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Alpenblumen

Chratzerengrat und Schijen

Berge und ihre Namen schaffen Schweizer Identität. Doch woher die Bergnamen kommen, wird in der Schweiz erst wenig erforscht.


Berggipfel haben ihre Namen erst spät erhalten. Die Alpenbewohner fürchteten sich vor den Mächten, die sie oben in den Bergen vermuteten und mit denen sie nichts zu tun haben wollten. Zudem waren Berge ökonomisch uninteressant – bis ins Mittelalter jedenfalls. Als damals das Essen knapp wurde, drängten die Bauern in die abgelegensten Gegenden und trotzten den geheimnisvollen Mächten mit Bräuchen und Bet-Rufen. Man sömmerte das Vieh auf den Alpen und schleifte die zur Fütterung der Tiere benötigte Wildiheuernte im Winter ins Tal.

Schon vor über tausend Jahren...
Die ersten Menschen, die auf den Alpen wirtschafteten, sind vor über tausend Jahren in die Höhen hinaufgezogen. Davon zeugen die unzähligen verlassenen Siedlungsplätze, sogenannte Wüstungen, die man im gesamten Alpenraum findet. Ausgrabungen von Wüstungen auf Bergeten (1622 m ü. M) im Kanton Glarus und auf der Charetalp (1992 m ü. M) im Kanton Schwyz ergaben, dass diese bereits vor tausend Jahren benutzt worden waren. Die Bewohner dieser Siedlungsplätze müssenes wohl auch gewesen sein, die den Berggipfeln zum ersten Mal Namen gegeben haben. Schriftliches ist aus dieser Zeit aber nichts erhalten.

Grenzbeschreitungsprotokolle
Je mehr Menschen sich auf den Alpweiden aufhielten, desto knapper wurde der Platz, es musste Alpgrenzen gezogen werden. Für diese Grenzbeschriebe brauchte es neben sogenannten "Lachbäumen" (Grenzbäumen) oder markanten Felsen auch Flurund Bergnamen. Für die Grenzbeschriebe wurden Befragungen vor Ort durchgeführt und protokolliert. Solche Grenzbeschreitungsprotokolle bilden, zusammen mit Urkunden und sogenannten "Gülten", welche über Besitzverhältnisse Aufschluss geben, den grössten Teil der Quellen, die für die Bergnamenforschung relevant sind. Die ersten Dokumente stammen (mit wenigen Ausnahmen) aus dem 15. Jahrhundert.

Alte Karten und Geländeskizzen
Einen zweiten Quellenfundus bilden alte Karten und Geländeskizzen, die ab dem 16. Jahrhundert erschienen, jedoch sehr ungenau sind. Immerhin geben sie oft einen Hinweis darauf, welche Berge bereits früh Namen trugen, weil sie offenbar einen wichtigen kulturellen, historischen oder geographischen Wert hatten.

Überlieferungskraft der gesprochenen Sprache
Die bescheidene Quellenlage ist ein grosses Problem der Bergnamenforschung. Erstaunlicherweise gibt es aber Namen, die im Wortschatz der Einheimischen überlebt haben, heute als Zweitnamen dienen und nirgends schriftlich festgehalten sind. Diese Entdeckungen zeugen von der Überlieferungskraft der gesprochenen Sprache. Menschen, die solche Namen kennen, in der Region verankert sind und den dortigen Dialekt sprechen, sind Gewährsleute für sprachgeschichtliche Untersuchungen. Sie sind die dritte und die wichtigste Quelle, die als primäre Ausgangslage für die Forschungsarbeit dient.

