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Band XXII (2003) Spalten 28-39 Autor: Manfred Berger

ARETIN, Erwein Karl Maria Hans Adam Januaris Freiherr von (Ps. Thomas Fischer, Arkas, Reinhardt), * 19. September 1887 in Bad Kissingen, † 25. Februar 1952 in München, Publizist, Wissenschaftler, Politiker. - Die Herkunft des adeligen Geschlechts der v. A. ist bis heute noch nicht mit eindeutiger Sicherheit geklärt. Eine Variante führt es zurück auf Johann Baptist Bakdasar Aroutioun Caziadur, der, nach Angaben seines Taufscheins, als Sohn des armenischen Königs Bakdasar von Siounik und seiner Frau Gogza, geb. Fürstin von Charabagh, in Konstantinopel geboren wurde. Über die in Venedig weilende Kurfürstin Theresia Kunigunde, die polnische Gemahlin Kurfürst Max Emanuels von Bayern, wurde der armenische Königssohn adoptiert und kam 1715 nach Bayern. 52 Jahre später erfolgte seine Erhebung in den Freiherrenstand unter dem Namen v. A. (von Arezzo?). Am 6. September 1913 erschien im "Nürnberger Anzeiger" eine andere Abstammungsvariante, der zufolge Johann Baptist Bakdasar Aroutioun Caziadur in Venedig "als illegitimer Ableger der Kurfürstin mit ihrem Beichtvater Dorotheus Schmacke entstanden sein soll und die Auffindungsgeschichte nur entstand, um die Affäre zu verheimlichen. Wenn diese Version stimmen sollte, dann sind die Aretins sogar Nachkommen des polnischen Königshauses Sobieski" (Wulz 2002, S. 168). Ansässig wurde die adelige Familie in Haidenburg einschließlich des Klosterguts Aldersbach (Niederbayern) und in Neuburg an der Kamel (Schwaben). - Erwein v. A. war das vierte und jüngste Kind des Juristen und späteren Regierungspräsidenten der Oberpfalz, Anton Feiherr v. A. und dessen Ehefrau Maria Anna, geb. Prinzessin von der Leyen und zu Hohengeroldseck. Nach dem Besuch der Gymnasien in Landshut, Regensburg und einer Erziehung in der "Königl. Bayerischen Pagerie", eine Schulungsstätte für bayerische Edelknaben, studierte v. A. Mathematik und Astronomie in München, Leipzig und Göttingen. In letztgenannter Stadt "schuf er sich als Assistent an der Sternwarte und gleichzeitig als Assistent des kunsthistorischen Seminars der Universität einen vielseitigen Lebens- und Arbeitskreis. Obwohl Aretin nicht Kunstgeschichte im Hauptfach studiert hatte, wurde er von Prof. Robert Vischer zu dieser Aufgabe berufen, die ihm um so größere Freude bereitete, als damit die Verwaltung einer kleinen Gemäldegalerie und einer Kupferstichsammlung verbunden war. Durch seine rege Vortragstätigkeit auf beiden Gebieten wurde der damals 24jährige im Göttinger Universitätsleben bald bekannt. Im November 1912 wurde er mit einer in Fachkreisen stark beachteten astronomischen Arbeit, die von der Göttinger Sternwarte zum Druck übernommen wurde, zum Dr. phil. promoviert" (Aretin 1955, S. 8). Nach dem Studium wechselte v. A. als Assistent an die Kufnersche Sternwarte nach Wien. Dort freundete er sich mit Rainer Maria Rilke an, der ihm eine neue Welt des Geistes eröffnete. Die Freundschaft der beiden Männer bestand bis zum Tode des bekannten Dichters. Am 7. Oktober 1914 heiratete v. A. in Lösch bei Brünn Maria Anna (Marianne) Gräfin von Belcredi. Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor: Anton (geb. 1918), Ludwig (geb. 1921), Karl Otmar (geb. 1923) und Richard (geb. 1926). Über den weiteren Lebensweg des Freiherrn ist nachzulesen: - "Im Auftrag der Wiener Akademie der Wissenschaften sollte er nach der Hochzeit eine Sternwarte auf der Insel Lussinpiccolo an der Küste Istriens übernehmen. Der Krieg hat dies verhindert. Wegen eines schweren Herzfehlers verbrachte er den ersten Weltkrieg in der Heimat als freiwilliger Helfer beim Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes. Er verlor jedoch nicht die Verbindung mit der astronomischen Wissenschaft. 1915/16 beschäftigte er sich damit, einen in Mexiko aufgefundenen Kalender über astronomische Ereignisse, wie Sonnen- oder Mondfinsternisse, mit dem europäischen Kalender in Verbindung zu bringen und so eine genaue Datierung historischer Ereignisse der mexikanischen Vorgeschichte zu versuchen. Diese Beschäftigung vereinigte seine starken historischen Interessen mit seinem astronomischen Wissen, sie wurde jedoch durch die Ausbreitung des Weltkrieges unterbrochen. 1916 kam er mit Karl Muth zusammen, für dessen Zeitschrift 'Hochland' er einige Aufsätze schrieb, die den Auftakt seiner publizistischen Tätigkeit bildeten. ... Im März 1919 war er zusammen mit seinem Vetter Heinrich Aretin einige Tage von der Räteregierung als Geisel verhaftet. Er entzog sich und seine Familie weiteren Verfolgungen durch Flucht nach Neuburg an der Kamel, einem Schloß seines Vetters. Dort beteiligte er sich seit 1920 an der Herausgabe der oberbadischen Geschlechterbücher, gab seit 1923 die Jungadelsbriefe heraus und verfaßte Artikel, in denen er einen katholisch-konservativen Standpunkt vertrat. Durch die publizistische Tätigkeit trat er zum erstenmal aus seiner traditionsgebundenen Umgebung vor eine breitere Öffentlichkeit" (Aretin 1955, S. 8 f.). - Über Eugen Fürst zu Oettingen-Wallerstein, Besitzer des in der Nachbarschaft von Neuburg an der Kamel gelegenen Schloß Seyfriedberg, kam v. A. in engere Beziehung mit SKH Kronprinz Rupprecht, Herzog von Bayern, und wurde bald einer der wichtigsten politischen Berater des Thronprätendenten, der wegen seiner integren und volksnahen Art besonders in Bayern verehrt wurde. Auch wahrend der Nazi-Diktatur erfreute sich der Kronprinz großer Beliebtheit. Reinhard Heydrich, Chef der Sicherheitspolizei und führender Organisator der Endlösung, bezeichnete den rechtmäßigen Erben der Krone Bayerns sogar als "Kristallisationspunkt aller monarchistischen bzw. legitimistischen Bestrebungen in Bayern und zum Teil auch in den angrenzenden süddeutschen katholischen Gebieten" (zit. n. Kulturreferat der Landeshauptstadt München 1998, 9). Unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Nazi-Gewaltherrschaft verfaßte v. A. eine kurze patriotische Biografie über Kronprinz Rupprecht, dem das Schicksal das Recht auf die Krone Bayerns raubte und der trotz inhaltsschweren Lebens nie aufgehört hatte, "das eigentliche Rückgrat seines Selbstbewußtseins zu sein und Ehre und Würde des Königtums ungeschmälert durch die Irrungen und Wirrungen der Zeit zu tragen" (Aretin o. J., S. 32). Freiherr v. A. war Vorsitzender des 1921 gegründeten "Bayerischen Heimat- und Königsbund". Dieser erstrebte die Wiedereinführung der Monarchie in Bayern, die Monarchisten nicht nur als Alternative zur Weimarer Republik, sondern auch als einzige Möglichkeit, dem Bolschewismus und dem Nationalsozialismus zu entgehen erschien. Dazu formulierte v. A., der ein entschiedener Gegner der Weimarer Republik war, in seiner 1924 veröffentlichten Broschüre "Das Bayerische Problem": - "Lassen wir uns nicht einreden, daß die Staatsform gleichgültig sei. Der Staat selbst ist nichts anderes wie die Form der Nation. Für eine Form aber ist die