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Gefährliches Gift Quecksilber aus Kohlekraftwerken in unserer Nahrungskette

Jedes dritte Neugeborene in der Europäischen Union ist mit Quecksilber belastet, das ergab eine Untersuchung. Eine erschreckende Zahl. Längst ist bekannt, woher das Gift kommt: Vom Ausstoß der Kohlekraftwerke. Anfang Juni hat die EU erstmals Emissionsstandards festgelegt für die kommenden 15 Jahre. Umweltverbände kritisieren, der Stand der Technik hätte viel weitreichendere Grenzwerte erlaubt.

Von: Susanne Hofmann

Stand: 04.07.2015

Die Luftaufnahme vom 07.05.2015 zeigt das Kohlekraftwerk Mehrum in Hohenhameln (Niedersachsen) | Bild: picture-alliance/dpa

Der Metall-Toxikologe und Arzt Peter Jennrich ist alarmiert. Er hat kürzlich für Greenpeace eine Studie erstellt über Quecksilber - eines der drei gefährlichsten Gifte, mit denen Menschen in Kontakt kommen. Verheerende Schäden kann Quecksilber vor allem im Organismus von Ungeborenen anrichten: Über die Nabelschnur gelangt das Quecksilber aus dem Blut der Mutter in das Gehirn des Embryos. Die Folge: Das kindliche Nervensystem kann sich nicht richtig entwickeln, die Babys kommen mit verminderter Intelligenz zur Welt, manche gar mit schwerwiegenden neurologischen Störungen. Peter Jennrich, Direktor des International Board of Clinical MetalToxicology, forscht seit 15 Jahren zum Thema Quecksilber. Er warnt, in Deutschland gebe es ein Quecksilber-Problem, das leider verharmlost werde. Die akute Quecksilber-Belastung sei vielleicht selten, aber die chronische Belastung bereits von Ungeborenen leider der Regelfall.

"Weil Quecksilber in jede Zelle eindringen kann und dort den Energiehaushalt, die Zellwand oder den Zellkern schädigen kann, kann es praktisch bei jeder Krankheit im Körper eine Rolle spielen, es kann Hauptauslöser sein oder ein Co-Faktor sein."

Peter Jennrich, Direktor des International Board of Clinical Metal Toxicology

Radio-Tipp

Funkstreifzug | Sonntag | 5. Juli 2015 | 9.15 Uhr | B5 aktuell

Quecksilber entsteht massenhaft bei der Verbrennung: Rund 10 Tonnen im Jahr werden in die Atmosphäre geblasen - durch Metallverhüttung, Müllverbrennungsanlagen, vor allem aber durch Kohlekraftwerke. Sie sind verantwortlich für Zweidrittel der Quecksilber-Emissionen in Deutschland. Mit dem Regen fällt das Gift in die Flüsse. Es landet damit im Fisch und später auch auf unserem Teller. Das Tückische: Die wenigsten Menschen wissen von dieser Gefahr.

Die Donau ist, genau wie die anderen großen deutschen Flüsse, erheblich mit Quecksilber belastet. Das hat die Bundesregierung auf Anfrage der Grünen im Mai dieses Jahres freimütig eingeräumt:

"Die Umweltqualitätsnorm für Quecksilber ist in Fischen der Umweltprobenbankstellen an Rhein, Saar, Elbe, Mulde, Saale und Donau dauerhaft und flächendeckend um das etwa Fünf- bis 15-fache überschritten."

Info der Bundesregierung auf Anfrage der Grünen-Fraktion

Viel zu viel Quecksilber in den heimischen Fischen

Die Belastung der Donaufische beispielsweise liegt bis zu 16 Mal über der empfohlenen Umweltqualitätsnorm der Europäischen Union. Diese Norm bemisst die Wasserqualität unserer Flüsse. Sie sieht 20 Mikrogramm Quecksilber pro Kilo Fisch als Grenzwert vor – der aber wird seit Jahrzehnten überschritten. Der Landesfischereiverband wiegelt ab: Für den Menschen bestünde keine Gefahr. Dagegen warnt das Bundesinstitut für Risikobewertung: Schwangere und Stillende sollten besonders belastete Fische nicht essen. Dazu zählen Aal, Zander, Heilbutt und Thunfisch. Experten betrachten auch chronisch kranke Menschen als Risikogruppen – auch sie sollten Quecksilber-belastete Fische meiden.

