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Band XVIII (2001)Spalten 90-95 Matthias Wolfes
Jeannette Strauss Almstad

AUERBACH, Isaak Lewin [auch: Isaac Levin], jüdischer Prediger, * 21. März 1785 in Lissa (poln.: Leszno) / Posen, † 5. Juli 1853 in Dessau. - A. wurde als Sohn eines frommen Rabbiners, der ihn in den Jugendjahren selbst im Talmud-Studium unterwies, geboren. Ein Bruder war der Pädagoge Baruch Auerbach (1793-1864). Nachdem A. an der Universität Berlin sein Studium mit der Promotion zum Dr. phil. abgeschlossen hatte, wurde er 1815 zum Prediger an die von Israel Jacobsohn gegründete Reform-Synagoge (Beer-Jacobsohnscher Tempel) in Berlin berufen. Einige Jahre amtierte er auch als Lehrer und Direktor der dortigen Israelitischen Mädchenschule. Über seine Predigtweise liegt ein briefliches Zeugnis von der Hand des Philologen Leopold Zunz vor: »Gestern oder vielmehr Sonnabend war ich in Jacobsohns Synagoge. Menschen, die 20 Jahre keine Gemeinschaft mit Juden hatten, verbrachten dort den ganzen Tag: Männer, die über die religiöse Rührung schon erhaben zu sein glaubten, vergossen Tränen der Andacht; der größte Teil der jungen Leute fastete. Aber wir besitzen hier auch drei Redner, die der größten Gemeinde Ehre machen würden. Herr Auerbach trägt mit philosophischer Klarheit und innerer Gediegenheit vor, seine Stimme ist klingend weich; sein Wesen ist Unschuld; selbst das Hebräische spricht er wunderschön aus, auch ist er ein guter Dichter in dieser Sprache. [...]« (Brief vom 14. September 1815 an Samuel Meyer Ehrenberg in Wolfenbüttel; zitiert nach: Jüdische Geschichte in Berlin. Bilder und Dokumente. Herausgegeben von Reinhard Rürup, Berlin 1995, 81; die beiden anderen Prediger waren Eduard Israel Kley und Carl S. Günsberg). Die Berliner Verhältnisse gaben A. jedoch nicht die Möglichkeit, sich in der ihm entsprechenden Weise zu entfalten. So wechselte er 1828 nach Leipzig, wo er Prediger am »Deutsch-israelitischen Tempel« wurde. Die Rechtsstellung der Juden in Sachsen war zu dieser Zeit noch immer ungeklärt. Aufgrund zahlreicher Zuzugsbeschränkungen und einer generell judenfeindlichen Haltung der Stadtbevölkerung betrug die Anzahl der in Leipzig lebenden Juden noch im Jahre 1838 bei 45.516 Einwohnern lediglich 162. Der Gottesdienst mußte wegen beschränkender Bestimmungen in Form von Privatgottesdiensten stattfinden; insgesamt war die jüdische Gemeinde lediglich geduldet, nicht aber rechtlich anerkannt. Ebenso wenig wie in Preußen, wo wesentliche Bestimmungen des Ediktes vom 11. März 1812 nach 1815 revoziert wurden, ließ sich auch in Sachsen die Emanzipationsgesetzgebung noch nicht durchsetzen. So mußte 1819 eine Verordnung, die den Juden den Zugang zum Handwerk eröffnen sollte, infolge des Widerspruchs der Innungen wieder zurückgenommen werden. Erst 1830 kam es zu ersten dauerhaften Erfolgen, und ein Gesetz vom 18. Mai 1837 gestattete den Leipziger sowie den Dresdner Juden den Zusammenschluß zu Religionsgemeinden und den Grundstückserwerb für ein Bet- und Schulhaus. Ein Jahr später, am 16. August 1838, erlaubte ein weiteres Gesetz die dauerhafte Niederlassung in beiden Städten (nicht jedoch außerhalb ihrer). Die ansässigen Juden konnten ein, allerdings stark eingeschränktes, Bürgerrecht erwerben. Innerhalb dieses bürgerlich-politischen Rahmens etablierte sich während der folgenden Jahrzehnte die jüdische Gemeinde der Stadt. Binnen weniger Jahre erwarb sie sich ein hohes Ansehen als reformorientierte, den Prozeß der Akkulturation fördernde Gemeinde. In Leipzig gelang es A., eine breitere gemeindliche und literarische Wirksamkeit zu entfalten. Neben Leopold Zunz, Wolf, Mannheimer, Phillipson und Jellinek gehörte er zu einem Kreis bekannter jüdischer Prediger, die »Predigten und Vorträge in deutscher Sprache halten und auf solche Weise die Ideen des neuzeitlichen Judentums in die Gemeinden der ganzen Welt tragen« wollten (zitiert nach: Aus Geschichte und Leben der Juden in Leipzig. Festschrift zum 75jährigen Bestehen der Leipziger Gemeinde-Synagoge, Leipzig 1930, 27). A.s Leipziger Tätigkeit reichte bis in die späten vierziger Jahre. Die Zeit des Alters verbrachte er, unter einer nervlich bedingten Krankheit leidend, in Dessau. - A. trat sowohl in Berlin als auch in Leipzig als moderater, bedachtsamer und gegenüber der religiösen Tradition respektvoller Reformer des Gemeindelebens auf. Dabei sprach er offen Mißstände in der Gottesdienstgestaltung an. So kritisierte er in einer bereits 1818, noch während der Berliner Jahre, ohne Nennung des Verfassernamens veröffentlichten Schrift »Sind die Israeliten verpflichtet ihre Gebete durchaus in der hebräischen Sprache zu verrichten?