Form nie gleichgültig. Wie in keinem anderen Volksstamm Deutschlands lebt in uns die Gewißheit, daß nur das Königtum die beste aller Formen darstellt, jene überparteiliche Spitze des Staates, die seine Stärke und sein Halt war durch alle Jahrhunderte, die natürliche Krönung eines Aufbaus, ohne die sich kaum mehr ein seiner deutschen Ziele bewußter Bayer die Zukunft seines Landes denken kann. Also rückwärts zum Königtum? Nein, vorwärts zu ihm, nach dem schlimmen Traum von fünf Jahren des Verfalls. Aber das Reich? Geht das, ein König im Reich Eberts? Natürlich geht es. Vor allem in dem Reich, wie wir es uns denken, und wie wir es, solange es nicht auf dem Papier durchgeführt ist, in Wirklichkeit durchführen. War das Verhältnis Bayerns, des Freistaates, zum Reich seit vier Jahren so, daß es noch schlechter werden könnte? Freilich kann auch ein König die Lage nicht wenden, uns nicht den mühevollen Weg ersparen durch Armut und Not, den wir gehen müssen in eine glücklichere Zukunft. Freilich kann auch er nicht ihre Gewissheit sein. Aber für Bayern ist er der einzige Weg zu ihr. In ihm liegt die Garantie, daß der Staat und seine Rechte nicht mehr Schachobjekt seiner Parteien ist, in ihm auch die andere, daß der durch seinen Radikalismus gefährlich populär werdende separatistische Gedanke, den der Unitarismus Weimars erzeugte, nicht die für das Deutschtum verhängnisvolle Oberhand gewinnt. Schon Bismarck sprach es aus, daß 'die deutsche Einigkeit mehr von seinen Dynastien als von seinen Parlamenten zu erwarten hat'. Darum Schluß mit dem unwürdigen Spiel, daß die Parteien vor den Wahlen mit monarchistischen Phrasen Stimmen fangen und nach ihnen nichts mehr davon verlauten lassen. Nur ein pöbelhaftes Volk verdient keinen König. Wo noch der Gedanke lebt - und wer hinter die Kulissen auch außerhalb der freudigen Feste blickt, weiß besonders seit den letzten Monaten, wie sehr er es in Bayern tut - ist der Boden noch tragfähig für die Krone, den sichersten Hort der Schwachen gegen den im Freistaat fast unumschränkt herrschenden Mächte des Kapitalismus und der Plutokratie. Vorwärts zum König um Bayerns und des Reiches willen. Heraus aus der Atmosphäre des Klassenkampfes, heraus aus der Stickluft der Parteien, damit endlich wieder Politik größeren Stils geführt wird, als um die Haftentlassung einiger Abgeordneter oder um die Lohnerhöhung des im Freistaat doch immer wieder um ihre Auswirkung betrogenen Proletariers" (Aretin 1924, S. 46 f). - Seine journalistischen Sporen verdiente sich v. A. vor allem bei den "Münchener Neuesten Nachrichten", in dessen Redaktionsstab er 1922 berufen wurde. Eine seiner ersten Aufgaben war über den Hitler-Prozeß nach dem Putsch vom 9. November 1923 zu berichten. Des Freiherrn Eindruck über Adolf Hitler war so vernichtend, daß er seitdem zu dessen entschiedensten Gegnern gehörte. Als tiefgläubiger Katholik verurteilte er die Glaubenslosigkeit und die Rechtsbrüche der Nazis und lehnte jeden Kompromiß mit ihnen ab. Ab 1. Januar 1926 leitete v. A. das Ressort Innenpolitik bei den "Münchener Neuesten Nachrichten", weshalb er Ende 1927 den Vorsitz im "Bayerischen Heimat- und Königsbund" an seinen Vetter Enoch Reichsfreiherr von und zu Guttenberg abgab. Weit über die Grenzen Deutschlands hinaus wurde v. A. mit seinem Artikel über Therese Neumann, genannt Resel, aus Konnersreuth bekannt. Der Bericht "Die Erscheinungen von Konnersreuth" in der Beilage "Die Einkehr" der "Münchener Neuesten Nachrichten", vom 3. August 