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Band II (1990) Spalten 1567-1578 Autor: Michael Tilly

JASPERS, Karl, Philosoph, * 23.2. 1883 in Oldenburg als erstes Kind des Juristen, Bankdirektors und ehemaligen Amtshauptmannes Carl Wilhelm J. und dessen Frau Henriette, geb. Tantzen, † 26.2. 1969 in Basel. - Von 1892-1901 besuchte der von früher Kindheit an kränkliche J. das humanistische Gymnasium in Oldenburg. Nach seinem Abitur inscribierte er sich zunächst an der juristischen Fakultät der Universität Freiburg i. Br. Eine erst zu diesem Zeitpunkt diagnostizierte schwere Erkrankung von Herz und Atemorganen nötigte J. zu einer äußerst regelmäßigen Lebensführung und zum Verzicht auf jegliche physische Anspannung. Nach drei Semestern brach J. sein Jurastudium, das er zunächst in München fortgeführt hatte, ab, und begann das Studium der Medizin in Berlin, das er nach einem Studienaufenthalt in Göttingen (1903-1906) im Frühjahr 1908 mit dem Staatsexamen abschloß. Er promovierte über »Heimweh und Verbrechen«, und erlangte im Februar 1909 seine Approbation als Arzt. Seit 1908 arbeitete J. als wissenschaftlicher Volontärassistent ohne Bezüge in der psychiatrischen Klinik der Heidelberger Universität. 1910 heiratete er die Jüdin Gertrud Mayer. Unter Einfluß der Philosophie Max Webers, dem er 1909 zum ersten Mal begegnet war, und herausgefordert durch die Erfahrung der vielfältigen, ungeordneten psychiatrischen Theorien und Praktiken ohne einheitliches wissenschaftliches System, verfaßte J. neben einigen kleineren psychiatrischen Arbeiten seine »allgemeine Psychopathologie« als systematische Grundlegung einer wissenschaftlichen Psychiatrie. Mit dieser Schrift habilitierte er sich im Dezember 1913 an der Philosophischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität. 1916 wurde J. zum Extraordinarius, am 1.4. 1922 zum Ordinarius für Philosophie in Heidelberg berufen. Der Ordinarius J. widmete sich in den 30er Jahren neben seiner Lehrtätigkeit in vertiefter Weise dem Studium der Philosophie. Am Ende dieses Jahrzehnts erschienen mit der »geistigen Situation der Zeit« und der dreibändigen »Philosophie« die bedeutendsten Zeugnisse der Existenzphilosophie J.s. Der Grund der Philosophie liegt hiernach im "Selbstsein", in der Existenz des Menschen. Philosophie war für J. "Kümmern um uns selbst". Solches Selbstsein ist für ihn nur möglich in Kommunikation mit anderen Menschen, Kommunikation ist das schlechthin wesentliche Kriterium für die Freiheit des Menschen. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde J., der die von dieser Bewegung ausgehende Gefahr anfänglich unterschätzt hatte, bereits 1933 von der Universitätsverwaltung ausgeschlossen. 1937 wurde er gewaltsam in den Ruhestand versetzt. Ein Publikationsverbot wurde 1943 verhängt. Nach 1945 war J. maßgeblich am Wiederaufbau der Universität Heidelberg beteiligt. Daneben widmete er sich in zunehmendem Maße der politischen Schriftstellerei. Zusammen mit Dolf Sternberger gründete er die Zeitschrift "Die Wandlung" als Gesprächsforum einer sittlich-politischen Erneuerung. Mit der Schrift »Die Schuldfrage« und der hierin postulierten Trennung zwischen der moralischen Schuld der Verbrecher der Nazizeit und der Mitverantwortlichkeit der passiv Gebliebenen im Sinne einer politischen Haftung geriet J. in den Fokus des öffentlichen Interesses und löste heftige Diskussionen aus. Seit Juli 1947 hielt J. Gastvorlesungen an der Universität Basel. In seiner ersten dortigen Vorlesungsreihe über den »philosophischen Glauben« las er über die Begründung der menschlichen Existenz 'in der Erfahrung des Geschenktwerdens'. Dieses 'Schenken' setzt ein Schenkendes, die 'Transzendenz', gelegentlich von ihm als 'Gott' bezeichnet, voraus. Solcher Glaube an die Transzendenz war für J. Ursprung allen echten Philosophierens. Im Frühjahr 1948 nahm J. den Ruf der Univerität Basel an und verließ Heidelberg. In Basel las er bis zu seiner Emeritierung nach dem Sommersemester 1961. In den 60er Jahren ergriff J. immer häufiger in der Diskussion um politische Gegenwartsfragen das Wort. Hierbei scheute er keine Konfrontation und wurde so zu einer der umstrittensten Figuren der deutschen Politik in diesen Jahren. Während die einen über das 'Jasperletheater' spotteten, lobten ihn andere als neuzeitlichen "Praeceptor Germaniae". J. starb am 26.2. 1969, dem 90. Geburtstag seiner Frau, an den Folgen seiner lebenslangen Krankheit. Der Inhaber mehrerer Friedenspreise und zahlreicher Ehrendoktorate und Ehrenmitgliedschaften hinterließ einen unedierten wisssenschaftlichen Nachlaß von ca. 25.000 Briefen und ca. 35.000 Manuskriptseiten. Als Erich Rank bereits 1933 schrieb: "Ein für unsere Zeit unerhört reicher menschlicher Gehalt breitet sich hier in dem methodischen Prozeß eines systematischen Philosophierens aus, das der Wirklichkeit offen und der Verantwortung vor dem Anderen bewußt, in umfassender Selbstprüfung sich selbst zur Klarheit zu bringen sucht und in direktem Sichaussprechen den Anderen herausfordert", charakterisierte er in treffender Weise Werk und Persönlichkeit des Mannes, der neben Sartre und Heidegger als Begründer der Existenzphilosophie gilt, und der in seinem durch Konsequenz und Kommunikationsbereitschaft geprägten Leben, trotz aller durch das Wissen um sein Schicksal bedingten Sprödigkeit des Wesens, die Berufe des Psychiaters, des forschenden Wissenschaftlers und des Philosophen, dessen Lehren in seiner eigenen Existenz begründet ist, in nahezu vollkommener Weise in sich vereinigt hat.

