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Sekundärschädlinge bei gentechnisch veränderten Pflanzen

„Das Phänomen ist so alt wie der Pflanzenschutz selbst.“

Im Frühjahr 2010 gab es verschiedene Berichte über das Auftreten so genannter Sekundärschädlinge beim Anbau von Bt-Pflanzen. In den USA breitet sich offenbar der „Westliche Bohnenschneider“ aus, ein Schmetterling, dessen natürliche Konkurrenten als Folge des Anbaus von Bt-Mais dezimiert sind. In China treten in Bt-Baumwollfeldern verstärkt bestimmte Wanzenarten auf, die auch umliegende Obstplantagen befallen. Bringt der Anbau von Bt-Pflanzen Risiken mit sich, die bisher übersehen wurden? bioSicherheit sprach mit Johannes Jehle.

Johannes Jehle

PD Dr. habil. Johannes A. Jehle leitet das Institut für biologischen Pflanzenschutz des Julius-Kühn-Instituts in Darmstadt.

Sekundärschädlinge in den USA

In den Maisanbaugebieten der USA ist es offenbar zu einer Verschiebung des ökologischen Gleichgewichts von drei Schmetterlingsarten gekommen. Die Raupen des Maiszünslers, aber auch die des Baumwollkapselbohrers werden durch den Anbau von Mais, der das Bt-Protein Cry1Ab produziert, geschädigt. Dadurch konnte sich eine dritte Art, der „Western Bean Cutworm“, stärker vermehren. Diese Art ist nicht gegen Cry1Ab empfindlich. Inzwischen wurden in den USA gentechnisch veränderte Maissorten zugelassen, die mehrere Bt-Proteine produzieren, unter anderem auch Cry1F, das für den „Western Bean Cutworm“ toxisch ist.

Sekundärschädlinge in China

Bei Untersuchungen in sechs chinesischen Provinzen, in denen Bt-Baumwolle angebaut wird, stellten Wissenschaftler fest, dass sich Weichwanzen während der letzten zehn Jahre massiv ausgebreitet haben. Sie verursachen erhebliche Schäden sowohl in Baumwollfeldern als auch in nahegelegenen Obstplantagen. Der Studie zufolge konnten sie sich ausbreiten, weil beim Anbau von Bt-Baumwolle weniger Insektizide gespritzt werden. Inzwischen steige der Insektizidverbrauch in Bt-Baumwollanbaugebieten wegen der Bekämpfung der Weichwanzen wieder an.

bioSicherheit: Ist das Auftreten von Sekundärschädlingen ein neues Phänomen?

Johannes Jehle: Das Auftreten von Sekundärschädlingen ist ein Phänomen, das so alt ist wie der Pflanzenschutz selbst. Im Pflanzenschutz unterscheiden wir so genannte Primär- oder Hauptschädlinge und Sekundär- oder Nebenschädlinge. Die Bedeutung der Sekundärschädlinge fällt häufig in Anbetracht des Schadens der Primärschädlinge nicht ins Gewicht, oder sie werden als Nebeneffekt der Bekämpfung der Primärschädlinge ebenfalls kontrolliert.

Häufig kann man allerdings beobachten, dass beim Wegfall des Hauptschädlings, Sekundärschädlinge eine Nische finden und dann verstärkt auftreten.

bioSicherheit: Ist dieses Problem spezifisch für den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen?

Johannes Jehle: Sekundärschädlinge treten langfristig häufig dann auf, wenn eine Bekämpfung unspezifisch ist, sie können kurzfristig aber auch bei selektiven Verfahren beobachtet werden, sogar im biologischen und biotechnischen Pflanzenschutz, die ja hinsichtlich Selektivität und Spezifität unerreicht sind. So ist zum Beispiel die selektive Bekämpfung der Kohleule (Mamestra brassicae) sehr schwierig, weil im Kohl viele andere Schädlinge, wie der Kohlweißling, die Kohlmotte, der Kohlerdfloh usw. vorkommen. Man darf daher im Pflanzenschutz nie nur den einzelnen Schädling im Blick haben, sondern man muß immer das ganze Anbausystem betrachten.

