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Band VI (1993)Spalten 915-920 Autor: Klaus Guth

NIKOLAUS von Myra, Hl. (4. Jahrhundert), Bischof (Fest 6. Dezember), beliebter Volksheiliger in der griechischen und lateinischen Kirche. Translation: 9. Mai. - Obwohl er zu den Heiligen gehört, die in Ost und West universal verehrt werden, ist sein Leben historisch schwer zu erfassen. Myra in Lykien war sein Bischofssitz. Der Ort heißt heute Mugla. Die Hagiographie verbindet mit seiner Gestalt historische Einzelheiten aus dem Leben gleichnamiger Heiliger, so des Abtes Nikolaus vom Kloster Sion bei Myra, später Bischof von Pinara, gest. 564 n.Chr., und erweitert die Vita auf Grund der engen Verbindung des Heiligen mit dem Volksleben durch legendenhafte und mirakulöse Begebenheiten. Über den frühen Kult besteht kein Zweifel. Seit dem 6. Jahrhundert wird dieser in der Ostkirche ausgeübt (Myra, Konstantinopel) und breitete sich mit Hilfe griechischer und lateinischer Kompilationen seiner Vita im ganzen Morgen- und Abendland aus. Stufen dieser Entwicklung verdeutlichen die Lebensbeschreibungen in griechischer und lateinischer Sprache: - Vita per Michaelem (anfangs des 9. Jahrhunderts entstanden); sie blieb die kanonische Lebensbeschreibung des hl. Nikolaus von Myra und Grundlage für alle folgenden. - Methodius ad Theodorum (eine Kompilation des Patriarchen Methodius von Konstantinopel, gest. 847). Dieses Werk ist Lebensbeschreibung und Lobrede zugleich. - Encomium Methodii (eine unter dem Namen des gleichen Methodius überlieferte Festpredigt, um 860 entstanden). Der Festpredigt liegt das Schema der »Vita per Michaelem« zugrunde. - Synaxarienvita (eine Erweiterung der »vita per Michaelem« und zugleich eine neue Überlieferungsstufe: es ist der Text, der um 900 f.ür die liturgische Feier verfaßt wurde und bis heute im orthodoxen Gottesdienst Gültigkeit besitzt). Die Vita erhält neue Motive durch die Verknüpfung der Lebensbeschreibung des Abtes Nikolaus vom Sionskloster mit der des Bischofs von Myra. Dieser historisch nachweisbare Abt des Klosters Sion rückt später in das Amt des Bischofs von Pinara bei Myra nach; er starb am 10.12. 564. - Vita Compilata (sie gehört als umfangreichste Lebensbeschreibung dieser neuen Entwicklungsstufe an und stammt von einem unbekannten Verfasser). 5 verschiedene Quellen der Nikolaustradition werden mit dem Stoff der Lebensgeschichte des Abtes Nikolaus von Sion verquickt. Die Vita war nicht allzu weit verbreitet. - Vita per Metaphrasten (sie erweitert die Lebensbeschreibung des Mönches Michael; Symeon Metaphrastes, auch Logoteta genannt, gest. um 1000, ist ihr Verfasser). Als Normaltext der Vita ist sie in zahlreichen Handschriften des Morgen- und Abendlandes überliefert. Die ältesten stammen aus dem 11. Jahrhundert. Durch Übertragung der Vita ins Lateinische, die der venezianische Kaufmann und Patrizier Leonardo Giustiniani Anfang des 15. Jahrhunderts besorgte (gest. 1446), erhielt diese Nikolaus-Vita weite literarische Verbreitung. Der lateinischen Übersetzung aus Venedig ging bereits eine ältere lateinische Übersetzung voraus. Es war die - Vita beati Nicolai episcopi (des Diakon Johannes aus Neapel, der sie