Zivilprozessrecht

Beweisaufnahme und Beweiswürdigung

1. Beweis
2. Beweismittel
3. Zeuge
4. Sachverständiger
5. Augenschein
6. Urkunde
7. Parteivernehmung
8. Verfahren
9. Beweislast
10. Beweiswürdigung

 

1. Beweis im Gutachten

Die Behandlung des Prozessstoffes in der Kläger- und Beklagtenstation dient der Klärung, ob der Rechtsstreit ohne Beweisaufnahme zu entscheiden ist oder aber ob über bestimmte Fragen eine Beweisaufnahme erforderlich wird. Erforschung des Sachverhalts und Tatsachenfeststellungen sind in der Gerichtspraxis häufig schwieriger als die Rechtsanwendung. Jedenfalls kann davon ausgegangen werden, dass die für die Entscheidung des Rechtsstreites erforderliche Erforschung des Sachverhaltes gleichgewichtig neben Problemen der Rechtsanwendung steht.

In der Beweisstation sind grundsätzlich keine Rechtsausführungen mehr zu machen. Rechtliche Erörterungen haben ihren Platz in den vorangegangenen Stationen.

In der Beweisstation kommt es auf folgende Punkte an:

Die allgemeinen Regeln zum Beweis stehen in §§ 355-370 ZPO.

a) Beweiserheblichkeit

Es darf nur Beweis erhoben werden über Tatsachenbehauptungen, die für die Entscheidung des Rechtsstreites erheblich sind. Dies ist der Kläger- bzw. der Beklagtenstation zu entnehmen.

b) Beweisbedürftigkeit

Beweisbedürftig sind Tatsachenbehauptungen in der Regel dann, wenn sie bestritten werden. Demzufolge fehlt es an einer Beweisbedürftigkeit z. B.:

c) Beweispflicht

Schließlich stellt sich die Frage, wer für die aufgestellte Tatsachenbehauptung beweispflichtig ist. Zur Beweislast wird später Stellung genommen. Die Beweislast ist deshalb von besonderer Bedeutung, weil bei fehlendem Beweisantritt oder einer Beweisaufnahme, die nicht mit der erforderlichen Gewissheit zur Überzeugung des Gerichts führt, eine Entscheidung zu Lasten der beweispflichtigen Partei ergeht.

Häufig wird die beweispflichtige Partei den Beweis zu sog. Haupttatsache (z. B. Vertragsabschluss) nicht führen können. Die Partei wird dann Indizien anführen, sog. Hilfstatsachen, welche den Rückschluss auf die Haupttatsache zulassen sollen.

Bei einem Streit über einen Vertragsschluss trägt der Kläger vor: Der Beklagte habe nach Vertragsabschluss mehrfach zugesichert, er werde den Vertrag erfüllen; der Beklagte habe Leistung bereits angeboten; er habe Dritten gegenüber von dem Vertragsschluss berichtet usw.

Hier ist im Rahmen der Beweisstation erneut zu prüfen, ob die Indizien, wenn sie bewiesen würden, den Rückschluss auf die Haupttatsache zulassen. Nur dann ist über die Indizien selbst Beweis zu erheben.

Häufig führen beide Parteien ein Beweismittel für einen jeweils abweichend geschilderten tatsächlichen Verlauf an. Das Gericht muss dann gleichwohl Überlegungen anstellen, wer die Beweisführungslast trägt.

d) Beweisbeschluss

Ein Beweisbeschluss lautet dann z. B. wie folgt:

 

2. Beweismittel

Die ZPO regelt nur folgende Beweismittel:

Weitere Beweismittel sind für den sog. strengen Beweis nicht vorgesehen. Die ZPO sieht zwar in § 273 Abs. 2 Nr. 2 ZPO amtliche Auskünfte vor. Darunter fallen auch dienstliche Äußerungen, behördliche Zeugnisse. Derartige Auskünfte sind je nach Inhalt entweder als Zeugenaussage, Urkundenbeweis oder Sachverständigengutachten zu werten.

Ferner sind z. B. Tonbandaufnahmen keine eigene Kategorie von Beweismitteln, sondern zählen entweder zum Urkunden- oder Augenscheinsbeweis. Kein Beweismittel ist eine eidesstattliche Versicherung oder eine schriftliche Zeugenaussage (Ausnahme § 377 Abs. 3,4).

 

3. Zeugenbeweis (§§ 373-401 ZPO)

Der Zeugenbeweis ist in der gerichtlichen Praxis der häufigste, wenn auch der unzuverlässigste Beweis. Zeuge kann nicht sein die Partei selbst bzw. ihr gesetzlicher Vertreter (Komplementär, Geschäftsführer, Vorstandsmitglied, Insolvenzverwalter). Es wird lediglich auf die formale Rolle abgestellt.

