NIKETAS CHONIATES (ca. 1155-1215/16). - Als Quellen für eine Biographie
des N. gelten vorwiegend seine Schriften, ferner eine Monodie (Totenklage)
auf seinen Tod, geschrieben von seinem Bruder Michael, sowie einige
Briefe des letzteren (ed. S. Lampros, Athen 1879-1880). Demnach wurde
N. in der phrygischen Stadt Chonai als Sohn einer mittelständischen,
kinderreichen Familie geboren. Als Neunjähriger kam er nach Konstantinopel,
wo er unter der Aufsicht seines älteren Bruders Michael eine breite
enzyklopädische Ausbildung erhielt. Nach dem Studium trat N. in den
Staatsdienst ein und fungierte hintereinander als Steuerbeamter in
der Provinz, kaiserlicher Sekretär, Vorsteher der Staatskasse, iudex
Veli, Aufseher der kaiserlichen Domänen (oder des Katasters) bis er
schließlich das hohe Amt des Logotheten der Sekreta erklomm. Während
der Regierung Andronikos' I. (1183-1185) blieb N. seinem Hofdienst
fern. Er erlebte die schrecklichen Ereignisse der Jahre 1203 und 1204
am eigenen Leibe: Während des großen Brandes von Konstantinopel (22.-24.8.
1203) verlor er sein Haus im Stadtteil Sphorakion; nach der Usurpation
des Alexios Murtzuphlos (3.2. 1204) büßte N. sein Amt des Logotheten
ein; nach der Eroberung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer wanderte
er am 17.4. 1204 mit seiner Familie nach Selymbria aus. Im Frühjahr
1206 kehrte er nach Konstantinopel zurück, woher er Anfang 1207 nach
Nikaia, der neuen Hauptstadt des byzantinischen Reiches, übersiedelte.
Die letzten Jahre seines Lebens liegen im Dunkel, die Zeit seines
Todes wird aufgrund der obenerwähnten Monodie seines Bruders erschlossen.
N. war verheiratet und hatte mehrere Kinder, die noch unmündig waren,
als er starb.
Werke: Hauptwerk des N. ist die »Chronike Diegesis«, ein
Geschichtswerk, das in 21 Büchern die Zeit von 1118 bis 1206 umfaßt
und dessen handschriftliche Überlieferung eine mehrfache Bearbeitung
durch den Autor erkennen läßt. Es stellt in der byzantinischen Historiographie
einen Höhepunkt dar, wie etwa das Geschichtswerk des Thukydides in
der antiken. Seine Darstellung, von deren Wert und Wichtigkeit der
Autor fest überzeugt zu sein scheint, läßt eine pessimistische Weltanschauung
erkennen, die wohl in dem einmaligen Ereignis der Eroberung Konstantinopels
ihren Ursprung hat. Das Geschichtswerk ist mit einem Anhang versehen,
bekannt in der Literatur unter dem Titel »De signis«, in welchem die
von den Lateinern zerstörten antiken Kunstwerke Konstantinopels beschrieben
werden. N. hat außerdem rhetorische Werke (18 Reden, darunter 7 Lobreden
auf zeitgenössische Kaiser), ein theologisches Werk (»Thesauros Orthodoxias«
in 27 Büchern), in welchem er die verschiedenen Häresien behandelt,
sowie 11 Briefe hinterlassen.
Editionen: I. Bekker, Nicetae Choniatae historia. Bonn
1835; J.-P. Migne, in : PG 139, 320-1057; I. A. van Dieten, Nicetae
Choniatae historia, Bd.1-2. Berlin 1975; Ders., Nicetae Choniatae
orationes et epistulae. Berlin 1972. Deutsche Übersetzung: F. Grabler,
Die Krone der Komnenen; Abenteurer auf dem Kaiserthron; die Kreuzfahrer
erobern Konstantinopel; Bd. 1-3. Graz 1958; Thesauros: Migne, ebenda
139, 1001-1444 (Buch 1-5 in lateinischer Übersetzung); PG 140, 9-292
(Exzerpte aus Buch 6, 9, 10, 12, 15, 17, 20 und 23-26).
Lit.: K. Krumbacher, Gesch. d. byzant. Litteratur. München
21897,281 f.; - H. Hunger, Die hochsprachliche profane
Literatur der Byzantiner, I. München 1978, 429 f.; - J.-L. van
Dieten, Niketas Choniates, Erläuterungen zu den Reden und Briefen
nebst einer Biographie. Berlin 1971; - Ders., Zur Überlieferung
und Veröffentlichung der Panoplia Dogmatike des Niketas Choniates
(Zetemata Byzantina, 3). Amsterdam 1970; - Ders., in: Polychronicon:
Festschrift Franz Dölger zum 75. Geburtstag. Heidelberg 1966, 166 f.;
- Ders., in: BZ 49 (1956) 311 f.; 57 (1964) 302 f.; -
G. Stadtmüller, Zur Biographie des Niketas Choniates. Byz. Forsch.
1 (1966) 321 f.; - A. Cutler, The De signis of Nicetas Choniates.
A Reappraisal. AJA 72 (1968) 113 f.; - F. Grabler, Niketas Choniates
als Redner. JÖBG 11-12 (1962-1963) 57 f., A.P. Kaþdan, in:
BSl 24 (1963) 4 f.; - V. Grecu, Autour du De signis de Nicétas
Choniates. REB 6 (1948) 58 f.; - Ders., Nicétas Choniatès a-t-il
connu l'histoire de Jean Cinnamos? REB 7 (1949) 194 f.; - G.
Fatouros, Die Autoren der zweiten Sophistik im Geschichtswerk des
Niketas Choniates. JÖB 29 (1980) 165 f.; - J. Dräseke, in: ByZ
20 (1911) 101 f.; - Beck 663 f.