auf Grund griechischer Quellen um 880 verfaßt hatte). Sie steht in der Abfolge der Viten-Entwicklung an 2. Stelle (s. Vita per Michaelem, Vita beati Nicolai episcopi, Synaxarien-Vita/Vita per Metaphrasten). Universale Verbreitung erfuhr die Vita per Metaphrasten durch das im Jahr 1568 neu edierte Brevier der römischen Kirche. Der revidierten Ausgabe des Breviers von 1602 ist der Bericht über die Überführung der Gebeine des Heiligen nach Bari beigefügt. Die umfangreichste Biographie des Heiligen verfaßte der aus Bari stammende Gelehrte Antonio Beatillo. In 7 Büchern gab er 1620 die »Geschichte des Lebens, der Wunder, der Überführung und der Verehrung des hochberühmten Bekenners Christi, des heiligen Nikolaus, des Großen, des Erzbischofs von Myra« heraus. Die Mehrzahl der genannten Nikolaus-Viten sind mit Wundersammlungen, die legendäre Taten aneinander reihen, verbunden. - Der Nikolauskult war seit dem 10. Jahrhundert im Abendland wohlbekannt. Durch die Translation der hl. Gebeine von Myra nach Bari/ Unteritalien (1087), wo viele Griechen lebten, erfuhr der Kult im Abendland eine ungeheuere Steigerung. Auf Grund der Legenden und der Wundertaten wird Nikolaus der Patron zahlreicher Landschaften, Städte und Stände. Länder wie Rußland, Griechenland und Lothringen, Städte wie Bari, Venedig, Meran, Ancona, Sassari in Italien oder La Rioja in Argentinien, verehren ihn als ihren Patron. In den angelsächsischen Ländern bringt er braven Kindern am Vorabend zum Hl. Christfest als »Santa Claus« Geschenke. - Einige seiner Patronate sind mit Episoden aus den Legenden verbunden. Der Patronat gilt zu Wasser und zu Land. Schüler, Kinder, heiratsfähige Mädchen, Schiffer, Gefangene, Bäcker, Metzger, Küfer, Weinhändler, Getreidekaufleute, Reisende, Kaufleute, Apotheker, Juristen u.a. stehen unter seinem Schutz. Er zählt zu den 14 Nothelfern seit dem Spätmittelalter. Sein Name wurde in gleicher Epoche als Taufname beliebt. Den Patronat der raschen Hilfe begründen griechische Legenden: er befreit 3 zu Unrecht eingekerkerte Offiziere; er ermögliche 3 verarmten adeligen Familien die Verheiratung ihrer Töchter und rettet diese vor der Prostitution; die drei verschenkten Goldklumpen werden künftig zum Kennzeichen (Attribut) seiner »Gutheit«; er bewahrt 3 unschuldig zum Tod verurteilte junge Männer vor der Hinrichtung, er schützt Seeleute in Seenot u.v.a.m. Seine enge Verbindung zur Schule und Schülern entstammt abendländischer Überlieferung. So entstand die berühmte Schülergeschichte von den 3 Knaben im Salzfaß wohl in Nordfrankreich des 11./12. Jahrhunderts und wird im mittelalterlichen Mirakelspiel dramatisiert. - Reliquien, Patronat, Herrschaft und Kult stehen in Wechselbeziehung zueinander. Das »Oleum San' Nicolai«, eine wasserklare Flüssigkeit, wird noch heute im Rhythmus von 3 Monaten am Marmorsarkophag in Bari, der die Überreste des Heiligen birgt, gesammelt und in sogenannten »Mannafläschchen« an Verehrer weitergegeben. Seit der Translation der Gebeine des hl. Nikolaus von Myra nach Bari durch Kaufleute von dort nahm der Kult in Unter- und Norditalien rasch zu. Die vor den Sarazenen in Sizilien geflüchteten Griechen wie die Seefahrerstädte Venedig, Genua