Die Kohleverbrennung erzeugt neben dem klimaschädlichen CO2 einen regelrechten Giftcocktail: Neben Schwefeldioxid, Blei und Arsen auch große Mengen von Quecksilber. Pro Jahr blasen deutsche Kohlekraftwerke rund sieben Tonnen dieses Nervengifts in die Atmosphäre. Damit hält Deutschland einen traurigen Rekord. Es ist der größte Quecksilber-Emittent in ganz Europa. Der Grund: Immer noch stammt fast die Hälfte unseres Stroms aus Kohle. Die größten Dreckschleudern sind die Braunkohlekraftwerke. Eigentlich Grund genug zu handeln und die Quecksilber-Grenzwerte zu senken. 

Die Politik ist gefragt - handelt sie auch wirklich?

Anfang Juni in Sevilla. Vor dem Tagungs-Gebäude protestieren Greenpeace-Aktivisten gegen die toxische Wirkung von Kohlekraftwerks-Emissionen. Drinnen ringt die EU um neue Standards für den Schadstoffausstoß von Industrieanlagen. Am Verhandlungstisch: Vertreter der Mitgliedsstaaten, der EU-Kommission, und auch ziemlich viele Vertreter der Industrie dürfen mitreden. Daneben: Verschwindend wenige Experten von Umweltverbänden. Mit dabei war der Umweltingenieur Christian Tebert vom Forschungs- und Beratungs-Institut Ökopol. Sein Arbeitsschwerpunkt: die besten verfügbaren Techniken für Großkraftwerke. Er hat in der Technischen Arbeitsgruppe der EU im Auftrag der Umweltverbände mitgewirkt. Endlich, nach jahrelangen Verhandlungen, ist es so weit: Die EU legt erstmals Grenzwerte für Quecksilber aus Kohlekraftwerken vor. Doch das, was eine kleine Revolution hätte werden können, gleicht eher einer Besitzstandwahrung für die Betreiber.

"Diese Marke heißt im Grunde genommen: Business as usual, keine Minderung in den nächsten 15 Jahren, und das ist nicht das, was ich von der Europäischen Union erwarte. Ich erwarte Vorbildfunktion von einem der wirtschaftsstärksten Räume in der Welt insofern, auf diesen wirtschaftsstarken Raum guckt auch die Welt, guckt auch China, als größter Quecksilber-Emittent."

Christian Tebert von Ökopol  

Zu großzügie Grenzwerte

Deutschland verpestet die Luft mehr als irgendein anderes Land Europas und begnügt sich mit minimalen gesetzlichen Vorgaben. Die neuen EU-"Grenzwerte" sind um ein Vielfaches höher als die Werte, die in den USA festgelegt wurden und jetzt schon gültig sind. Die neuen EU-Standardts zwischen 4 und 7 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft werden erst in fünf Jahren gültig und gelten dann 10 Jahre lang. Hier wäre viel mehr drin gewesen, kritisiert der Umweltökomon Christian Tebert. Auf Anfrage des Bayerischen Rundfunks zeigte sich das Bundesumweltministerium aber zufrieden:

"In den nun festgelegten Bandbreiten sehen wir eine gute Basis zur Verminderung der Quecksilberemissionen aus Kraftwerken."

Bundesumweltministerium

Dabei betonte das Umweltbundesamt, Deutschlands zentrale Umweltbehörde, schon 2012 die Verantwortung Deutschlands. Das Amt schlug vor, den deutschen Grenzwert drastisch zu senken: 

"Neue Technologien ermöglichen nach unserem Kenntnisstand schon heute die Senkung der Reingaswerte auf Betriebswerte unter drei Mikrogramm pro Kubikmeter für nahezu alle Kohlekraftwerke in Deutschland. Wir erwarten, dass in wenigen Jahren die mittleren betrieblichen Reingaskonzentrationen unter einem Mikrogramm pro Kubikmeter liegen können. Damit ließe sich der Ausstoß der deutschen Kohlekraftwerke um knapp 80 % im Vergleich zu heute mindern. Hier ist die Politik gefordert."