Zulässigerweise können deshalb nahe Verwandte, der rechtsgeschäftliche Vertreter, der allein die strittigen Verhandlungen geführt und abgeschlossen hat, der an dem Geschäft wirtschaftlich Interessierte usw. als Zeugen benannt werden. Es obliegt dann dem Gericht im Einzelfall, die Glaubwürdigkeit der Zeugen zu würdigen.

a) Verfahren

Die Pflicht, als Zeuge zu erscheinen und auszusagen, stellt eine allgemeine Staatsbürgerpflicht dar. Diese Pflicht kann zwangsweise durchgesetzt werden (Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft bei Ausbleiben § 380 ZPO, zwangsweise Vorführung).

Gewissen Personen steht jedoch ein Zeugnisverweigerungsrecht zu (vgl. §§ 383 ff. ZPO), auf welches die Person ausdrücklich vor ihrer Vernehmung hingewiesen werden muss.

Die Zeugen werden jeweils einzeln und in Abwesenheit der später anzuhörenden Zeugen vernommen. Die Vernehmung beginnt mit eine Belehrung über die Wahrheitspflicht (§ 395 ZPO). Es folgen dann Angaben zur Person und zur Sache.

Der Zeuge sollte zum Gegenstand seiner Vernehmung zunächst einen sog. spontanen Zeugenbericht, eine zusammenhängende Schilderung geben, um anschließend durch das Gericht, die Anwälte und die Parteien zusätzlich befragt zu werden. Ein derart zusammenhängender Bericht ist als eine erhebliche intellektuelle Leistung anzusehen. Probleme ergeben sich hier zum einen aus dem Sprachverhalten des jeweiligen Zeugen und seinen Möglichkeiten, gewisse Geschehensabläufe sprachlich differenziert wiederzugeben. Zum anderen sind aus der Sicht der Zeugen weitausholende Erläuterungen erforderlich, die dem Gericht aus der Akte bereits längst bekannt sind oder für nicht entscheidungserheblich gehalten werden. Ferner trennen Zeugen sehr häufig nicht zwischen dem, was sie selbst wahrgenommen haben und Schlussfolgerungen, die sie selbst aus gewissen Umständen ziehen oder Kenntnis, die sie von Dritten erhalten haben. Bei der Vernehmung von Zeugen ist es daher von großer Bedeutung, dass die Vernehmungssprache einen möglichst geringen Abstraktionsgrad aufweist und dem Zeugen verdeutlicht wird, zu welchen Punkten er konkret aussagen soll, ohne ihn durch Suggestivfragen zu beeinflussen. Ferner sollte die Vernehmungstechnik so gestaltet sein, dass sie zu einer Aufschließung und Enthemmung des Zeugen führt, ihn nicht unter Zwang setzt und ihn nicht überfordert
Vgl. Arntzen, Vernehmungspsychologie 1978; Bender/Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 2 Bde., 2. Aufl. 1995; Egon Schneider, Beweis und Beweiswürdigung, 5. Aufl. 1994.

Es sollte bei widersprüchlichen Zeugenaussagen nur mit großer Zurückhaltung angenommen werden, dass ein Zeuge bewusst die Wahrheit sagt. Unterschiedliche Darstellungen desselben Sachverhaltes berühren ein grundsätzliches Problem der Wahrnehmungspsychologie. Untersuchungen haben gezeigt, dass Zeugen denselben Vorgang ganz unterschiedlich wahrgenommen und interpretiert haben. Dies hängt u.a. damit zusammen, dass diejenigen Dinge, die der Zeuge aufgenommen und behalten hat, in der Regel im engen Zusammenhänge stehen mit dem Grad von Aufmerksamkeit und Interesse, welches der Zeuge gerade bestimmten Einzelheiten gegenüber aufgebracht hat. Hier spricht man von sog. selektiver Wahrnehmung. Zum anderen kann sich nach Ablauf einer gewissen Zeit und einer mehrfach wiederholten Schilderung gewisser Vorgänge im Familien- und Bekanntenkreis das Erinnerungsbild des Zeugen verschoben haben, dass er später von Dritten bekundete Tatsachen für eine eigene Wahrnehmung hält. Die an sich auch im Zivilprozess vorgesehene Beeidigung (§ 391 ZPO) erfolgt sehr selten.

 

4. Beweis durch Sachverständige (§§ 402-414 ZPO)

Der Sachverständigenbeweis spielt im Zivilprozess insbesondere bei Bausachen, Kfz.-Käufen, Straßenverkehrsunfällen und Arzthaftungsprozessen eine entscheidende Rolle. Der Sachverständigenbeweis soll dabei die fehlende Kenntnis von abstrakten Erfahrungssätzen ermitteln. Er wirkt somit als Gehilfe des Gerichts. In der Realität liegt es jedoch häufig so, dass der Richter zwar berechtigt und verpflichtet ist, dem falschen, widersprüchlichen oder zweifelhaften Gutachten die Gefolgschaft zu verweigern. Dies zu erkennen, setzt jedoch häufig spezifische Kenntnisse und lange Erfahrung voraus, so dass der Richter häufig dem sachverständigen Gehilfen praktisch ausgeliefert ist.

Entscheidend kommt es daher darauf an, einen kompetenten Sachverständigen zu finden. Soweit das Gericht einen derartigen Sachverständigen nicht aus eigener Kenntnis vorschlagen will, ergeht ein solcher Vorschlag von der jeweiligen berufsständischen Organisation. Den Parteien wird dabei jedoch die Gelegenheit gegeben, zu dem in Aussicht genommenen Gutachter vorab Stellung zu nehmen.

