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Band II (1990)Spalte 485-493 Autor: Friedrich Wilhelm Bautz

HALLER, Berchtold, der Reformator Berns, * 1492 als Sohn eines Bauern in Aldingen bei Rottweil (Neckar), † 25.2. 1536 in Bern. - H. besuchte die damals berühmte Lateinschule des Michael Rubellus in Rottweil und gewann an Melchior Volmar, der später in Bourges Johannes Calvins (s. d.) und Theodor Bezas (s. d.) Lehrer des Griechischen wurde, einen vertrauten Kameraden. Auf der Schule in Pforzheim schloß er mit Philipp Melanchthon (s. d.) Freundschaft. H. bezog 1510 die Universität Köln und promovierte 1512 zum "Magister artium". 1513 kam er als Schulgehilfe nach Bern auf Empfehlung seines früheren Lehrers Rubellus, der seit 1510 Rektor der dortigen Lateinschule war, die mehr als 100 Schüler zählte. Die Bäckerzunft wählte ihn zu ihrem Kaplan. H. wurde 1517 geistlicher Notar und bald darauf einer der beiden Diakone des Thomas Wittenbach (s. d.), der ihn in reformatorischem Sinn beeinflußte. Ihm folgte er 1519 als Leutpriester und 1520 als Chorherr. Auf seinen Wunsch vermittelte ihm einer seiner Rottweiler Mitschüler, Oswald Myconius (s. d.), Lehrer an der Stiftsschule in Luzern, die Bekanntschaft mit Huldrych Zwingli (s. d.), den er 1521 in Zürich besuchte. Zwingli wurde ihm Freund, Lehrer und Berater; beide verkehrten seitdem brieflich rege miteinander. H. begann sein reformatorisches Wirken in Bern als Prediger. Er hielt sich aber zunächst an die Perikopenordnung und ging erst nach zwei Jahren dazu über, in seinen Predigten - wie Zwingli - ein biblisches Buch fortlaufend auszulegen. In gleichem Geist wie er lehrte auch Dr. Sebastian Meyer (s. d.), Prediger und Lesemeister der Franziskaner. Um H. sammelte sich ein kleiner, aber geistig bedeutsamer Kreis von Männern evangelischen Sinnes. Doch es fehlte nicht an Widerspruch. Die altgläubige Partei, die unter den adeligen Geschlechtern stark vertreten war und in der Regierung die Mehrheit hatte, war entschlossen, alle Regungen evangelischen Glaubens zu unterdrücken und gegen Prediger und Anhänger der neuen Lehre rücksichtslos vorzugehen. Da wurde H. verzagt; aber Zwingli mahnte ihn brieflich an die heilige Pflicht, im Dienst des Evangeliums standhaft auszuharren. H. erwiderte ihm: "Wahrhaftig, wenn du mich nicht so kräftig angespornt und meinen völlig gesunkenen Mut wieder erweckt hättest, so wäre ich nächstens vom Predigtamt abgetreten und mit Dr. Thomas Wittenbach nach Basel gegangen, um mich den schönen Wissenschaften und dem Studium des Griechischen und Hebräischen zu widmen; denn du glaubst nicht, welche Drohungen gewisse bernische Machthaber ausgestoßen haben. Nun hat aber deine freundliche Zuschrift mir Trost gebracht, so daß ich nicht mehr zage, sondern alle meine Kraft zusammengerafft und deiner wahrhaft christlichen Aufmunterung gemäß die feste Überzeugung gewonnen habe, es gebühre sich in diesen jämmerlichen Zeiten viel mehr, daß ich das Evangelium predige, als daß ich in irgendeinem Winkel meine Studien treibe, und das so lange, bis ich unter dem Beistand des Herrn, der seinem Wort viel Kraft verleihen kann, Christum, ihn, der durch Mönchsgeschwätz so weit von