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Band I (1990)Spalten 508-509 Autor: Friedrich Wilhelm Bautz

BERENGAR von Tours, Dialektiker der Vorscholastik, * zu Beginn des 11. Jahrhunderts in Tours, † 6.1. 1088 auf der Insel St. Cosmas bei Tours. - B. erwarb in der Schule von Chartres seine wissenschaftliche Bildung als Schüler des Bischofs Fulbert und wurde um 1030 Kanonikus an St. Martin in Tours und Grammatikus, später Leiter der Domschule, die er als hervorragender Lehrer zu hoher Blüte brachte. Seit 1040 war er zugleich Archidiakonus am Dom zu Angers. - B. ist durch seinen Abendmahlsstreit bekannt. Er wandte die dialektische Methode auf die traditionalistische Theologie an. Ihm ging es darum, die kirchliche Überlieferung und Lehre logisch zu durchdenken und ihre Vernünftigkeit zu beweisen. Das führte zum Widerspruch gegen die herrschende Abendmahlslehre. Die volkstümliche realistische Anschauung des Paschasius Radbertus, nach der infolge der Konsekration des Priesters die Substanz von Brot und Wein in die Substanz von Christi Fleisch und Blut verwandelt wird, während die Akzidenzien (die äußeren Merkmale) von Brot und Wein erhalten bleiben, verwarf B., weil das sich bildende Dogma der Substanzverwandlung sowohl der Vernunft als auch der Heiligen Schrift und der älteren Kirchenlehre widerspreche. Im Anschluß an Ratramnus und Augustinus vertrat B. eine symbolisch-spiritualistische Abendmahlslehre: Brot und Wein werden durch die Konsekration zu einem sacramentum, zu einem Zeichen und Unterpfand des Leibes und Blutes Christi; sie bleiben physisch unverändert, da ja eine substantielle Verwandlung nicht erfolgt. Durch den geistigen Genuß des Brotes und Weines wird der Gläubige gestärkt und erlebt die mystische Vereinigung mit dem himmlischen Christus, während der Ungläubige nichts empfängt, da ihm die Elemente nichts anderes als Brot und Wein sind, dem Gläubigen dagegen wahrer Leib und Blut Christi. Während Adelmann, Scholastikus an der Domschule zu Lüttich, in einem überaus herzlichen Brief B., seinen ehemaligen Studienfreund von Chartres, dringend bat, seine von der traditionellen Abendmahlslehre abweichenden Anschauungen aufzugeben, beschuldigte ihn Lanfrank, Prior des Klosters Bec in der Normandie, während eines Aufenthalts in Rom bei Leo IX. der Irrlehre und erreichte, daß eine römisdte Synode im Frühjahr 1050 B. verdammte und ihn zugleich vor die Synode lud, die September 1050 nach Vercelli einberufen werden sollte. Da B. der Vorladung zu folgen gedachte, begab er sich nach Paris, um Heinrich I., der auch Abt von St. Martin in Tours war um Urlaub für die Reise zur Synode zu bitten. Der König aber ließ ihn gefangenhalten, während man B. in Vercelli erneut verurteilte. Auch die Synode zu Paris 1051 entschied gegen ihn, während sich die zu Tours 1054 mit der von B. unter Eid abgegebenen Erklärung, »daß Brot und Wein des Altars nach der Konsekration Christi Leib und Blut seien«, begnügte. Kardinal Hildebrand, der spätere Papst Gregor VII., forderte ihn 1059 auf, nach Rom zu kommen. Auf der Lateransynode 1059 zwang der Kardinalbischof Humbert von Silva Candida B., die ihm vorgelegte Formel anzuerkennen: »daß Brot und Wein, welche auf den Altar gelegt werden, nach der Konsekration nicht bloß ein Sakrament (d. h. geheiligtes Zeichen), sondern auch der wahre Leib und Blut Christi seien und in sinnlicher Weise (sensualiter), nicht nur sakramentlich, sondern in Wahrheit von den Händen der Priester gefaßt, gebrochen und von den Zähnen der Gläubigen zermalmt werden«. Seine Verteidigungsschrift mußte er ins Feuer werfen. Nach Frankreich zurückgekehrt, schwieg B. zunächst, entfachte aber Ende der sechziger Jahre einen lebhaften literarischen Streit, in dem er dann in der gegen Lanfrank gerichteten Abhandlung »De sacra coena« seine Abendmahlslehre ausführlich darlegte. Gregor VII. lud B. 1078 abermals nach Rom, wo ihm 1079 auf der Fastensynode nichts anderes übrigblieb, als jene Formel der Lateransynode von 1059 erneut anzuerkennen und seinen bisherigen Irrtum einzugestehen. Da B. in seinem Bericht über dieses römische Verfahren gegen ihn seinen Widerruf zurücknahm, mußte er sich 1080 auf der Synode zu Bordeaux wiederum demütigen. Nun gab B. den Streit auf, nicht aber seine von der traditionellen Abendmahlslehre abweichenden Anschauungen. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er in strenger Zurückgezogenheit auf der Insel St. Cosmas. - Die Wandlungslehre, nach der durch die Konsekration des Priesters Brot und Wein ihrer Substanz nach in die Substanz von Leib und Blut Christi verwandelt werden, wurde 1215 auf der 4. ökumenischen Lateransynode zum kirchlichen Dogma erhoben. Der Ausdruck »transsubstantiatio« kommt erst im 12. Jahrhundert vor.