Schwierig ist gelegentlich die Abgrenzung des Sachverständigen vom sog. sachverständigen Zeugen (§ 414 ZPO). Wer aus eigener Wahrnehmung über Tatsachen berichtet, bleibt Zeuge, auch wenn er insoweit besondere Sachkunde besitzt (behandelnder Arzt; Gutachter, der einen PKW vor dem Rechtsstreit gesehen bzw. begutachtet hat; Architekt, der mit einer Partei bereits Mängel des Bauvorhabens besichtigt hat). Die Einstufung spielt auch für die Höhe der Vergütung bei einer Vernehmung eine wichtige Rolle. Als wichtiges Unterscheidungskriterium kann dienen, ob die jeweils betreffende Person durch einen anderen mit gleichem Fachwissen ersetzbar ist (Sachverständiger), oder ob er über nur ihm bekannte Vorgänge berichtet (Zeuge).

Häufig werden vor Beginn eines Prozesses von einer Partei Privatgutachten erstellt, die durchaus von vereidigten Sachverständigen stammen können. Ein derartiges Gutachten stellt keinen Sachverständigenbeweis dar. Das Gutachten bleibt lediglich Parteivortrag, der vorgerichtliche Privatgutachter sachverständiger Zeuge. Jedoch kann im Einzelfall das zuvor erstellte Privatgutachten urkundenbeweislich verwertet werden.

Die Anordnung des Sachverständigenbeweises erfolgt durch Beweisbeschluss. Obwohl in der Praxis zumeist ein entsprechender Beweisantrag einer Partei vorliegt, ist er an sich nicht erforderlich, da der Richter mangels eigener Sachkunde der Unterstützung durch einen Sachverständigen bedarf (§ 144 ZPO). Das Gericht kann somit Sachverständigenbeweis auch von Amts wegen erheben. Wichtig ist jedoch auch hier die Verteilung der Beweislast, da die beweispflichtige Partei einen zumeist erheblichen Kostenvorschuss für den Gutachter einzahlen muss.

Der Gutachter erhält die Gerichtsakten zur Verfügung. Er erstattet sodann in der Regel ein schriftliches Gutachten. Wichtig ist für den Gutachter, dass er den Parteien in gleicher Weise wie das Gericht rechtliches Gehör einräumt, ihnen Termine zur Besichtigung des betreffenden Beweisobjektes mitteilt und nicht einseitige Informationen von einer Seite entgegennimmt. Verletzungen dieser Grundsätze  stellen in der Regel einen Ablehnungsgrund dar. Es muss sodann ein neues Gutachten eingeholt werden.

Das schriftliche Gutachten wird im nächsten Termin zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht und dadurch in den Prozess eingeführt. Das Gericht kann bei Kompliziertheit der Materie, oder bleibender Unklarheiten eine mündliche Erläuterung fordern und das Erscheinen des Sachverständigen zur mündlichen Verhandlung anordnen (§ 411 ZPO). Das Gericht muss dies tun, wenn eine Partei dies beantragt.

Häufig wird eine Partei ein neues Gutachten beantragen, wenn das erstellte Gutachten nachteilig für diese Partei ausgegangen ist. Eine wichtige Vorschrift stellt insoweit § 412 ZPO dar, wonach ein weiteres Gutachten nur dann einzuholen ist, wenn das Gericht das Gutachten für ungenügend erachtet, also den Gutachter für fachlich nicht kompetent hält oder gravierende Fehler festzustellen meint.

Grundsätzlich kann keine Partei ein weiteres Gutachten, wenn das vorgelegte ihr nachteilig ist.

 

5. Beweis durch Augenschein

Augenschein bedeutet, dass Beweis durch unmittelbare Wahrnehmung von beweiserheblichen Tatsachen durch das Gericht erfolgt. Eines formellen Antrages bedarf es hierzu nicht. Die sogenannten Ortstermine haben - insbesondere in Bau- Miet und Unfallprozessen - eine wichtige Funktion. Es ist sinnvoll, zu einem derartigen Ortstermin die Parteien persönlich zu laden sowie Zeugen und einen Sachverständigen hinzuzuziehen.

 

6. Beweis durch Urkunden

Beweisantritt durch Urkunde erfolgt durch Vorlage bei Gericht. Grundsätzlich ist die Originalurkunde vorzulegen. In der Praxis reichen jedoch die Parteien zumeist Ablichtungen ein, wobei davon auszugehen ist, dass die Abgabe der Erklärungen in den fotokopierten Urkunden unstreitig sind, so dass es einer Beweiserhebung darüber nicht bedarf.

Zu den Urkunden gehören z. B. Vertragstexte, der zwischen den Parteien gewechselte Schriftverkehr, amtliche Auskünfte sowie insbesondere auch Beiakten aus anderen Gerichtsverfahren. Augenscheins- und Vernehmungsprotokolle in Beiakten dürfen auch gegen den Widerspruch des Gegners der beweisführenden Partei urkundenbeweislich verwertet werden, wenn die Akte Gegenstand der mündlichen Verhandlung war und den Parteien zugängliche gemacht worden ist.