Umweltbundesamt

Von dieser Forderung hat sich das Bundesumweltministerium offensichtlich nicht beeindrucken lassen. Hier zeigt man sich schon froh darüber, überhaupt eine europaweite Regelung gefunden zu haben.

"Wir führen jetzt erstmalig  für ganz Europa ein gemeinsames Grenzwerte-Regime für Quecksilberemissionen ein, darunter für Länder, die ihre Quecksilberemissionen bisher nicht mindern."

Bundesumweltministerium

Doch Umweltschutzverbände fragen sich: Was nützen Grenzwerte, wenn diese so großzügig ausfallen, dass zumindest in Deutschland kaum Handlungsbedarf besteht? Schon jetzt sind die künftigen Standards durch normale Reinigungstechniken für das Gros der Kohlekraftwerke erreichbar. Und die Grenzwerte sollen bis 2031 gelten. Dabei gibt es die Technologie zur wirksamen Quecksilberabscheidung längst. Besonders absurd: Sie ist die Entwicklung eines deutschen Ingenieurs. In den USA kommt sie bereits in dutzenden Kohlekraftwerken zum Einsatz. Und in Deutschland? Bisher nicht – das bestätigt der Entwickler. Der Europäische Fachverband für die Strom- und Wärmeerzeugung betrachtet die Technologie als "noch nicht ausgereift".

Absolut unverständlich, findet Christian Tebert von Ökopol, schließlich werde in den US-amerikanischen Kohlekraftwerken weit weniger Quecksilber ausgestoßen – dank der Filtertechnik. Er vermutet, es muss einen massiven Lobbyeinfluss gegeben haben, obwohl diese Techniken wenig kosten. Unter ein Mikrogramm zu kommen, das ist technisch möglich, und das sollte auch in Deutschland so ambitioniert umgesetzt werden.

Quecksilber hat eine Halbwertzeit von 20 Jahren

Eine zu hohe Quecksilber-Belastung kann massive gesundheitliche Folgen haben. Der Toxikologe und Umweltarzt Peter Jennrich behandelt Patienten wie Doreen Böhm, die durch ihre Arbeit mit Quecksilber in Berührung gekommen ist: 

"Ich hatte massiv Kopfbeschwerden, also Schwindel, Nebel im Kopf, war sehr unruhig, hatte Panikattacken, Ausschläge im Gesicht, am Bauch, an den Beinen, und immer wieder, wenn ich Fisch gegessen hab, hat sich die Symptomatik verstärkt."

Doreen Böhm, Patientin

Bei Fisch-Vielessern wie den Bewohnern von Grönland oder den südeuropäischen Ländern, aber auch bei Menschen hierzulande, die viel Fisch essen, sind gesundheitsgefährdend hohe Quecksilbergehalte bereits nachweisbar.

"Die Gefahr einer akuten Quecksilbervergiftung durch Fischkonsum ist sicherlich gering, die Gefahr einer chronischen Aufnahme und Belastung des Körpers mit Quecksilber durch monate- oder  jahrelangem Verzehr von Fisch ist dagegen relativ hoch. Quecksilber hat im Körper eine Halbwertzeit von über 20 Jahren, das ist das Problem, dass sich durch geringe Zufuhr von Quecksilber, die relativ regelmäßig oder auch mit Pausen stattfindet, die Gesamtmenge aufbauen kann. Und irgendwann treten Symptome auf und der letzte Fisch war dann vielleicht der Fisch zu viel."

Peter Jenrich, Toxikologe und Umweltarzt

Bayerns Fischer sind verunsichert

Anton Hartl ist einer der letzten Fischer an der Donau. Seit nunmehr 40 Jahren wirft er hier seine Netze aus. Nur in den letzten Wochen ist seine Freude am Fischen getrübt. Selbst Stammkunden bleiben fern nach einem Zeitungsartikel über hohe Quecksilber-Werte im Fisch.  