Werke: De sacra coena, v. Gotthold Ephraim Lessing 1770 in der hzgl. Bibl. zu Wolfenbüttel aufgefunden, hrsg. v. August F. u. Friedrich Jh. Vischer, 1834, u. v. W. H. Beekenkamp, 1941.

Lit.: H. Sudendorf, Berengarius Turonensis oder eine Smlg. ihn betreffender Briefe, 1850; - Joseph Schnitzer, B. v. T., sein Leben u. seine Lehre, 1890; - P. Renaudin, L'hérésie antieucharistique de B. de T., Paris 1902; - J. Ebersolt, Essai sur B. de T. et la controverse sacramentaire en XIe siècle, ebd. 1903; - R. Heurtevent, Durand de Troarne et les origines de l'hérésie béréngarienne. ebd. 1912; - Grabmann II, 218 ff.; - Josef Rupert Geiselmann, Die Eucharistielehre der Vorscholastik, 1926, 290 ff.; - A. J. Macdonald, B. and the Reform of sacramental Doctrine, London 1930; - Gerhard Ladner, Theol. u. Politik vor dem Investiturstreit, 1936; - W. H. Beekenkamp, De Avondmaalsleer van B. v. T., 1940; - Ch. E. Sheedy, The eucaristic controverse of the 11th century, Washington 1946; - Paul-Gerhard Meuß, Die Abendmahlslehre B.s v. T. vor dem Transsubstantiationsdogma v. 1215 (Diss. Tübingen), 1955; - Manitius II, 103 ff.; - Überweg II, 186. 696; - Seeberg III, 206 ff.; - Loofs II, 403 ff.; - RE II, 607 ff.; - EKL I, 390 f.; - RGG I, 1042 f.; - Chevalier I, 537 f.; - DThC II, 722 ff.; - DHGE VIII, 385 ff.; - LThK II, 215 f.; - EC II, 1376 f.; - Martin Grabmann, Die Gesch. der kath. Theol. seit dem Ausgang der Väterzeit, 1933 (unv. Nachdr. 1961), 29; - Ludwig Hödl, Die Confessio Berengarii v. 1059. Eine Arbeit z. frühscholast. Eucharistietraktat, in: Scholastik 37, 1962, 370 ff.; - P. Engels, De Eucharistie leer van B. v. T., in: TTh 5, 1965, 363 ff.

Letzte Änderung: 20.02.2001