Relationstechnisch ist jeweils zu prüfen, ob eine Partei, welche mit einem Schriftsatz zugleich Urkunden einreicht, diese Urkunden zum Gegenstand ihres Vortrages macht oder aber sie als Beweismittel anführt. Ergibt die Auslegung, dass die Urkunde zum Klägervortrag gehört, ist sie voll inhaltlich in die Schlüssigkeitsprüfung miteinzubeziehen.

 

7. Beweis durch Parteivernehmung (§§ 445-455 ZPO)

a) Subsidiäres Beweismittel, Parteiantrag

Bei der Parteivernehmung handelt es sich um ein subsidiäres Beweismittel. Voraussetzung ist, dass eine beweispflichtige Partei den Beweis mit anderen Beweismitteln nicht vollständig geführt oder andere Beweismittel nicht vorgebracht hat (§ 445 ZPO). Über die zu beweisende Tatsache ist dann der Prozessgegner als Partei zu vernehmen, nicht etwa die eigene Partei. Voraussetzung für die Parteivernehmung ist ein entsprechender Antrag sowie ein formeller Beweisbeschluss (§ 450 ZPO). Die beweisbelastete Partei kann auf ihren Antrag hin jedoch dann als Partei vernommen werden, wenn die andere Partei damit einverstanden ist (§ 447 ZPO). Dies ist in der Praxis jedoch praktisch niemals der Fall.

b) Ausnahme: Parteivernehmung von Amts wegen (§ 448 ZPO)

Ohne Antrag und somit von Amts wegen (§ 448 ZPO) kann das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen eine Partei unabhängig von der Beweislast vernehmen, wenn die bestrittene Behauptung schon fast bewiesen ist und die Parteivernehmung nur noch letzte Zweifel beseitigen soll (BGH NJW 1994, 320; OLG München NJW-RR 1996,958). Diese Einschränkungen der Parteivernehmung von Amts wegen beruhen aber auf einer durch die Rechtsprechung vollzogenen Auslegung. Sie sind dogmatisch nicht zwingend. Beweisvernehmung von Amts wegen kann durchaus auch dann angewandt werden, wenn keine Beweisaufnahme stattgefunden hat oder eine durchgeführte Beweisaufnahme kein oder ein negatives Ergebnis geliefert hat (Wittschier DRiZ 1997, 247). Steht jedoch in einer Beweisaufnahme Aussage gegen Aussage, so kommt eine Vernehmung der beweisbelasteten Partei wohl nicht in Betracht. Vernehmungen nach § 448 ZPO sind in der Praxis ausgesprochen selten. Jedoch muss das Gericht im Rahmen seiner Ermessensausübung stets überlegen, ob bereits soviel Beweis erbracht ist, dass eine Parteivernehmung von Amts wegen vorzunehmen ist. Dies ist aber eine absolute Mindermeinung.

c) Persönliche Anhörung einer Partei (§ 141 ZPO)

Keine Parteivernehmung, sondern nur eine Ergänzung des Parteivortrages ist die persönliche Anhörung der Parteien gem. § 141 ZPO. Hiervon sollte soweit die Zeit zur Verfügung steht, recht häufig Gebrauch gemacht werden. Denn die Anhörung der Partei im Gerichtssaal führt häufig zu erheblichen Veränderungen in der bisherigen Sachverhaltsdarstellung; die eigentlichen, hinter dem Prozess stehenden Konflikte werden deutlicher; der Richter erhält einen persönlichen Eindruck, der für die Gesamtbewertung des Rechtsstreites nicht ganz unerheblich sein dürfte.

Die Vernehmung nach § 141 ZPO ist keine Beweisaufnahme. Gleichwohl darf das Gericht im Rahmen seiner Überzeugungsbildung nach § 286 ZPO die Aussage einer Partei als glaubwürdig erachten und ihr folgen, selbst wenn Zeugen andere Bekundungen gemacht haben (BGH NJW 1960, 100; NJW 1963, 2070; MDR 1967, 834).

d) Problem: Partei . / . Angestellten oder Bevollmächtigten als Zeugen

Eine unzuträgliche Situation kann sich ergeben, wenn über einen beweiserheblichen Umstand nur zwei Personen aussagen können, die eine Person aber Partei des Rechtsstreits ist (Kläger bzw. gesetzlicher Vertreter) und damit als Zeuge ausscheidet, die andere Person aber als Bevollmächtigter oder bloßer Angestellter eine Zeugenaussage machen kann. In gleicher Weise gilt dies, wenn eine Vertragspartei ihre Ansprüche an Dritte abgetreten hat und damit als Zeuge auftreten kann.

Hier hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg eine weitreichende Entscheidung zur Waffengleichheit im Prozess getroffen, die zu einer Diskussion um das formelle Beweisrecht geführt hat (Schlosser NJW 1995, 1404; Schöflin NJW 1996, 2134; Wittschier DRiZ 1997, 247).