uns weggekommen, ja beinahe in die Verbannung geschickt worden, nach meinem besten Vermögen wiederum werde eingesetzt haben." Der durch Schriften Martin Luthers (s. d.) für die Reformation gewonnene Franziskanermönch Franz Lambert von Avignon (s. d.), der eine im Auftrag des Ordens unternommene Auslandsreise zur Flucht in die Schweiz benutzte, weilte im Juli 1522 in Bern und hielt öffentlich lateinische Vorträge, zog dann, von H. an Zwingli empfohlen, nach Zürich. Als der Bischof von Lausanne im August in Bern, das zu seinem Sprengel gehörte, bei seinem Schwager auf Besuch war, verlangte er vom Rat, daß H. an Lausanne ausgeliefert werde, um dort über einige Artikel seiner Predigten verhört zu werden. Nach langer und stürmischer Beratung beschloß der Rat, auf die Forderung des Bischofs nicht einzugehen, sondern ihn an den Propst und das Kapitel in Bern zu verweisen. H., Thomas Wittenbach aus Biel und der Berner Humanist Heinrich Wölfin (Lupulus), der ehemalige Lehrer Zwinglis und spätere Chorherr, bildeten die Kommission, die im Auftrag des Berner Rats den Pfarrer Georg Brunner von Kleinhöchstetten im Kanton Bern, den das Kapitel von Münsingen wegen Lästerung gegen Kirche und Klerus verklagt hatte, noch in demselben Monat öffentlich, zu verhören hatte. Brunner verteidigte mit der Bibel in der Hand siegreich die von ihm vertretene schriftgemäße Lehre über Messe und Papsttum, und H. veröffentlichte einen Bericht über diese denkwürdige Verhandlung. Als auf der Tagsatzung zu Baden am 29.12. 1522 die Mehrzahl der Eidgenossen den Antrag stellte, die lutherischen Predigten in der gesamten Eidgenossenschaft abzuschaffen, gaben die Berner durch ihren Gesandten die Erklärung ab, "sie wollten ihre Prediger an der Verkündigung des Evangeliums und der Heiligen Schrift nicht hindern, vielmehr sie dabei schützen und schirmen". Obwohl der Berner Rat keinen Vertreter zur ersten Zürcher Disputation vom 29.1. 1523 entsandte, hielt er doch Sebastian Meyer nicht davon zurück, daran teilzunehmen. Als der Bischof von Lausanne Bern visitieren wollte, schickte der Rat einen Boten an ihn und untersagte ihm, weder in der Stadt noch in der Landschaft die geplante Visitation durchzuführen. Im April 1523 wurden an der Kreuzgasse vor dem Berner Rathaus zwei Spiele von Nikolaus Manuel (s. d.) aufgeführt: zur Herrenfastnacht "Der Totenfresser" und zur Bauernfastnacht "Von Papsts und Christi Gegensatz". Diese Fastnachtsspiele, die mit volkstümlicher Kraft, geistvollem Spott und reformatorischer Wucht den Kampf gegen die Mißbräuche der alten Kirche führen, haben zur Förderung der Reformation außerordentlich viel beigetragen. Der Chronist Valerius Anshelm (s. d.), einer der ersten Vorkämpfer der Reformation in Bern, berichtet: "Durch diese Spiele ward ein groß Volk bewegt, christliche Freiheit und päpstliche Knechtschaft zu bedenken und zu unterscheiden. Es ist auch in dem evangelischen Handel kaum ein Büchlein so viel gedruckt und so weit gebracht worden wie das dieser Spiele." Am 15.6. 