« im Rückgriff auf talmudische Texte und entsprechende Äußerungen von Gesetzeslehrern die herrschende Praxis in der gottesdienstlichen Verwendung des Hebräischen. Es sei erlaubt, sich auch im Gebet derjenigen Sprache zu bedienen, die vollständig beherrscht werde. Dies aber sei bei der hebräischen Sprache zumeist nicht mehr der Fall. Der Inhalt des Gebetes werde kaum verstanden, das Gebet selbst sei deshalb sinnentlehrt. Die praktische Folgerung, die A. hieraus zieht, legt zum einen eine Freigabe der deutschen Sprache für das gottesdienstliche Gebet nahe, zum anderen fordert er einen intensiven Unterricht im Hebräischen, um zu erreichen, daß die Sprache der Tradition wieder als lebendige Trägerin des Gebetes verwendbar wird. - A.s reformerischer Einsatz wird mehr noch als auf theologischem oder gemeindeorganisatorischem Gebiet aus seiner Mitwirkung an der fachlichen und institutionellen Etablierung der Wissenschaft des Judentums deutlich. Im Jahr seines Amtsantrittes als Prediger übernahm A. die Leitung des soeben gegründeten Berliner Brüder-Vereins. Das Amt übte er während einer Zeitspanne von vier Jahrzehnten aus (vgl. die als Manuskript gedruckte »Festrede zur fünf-und-zwanzigjährigen Jubelfeier des Brüder-Vereins zu Berlin gehalten in der General-Versammlung am 19. Januar 1840«, Berlin 1840). Der Verein widmete sich in diversen Aktivitäten einer Hebung des Bildungsniveaus innerhalb der Gemeinde. Mittelfristig ging es den Vereinsmitgliedern darum, das Interesse an historischen und theologischen Fragen zu intensivieren. Auf diese Weise sollte zugleich die Grundlage für die Ausbildung einer wissenschaftlichen Kultur innerhalb des jüdischen Gemeindelebens gelegt werden. Denn hierin sah man eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür, den erstrebten Anschluß der deutschen Juden an die Kultur und Lebensform der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft herzustellen. - A. zählte auch zu jenen Männern, die im November 1819 den »Verein zur Verbesserung des Zustandes der Juden im deutschen Bundesstaate« ins Leben riefen. Die Mitglieder dieses Gründungskreises waren in einer weitausgreifenden, anspruchsvollen Reformprogrammatik verbunden. Es ging ihnen um eine Überwindung der Isolation, in der sich die Gemeinde aufgrund von staatlichen Sondergesetzen einerseits und religiösen Vorgaben aus der Halacha andererseits befand. Sie strebten nach einem modernen, selbstbewußten Judentum, das das Erbe der Aufklärung wahrte, zugleich aber deren Verengungen zu überwinden imstande war. Neben A. gehörten zu den Initiatoren des Vereins, der seinen Namen bald in »Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden« änderte, der Hegel-Schüler Eduard Gans, Moses Moser sowie Leopold Zunz. Bereits 1821 konnte der Verein ein »Institut für die Wissenschaft des Judentums« gründen und seit 1823 die »Zeitschrift für die Wissenschaft des Judentums« herausgeben. Erheblicher Zulauf stellte sich ein; unter anderem schloß sich auch Heinrich Heine während seines Aufenthaltes in Berlin vom Frühjahr 1821 bis Mai 1823 dem Verein an, zudem unterrichtete er am Institut in den Fächern Französisch, Deutsch und deutsche Geschichte (vgl. zum komplexen zeitgeschichtlichen und biographischen Hintergrund dieses Engagements Klaus Briegleb: Bei den Wassern Babels. Heinrich Heine, jüdischer Schriftsteller in der Moderne, München 1997, 31-52; Juden in Berlin 1671-1945. Ein Lesebuch, Berlin 1988, 95-96). Dennoch lösten die Initiatoren, denen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit jedes Fortkommen in Schul- und Hochschuldienst verwehrt blieb, den Verein schon nach vier Jahren wieder auf. Ein Grund für diese Entscheidung lag in der geringen Unterstützung, die der Verein von Seiten der in der Berliner Gesellschaft etablierten, für Fragen der Wissenschaft wenig aufgeschlossenen jüdischen Gruppen erhielt. Zurück blieb ein kleiner Kreis, der ungeachtet aller Widrigkeiten und Rückschläge an der ursprünglichen Idee festhielt und dessen unermüdlicher Einsatz schließlich am Ende des Jahrhunderts zur Gründung der »Hochschule für die Wissenschaft des Judentums« in Berlin führte (vgl. Ludwig Geiger: Geschichte der Juden in Berlin. Festschrift zur zweiten Säkular-Feier (1871). Nachdruck mit einem Vorwort von Hermann Simon, Leipzig 1989, 181-182).