Filialleiter - EGMR NJW 1995, 1413: Ein Gespräch hatte zwischen dem Geschäftsführer der klagenden GmbH und dem Filialleiter der beklagten Bank stattgefunden. Der Filialleiter konnte als Zeuge aussagen, während der Geschäftsführer der Klägerin Parteivertreter war und als Zeuge nicht in Betracht kam. Das Gericht folgte der Aussage des (einzigen!) Zeugen und wies die Klage ab.
EGMR:
Der EGMR sah die Waffengleichheit verletzt und verlangt von den nationalen Rechtsordnungen eine vernünftige Beweismöglichkeit ohne substantielle Benachteiligung.

Erforderlich wird eine Neuinterpretation der Parteivernehmung und damit möglicherweise eine Anwendung des § 448 ZPO ohne die bisherigen Einschränkungen. Das OLG München (NJW-RR 1996, 958) hat dies aber bereits abgelehnt, weil es Grundprinzipien des deutschen Prozessrechtes widerspräche, die Parteivernehmung wie eine Zeugenvernehmung zu bewerten.

Es wird ferner vorgeschlagen, die Anhörung nach § 141 ZPO wie ein Beweismittel zu bewerten, obwohl die Anhörung einer Partei zumeist zu Beginn eines Prozesses und nicht als abschließender Teil einer Beweisaufnahme stattfindet (Schöflin NJW 1996, 2134). Generell wird aber eine Anhörung nach § 141 ZPO im Lichte der Waffengleichheit aufzuwerten sein (Deubner Jus 1997, 836, 837 unter Hinweis auf OLG Zweibrücken Urt. v. 18.3.1997 5 U 4/96).

Der BGH hat diese Problematik in einer Entscheidung zur Versicherung bei Kfz-Diebstahl nicht ausdrücklich angesprochen, jedoch Beweisregeln nochmals präzisiert (BGH NJW 1997, 1988): Die beweispflichtige Partei muss vorhandene Zeugen benennen. Tut sie dies nicht, ist sie beweisfällig und eine Parteivernehmung nach § 448 ZPO oder die Verwertung einer Anhörung nach § 141 ZPO kommt nicht in Betracht. Der Richter ist jedoch zur möglichst vollständigen Aufklärung des Sachverhaltes verpflichtet. Ist eine Partei in Beweisnot, weil ihr kein Beweismittel zur Verfügung steht oder dieses nicht ausreicht, kann eine Anhörung nach § 141 ZPO oder Vernehmung nach § 448 ZPO erfolgen. Ob der Richter der Partei glaubt, ist dann eine Frage seiner Überzeugungsbildung (vgl. ferner OLG Zweibrücken NJW 1998, 167).

Der BGH hatte nunmehr Anlass, zu diesen Fragen genauer Stellung zu nehmen.

Vieraugengespräch - BGH NJW 1999, 363: Es ging um ein "Vieraugengespräch" zwischen einem Mitarbeiter des Klägers mit dem Beklagten und um Probleme der Abwerbung.
BGH:
In einer derartigen Situation kommt nicht nur der Mitarbeiter als Zeuge in Betracht, sondern es kann auch der Beklagte nach § 448 ZPO vernommen werden, wobei allerdings auch eine Anhörung nach § 141 ZPO ausreichen würde. Die Entscheidung des EGMR wurde herangezogen.

e) Parteiaussage und Geständnis nach § 288 ZPO zu Lasten einer Versicherung

Die Parteivernehmung birgt ein weiteres Problem. Eine Partei räumt im Rahmen der Parteivernehmung eine bisher bestrittene Tatsache ein. Ist das Gericht daran gebunden, weil die Tatsache nun nicht mehr streitig ist? Das Gericht kann den Verdacht haben, dass die Parteien zulasten einer Versicherungen einen Betrug versuchen.

Glatteis - BGH NJW 1995, 1432 Der versicherte Beklagte wurde auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Er bestritt zunächst, dass auf der Treppe Glatteis gewesen sei. Bei der Parteivernehmung räumte er aber ein, dass es doch Glatteis gegeben habe. Hätte die Beklagte ein Geständnis nach § 288 ZPO abgegeben, wäre das Gericht hieran gebunden gewesen; in diesem Fall hätte die Beklagte  aber eine Obliegenheitsverletzung gegenüber ihrer Versicherung begangen und den Versicherungsschutz verloren. Die Frage war, ob die Parteiaussage einem Geständnis gleich steht.
BGH:
Der BGH verneinte dies (unter Abkehr von seiner bis dahin geltenden Auffassung) und eröffnete dem Tatsachengericht eine freie Beweiswürdigung (kritisch hierzu Hülsmann NJW 1997, 617).

Es bleibt aber auch weiterhin eine grundsätzliche Problematik, ob dem Gericht wegen des Verhandlungs- und Beibringungsgrundsatzes eine Würdigung unstreitiger Tatsachen untersagt ist, wenn das Gericht erhebliche Zweifel an dem Wahrheitsgehalt hat (vgl. Scherer DRiZ 1996, 58).