1523 erließ der Rat der Zweihundert das erste der Reformation günstige Edikt: "Alle Prediger sollen nichts anderes als allein das heilige Evangelium und die Lehre Gottes frei, öffentlich und unverborgen, desgleichen, was sie sich getrauen durch die wahre Heilige Schrift zu bewähren, verkünden und sich aller anderen Disputationen, die den heiligen Evangelien ungemäß sind, sie seien von dem Luther oder anderen Doctoren ausgegangen, gänzlich enthalten, da wir wollen, daß jeder Prediger dem gemeinen Volk die bloße, lautere Wahrheit der Heiligen Schrift vortrage. Niemand soll fortan den andern einen Ketzer, Buben oder Schelm schelten." Die Gegner der Reformation aber bemühten sich, den Lauf des Evangeliums zu hemmen. "Liebe Eidgenossen", sagte der Berner Gesandte im Juli 1523 auf der Tagsatzung in Bern, "wehret beizeiten, daß die lutherische Sache und die, so damit umgehen, nicht die Oberhand gewinnen; denn ihre Prediger haben es in Zürich so weit gebracht, daß die Regenten daselbst, wofern sie es gern wenden wollen, es nicht vermöchten." Darum suchten sie eifrig nach einer für sie günstigen Gelegenheit, um die Prediger mühelos vertreiben zu können. Eine solche bot sich ihnen am Michaelistag (29.9.), dem Hauptfest des Klosters der Dominikanerinnen in Bern, "Insel" genannt. H., Wittenbach und Meyer äußerten sich dort gesprächsweise darüber, wie das Klosterleben von der Heiligen Schrift her zu beurteilen sei. H. stellte im Gespräch mit einer Nonne in Gegenwart ihrer Großmutter den ehrbaren Ehestand als ebenso berechtigt dar und verwarf das Vertrauen auf den höheren Wert des klösterlichen Lebens. Das durch Zusätze entstellte Gespräch wurde verbreitet. Man behauptete, H. habe gesagt, die Nonnen seien in des Teufels Stand und darum des Teufels, und verklagte ihn beim Kleinen Rat. Die Kläger drangen auf Anwendung eines alten Gesetzes, nach dem der, der eine Nonne aus der "Insel" entführe, den Kopf verwirkt habe. Sie wollten aber aus Gnaden den Predigern das Leben schenken; doch sollten sie sofort unverhört das Land verlassen und schwören, es nie mehr zu betreten. Der Kleine Rat war willens, im Sinn der Kläger das Urteil zu sprechen. Doch die Sache kam glücklicherweise vor den Großen Rat, der die Angeklagten vorlud. Sie verteidigten sich und verlangten, daß auch die Großmutter jener Nonne verhört werde. Der Rat verzichtete auf weitere Untersuchung der Klagesache und entließ am 23.10. 1523 die Prediger mit dem Bedeuten, sie sollten "ihrer Kanzeln warten und des Klosters müßig gehen". Die Gattin des Stadtarztes Valerius Anshelm (s. d.) hatte sich im Gespräch dahin geäußert, die Jungfrau Maria könne nicht selig machen, sondern sei der Gnade Jesu Christi ebenso bedürftig wie sie und jede andere Frau. Ihr Gatte wurde deswegen am 6.1. 1524 mit einer Geldbuße belegt, um die Hälfte seiner Besoldung verkürzt und dadurch veranlaßt, Bern zu verlassen. So verlor H. an ihm nicht nur einen Freund und Landsmann, sondern auch einen Gehilfen im Berner Reformationswerk. Am 28.4. 