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Band VIII (1994)Spalten 1366-1371 Autor: Peter Schmid

SARPI, Paolo, * 24. August 1552 in Venedig, + 14. oder 15. Januar 1623 in Venedig. Er ist einer der entschiedensten und profiliertesten innerkirchlichen Gegner und Kritiker der Papstkirche, wie sie aus dem Konzil von Trient hervorgegangen ist. - S. war von außergewöhnlicher Begabung und erhielt daher bereits in jungen Jahren eine umfassende wissenschaftliche Ausbildung. Seine Neigung galt dabei neben der Philosophie, Theologie und dem Kirchenrecht vornehmlich den Naturwissenschaften, in denen er sich durch Leistungen auszeichnete, die selbst die Anerkennung eines Galilei fanden. Frühzeitig schloß er sich dem Servitenorden an und nahm innerhalb dieses Ordens einen steilen Aufstieg. 1566 trat er in den Orden ein. 1570 wurde er als Theologe an den bischöflichen Hof von Mantua berufen. 1572 legte er die Gelübde ab. 1574 holte ihn Karl Borromäus zur Durchführung der Kirchenreform nach Mailand. 1578 übernahm er die Leitung des venezianischen Servitenklosters. Im April 1579 stieg er zum Prior der venezianischen Ordensprovinz auf. Am 8. Juni 1585 wurde er zum Generalprokurator und kurz darauf zum Generalprior seines Ordens in Rom gewählt. Diese römische Zeit, die bis 1588 dauerte und in der er Freundschaft mit Bellarmin schloß, zeitigte allem Anschein nach für S. ein ambivalentes Ergebnis. Einerseits fand er in kurialen Kreisen durchaus Anerkennung, andererseits dürfte aber auch damals bereits seine antikuriale Einstellung zu erkennen gewesen sein. Diese Mischung aus Anerkennung und Vorbehalten dürfte der Grund dafür gewesen sein, daß er in den folgenden Jahren zwar wiederholt (1593, 1600, 1601) als Bischofskandidat vorgeschlagen, von Rom aber stets abgelehnt worden ist. In der folgenden Zeit wandte er sich immer mehr von der nachtridentinischen Kirche ab, so daß er in den Ruf der Protestantenfreundlichkeit geriet und sich nicht ohne Grund dem Verdacht aussetzte, den Protestantismus in Venedig einführen zu wollen. Für seine geistige Entwicklung und sein Interesse am Konzil von Trient waren zwei Begegnungen von großer Bedeutung. Während seiner Studienzeit in Mantua 1567-1570 lernte er Camillo Olivo kennen, der als Sekretär des Kardinallegaten Ercole Gonzaga am Konzil von Trient teilgenommen hatte und später von der Inquisition ins Gefängnis geworfen worden war. In Venedig trat er in enge Beziehungen zum französischen Gesandten Arnaud du Ferrier (1563-1567, 1570-1582), der als Vertreter des französischen Königs während der letzten Konzilsperiode in Trient zugegen gewesen war, sich durch Feindschaft gegenüber dem Papsttum hervortat und dem Calvinismus zuneigte. Von beiden erhielt S. Unterlagen über das Konzil, und ihre Meinung über das Konzil beeinflußte seine eigenen Ansichten in unverkennbarer Weise. - In kirchenpolitischer Hinsicht tat sich S. zunächst als theologischer Berater, seit dem 28. März 1606 als offiziell bestellter Staatstheologe der Republik von Venedig in ihrem Streit mit Papst Paul V. in besonderer Weise hervor. Unnachgiebig kämpfte er mit großer Schärfe, beeinflußt vom Kirchenbegriff der Gallikaner, mit denen er seit 1604 in Briefwechsel stand, für die Wiedereinführung des venezianischen Staatskirchentums, wie es von den Päpsten in der Zeit vor dem Konzil von Trient geduldet worden war. Dieser kirchenpolitische Konflikt, bei dem es zunächst um einzelne Fragen der Jurisdiktionsgewalt und der Durchsetzung einzelner Gesetzesvorschriften ging, weitete sich zu einem Prinzipienstreit über das Verhältnis der geistlichen zur weltlichen Gewalt aus, der in ganz Europa nicht nur bei den Gelehrten Aufmerksamkeit erregte, sondern auch Spanien, Frankreich, England und italienische Staaten zur Intervention veranlaßte. S. wandte sich gegen die zentralistischen Tendenzen der nachtridentinischen Kirche, indem er die Gewalt des Staates über alle seine Untertanen als göttlichen Willen postulierte, dem Papst Mißbrauch seiner Gewalt vorwarf und zum Widerstand gegen ihn aufrief. Im Laufe dieser Auseinandersetzungen, in denen von April 1606 bis April 1607 das Interdikt über Venedig verhängt war, wurde S. im Januar 1607 exkommuniziert und blieb dies bis an sein Lebensende, denn auch nach der Beilegung des Kirchenstreits Ende April 1607 verharrte er in seiner Feindschaft gegenüber dem Papsttum. In dieser Haltung fühlte er sich durch das Attentat bestärkt, das am 5. Oktober 1607 auf ihn verübt wurde und hinter dem er den Papst als Drahtzieher vermutete. - Die historische Bedeutung S. beruht auf der von ihm verfaßten und 1616 im Manuskript abgeschlossenen Istoria del Concilio Tridentino, die lange Zeit in maßgeblicher Weise die Auffassung vom Konzil von Trient bestimmt hat. Dieses Werk löste eine große Wissenschaftskontroverse um die Bewertung des Konzils von Trient aus, veranlaßte Rom zu einer offiziellen Gegendarstellung durch Pallavicino und beschäftigte bis in unser Jahrhundert die Konzilsgeschichtsschreibung in nachhaltiger Weise. Nach wie vor wird dem Werk der Rang einer schriftstellerischen Meisterleistung zugesprochen. Sein Wert als Geschichtswerk wird heute überwiegend als fragwürdig eingestuft und gilt durch Pallavicino in den wesentlichen Punkten als überholt. S. hat wie keiner vor ihm die Bedeutung des Konzils von Trient für die römische Kirche und das Papsttum erkannt. Deshalb hat er es auch in den Mittelpunkt seines frontalen Angriffs auf das Papsttum gestellt, das sich auf der Höhe seiner Machtentfaltung befand. Gestützt auf private (Camillo Olivo + 1573, Arnaud du Ferrier +1585) und venezianische Quellen, die heute nicht mehr aufzufinden sind, und beeinflußt von gallikanischen Kirchenvorstellungen gestaltete er seine Konzilsgeschichte zu einer antipäpstlichen Kampfschrift. Seine Kernthese besteht darin, die Kurie habe es durch geschickt betriebene Machenschaften verstanden, das Konzil als Mittel zur Verhinderung einer Kirchenreform und zur Steigerung der päpstlichen Macht einzusetzen. Erst durch diese Politik des Papsttums, nicht durch das Wirken Luthers sei die Kirchenspaltung zementiert worden. Wegen dieser Kernaussage erregte das Werk, das erstmals 1619 in London unter dem Pseudonym Pietro Soave Polano erschien, großes Aufsehen, wurde trotz der Indizierung binnen zehn Jahren ins Italienische, Deutsche, Französische und Englische übersetzt und erlebte in seiner lateinischen Überarbeitung bis 1622 vier Auflagen. Nahezu jeder Gebildete kannte im 17. Jahrhundert dieses Werk. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein lebte die protestantische Polemik gegen das Konzil, soweit sie sich historischer Argumente bediente, von S. Die Aufklärer des 18. Jahrhunderts griffen begierig nach dem Buch des "aufgeklärten" Fratre, und die Antiklerikalen des italienischen Risorgimento feierten S. als ihren Vorläufer.