 

8. Beweisaufnahme: Verfahren

Die Anordnung einer Beweisaufnahme erfolgt durch Beschluss.
- Das Gericht kann bereits vor der mündlichen Verhandlung einen derartigen Beweisbeschluss erlassen (§ 358a ZPO).
- Es kann aber auch Zeugen gem. § 273 ZPO vorsorglich zum Termin laden und den Beweisbeschluss erst in der mündlichen Verhandlung verkünden.
- Schließlich kann das Gericht nach Abschluss der mündlichen Verhandlung selbst oder in einem anzuberaumenden Verkündungstermin einen dahingehenden Beschluss verkünden.

§ 359 ZPO enthält den Inhalt eines formellen Beweisbeschlusses. Ein derartiger Beschluss ist erforderlich, wenn die Beweisaufnahme in einem gesonderten Verfahren stattfindet (§ 358 ZPO) oder wenn Parteivernehmung angeordnet werden soll (§ 450 ZPO). In allen anderen Fällen kann die Anordnung durch formellen Beschluss erfolgen, ohne dass das Beweisthema ausformuliert werden muss. Die formlose Beweisanordnung hat den Vorteil, dass dadurch eine unerwünschte Suggestivwirkung auf den Zeugen vermieden wird. Das Beweisthema sollte jedoch allgemein bei Ladung der Zeugen bezeichnet werden, damit der Zeuge die gegebenenfalls erforderlichen Unterlagen heranzieht, durchsieht und zum Termin mitbringt.

 

9. Beweislast

Soweit sich in der Gerichtsakte noch keine Beweisaufnahme befindet und der Beweis somit noch nicht erbracht ist, muss vor der Formulierung eines formellen Beweisbeschlusses die Beweislast geklärt werden. Die Beweislast entscheidet über die Frage, wer für eine rechtserhebliche, beweisbedürftige Tatsache Beweis anbieten muss. Die Beweislastentscheidung steuert einen Zivilprozess zentral. Derjenige, dem die Beweislast für bestimmte Tatsachen obliegt, trägt auch insoweit die Darlegungs- und Behauptungslast. Behauptungslast und Beweislast sind somit deckungsgleich.

Die Behauptungslast ist somit eine Folge und Vorwirkung der Beweislast. Folglich muss bereits in der Kläger- bzw. Beklagtenstation vorab überlegt werden, inwieweit im Hinblick auf die Beweislast der Darlegungslast genügt und somit hinreichend substantiiert vorgetragen wurde. Tritt die beweisbelastete Partei trotz richterlichen Hinweises (§ 139 ZPO) keinen Beweis an, so wird sie als beweisfällig behandelt, wenn das Gericht eine mögliche Beweisaufnahme von Amts wegen pflichtgemäß abgelehnt hat.

Führt eine Beweisaufnahme nicht zur Überzeugung des Gerichts, unterliegt die beweispflichtige Partei.

a) Grundregel

Als Grundregel gilt:

Die klagbegründenden Tatsachen kann der Beklagte bestreiten, indem er die Behauptung des Klägers schlicht leugnet oder eine andere Darstellung gibt (Klagleugnung). Er zwingt dann den Kläger zum Nachweis der anspruchsbegründenden Tatsachen.

Im Vertragsrecht kann der Beklagte z. B. den Vertragsabschluss insgesamt bestreiten oder aber einen anderen Vertragsinhalt darstellen (Kläger behauptet Vertragsabschluss - Beklagter bestreitet dies nicht, behauptet aber, es sei eine Zusicherung gegeben, Stundung vereinbart oder ein niedriger Festpreis vereinbart worden). Der Beklagte bestreitet jeweils, den Vertrag unter den vom Kläger behaupteten Bedingungen angenommen zu haben, behauptet einen anderen Vertragsinhalt, leugnet somit den Vertragsabschluss und zwingt den Kläger zum Beweis dafür, dass die Behauptungen des Beklagten unzutreffend sind (eine gewisse Modifizierung findet dies jedoch durch den sogenannten Anscheinsbeweis; im einzelnen umstritten).

Für Einwendungen und Einreden trägt  der Beklagte die Beweislast. Einwendungen sind insbesondere dann anzunehmen, wenn ihre Wirkung erst nach Entstehung des Einspruches eintritt (Erfüllung, Rücktritt, Wandlung, Aufrechterhaltung, Anfechtung).

Zu den anspruchsbegründenden Voraussetzungen, die der Kläger zu beweisen hat, gehören nur die normalen Entstehungstatbestände.

Außergewöhnliche, anormale Entstehungshindernisse muss der Beklagte beweisen. Dazu gehören: Geschäfts- oder Deliktsunfähigkeit, Scheingeschäft, Sittenwidrigkeit.