oder Pisa, die mit Byzanz regen Handel trieben, verehrten Nikolaus bereits lange vor 1087. Im Reich wurde sein Kult bereits vor 1000 von Benediktinerklöstern und durch Ottonen-Herrscher gefördert (s. Kaiserin Theophanou). Auch in der Normandie genoß der Heilige im gleichen Zeitraum bereits hohes Ansehen (s. Ordericus Vitalis, Historia ecclesiastica). Wilhelm der Eroberer stellte sich unter seinen Schutz. Ein wirklich volkstümlicher Heiliger jedoch war Nikolaus im Abendland des 11. Jahrhunderts noch nicht. Erst die Kreuzzugsbewegung, Nikolaus-Wallfahrten und sein Nothelferpatronat begründeten dessen universale Verehrung im Abendland. Mit dieser gingen ein volkstümlicher Kult und volksfrommes Brauchtum einher (s. Brauchtum). - Kunstdenkmäler und Architektur des hohen und späten Mittelalters bestätigen des Heiligen Beliebtheit in der Christenheit. Sein Bild trägt die einfache bischöfliche Tracht (Konstantinopel, Hagia Sophia, 10. Jh.; Venedig, S. Marco, 12. Jh.; Monreale, Sizilien; Rom, Lateran: Sancta Sanctorum, 13. Jh.). Mit starker Zunahme der Darstellungen im 15. Jh. häufen sich auch die Darstellungen mit Mitra und 3 goldenen Kugeln (in Deutschland: auch 3 Äpfel oder Brote). Neben solchen Attributen finden sich auch 3 Knaben, die aus einer Kufe aufsteigen, seltener Anker oder Schiff. In den Glasfenstern zu Chartres, Le Mans und Tours aus der Zeit der Gotik wird er ebenso dargestellt wie auf spätmittelalterlichen Tafelbildern. Gerade diese bestätigen seine Beliebtheit als hl. Bischof über viele Jahrhunderte (s. Bibliotheca SS, IX; LCI, VIII). Um 1500 waren ihm im Abendland weit über 2000 Kirchen und Kapellen geweiht. - Legenden, Patronat und Brauchtum sind eng miteinander verknüpft. Als Patron der Kinder und des Kindersegens, der Reisenden und der Rechtskundigen genießt er bis heute Ansehen. Sein Festtag, bzw. der Abend zuvor, ist Anlaß, Kinder zu beschenken. Vorläufer dieses Schenkbrauches sind bei mittelalterlichen Bischofsspielen (13. Jh.) festzustellen. In Erinnerung an die Legende von den 3 goldenen Äpfeln (Goldklumpen) und an die Erzählung von den Schülern kehrte Nikolaus an mittelalterlichen kirchlichen Schulen als Kinderbischof vor Weihnachten ein. Er befragte und bescherte dann die Schüler (Kinder). Aus diesem älteren mittelalterlichen Nikolausspiel (s. Mirakelspiel) in den Schulen entwickelte sich das Nikolaus-Volksschauspiel; es war besonders in der Steiermark und in Kärnten verbreitet. Der Schenkbrauch am Nikolaustag, verbunden mit pädagogischen Elementen, hat seine Wurzeln im mittelalterlichen Regiment des Kinderbischofs an den Schulen. Reformation und folgende Jahrhunderte drängten den Heiligentag zurück und verlegten den Schenkbrauch in bestimmten Regionen auf Weihnachten. In katholischen Gebieten wurde und wird der Vorabend zum 6. Dezember als Rüge- und Schenktag bis heute begangen. Lärmbräuche (s. Krampus, Gangerl, Knecht Ruprecht) können diesen in seinem Ablauf begleiten. Der angelsächsische Sprachraum hat dessen volkstümlichen Kult in der Benützung des Santa Claus (Weihnachtsmanns) für den Kommerz der Vorweihnachtszeit und durch die Verlegung des Schenkbrauches auf Weihnachten die Gestalt des Heiligen profanisiert.