1524 erließ der Rat ein neues Mandat: Priester, die sich verehelichten, verlieren ihre Pfründe; wer die Mutter Gottes oder die Heiligen schmäht und verachtet, hat Strafe zu erwarten. Ein weiteres Mandat hob im Mai das Konkubinat der Priester auf und gebot ihnen unter Androhung des Verlustes ihrer Pfründe, binnen 14 Tagen ihre Konkubinen zu entlassen. Dieses Gebot mußte mehrfach wiederholt werden. Mehrere Chorherren, die ihre Konkubinen behielten, und andere, die sich verehelicht hatten, wie Chorherr Wölflin, wurden ihres Amtes entsetzt. Die Dominikaner, die dem Evangelium ebensosehr wie den Franziskanern feind waren, hatten von Mainz Hans Heim kommen lassen, der durch seine Streitpredigten großen Zulauf gewann. Am 23.10. 1524 wurde er in seiner Predigt von zwei angesehenen Bürgern unterbrochen, die ihn einen Lügner nannten, weil er gesagt hatte, es sei schriftgemäße Lehre, daß die von Christus geleistete Genugtuung für unsere Sündenschuld nicht ausreiche, sondern erst durch unsere ergänzende genugtuende Leistung vollkommen werde. Die beiden Bürger wurden verhaftet und mit den Predigern vor den Großen Rat beschieden. Die Angeklagten drangen auf eingehende Untersuchung und erklärten sich bereit, die Lehre des Dominikanerpredigers als falsch zu beweisen. Der Rat, dem "zänkerischen Disputieren" abhold, ging aber nicht näher auf die Sache ein, sondern beschloß, daß auch der Franziskanerprediger Sebastian Meyer zugleich mit seinem Gegner Heim binnen drei Tagen Stadt und Land zu verlassen habe, und verbot das Predigen in den Klöstern überhaupt; nur H. allein sei dazu berechtigt. Des trefflichen Mitarbeiters am Reformationswerk in Bern beraubt, stand er nun ganz allein und hatte einen doppelt schweren Stand, als sein mächtiger Beschützer, der Schultheiß von Wattenwyl, starb. Der Versuch seiner Gegner, ihn nachts zu überfallen, um ihn dem Bischof von Lausanne auszuliefern, scheiterte an der Wachsamkeit seiner Freunde. Zu den altgläubigen Gegnern kamen neue hinzu: die Wiedertäufer, die manche Freunde des Evangeliums beunruhigten. H. wurde bei Zwingli der Hinneigung zu den täuferischen Ansichten verdächtigt. "Sei fest überzeugt", schrieb er ihm, "solange es Gott gefällt, daß ich der Berner Kirche vorstehe, so werde ich nichts blindlings antasten, sondern mich an Gelehrtere halten, die in der Schrift besser bewandert sind als ich. Mit einem Wort: ich bin so gesinnt, daß ich mich lieber töten ließe, als daß ich mich wiedertaufen lassen oder der Wiedertaufe zustimmen würde." Auf H.s Anregung kam eine Gesandtschaft aus Zürich nach Bern und belehrte am 21.12. 1525 den Großen Rat darüber, warum man in Zürich "die Messe, die der Einsetzung Christi nicht entspreche, abgetan und dagegen dem heitern Worte Gottes gemäß das heilige Abendmahl eingeführt habe". Um Weihnachten 1525 hörte H. auf, Messe zu lesen, und widmete sich nun um so eifriger dem Predigtamt. Die Verfechter des Papsttums nutzten die der Reformation ungünstige Zeitströmung zu ihren Gunsten aus. So kam es, daß Bern im März 1526 auf der Tagsatzung in Luzern dem Beschluß zustimmte, zu Baden im Aargau eine Disputation zu halten, "damit Zwingli und seinesgleichen in der Eidgenossenschaft mit ihren verführerischen Lehren zum Schweigen gebracht und das gemeine Volk einigermaßen von den Irrtümern abgewandt und zur Ruhe gebracht werde". Da man in Bern über die Verbindlichkeit dieses Beschlusses geteilter Ansicht war, lud der Rat zur Klärung und Entscheidung die Abgeordneten der Berner Landschaft auf Pfingstmontag, den 21.5., nach Bern ein. Ungeladen