Für das Vertragsrecht ist in § 282 BGB eine wichtige Beweislastregel für den Fall der Unmöglichkeit enthalten. In der Regel muss der Vertragspartner, der eine objektive Pflichtverletzung begangen hat, sich exkulpieren (also sein fehlendes Verschulden nachweisen). Diese Regel basiert auf der Idee, dass der Vertragsverletzer am leichtesten die Verhältnisse in seinem Betrieb aufklären kann.
Einen allgemeinen Grundsatz mit dem Inhalt, dass derjenige beweispflichtig ist, der tatsächlich die besseren Informationsquellen besitzt, die besseren Aufklärungsmöglichkeiten hat oder den jeweiligen Gefahrenbereich beherrschte, gibt es im Prinzip nicht. In Einzelfragen ist jedoch jeweils eine Modifizierung möglich.

Negative Anspruchsvoraussetzungen hat ebenfalls der Anspruchsteller darzulegen und zu beweisen. Allerdings muss ihm der Gegner einen Hinweis auf die positiven Tatsachen geben, die das Merkmal widerlegen. Es ist dann Sache des Beklagten, dazu Stellung zu nehmen und Beweis für seinen Sachvortrag anzubieten.

Kontoabhebungen BGH 18.05.99 - X ZR 158/97, NJW 1999, 2887 = JuS 2000, 189: Der Kl. ist Sohn des Erblassers, der nicht ihn, sondern seinen Enkel zum Erben eingesetzt hatte. Der Nachlass wird vom Bekl. (Testamentsvollstrecker) verwaltet. Der Kl verlangt vom Bekl. Ersatz der Beerdigungskosten in Höhe von 10.000 DM. Im letzten Lebensjahr hatte der Kl. über 80.000 DM vom Konto des Erblassers abgehoben. Er hatte Vollmacht. Der Erblasser hatte dem Kläger selbst ebenfalls Beträge überwiesen. Der Bekl. rechnet insoweit auf und verlangt 72.600 DM vom Kläger. Der Kl. behauptet, der Erblasser habe ihm Anfang Januar 1991 das Guthaben auf dem Konto geschenkt, ohne dies näher zu erläutern. Der Bekl. dagegen behauptet, dass es keinen Rechtsgrund für die Abhebungen gegeben habe. OLG folgte dem Vortrag des Bekl., BGH hob auf und wies zurück.
BGH:
AGL: § 812 BGB (Leistungskondiktion): Selbst wenn der Erblasser den Abhebungen zugestimmt haben sollte, muss kein Rechtsgrund vorgelegen haben. Da beide Parteien Gegenteiliges behaupten, kommt es auf die Darlegungs- und Beweislast an. Diese trifft den Bekl. als Anspruchssteller. Der Kl. hat seiner Pflicht genüge getan und einen Grund genannt.

b) Urkunde

Liegt jedoch eine von beiden Parteien unterzeichnete Urkunde vor, so verändert sich die Beweislast. Dann gilt der Grundsatz, dass die Urkunde die widerlegliche Vermutung in sich birgt, dass die Absprachen der Parteien vollständig und richtig in der Urkunde enthalten sind. Beweispflichtig ist dann derjenige, der sich auf einen abweichenden Inhalt beruft.

c) Anscheinsbeweis, Prima-facie-Beweis

Der beweisbelasteten Partei hilft jedoch unter bestimmten Voraussetzungen der sogenannte Anscheinsbeweis (Prima-facie-Beweis). Von einem Prima-facie-Beweis spricht man dann, wenn ein typischer Geschehensablauf vorliegt. Eine Lücke in der Sachverhaltsaufklärung kann dann wegen der Stärke des anzuwendenden Erfahrungsgrundsatzes durch den sogenannten Anscheinsbeweis gefüllt werden.

Der sogenannte Anscheinsbeweis spielt bei der Feststellung des Verschuldens eine große Rolle, soweit nicht bereits nach § 282 BGB die Beweislast umgekehrt ist (Auffahrunfall, Kollision eines Fahrzeuges mit einem Baum, Zusammenbrechen einer Brücke kurz nach Erstellung, Fremdkörper in einer Operationswunde). Der jeweils feststehende Sachverhalt reicht aufgrund der Lebenserfahrung zu dem rechtliche Werturteil aus, dass in diesen Fällen typischerweise Fahrlässigkeit anzunehmen ist.

Ob der Anscheinsbeweis auch für die Kausalität gelten kann, ist strittig (vgl. hierzu die Entscheidung BGH NJW 1954, 1119, BGHZ 11, 227).

Wichtig ist jedoch, dass es einen Anscheinsbeweis dort nicht gibt, wo individuelle Entscheidungsfreiheit maßgeblich ist und individuell geprägte Verhaltensweisen zu beurteilen sind. Bei individuellen Vorgängen scheidet die Anwendung von Erfahrungsgrundsätzen aus. Deshalb kann bei Vertragsauslegung auch nicht gesagt werden, dass typischerweise Verträge in einer bestimmten Art abgeschlossen werden.