1927, mußte in zehn Tagen viermal nachgedruckt werden und wurde in 30 Sprachen übersetzt. Das Erlebnis mit der Stigmatisierten kam der Frömmigkeit des Freiherrn und seinem Hang zum Geheimnisvollen durchaus entgegen. Diesbezüglich konstatierte sein Sohn Karl Otmar Freiherr v. A.: - "Allerdings hat er die Vorgänge keineswegs kritiklos bewundert. Er bemühte sich vielmehr zusammen mit dem Eichstätter Theologieprofessor Wutz um größtmögliche Klarheit. Therese Neumann wurde für ihn zu einem persönlichen Anliegen. Es war ihm eine tiefe Genugtuung, als der religiös-skeptische Gerlich (Chefredakteur der "Münchener Neuesten Nachrichten"; M. B.) nach Konnersreuth reiste, um 'dem Schwindel' auf die Spur zu kommen, und nach acht Tagen überzeugt zurückkehrte. Es gehörte zu Aretins Wesen, daß er sich nicht scheute, eine Sache wie Konnersreuth zu vertreten, was ihm natürlich Spott und Anfeindungen weiter Kreise (vor allem von Kommunisten und Nazis, M. B.) eintrug. Seinen damaligen Zeitgenossen war er fast mehr als Kenner von Konnersreuth denn als Monarchist bekannt" (Aretin 1955, S. 15 f). - Diesbezüglich berichtete Elisabeth Reichfreifrau von und zu Guttenberg, die von den Vorgängen in Konnersreuth zeitlebens ergriffen war, in ihren Memoiren: - "Abends saßen wir in der Bibliothek, und das Gespräch kam auf Konnersreuth. Aretin schien beinahe enttäuscht, daß Bischof Waitz (von Innsbruck, M. B.) mich dort 'eingeführt' hatte. 'Das hatte ich mir vorgenommen, dich zur Resel zu bringen', meinte er. Von ihm, der für die größte süddeutsche Zeitung, die Münchener Neuesten Nachrichten, schrieb, war dort der erste detaillierte Bericht über Therese Neumann erschienen. Sein Besuch in Konnersreuth hatte in stark beeindruckt, und so war sein Artikel nicht nur aufsehnerregend, sondern auch der Ausdruck seiner Überzeugung von der Echtheit der Konnersreuther Geschehnisse. - Ein Freund Aretins, Dr. Fritz Gerlich, der für dieselbe Zeitung schrieb, sprach sein Erstaunen über seine Ablehnung über den Konnersreuth-Artikel unverblümt aus. 'Wie kann ein hochintelligenter Mann wie Sie, Aretin, auf so einen Schwindel hereinfallen! Ich werde selbst zu diesem wunderbaren Ort fahren und Ihnen binnen zwei Tagen den Beweis erbringen, daß dort ein geschicktes Theater aufgeführt wird.' Gerlich ist tatsächlich gefahren. Er blieb nicht zwei Tage, sondern zwei Wochen und kam bekehrt zurück, ihm wahrsten Sinne des Wortes, da er als Ungläubiger hingefahren war und als Gläubiger wiederkam. Von ihm stammt das wohl wichtigste und ausführlichste Buch über Therese Neumann (Guttenberg 2000, S. 102 f). - Noch zweimal, im August 1946 und im Herbst 1948, hatte v. A. Therese Neumann besucht. Über seine erste Begegnung mit der "stigmatisierten Sühneseele von Konnersreuth" berichtete der bayerische Edelmann: - "Im Flur des Konnersreuther Pfarrhofs sah ich am Abend eines Donnerstags (7. Juli 1927) Therese Neumann zum erstenmal, ein mittelgroßes Mädchen, dessen bäuerliche Züge auch slawischen Bluteinschlag vermuten lassen und dessen ganzes Gesicht beherrscht wird von zwei großen, tiefliegenden Augen von unendlicher weicher Güte und von einer ungewöhnlich verstehenden Intelligenz. Halbhandschuhe verbergen die Wundmale der Hände, der Gang auf den Kanten der Ferse verrät jene der Füße. Der Donnerstag ist ein unruhiger Tag. Der ganze Pfarrhof ist voll von Geistlichen, die um der Ereignisse des Freitags willen gekommen sind, und alle paar Minuten wird die Türe von Scharen von Laien