„Das letzte Wochenende, da hat man‘s schon gemerkt, da war der Fischverkauf sehr mager. Da hab ich nur zwei Fische verkauft und einen hab ich dann hergeschenkt, drei Fische aus der Donau. Und gehabt hab ich so ungefähr fünfzehn Stück.“

Anton Hartl fischt in der Donau

Vor allem die Quecksilberwerte der älteren und größeren Fische aller Gewässer, also auch der Meere, liegen häufig sehr hoch: Thunfisch, Schwertfisch, Hecht, Aal, Karpfen, Zander, Barsch. Vereinzelt treten Überschreitungen der Lebensmittelgrenzwerte für Quecksilber in Fischen auf, stellt auch das Umweltbundesamt fest. Wie sehr der Donaufisch oder überhaupt Fisch aus bayerischen Flüssen belastet sind, ist ungewiss, denn flächendeckende Beprobungen fehlen. Anton Hartl jedenfalls ist verunsichert.

"Kann man den Kundschaften sagen: Das könnt‘s vergessen, das macht nichts, das ist wenig, oder ist es doch nicht so? Ich will ja die Fische nicht mit einem schlechten Gewissen verkaufen."

Anton Hartl, Donaufischer

Die neuen laxen Grenzwerte lassen zu, dass auch in den nächsten 15 Jahren praktisch unvermindert Quecksilber aus Kohlekraftwerken ausgestoßen wird und in unsere Nahrungskette gelangt. Und: Deutschland setzt trotz aller ökologischen und gesundheitspolitischen Argumente dagegen weiter auf Kohlekraft. Seit 2009 nimmt der Anteil des Kohlestroms sogar zu. Außerdem werden munter weitere Kohlekraftwerke gebaut und geplant. Zumindest deren Quecksilberausstoß wäre deutlich zu reduzieren. Die Technik dafür gibt es. Die Nachrüstung der Kohlekraftwerke wäre nicht einmal teuer. Woran es offenkundig mangelt, ist das Problembewusstsein bei den politischen Entscheidungsträgern. Umweltverbände und die Opposition hoffen nun, dass die Bundesregierung sich zumindest auf nationaler Ebene an den unteren Grenzwerten orientiert.

Fischkonsum in Deutschland


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Volker Bräutigam, Montag, 06.Juli, 16:51 Uhr

3. Quecksilber in der Nahrungskette

Endlich einmal ein distanziert-kritischer Report über die toxischen Folgen der Profitorientierung der Energieversorger-Branche und das systemtypische Versagen der Großen Koaltion beim Schutz der Bevölkerung vor den Auswüchsen dieser Profitorientierung. Solche informativen Reportagen wünschte man sich regelmäßig.
Quecksilber in der Nahrungskette: Welch eine Prachtnachricht. Ergänzt um die Mitteilung, dass die Gesundheitsbehörden noch nicht mal über den Umfang der Verseuchung sichere Informationen haben und sich sowohl Regierung als auch die ihr nachgeordneten Ämter - so das Bundesamt für Risikobewertung - keinen Deut um sinnvolle und realisierbare Grenzwerte scheren. Dem Autor dieses Beitrags und der zuständigen Redaktion ist Dank zu zollen: Chapeau! Bitte mehr von dieser Sorte Journalismus, der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat sie dringend nötig.

Karin Wedel, Sonntag, 05.Juli, 14:38 Uhr

2.

Der Bürger wird in Deutschland nicht mehr geschützt. Schließung der Umweltministerien ist zu wenig. Es müssen sofort Neuwahlen angesetzt werden.
Eine Regierung die ihr Volk nicht mehr schützt, kann und muß vom Volk sofort ausgetauscht werden. Siehe auch Unabhängigkeitserklärung der USA.

12, Sonntag, 05.Juli, 11:16 Uhr

1. Schließung dt. Umweltministerien

Diese Umweltministerien kann man auch schließen, spart uns viel Geld. Ein Schutz für uns Bürger wird durch diese Ministerien ja wohl eher nicht verfolgt.
Siehe auch Einsatz von Glyphosat usw.