Der Anscheinsbeweis stellt keine Umkehrung der Beweislast dar, sondern zunächst nur eine Beweiserleichterung. Diese Beweiserleichterung entfällt, wenn der Gegner diesen Anschein erschüttern kann. Dies ist stets dann der Fall, wenn der Gegner Tatsachen behauptet und beweist, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufes ergibt. Dann trägt die beweispflichtige Partei wie üblich die volle Beweislast.

d) Indizienbeweis

Im einzelnen ist bestritten, ob es sich bei dem Anscheinsbeweis um eine Beweislastregel, eine Regelung des materiellen Rechts oder ein Beweismittel handelt. Jedenfalls ist der Anscheinsbeweis von dem sogenannten Indizienbeweis zu unterscheiden. Beim Indizienbeweis werden aufgrund von einzelnen Tatsachen Rückschlüsse auf die Haupttatsache gezogen. Bei dem Prima-facie-Beweis handelt es sich um generalisierbare Erfahrungssätze, wonach bestimmte Wirkungen auf typische Geschehensabläufe zurückzuführen sind oder bestimmte typische Folgen nach sich ziehen.

 

10. Beweiswürdigung: Feststellung der Wahrheit

Das Ziel der Behauptung und Beweisführung wird erreicht, wenn der Richter zur freien Überzeugung gelangt, dass eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr zu erachten ist (§ 286 ZPO).  Ziel ist somit die Feststellung der Wahrheit.

Freie Überzeugung gem. § 286 ZPO bedeutet nicht, dass die Würdigung des Richters allein seinem subjektiven Ermessen überlassen bleibt. Dieser Grundsatz freier richterlicher Beweiswürdigung bedeutet nur, dass er von strengen formellen Beweisregeln entbunden ist. Hingegen darf der Grundsatz freier richterlicher Beweiswürdigung nicht bedeuten, dass die Entscheidung über die Frage, ob eine Tatsache im Prozess als bewiesen anzusehen ist, einem höchst persönlichen, rational nicht nachvollziehbaren Gefühlsprozess überlassen sein darf. Die Freiheit des Richters bei der Entscheidung ist immer durch gesicherte Erkenntnisse und Erfahrungen begrenzt. Allerdings ist der Begrenztheit menschlicher Erkenntnis Rechnung zu tragen und dem Richter die Möglichkeit zu geben, danach zu entscheiden, was er für wahr hält.

Es ist zu berücksichtigen, dass objektive Wahrheit praktisch dazu führen würde, dass eine Überzeugung nur in seltenen Fällen vorhanden wäre; denn ein Mensch mit ausreichender Kritikfähigkeit wird nur in wenigen Fällen zu der Feststellung gelangen, dass die Möglichkeit eines bestimmten Geschehensablaufes nur so und nicht anders stattgefunden hat. Absolutes sicheres Wissen ist deshalb nicht erforderlich. Der Richter darf und muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen bietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl. BGH NJW 82, 2875). Diese Formulierung des BGH ist jedoch für den Einzelfall auch nicht sonderlich hilfreich. Denn es kann nicht quantifiziert werden, wie stark Zweifel sein müssen, um über sie hinweggehen zu dürfen.

Entscheidend kommt es jedoch letztlich darauf an, dass die persönliche Überzeugung des Richters bei Würdigung sämtlicher Umstände unter Heranziehung gesicherter naturwissenschaftlicher Erkenntnisse, Denkgesetze und Regeln der Lebenserfahrung vorhanden ist. Dies muss der Richter im einzelnen in den Entscheidungsgründen eines Urteils darlegen und nachvollziehbar machen, wie er zu dem Überzeugungsprozess gelangt ist.

In der Praxis dürfte trotz aller Bedenken gegen den Zeugenbeweis wohl überwiegend von einer Glaubwürdigkeit der Zeugen ausgegangen werden. In einer Untersuchung ist festgestellt worden, dass bei 1.400 Zeugenvernehmungen nur 65mal den Zeugen nicht geglaubt wurde (Bender/Schumacher, Erfolgsbarrieren vor Gericht, S. 137).

Eine wichtige und ganz wesentliche Beweiserleichterung betrifft die Schadensermittlung (§ 287 ZPO). Für die Schadensermittlung im Rahmen des § 287 ZPO reicht bereits eine erhebliche Wahrscheinlichkeit aus. Die Behauptungslast ist hier geringer. Der Kläger braucht zur Schadenshöhe weniger Tatsachen vorzutragen, als er nach § 286 ZPO zur Anspruchsbegründung vortragen und beweisen müsste. Der Richter darf eine Klage nicht als unschlüssig abweisen, solange er ausreichende Anhaltspunkte für eine Schadensschätzung hat. Auch ist die Bindung an die Regeln der Beweislast bei freier Ermessensentscheidung des Gerichts aufgehoben. Unabhängig von der Beweislast kann auch die beweisbelastete Partei über § 448 ZPO hinaus als Partei vernommen werden. Der Begründungszwang ist gelockert. Diese Erleichterung bezieht sich nicht nur auf den Schaden selbst, sondern auch auf die haftungsausfüllende Kausalität. § 287 ZPO ist deshalb von großer Bedeutung, weil ohne eine gewisse Erleichterung der Beweisführung die Durchsetzung materieller Schadensersatzansprüche unzumutbar erschwert würde, obwohl die in der Regel erforderliche schuldhafte Beeinträchtigung fremder Rechtspositionen erwiesen ist. In der Praxis wird allerdings von § 287 ZPO selten förmlich Gebrauch gemacht.

 

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