geöffnet, die scheu und voll Verehrung mit dem Mädchen sprechen wollen und von ihm trotz aller sichtbaren Ungeduld über soviel Neugier, zwar mit einiger Verlegenheit, aber doch mit der natürlichen Güte und dem Takt unserer bayerischen Bauern empfangen und begrüßt werden... Es war Freitag, 8. Juli 1927 die Füße der Therese Neumann blieben unbedeckt und man sah sie unter den Hammerschlägen der Kreuzigung schmerzhaft zusammenzucken. Bald bildete sich an einem der Fußstigmen ein wachsender Tropfen dunklen Blutes, wuchs, wuchs und löste sich schließlich von der Wunde. Die Schwerkraft hätte eindeutig befohlen, daß er gegen die Fußwurzel hätte fließen müssen. Aber der Tropfen tat es nicht, sondern floß fast senkrecht in die Höhe in der Richtung auf die Zehen, wie er es vor fast 2000 Jahren an Christi Kreuz getan hat! Es gibt auf Erden keine Macht, die einen frei fließenden Tropen zwingen kann, auch nicht die Allerweltszauberin Hysterie" (Aretin 1952. S. 11 ff.). - Als die Gefahr der Machtübernahme durch die Nazis immer wahrscheinlicher wurde, beteiligte sich v. A. an den Versuchen, die Gleichschaltung Bayerns durch eine Restauration der Monarchie zu verhindern. Elisabeth Reichsfreifrau von und zu Guttenberg erinnerte sich an den schwarzen Tag zur Wiederbelebung der Monarchie: - "Nach Jahren intensiver und mühevoller Vorarbeit sollte endlich der Tag kommen, an dem in Bayern das Königshaus wieder regieren würde. Im Münchener Hotel 'Vier Jahreszeiten' war das 'Hauptquartier', die Zentrale der Königsbewegung. Schon seit Wochen waren Enoch (der Mann der Reichsfreifrau von und zu Guttenberg; M. B.) und ich dort mit Sekretärinnen und Mitarbeitern, unter ihnen der alte Graf Stauffenberg, Erwein Aretin und mein Schwager Karl Ludwig. Es gab wichtige Verhandlungen mit Ministern und Beamten, mit den Kirchen, mit Politikern, und von allen Seiten wurde der Plan befürwortet, sogar von den führenden Sozialdemokraten, die, politisch geschult, die große Gefahr erkannten, die Hitler darstellte... Die Arbeit in der Zentrale im Hotel ging meist bis spät in die Nacht. Endlich schien alles in Lot. Am Abend des 20. Februar 1933 war ich todmüde ins Bett gefallen. Enoch würde noch lange ausbleiben. Endlich, mitten in der Nacht, erschien er in der Tür und kam im dunklen Hotelzimmer auf mich zu: 'Es ist erreicht. Morgen wird Rupprecht als Generalstaatskommissar von Bayern die Staatsgewalt übernehmen.'... Er berichtet, daß am Morgen um zehn Uhr der Ministerpräsident im Leuchtenberg-Palais, wo der Kronprinz wohnte, ihm im Beisein von Ministern, Politikern und Führern der Königsbewegung während eines Staatsaktes das Amt des Generalstaatskommissars anbieten werde. Die Truppe sei bereit, mögliche Unruhen von Seiten der Nationalsozialisten in Schach zu halten... Am nächsten Morgen pünktlich um zehn Uhr war alles im Leuchtenberg-Palais um den Kronprinzen versammelt. Man wartete nur noch auf den Ministerpräsidenten, der sein Erscheinen ja zugesagt hatte. Man wartete, wartete. Er kam nicht... Die Zusammenkunft mußte ergebnislos auseinandergehen. Am nächsten Tag entschuldigte der Ministerpräsident sein Fernbleiben und begründete es mit einer noch zu klärenden juristischen Frage. Man müsse warten. Warten! Dazu war keine Zeit. Die Hoffnung, durch die Monarchie in Bayern dem Anstieg und dem Machtanspruch des Nationalsozialismus eine schützende staatliche Kraft entgegenzustellen, war zerbrochen" (Guttenberg 2000, S. 112 f). - Noch einmal, kurz vor Kriegsausbruch 