erschien auch eine Gesandtschaft der sieben päpstlichgesinnten Kantone. Unter ihrem Einfluß wurde trotz manchen Widerspruchs beschlossen, bei dem alten Glauben zu beharren. Dieser Beschluß wurde durch feierlichen Eidschwur bekräftigt und jener Gesandtschaft eine Urkunde darüber ausgestellt. Auf Beschluß des Kleinen Rats mußten H. und Peter Kunz (s. d.), Pfarrer in Erlenbach, sofort nach Baden zu der an diesem Tag begonnenen Disputation reisen, um sich wegen ihrer Lehre zu rechtfertigen. H. disputierte mit Dr. Johann Eck (s. d.) über die zweite der sieben von ihm aufgestellten Thesen, daß Christus in der Messe für die Lebendigen und die Toten geopfert werde. Da er auf Grund klarer neutestamentlicher Stellen an seinen Lehranschauungen über die Messe festhielt, wandte Eck eine List an, um seinen Gegner zu fangen: er nötigte ihn zu einer Erklärung über die erste These, über die er vor H.s Ankunft mit Johannes Oekolampad (s. d.) disputiert hatte: "Der wahre Leib Christi und sein Blut ist gegenwärtig im Sakrament des Altars." H. lehnte es ab, mit ihm über das Abendmahl zu disputieren, da er niemals dagegen gepredigt habe, und erklärte, er sei nach Baden gesandt, um sich für das zu verantworten, was er gelehrt habe, aber nicht für das, was er glaube. H. wurde vom weiteren Disputieren ausgeschlossen, so daß er von Baden abreiste, ehe die Disputation zu Ende war. Der Kleine Rat forderte H. auf, wieder Messe zu lesen, da die katholischen Gelehrten unter Ecks Führung in Baden den Sieg über die evangelischen Prediger errungen hätten, und drohte im Weigerungsfall mit Entlassung. Seine dringende Bitte, vor dem Großen Rat seine Erklärung abgeben zu dürfen, wurde gewährt. So legte H. den Ratsherren die Gründe dar, warum er die Messe nicht mehr lesen könne. Als es in der Sitzung zu stürmischen Auftritten kam, sagte H., er wolle lieber Bern verlassen, als daß man seinetwegen in Streit gerate, und erklärte sich bereit, sich wegen seiner Predigten und Äußerungen in Baden zu rechtfertigen, auch auf seine Pfründe zu verzichten, falls man sie ihm nicht lassen wolle. Da sich H. weigerte, die Messe wieder zu lesen, nahm man ihm die Chorherrnpfründe, deren Einkünfte er aber noch zwei Jahre erhalten sollte, und wählte ihn zum Prediger mit eigenem Gehalt, unabhängig von der kirchlichen Stiftung. Mißstimmigkeiten zwischen Bern und den inneren Kantonen der Schweiz nach der Badener Disputation förderten die Reformation in Bern. Im April 1527 erhielt H. auf seinen Wunsch an dem früheren Kartäusermönch Franz Kolb (s. d.) einen trefflichen Mitarbeiter. Sie verkündigten das Wort Gottes "gar gewaltig" an Sonn- und Festtagen zweimal und auch an drei Wochentagen. Bei der gesetzlichen Erneuerung der Räte am 23.4. gewann die reformatorische Partei die Mehrheit im Großen Rat, der nun den Kleinen Rat wählte und aus ihm die bedeutendsten Gegner der Reformation entfernte. Obwohl das neue Mandat des Rats vom 25.5. 1527 jede eigenmächtige Änderung des Bestehenden verbot, schafften einige Gemeinden die Messe ab und baten um die Genehmigung der Priesterehe. Die kirchliche Parteiung und Verwirrung drängten auf eine Entscheidung, die man durch eine Disputation in Bern herbeizuführen hoffte. Am 17.11. 