Veröffentlichungen: Predigt am Freudenfeste der Tora, gehalten in einem Privat-Tempel zu Berlin, Berlin 1815; [anonym:] Sind die Israeliten verpflichtet ihre Gebete durchaus in der hebräischen Sprache zu verrichten? Aus den Quellen des Talmuds und der späteren Gesetzeslehrer erörtert, Berlin 1818; Die wichtigsten Angelegenheiten Israels erörtert und vorgetragen in Predigten bei dem, in Leipzig, nach dem Vorbilde des neuen Tempelvereins zu Hamburg, während der Messen stattfindenden israelitischen Gottesdienste, Leipzig 1828; Die Aufnahme Israels in die große Gemeinschaft der Nationen. Predigt, gehalten am Sonnabend den 27. April 1833, bei dem in Leipzig, nach dem Vorbilde des Tempelvereins zu Hamburg während der Messen stattfindenden israelitischen Gottesdienste, Leipzig 1833; Israels jüngste Heimsuchung im Morgenlande. Predigt, gehalten am Sonnabend den 9. Mai 1840 bei dem in Leipzig während der Messen stattfindenden Deutsch-israelitischen Gottesdienste, Leipzig 1840; Festrede zur fünf-und-zwanzigjährigen Jubelfeier des Brüder-Vereins zu Berlin gehalten in der General-Versammlung am 19. Januar 1840, Berlin 1840 [als Manuskript gedruckt]; Die Herstellung der Achtung und Ehre Israels vor der Welt. Gottesdienstlicher Vortrag über Jes. 61, 10 und 11, Freiburg 1841; Das Verständnis der Zeit. Predigt, gehalten am 12. April 1845 in dem deutsch-israelitischen Tempel zu Leipzig, Leipzig o.J. [1845]; [anonym:] Dibre Chajim seu commentarii in codicem Schulchan Aruch, Berlin 1860 [Verfasserschaft unsicher].

Übersetzer: [Meyer Simon Weyl:] Hoffnung und Vertrauen. Predigt wegen des Ausmarsches des vaterländischen Heeres, gehalten am 28sten März 1813 in Gegenwart mehrerer freiwilligen Jäger jüdischen Glaubens in der großen Synagoge zu Berlin von dem Vice-Ober-Landes-Rabbiner Herrn Meyer Simon Weyl. Aus dem Hebräischen übersetzt von Isaac Levin Auerbach. In Druck gegeben zum Besten der Staatsbedürfnisse, o.O. [Berlin] o.J. [1813].

Lit.: Ludwig Geiger: Geschichte der Juden in Berlin. Festschrift zur zweiten Säkular-Feier. Anmerkungen, Ausführungen, urkundliche Beilagen und zwei Nachträge (1871-1890). Mit einem Vorwort von Hermann Simon, Leipzig 1989 [Nachdruck der zweibändigen Ausgabe: Berlin 1871]; - Aus Geschichte und Leben der Juden in Leipzig. Festschrift zum 75jährigen Bestehen der Leipziger Gemeinde-Synagoge. Herausgegeben vom Vorstand der Israelitischen Religionsgemeinde 1855-1930, Leipzig 1930; - Juden in Berlin 1671-1945. Ein Lesebuch. Mit Beiträgen von Annegret Ehmann, Rachel Livné-Freudenthal, Monika Richarz, Julius H. Schoeps und Raymond Wolff, Berlin 1988; - Lexikon deutsch-jüdischer Autoren (Archiv Bibliographica Judaica). Band 1, München / London / New York / Paris 1992, 250-251 (hier auch Hinweise auf weitere biographische Literatur); - Jüdische Geschichte in Berlin. Bilder und Dokumente. Herausgegeben von Reinhard Rürup, Berlin 1995; - Jüdisches Lexikon. Band 1 (1927), 563-564; - DBA I, 39, 35-36.

Matthias Wolfes
Jeannette Strauss Almstad

Letzte Änderung: 03.01.2001