Quellen: G. Anrich: Hagios Nikolaos. Der hl. Nikolaus in der griechischen Kirche. Bd. I und II, Leipzig-Berlin 1913-1917; Alice Rahmer: Nikolauslegenden. Leben und Legenden des Heiligen Bischofs von Myra. München 1964 (Slavisches Institut München); Lothar Heiser: Nikolaus von Myra. Heiliger der ungeteilten Christenheit, Trier 1978 (Sophia. Quellen östlicher Theologie, Bd. 18).

Lit.: Tillemont VI, 688-691, 823 ff.; - BHL, 6104-6221; - Suppl. 235 ff.; - Synaxarium CP 1141 (Reg.); Kerler 458 (Reg.); - BHO 808 ff.; G. Anrich, Hagios Nikolaos, 2 Bde, 1913-17; - Künstle II, 459-464; - F. Ermini, II miraculo drammatico di S. Nicola... e la leggenda dei tre chierici risuscitati: StudMed NS 3 (1930), 110- 120; - K. Meisen, N.kult u. N.brauch im Abendlande, 1931 (Lit.); - A. Dörrer, Archiv für das Studium der neueren Sprachen 164, (1934), 85-89; - I. Greinz, N.volksschauspiele in Österreich (Diss.masch. I, 1934); - ZGObrh 87, (1934), 287 f.; - AElsKG 9 (1934), 391 f.; - ZSKG 28 (1934), 74-77; - O. Schumann, Die Urfassung des N.spiels von den 3 Jungfrauen: Zschr. für roman. Philologie 62 (1942), 386-390; - O. E. Albrecht, Four Latin Plays of St. Nicholas (1935); - O. Lauffer (N. im deutschen Weihnachtsbrauch): Geistige Arbeit 2 (1935), n. 23; - Bächtold-Stäubli X, 249 (Reg.); - F. Nitti di Vito, La traslazione delle reliquie di S. Nicola: Japigia 8, Bari 1937, 295-411; - N. Burgdorffer, De legende van den hl. Nicolaas, Amsterdam 1942; - Braun TA, 545-551; - A. D. de Groot, Amsterdam 1949; - Bossuat 564, Suppl. 83; - Janin G, 381-391; - BHG2 1347-1364; - Erich-Beitl, 561-565; - Baudot- Chaussin XII, 200-213; - A. Haberlandt, Taschen-Wörterbuch der Volkskunde Öster.s II, Wien 1959, 78 f.; - Réau III, 976-988; - Sigrid Metken,: Sankt Nikolaus in Kunst und Volksbrauch. Duisburg 1966; - W. Hotz,: St. Nikolaus von Myra. Darmstadt 1974 (= Rheinheimer Texte, 6); - Charles W. Jones: Saint Nicholas of Myra, Bari and Manhattan. Biography of a Legend. Chicago and London 1978; - Karl Meisen: Nikolauskult und Nikolausbrauch im Abendland. Düsseldorf 1931 (unveränderter Nachdruck 1981); - Méchin, Colette: Saint Nicolas. Fêtes et traditions populaires d'hier et aujourd'hui, Paris 1978; - Schuhladen, Hans: Die Nikolausspiele des Alpenraumes. Ein Beitrag zur Volksschauspielforschung (Schlern-Schriften 271), Innsbruck 1984; - Handschuh, Gerhard: Der Christbaum im fränkisch-thüringischen Raum. Aufkommen und Verbreitung eines weltweiten Brauchsymbols deutscher Weihnacht. In: Schönere Heimat. Erbe und Auftrag 79 (1990), 219-228, bes. 220 (St. Nikolaus); - Mezger, Werner: Sankt Niklaus zwischen Katechese, Klaumauk und Kommerz. Zu den Metamorphosen eines populären Brauchkomplexes. In: Schweizer Archiv für Volkskunde 86 (1990), 62-92; 87 (1991; - Wörterbuch der deutschen Volkskunde. 3. Auflage neu bearbeitet von Richard Beitl unter Mitarbeit von Klaus Beitl, Stuttgart 1974, Sp. 599-603; - Bibliotheca Sanctorum, IX, Sp. 923-948; - Doyé II, 77 f.; - EKL II, 60 (Heiligenverehrung), III, 1744 (Weihnachten); - LCI VIII, Sp. 45-58; - LThK 1VII Sp. 582 f.; - LThK 2VII, Sp. 994 f.; - The Oxford Dictionary of Saints, ed. by David Hugh Farmer, Oxford 1980, 292 f.; - Réau III, 2, 976-978; - RGG 3IV, Sp. 1489 f.; - Wimmer, 344 f.

Klaus Guth

Textergänzung

"Der Ort heißt heute Mugla." Das ist nicht richtig. Das griechische Myra heißt heute in der türkischen Amtssprache "Kale", wird umgangssprachlich überwiegend "Demre" genannt.

Letzte Änderung: 15.12.1999