1527 beschloß der Große Rat einstimmig, ein allgemeines Religionsgespräch auf den Anfang des folgenden Jahres nach Bern auszuschreiben. Die Bischöfe von Basel, Konstanz, Lausanne und Wallis, zu deren Bistümern Bern und sein Gebiet gehörten, wurden eingeladen, persönlich zu erscheinen, und alle Eid- und Bundesgenossen beider Glaubensparteien ersucht, ihre Gelehrten zu senden, "ob mit Gottes Hilfe die gesamte Eidgenossenschaft auch in Einigkeit des Christenglaubens möge gefördert und erhalten werden", da dies durch die Badener Disputation nicht erreicht worden sei. In dem Ausschreiben wurde mitgeteilt, daß nur die Heilige Schrift in Glaubenssachen entscheide und man darum bei der Disputation nur das Wort Gottes gebrauchen dürfe, und zwar nicht nach Auslegung der Kirchenlehrer, sondern so, daß Schriftwort mit Schriftwort verglichen und erklärt und eine dunkle Schriftstelle durch eine "heitere" erläutert werde. "Und was dann", heißt es zum Schluß, "mit göttlicher biblischer Schrift auf dieser Disputation bewährt und angenommen wird, das soll (für Bern und sein Gebiet) Kraft und ewigen Bestand haben, dies für uns und unsere ewige Nachkommenschaft stet und fest, unverbrüchlich und getreulich zu halten." Zugleich wurden die von H. und Kolb verfaßten, von Zwingli durchgesehenen und in Druck gegebenen 10 Schlußreden (Thesen) deutsch, lateinisch und für Berns waadtländische Bezirke französisch verbreitet. Zwei Tage nach jenem Beschluß schrieb H. an Zwingli: "Alle Frommen hoffen aufs zuverlässigste, du werdest nicht ausbleiben. Du weißt, was an Bern diesmal gelegen ist und wie große Schande, Schmach und Spott, wofern wir der Sache nicht gewachsen wären, das Evangelium und uns treffen würde. Ich weiß gar wohl aus vielfacher Erfahrung, wie sehr dir die Ehre Gottes und seines Wortes, das Heil Berns, ja der ganzen Schweiz, so recht am Herzen liegt und daß du zum Lobe des Herrn, zur Förderung der Sache Christi, den Gottesfeinden aber zur Beschämung deine Gegenwart uns gewiß nicht versagen wirst." Zwingli erbat und erhielt die Erlaubnis zur Teilnahme an der Berner Disputation. Als H. das erfuhr, schrieb er ihm: "Jetzt sehe ich, wie der Herr unerwartet durch dich und Oekolampad seine Ehre bei uns verherrlichen will, da ihr beide so bestimmt zusagt. Ihr seid die Hilfstruppen, die der Herr mir, der ich solchem Kampf weit nicht gewachsen wäre, gnädig zugeschickt. O möchten die Widersacher alle ihre Gründe auf einmal ausschütten! Da wären Männer, die zu seinem großen Ruhm sie einzeln entkräfteten. Etliche unserer Machthaber sind voll geheimen Ingrimms. An Anschlägen ihrerseits wird's nicht fehlen, unserem Vorhaben Hindernisse in den Weg zu legen oder, können sie das nicht, Verwirrung zu stiften. Aber wir wollen aus allen Kräften standhalten, daß der Satan durch sie nicht losbreche. Doch ist dir wohlbewußt, wie gering meine Kraft ist zu so schwierigen Dingen. Wofern ihr nicht allesamt uns die Hände reicht, so sind wir verloren." Die Bischöfe lehnten die Einladung zur Berner Disputation ab. Mit Berufung auf die Badener Disputation suchten die päpstlichgesinnten Kantone Bern von seinem Vorhaben abzubringen. Thomas Murner (s. d.), Eck und Johannes Cochläus (s. d.) schrieben heftig dagegen. Von Karl V. (s. d.) traf eine Abmahnung ein mit Vertröstung auf ein allgemeines Konzil. In Zürich versammelten sich die Abgeordneten von St. Gallen, Konstanz, Lindau, Memmingen, Augsburg und Nürnberg und traten am 2.1. 