Das Auftreten von Sekundärschädlingen ist daher kein spezifisches Problem beim Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen. Allerdings könnte es dort verstärkt werden, wenn man wegen der hohen Effizienz der Schädlingsbekämpfung auf andere Maßnahmen der guten fachliche Praxis, wie z. B. Fruchtwechsel, verzichtet, welche zu einer natürlichen Vorbeugung und Begrenzung des Schädlingsdrucks beitragen.

bioSicherheit: Welche Umstände begünstigen das Auftreten von Sekundärschädlingen?

Johannes Jehle: Generell sind drei Hauptgründe für das Auftreten von Sekundärschädlingen bekannt: erstens die Reduktion von Nützlingen und direkten Gegenspielern, zweitens die Reduktion von Nahrungs- bzw. Nischenkonkurrenten und drittens die selektive Wirkung auf Primärschädlinge unter Schonung von Sekundärschädlingen.

Die Faktoren, die das Auftreten von Sekundärschädlingen begünstigen, können aber sehr verschieden, manchmal sogar gegensätzlich, sein. Breitbandsinsektizide, wie sie heute kaum noch zugelassen sind, hielten z. B. häufig sowohl Hauptschädlinge als auch Nebenschädlinge in Schach und der Landwirt war zunächst mit ihrer Wirkung sehr zufrieden. Längerfristig wirken sich viele breitenwirksame Insektizide aber negativ auf das Vorkommen von Nützlingen aus, die eine große ökologische Leistung in der natürlichen Kontrolle potenzieller Schädlinge haben. Dadurch führt deren Anwendung längerfristig häufig zu einer Förderung bestimmter Sekundärschädlinge.

Verfahren der selektiven Schädlingsbekämpfung tragen dagegen wesentlich zur Schonung von Nützlingen bei, wodurch auch Sekundärschädlinge besser bekämpft werden können. Wenn man allerdings einem Schädlingskomplex mit zahlreichen Sekundärschädlingen gegenüber steht, können diese bei selektiver Bekämpfung des Hauptschädlings manchmal sogar verstärkt auftreten. Auch hier ist es dann wichtig, das natürliche Antagonistenpotenzial zu nutzen und zu fördern.

bioSicherheit: Wie kann man dem Auftreten von Sekundärschädlingen vorbeugen?

Johannes Jehle: Dafür muß man keine neuen Methoden erfinden, sondern die Erkenntnisse aus der guten fachlichen Praxis und einer nachhaltigen Landwirtschaft anwenden. Hierzu gehören beispielsweise Fruchtwechsel, Bodenbearbeitung, eine hohe biologische Diversität im Anbausystem und die Förderung natürlicher Gegenspieler der Schädlinge. Eine einzelne Methode oder ein einzelner Wirkort bedeutet immer Selektion in eine bestimmte Richtung: sei es in Richtung resistenter Ziel-Organismen, sei es in Richtung vermehrten Auftretens von Sekundärschädlingen, die bisher keine Rolle gespielt haben. Deshalb ist es wichtig, Schädlingsbekämpfung auf einem möglichst breiten und vielschichtigen Methodenspektrum aufzubauen.

Auch der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen wird daher langfristig nicht auf begleitende Maßnahmen, seien es chemische oder biologische Verfahren, verzichten können. Ob sich das dann noch ökonomisch rechnet, steht auf einem anderen Blatt.

bioSicherheit: Ist es aus Ihrer Sicht eine sinnvolle Strategie, mit Hilfe von stacked genes gegen Sekundärschädlinge vorzugehen, also zusätzliche Bt-Proteine von den Nutzpflanzen produzieren zu lassen, so dass sie gegen ein größeres Schädlingsspektrum wirken?

Johannes Jehle: Man kommt damit nach meiner Meinung sicherlich zu einem kurzzeitigen Erfolg, man löst aber nicht das langfristige Problem. Mit jedem Schädling, den man bekämpft hat, öffnet man eine neue Nische für einen anderen potenziellen Schädling. Daher ist es so wichtig, möglichst ökologisch stabile Anbausysteme zu entwickeln. Wenn man also nicht an den Grundursachen dieses Phänomens ansetzt, ist dieser Kampf – wie wir ihn seit Jahrzehnten, wenn nicht seit Jahrhunderten im Pflanzenschutz kennen - immer nur ein Wettlauf mit der Zeit. Insofern ist das Auftreten von Sekundärschädlingen nicht spezifisch für den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen - andererseits wird dieses Problem auch nicht von der Gentechnik gelöst.

bioSicherheit: Vielen Dank für das Interview.