1939, hatten die bayerischen Monarchisten eine Widerstandsbewegung versucht: - "Ihre Führer, Zett und v. Harnier, büßten es mit dem Leben, ihre Anhänger mit langen harten Gefängnisstrafen. Der Kronprinz und seine Familie gingen ins Exil nach Italien, von wo ihnen jede Rückkehr verboten wurde. Als Hitlers Stern endgültig sank, schlug der Tyrann noch einmal zu. Der Kronprinz blieb durch das rasche Vordringen der Alliierten in Italien seinem Zugriff entzogen. Aber an zwölf Mitgliedern seines Hauses hat Hitlers entmenschlichte Roheit in den Konzentrationslagern Sachsenhausen, Buchenwlad und Flossenbürg ihr Mütchen gekühlt. Nur das rasche Vordringen der Amerikaner hat sie vor dem Tode bewahrt, der ihnen zugedacht war" (Aretin 1955, S. 151). - Am 13. März 1933 wurde v. A. und andere Gesinnungsgenossen der ersten mißglückten monarchistischen Widerstandsbewegung (vgl. Benz/Pehle 1994, S. 256 f) sowie ein Dutzend seiner Redakteurskollegen der "Münchner Neuesten Nachrichten" in "Schutzhaft" genommen. Da erstaunlicherweise bedeutende Drahtzieher dieser Aktion unbehelligt blieben, "lag schon damals der Verdacht nahe, daß es den Nationalsozialisten eigentlich nicht um den Putschversuch ging, sondern darum, die konservativ-monarchistische Redaktion der 'Münchner Neuesten Nachrichten' auszuheben. Auch der Herausgeber der 'Münchner Neuesten Nachrichten', Nikolaus Cossmann, kam in Haft. Diese Verhaftungen erregten im katholisch-konservativen Establishment großes Aufsehen. Man konnte sich vielleicht damit abfinden, daß die Kommunisten im KZ Dachau verschwanden, aber daß eine geachtete Honoratiorenpersönlichkeit ohne Anklage und Prozeß festgehalten wurde, wirkte schockierend. Der Fall 'Aretin, Cossmann und Genossen' entwickelte sich nun zu einem Zankapfel zwischen den als 'gemäßigter' geltenden bayerischen Nationalsozialisten - Ritter von Epp, Ministerpräsident Siebert und Reichsjustizminister Gürtner - und den 'Radikalen' Heydrich und Himmler. Vor allem Heydrich wollte an Aretin und Cossmann ein Exempel statuieren. Da das Reichsgericht, vor das Aretin gestellt werden sollte, in dem Fall nicht bereit war, Recht zu beugen, schaltete sich im November 1933 Adolf Hitler persönlich ein: Er verfügte, daß Aretin und Cossmann trotz Epps ständiger Bemühungen zuerst nach Dachau und später ins Gefängnis Stadelheim kamen" (Kulturreferat der Landeshauptstadt München 1998, S. 8). - In seinen, nach dem Krieg verfaßten Erinnerungen eines bayerischen Edelmannes berichtete v. A. eindrucksvoll und nicht ohne Sarkasmus über die schrecklichen Abläufe im KZ von Dachau: - "Rings um mich drängten sich plötzlich vier bis fünf SS-Leute in grünen Arbeitskitteln... und begannen mich zu beschimpfen. Ob ich etwa immer noch die Monarchie haben wolle - ich erwiderte, daß mir die Vorteile jetzt erst recht einleuchteten -, und was die Kaiserin Zita mache - ich erwiderte, da sei ich überfragt -, und sie wollten mir schon austreiben, mit dem Faulhaber das 'Volk' zu verraten. Schließlich verstand sogar ich, daß jetzt die Sache ernst werde. Ich habe in meinem ganzen Leben keine Köpfe von so tierischer Rohheit gesehen. Plötzlich brüllte mich ein ganz junger, schwarzer Kerl von höchstens siebzehn Jahren an, ich solle gefälligst aufstehen und eine tiefe Kniebeuge machen. Ich dachte an 'Erschießen bei Widersetzlichkeit' und sah mich um: nur rohe, verzerrte Gesichter. Also machte ich halt eine tiefe Kniebeuge. Ich liebe sie schon nicht, wenn meine Hosen weit genug sind. Diese platze