1528, mehr als 100 an der Zahl, von 300 Bewaffneten geleitet, die Reise nach Bern an, wo sie Oekolampad von Basel, Martin Bucer (s. d.) und Wolfgang Capito (s. d.) von Straßburg und viele andere trafen. Die katholische Partei war ziemlich schwach vertreten. Am 6.1. fand die Begrüßung und Eröffnung statt. Die eigentliche Disputation begann am 7. in der Franziskanerkirche vor dem Großen Rat und dauerte bis zum 26.; sie endete mit dem Sieg der Evangelischen. Die 10 Schlußreden wurden von allen Chorherren, den meisten Dominikanern und 52 Pfarrern unterzeichnet; die übrigen warteten auf die Verfügungen der Regierung. Der Große Rat beschloß am 27. die Abschaffung der Messe und der Bilder in der Hauptstadt und erließ am 7.2. das von H. entworfene allgemeine Reformationsedikt für den ganzen Kanton. Vom 23.2. an wurden die einzelnen Gemeinden durch Abgesandte um ihren Beitritt zur Reformation befragt. Für die Durchführung der Reformation war es von Nutzen, daß bei der gesetzlichen Erneuerung der Räte am 13.4. 1528 vier Mitglieder des Kleinen Rats und 20 des Großen Rats, die zu den heftigen Gegnern der Reformation gehörten, ihre Stellen verloren. Ostern 1528 wurde in Bern zum erstenmal das heilige Abendmahl gefeiert. Anfang 1530 hielt sich H. einige Wochen in Solothurn auf, um die Bürgerschaft für die Reformation zu gewinnen, was ihm aber bei dem entschlossenen Widerstand der altgläubigen Mehrheit nicht gelang. Durch den unglücklichen Ausgang der Schlacht bei Kappel am 11.10. 1531, in der Zwingli als Feldprediger den Tod fand, war das Reformationswerk in Bern erneut bedroht. Hinzukam eine allgemeine Spannung zwischen Obrigkeit und Predigern. Zur Klärung der Verhältnisse, zur Einigung untereinander und zum Ausbau des Kirchenwesens berief der Rat auf den 9.1. 1532 die erste Synode und lud dazu die 200 Pfarrer und Prädikanten der Berner Kirche. H. war in Sorge um den Bestand und das Gedeihen seines Reformationswerkes und sah mit schwerem Herzen der Synode entgegen, zumal Zürich den ihm befreundeten Heinrich Bullinger (s. d.), den der Berner Rat und er um sein Kommen dringend gebeten hatten, die Erlaubnis zur Teilnahme an der Synode nicht gab. Da traf, "wie von Gott gesandt", Wolfgang Capito, der auf einer Rundreise die evangelischen Städte besuchte, am 29.12. 1531 bei H. ein und blieb auf allseitiges Bitten, um ihn tatkräftig zu unterstützen. Die Synode trat am 9.1. 1532 zusammen und wurde am 10. von Capito mit Darlegung der zu behandelnden Punkte eröffnet; er selbst führte hauptsächlich das Wort bei den Beratungen und hielt am 13. die Schlußrede. Am anderen Tag setzte er die Reise nach Zürich und Konstanz fort. Es war ihm gelungen, die Berner Obrigkeit mit den Predigern auszusöhnen. Die von Capito verfaßte und von der Synode beschlossene Kirchenordnung, "Berner Synodus" genannt, bietet in 44 Kapiteln die Grundlinien einer reformatorischen Glaubenslehre und