Werke: Apologia per le oppositioni fatte dall'... Cardinale Bellarmino, 1606; Istoria del Concilio Tridentino. Nella quale si scoprono tutti gli artificii della Corte di Roma per impedire che ne la verità di dogmi si palesasse ne la riforma del papato e della Chiesa si tratasse. Di Pietro Soave Polano, ed. Marcantonio de Dominis, 1619; Opere, 6 Bde., 1677; Opere, 8 Bde., 1761-1768; Lettere ai Protestanti, hg. von Manlio Duilio Busnelli, 2 Bde., 1931; Istoria del Concilio tridentino, 3 Bde., hg. von Giovanni Gambarin, 1935; Istoria dell'Interdetto e altri scritti, 3 Bde., hg. von Manlio Duilio Busnelli-Giovanni Gambarin, 1940; Scritti filosofici e teologici editi e inediti, ed. Romano Amerio, 1951; Scritti giurisdizionalistici, ed. Giovanni Gambarin, 1958; Lettere ai Gallicani, hg. von Boris Ulianich, 1961; `History of Benefices' and selections from `History of the Council of Trent', ed. Peter Burke, 1967; Scritti scelti, ed. Giovanni da Pozzo, 1968; Opere, ed. Gaetano e Luisa Cozzi, 1969 (ausführliche Literaturübersicht S. 1321-1325); Istoria del Concilio Tridentino, ed. Corrado Vivanti, 2 Bde., 1974; Pensieri, ed. Gaetano e Luisa Cozzi, 1976.

Bibliographie: Gustav Wolf, in: Deutsche Geschichtsblätter 18, 1917, 231-240; Maria Luisa Doglio, Rassegna sarpiana, in: Lettere italiane 18, 1966, 208-225; Scritti scelti di P. S., ed. Giovanni da Pozzo, 1968.

Lit.: Johann Nepomuk Brischar, Beurteilung der Controversen S. und Pallavicinis in der Geschichte des Trienter Concils, 1844; - Generoso Calenzio, Esame critico-litterario delle opere riguardanti la storia del Concilio di Trento, 1869; - Stephan Ehses, Hat P. S. für seine Geschichte des Konzils von Trient aus Quellen geschöpft, die jetzt nicht mehr fließen?, in: Historisches Jahrbuch 26, 1905, 299-313; - Stephan Ehses, Nochmals P. S. als Geschichtsquelle, in: Historisches Jahrbuch 27, 1906, 67-74; - Eduard Fueter, Geschichte der neueren Historiographie, 1911; - Stephan Ehses, Neues zu P. S. Geschichte des Konzils von Trient (Vereinsgabe der Görresgesellschaft für 1919), 1920, 39-68; - Stephan Ehses, Zum Abschied von P. S., in: RQ 31, 1923, 151-167; - Ludwig von Pastor, Geschichte der Päpste, XII, 1-71927; - Alessandro Luzio, Fra P. S., in: Rivista storica italiana 45, 1928, 1-23; - Paolo Pantaleo, P. S. storico, in: Religio 12, 1936, 107-123; - Pietro Savio, Per epistolario di P. 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Peter Schmid

Letzte Änderung: 11.03.1999