ritzen? Sind es unsichtbare Flügelspitzen Der heiligen Engel von Hölderlin? | |