Pastoraltheologie und wurde eins der "Symbolischen Bücher" der Berner Kirche. Die zunehmende Täuferbewegung bedeutete für das Berner Reformationswerk keine ernste Gefahr. Im Januar 1536 verabschiedete H. als todkranker Prediger das Berner Heer, das auf dringenden und anhaltenden Hilferuf des von dem Herzog von Savoyen hartbedrängten Genf in den Krieg zog. Schon nach wenigen Tagen war der größte Teil des Waadtlandes erobert, und am 2.2. hielt das Heer seinen Einzug in das befreite Genf. Auf seinem Kranken- und Sterbebett vernahm H. die Kunde des Sieges, durch den die Waadt mit Bern vereinigt, dem Evangelium geöffnet und die Verbindung mit Genf errungen wurde.

Lit.: Samuel Scheurer, Lebens-Beschreibung B. H.s, des Reformators v. Bern, in: Bernerisches Mausoleum 3, 1741, 231 ff.; - Melchior Kirchhofer, B. H. oder die Ref. v. Bern, Zürich 1828; - Gotthold Jakob Kuhn, Die Reformatoren Berns, Bern 1828, 131 ff.; - M. v. Stürler, Urkk. der Bern. Kirchenreform I (1520 bis 15.3.1528), ebd. 1862; II (16.3.1528 bis 19.10.1536), 1882; - Carl Pestalozzi, B. H., 1861; - Johann Strickler, Aktensmlg. z. schweizer. Ref.gesch., Zürich 1877; - Julius Weidling, Ursachen u. Verlauf der Berner Kirchenreform (bis 1528), in: Arch. des Hist. Ver. des Kt. Bern 9, 1880, 1 ff.; - Bern. Biogrr. I, Bern 1884, 264 ff.; - Karl Emil Blösch, Der eigenartige Charakter der Ref. in Bern, 1885; - Emil Egli, B. H. u. Theodor Beza, in: Zwingliana 1, 1897-1904, 16 f.; - Das Berner Taufbüchlein v. 1528, hrsg. v. Adolf Fluri, Bern 1904; - Heinrich Türler, Die Frau des Reformators H., in: Bll. f. bern. Gesch., Kunst- u. Altertumskunde 3, 1907, 195 ff.; - Wilhelm Hadorn, KG der ref. Schweiz, 1907, 61 ff.; - Rudolf Steck, B. H.s Ref.vers. in Solothurn (1530) nach seinen eigenen u. Niklaus Manuela Briefen dargest., Bern 1907; - Gustav Tobler, Das Verhältnis v. Staat u. Kirche in Bern in den J. 1521-1527, in: Festg. f. Gerold Meyer v. Knonau, Zürich 1913, 343 ff.; - Rudolf Steck u. Gustav Tobler, Aktensmlg. z. Gesch. der Berner Ref. 1521-1532, Bern 1918 bis 1923; - L. Caflisch, Zur Ikonogr. B. H.s, in Zwingliana 4, 1928, 455 ff. 505 f.; - Otto Erich Strasser, Capitos Beziehungen zu Bern, 1928; - Adolf Fluri, Das erste gedr. Berner Ref.-Mandat v. Viti et Modesti (= 15. Juni) 1523, in: Schweizer. Gutenbergmus. 14, 1928, 3 ff.; - Univ. Bern. Feier z. 400j. Gedächtnis der Berner Ref., den 4.2.1928 (Reden: Wilhelm Hadorn, Eigenart u. Bedeutung der bern. Kirchenref.; Heinrich Hoffmann, Die Berner Disputation v. 1528; Richard Feller, Die bern. Ref. u. der Staat), Bern 1928; - Theodor de Quervain, Gesch. der bern. Kirchenref., in: Gedenkschr. z. Vierjh.feier der Bern. Kirchenref. I, ebd. 1928, 1-300; - Walther Koehler, Zwingli u. Bern, 1928; - Richard Feller, Der Staat Bern in der Ref., 1929; - Ders., Gesch. Berns II, 1953; - Zwingliana 7, 1939-43, 504 ff.; - Kurt Guggisberg, Bern. KG, 1958; - Wolf II/2, 67 ff.; - Schottenloher I, Nr. 2751. 7855-7865; II, Nr. 23808. 23816b. 23818. 23820. 23824. 23827. 23836. 23838. 23840; V, Nr. 46663-46665; - ADB X, 427 ff.; - NDB VII, 552; - HBLS IV, 62; - RE VII, 366 ff.; - RGG III, 40; - LThK IV, 1334; - ODCC2 615.

Letzte Änderung: 23.09.2001