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Michael Tilly

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1988

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2006

Confucius. Trad. de l'allemand par Anne-Sophie Reineke. Ermenonville 2006;

2007

Vavedenie vav filosofijata. Prevod: Christo Todorov. 2., pererabat. izd. Sofija 2007;

2008

Nietzsche e il cristianesimo. Trad. e cura di Giuseppe Dolei. Milano 2008; Von d. Weite d. Denkens. Eine Ausw. aus seinem Werk. Hrsg. u. mit e. Vorw. zur Taschenbuchneuausg. von Hans Saner. Taschenbuchneuausg. 2008; Duchovní situace doby. Z nemeckeho orig. prel. Milan Vána. Praha 2008; De l'université. Préf. Jan Spurk. Trad. de l'allemand par Ingeburg Lachaussée. Lyon 2008;

2009

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2010

Jaspers, Portmann, Barth u. Reichstein. Wissenschaft aus Basel in Originaltonaufnahmen. Autorenlesung. Matthias Buschle (Hg.). Basel 2010. 2 CDs; - Introduzione alla filosofia. Con un commento di Pietro Chiodi. Postfazione di Umberto Galimberti. Milano 2010.

Literaturergänzung:

1986

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1989

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1998

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2000

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2002

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2010

Hendrik S. Benjamins, De geest van Europa, in: Thd 7.2010,2, S. 53-60; - Michael Schene, Die Bewegung, die Weisen u.d. Einzelne. K.J.'s Philosophie zwischen Nicht-Wissen u. Seinsgewißheit. Würzburg 2010; - Karlheinz Peiffer, 1. Buch: Das Gebet in d. Entscheidung d. Seins. Eine Reflexion. 2. Buch: Achsenzeit - das Wirken Gottes in d. Geschichte d. Menschheit. Karlsruhe 2010; - Giuseppe Moscati, Etos del sacrificio, passione per il mondo e filosofia d'occasione. La critica della violenza in K.J.m Hannah Arendt e Günter Anders. Perugia 2010.

Bild von Karl Jaspers

Letzte Änderung: 09.04.2011