sofort, aber da half nun gar nichts mehr: ich saß in meiner tiefen Kniebeuge, wie mir schien, eine Ewigkeit, bis ich es einfach nicht mehr aushielt und der Länge nach auf den Zementboden stürzte. Sofort hatte ich den entsicherten Revolver des Jungen im Gesicht, und die Faustschläge und Fußtritte hagelten nur so, bis ich wieder in der tiefsten Kniebeuge dasaß. Das Spiel gefiel den Leuten zusehends. Jetzt bekam ich Stöße mit dem Knie ins Rückgrat, bis ich wieder glücklich dalag und mich trotz des Hagels an Schlägen und trotz des Revolvergefuchtels etwas verschnaufte. Dann ging das Spiel von neuem an, viermal, fünfmal, sechsmal. Die Leute schlugen einem weit ausholend mit der Faust ins Gesicht, so wie man es auf besonders drastischen Bildern von der Geißelung Christi im deutschen Mittelalter dargestellt findet, und man sollte meinen, daß das wenigstens weh tat. Aber, aufrichtig gesagt, tat es das nicht im geringsten. Vielleicht war es der Schreck, der einen fühllos machte: denn der war natürlich ebenso groß wie das grenzenlose Erstaunen, daß mir so etwas passierte" (Aretin 1955, S. 277 f). - Der Feiherr überlebte die einjährige Haft in Dachau in verhältnismäßig guter psychischer wie physischer Verfassung, "und man glaubt gern, dass seine ganz unsentimentale Frömmigkeit einen starken Anteil daran hatte" (Seibt 2002, S. 17). Nach seiner Entlassung erhielt v. A. Berufsverbot und durfte nicht mehr zu seiner Familie zurückkehren, die nur mit Unterstützung von Freunden überleben konnte. Der bayerische Edelmann lebte äußerst zurückgezogen bei seiner Schwester Elisabeth Gräfin von Bissingen und Nippenburg auf Schloß Hohenstein (in der Nähe von Rottweil). Unter dem Pseudonym Thomas Fischer veröffentlichte er 1935 "Bindung und Bekenntnis" und 1936 unter dem Namen Arkas "Die Kunst, anständig zu sein". Im August 1938 wurde v. A. noch einmal mit sein ältesten Sohn für acht Tage verhaftet. - Nach dem Zusammenbruch der Nazi-Diktatur begann er wieder als Journalist zu arbeiten, jedoch sein großer Wunsch, eine Zeitung zu übernehmen, erfüllte sich nicht. Die amerikanische Militärregierung beäugte die journalistische Tätigkeit des überzeugten Monarchisten äußerst mißtrauisch. Kein Wunder, schrieb er doch 1946 kritisch darüber demokratische Verfassungen des Auslands einfach zu übernehmen: - "Es kann nicht genug davor gewarnt werden, anderswo erprobte demokratische Verfassungen, wie jene von England oder jene der Vereinigten Staaten Amerikas, jede vorzüglich in ihrer Art, zu übernehmen. Wir sehen es ja auch an der für Frankreich bestehenden Unmöglichkeit, dem Zweiparteiensystem, das einem gewissen sportlichen Geist der Engländer und Amerikaner entspricht, bei uns Lebenskraft zu verschaffen. Was dort natürlich ist, wäre bei dem fast tödlichen Ernst, mit dem wir alles Politische zu betrachten gewohnt sind, bei uns eine Verfälschung der Demokratie. Gewiß müssen wir unserem Hang zum Doktrinären Zügel anlegen, aber ebenso unserem Hang zur Nachahmung alles Fremden. Wir müssen eines, wenn auch spät, lernen: Lebenssicherheit oder - mit anderen Worten ausgedrückt - wir müssen eines bekommen: Gesunden Menschenverstand" (Aretin 1946, S. 43). - Hohe Anerkennung nach 1945 fand v. A. noch als Präsident der "Deutschen Adelsverbände" und als Vizepräsident des "Deutschen Caritasverbandes". Er starb veramt aber angesehen nach einem langen und schweren Leiden am 25. Februar 1952. Der Verstorbene wurde auf einem kleinen Dorffriedhof in Münchsdorf beigesetzt.

