Klimabilanz 2008

Verschnaufpause fürs Weltklima?

Von Joachim Müller-Jung

Ein Effekt von vielen: Eisschmelze am Upsala-Gletscher in Patagonien im Süden...

Ein Effekt von vielen: Eisschmelze am Upsala-Gletscher in Patagonien im Süden Argentiniens

16. Dezember 2008 Die Klimabilanz des Jahres 2008 fällt durchaus zwiespältig aus: Global gesehen
dürfte es das kühlste Jahr dieser Dekade und damit dieses Jahrhunderts werden. Schaut man hingegen weiter zurück, zählt es zu den zehn wärmsten Jahren seit Beginn der systematischen Klimamessungen. Das geht aus einer - noch vorläufigen - Bilanz der Weltmeteorologie-Organisation WMO in Genf hervor.

Das absolut wärmste Jahr in der Reihe der Aufzeichnungen bleibt mit einer durchschnittlichen Lufttemperatur von 14, 52 Grad das Jahr 1998. In dem Jahr wurde das globale Klima allerdings von einem besonders stark ausgeprägten Warmwasserphänomen El Nino geprägt - eine zyklisch wiederkehrende und mit Kaltwasser-Episoden (La Nina) sich abwechselnde Klimaanomalie, die ihren Ursprung im tropischen Pazifik hat.

Nimmt man dieses ungewöhnliche Jahr aus der Statistik der WMO heraus, dann sind die ersten sieben Jahre dieses Jahrzehntes klar die Spitzenreiter in der Hitliste der warmen Jahre. Das auslaufende Jahr 2008 hingegen bleibt mit 14,31 Grad im Schnitt sogar noch hinter dem Vorjahr des Jahrhundert-El-Ninos, also hinter 1997, zurück. Die globale Durchschnittstemperatur liegt allerdings auch in diesem Jahr knapp 0,31 Grad über dem langjährigen Mittelwert von 14 Grad, der sich statistisch auf die Zeitspanne zwischen 1961 und 1990 bezieht.

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La Nina als Erklärung

Wie kann es nun in dem seit Jahren von Experten und dem Weltklimarat IPCC vorgerechneten globalen Erwärmungstrend zu dieser wenn auch leichten Abkühlung kommen? Wo sich doch zuletzt anzudeuten schien (beispielsweise durch das historisch nur vom Vorjahr überbotene Ausmaß der Eisschmelze im Nordpolarmeer), dass sich der anthropogene Treibhauseffekt sogar beschleunigen könnte? Immerhin: Auch in Teilen Skandinaviens, das insgesamt 2007/2008 den mildesten Winter seit langer Zeit erlebte, wurden im Januar und Februar 2008 Temperaturen von bis zu sieben Grad über dem langjährigen Mittel registriert. Überhaupt war Europa Anfang dieses Jahres global gesehen eher viel zu mild.

Die Weltmeteorologie-Behörde erklärt den Abkühlungstrend vor allem mit dem bis zum Mai dieses Jahres herrschenden Klimaphänomens La Nina. Ein Großteil des äquatorialen Pazifiks war deutlich kälter als üblich. Dies habe indirekt in anderen Regionen, etwa in großen Teilen Eurasiens von der Türkei bis China, zu extremen und anhaltenden Abkühlungen der Atmosphäre geführt. Die Türkei erlebte im Februar die kältesten Tage seit fünfzig Jahren. Auch der Mittlere Westen der Vereinigten Staaten war überdurchschnittlich kalt.

Prognosen aus Kiel

Die zur Zeit ungewöhnlich Temperaturen des Pazifiks, die unabhängig vom Wechselspiel zwischen El Nino und La Nina seit einiger Zeit ein natürliches „Tief“ durchmachen, wurden vor einem halben Jahr von Forschern des „Geomar“-Forschungszentrums in Kiel als entscheidender Klimamotor des kommenden Jahrzehnts ins Spiel gebracht. Mit Klimamodellen, in denen erstmals Messungen der Meeresströme an der Oberfläche einberechnet und Tiefseetemperaturen daraus abgeleitet werden, haben sie eine Klimaentwicklung für die nächste Dekade prognostiziert, die in Teilen deutlich von jener des Weltklimarates IPCC abweicht.

Statt einer mehr oder weniger kontinuierlichen Erwärmung in der Zukunft, haben die Kieler Forscher eine vorläufige, rund zehn Jahre dauernde „Atempause“ insbesondere der Erwärmung über Europa berechnet. Grund ist - wegen der temperaturbedingten Änderungen der Meeresströme - ein vorübergehendes Erlahmen des Golfstroms.

Die „Klimawette“

Dieser zentrale Warmwasserstrom versorgt unseren Kontinent mit gewaltigen Energiemengen aus dem tropischen Atlantik. Aus dieser ungewöhnlichen und gegen alle bisherigen Modellergebnisse sprechenden Klimaprognose ist eine in Fachkreisen heftig diskutierte „Klimawette“ unter Klimatologen geworden.

In einem Punkt sind sich beide Seiten allerdings einig. Spätestens nach 2010 dürfte der global leicht abkühlende natürliche Meereseffekt verschwinden. Und nach 2020 bis 2030 sollte die durch den zusätzlichen Treibhauseffekt angetriebene globale Erwärmung wieder so deutlich anziehen, dass beide Temperaturkurven wieder gleich schnell nach oben zeigen.



Bildmaterial: dpa

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