Werke (Ausw.): Pro Memoria, Göttingen 1912; Gibt es noch Reste vorkarolinigschen Adels in Bayern?, in: Deutsches Adelsblatt, 1925/Nr. 11, 273-274; Vom Adel in Bayern, in: Süddeutsche Monatshefte, 23 1926, 385-391; Adelsmatrikel des Königreichs Bayern, in: Monatsblatt der Heraldische Gesellschaft Adler, Bd. XII, Wien 1932, 292-294; Bindung und Bekenntnis, Zürich 1934; Die Kunst, anständig zu sein, Zürich 1936; Therese Neumann. Die stigmatisierte Sühneseele von Konnerreuth, Gröbenzell bei München 1952; Die Verfassung als Grundlage der Demokratie, München 1946; Krone und Ketten. Erinnerungen eines bayerischen Edelmannes, München 1955; Kronprinz Rupprecht, München o. J.; Wittelsbacher im KZ, München o. J.; Fritz Michael Gerlich. Lebensbild des Publizisten und christlichen Widerstandskämpfers, München 1983.

Archiv: Ida-Seele-Archiv, Am Mittelfeld 36, 89407 Dillingen.

Lit. (Ausw.): Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (Hrsg.): Neue Deutsche Biographie. Erster Band, Berlin 1953, 346-347; - Aretin, K. O. v.: Kurzes Lebensbild, in: Aretin, E.: Krone und Ketten. Erinnerungen eines bayerischen Edelmannes, München 1955, 7-18; - Aretin, K. O. v.: Der bayerische Adel von der Monarchie zum Dritten Reich, in: Broszat, M./Fröhlich, E./Grossmann, A. (Hrsg.): Bayern in der NS-Zeit, Band III, Herrschaft und Gesellschaft im Konflikt, München 1981, 513-564; - Bosl, K. (Hrsg.): Bosls Bayerische Biographie. 8000 Persönlichkeiten aus 15 Jahrhunderten, Regensburg 1983, 24; - Lorant, S.: Ich war Hitlers Gefangener. Ein Tagebuch 1933, München 1985, 15 ff.; - Benz, W./Pehle, W. H. (Hrsg.) Lexikon des deutschen Widerstandes, Frankfurt/Main 1994; - Killy, W. (Hrsg.): Deutsche Biographische Enzyklopädie. Band 1, München 1995, 168; - Detjen, M.: "Zum Staatsfeind ernannt". Widerstand, Resistenz und Verweigerung gegen das NS-Regime in München, München 1998, 152-153; - Guttenberg E. z.: Beim Namen gerufen. Erinnerungen, München 2000; - Seibt, G.: Dem Leitartikler flicht die Nachwelt keine Kränze. Vor 50 Jahren starb Erwein von Aretin, der als Redakteur in München den heraufziehenden Nationalsozialismus bekämpft hat, in: Süddeutsche Zeitung, Montag, 25. Februar 2002, 17; - Wulz, G.: Der Überzeugungs-Schreiber. Erwein von Aretin: bayerischer Patriot, Monarchist, Katholik und Nazi-Gegner, in: Unser Bayern. Heimatbeilage der Bayerischen Staatszeitung, 51 2002, 166-168; - Kulturreferat der Landeshauptstadt München: Bayerische Konservative, Monarchisten und Föderalisten (1998): http://www.widerstand.musin.de/ w4-7.html.

Manfred Berger

Werkeergänzung:

Erinnerungen an den Galgenpater, in: Klerusblatt, 29 1949, 48-49.

Literaturergänzung: Betz, A.: Erwein von Aretin zum Gedächtnis, in: Klerusblatt, 32 1952, 122.

Letzte Änderung: 29.09.2003