Von der Alp zum Gipfel
Grundsätzlich sind Bergnamen meist von der Alp aus auf die Gipfel "gewandert". Dazu ein Beispiel aus dem schwyzerischen Muotatal: Der kleine Berg, der zur Alp Chalbertal gehört, heisst Chalbertalstock.
Die Berggipfel erhielten also vielfach den Namen von einer darunter liegenden Alp. Insofern sind viele Namen, beispielsweise auch das Matterhorn, einfach zu erklären. Die Bedeutung des Alpnamens ist dann eine andere Geschichte, sie gehört aber dazu. Um beim Beispiel des Chalberstocks zu bleiben: Auf der Alp Chalbertal wurden die Kälber gesömmert, denn das saftige Gras in jenen Tälchen ist für das Wachstum des jungen Galtviehs, der noch keine Milch gebenden jungen Kühe, wichtig. Gleichzeitig ist der Chalbertalstock auch ein Beweis für die oben aufgestellte These, dass es Namen gibt, die nur mündlich überliefert sind. Er trägt unter den Älplern nämlich noch heute einen zweiten Namen, der keinen schriftlichen Niederschlag fand: Burscht. Burscht heisst im Schwyzerdialekt das harte Gras, welches vom Vieh verschmäht wird.

Die Bildung des Bergnamens
Die Bergnamenforschung unterscheidet zwischen Berg und Berggipfel: Als Berg gilt der Bereich, der zwischen Alp und Talboden liegt. Die darüber liegenden Erhebungen sind die eigentlichen Berggipfel. Berggipfel präsentieren sich in verschiedene Formen, die dann im Bernamen das "Grundwort", den zweiten Teil des Namens, ergeben: Stock, Horn, Grat, First. Meist erhalten die Gipfel dann das "Bedeutungswort", nämlich den ersten Teil des Namens, durch eine Eigenschaft: Farbe des Gesteins, Form, Flora, geologische Beschaffenheit, Nutzung oder Gefährlichkeit.

Chupferberg, Chratzerengrat, Schijen und Bös Fulen
Der Chupferberg im Muotatal beispielsweise erhielt seinen Namen daher, dass seine westliche Flanke im Abendrot auffällig leuchtet. Der Chratzerengrat heisst so, weil der Grat auf seiner ganzen Länge extrem zerklüftet, also zerkratzt ist. Ein in der Innerschweiz häufig vorkommender Bergname ist Schijen. Schijen heissen auf Schweizerdeutsch die Zaunlatten. Die Schijen etwa an der Grenze zwischen Schwyz und Glarus sehen tatsächlich wie drei oben gerundete, nebeneinander stehende Zaunlatten aus. Auf die Gefährlichkeit deutet der Name des höchsten Berges im Kanton Schwyz, des Bös Fulen. Bös hat hier eine Doppelbedeutung: Einerseits wird Respekt zum Ausdruck gebracht, andererseits weist der Begriff ebenso wie Fulen auf das "schlechte" Gestein hin, nämlich auf lockeren, zu Steinschlag neigenden Fels.
Die Sprache der Älpler war immer exakt, und dies gilt auch für Bergnamen: Ein Stock ist durch die Form definiert. Die Sprache der Älpler war immer sehr exakt, wie die verschiedenen Begriffe für Werkzeuge, Tätigkeiten und eben auch Örtlichkeiten zeigen. Diese Genauigkeit wurde auch auf die Grundwörter der Bergnamen übertragen. Ein Stock etwa ist durch seine Form exakt definiert: Dieses Grundwort stammt vom Baumstrunk, der oben abgeflacht ist. Mit dem beginnenden Tourismus zu Anfang des 19. Jahrhunderts wurde dieser Begriff verwässert, auf vielen Panoramen und Karten wurde damals den eigentlichen Bergnamen noch –stock angeklebt. Umgekehrt ist zu beobachten, dass gerade in Bergdialekten das –stock weggelassen wird. Solche – elliptisch genannte – Formen sind in der Umgangssprache auch heute noch zu beobachten: beispielsweise Froni als Abkürzung für Fronalpstock. Oft wurde ein Wort nicht mehr verstanden und deswegen, wohl eher unwissentlich, volksetymologisch umgedeutet. Dem Irrtum auf die Spur kommt man bei der Sichtung der ältesten schriftlichen Belege.

Als Beispiel: Die Rigi
Als Beispiel sei hier die Herkunft des Namens der Rigi angeführt. Ja, es heisst die Rigi, feminin. Im Zuge der touristischen Erschliessung der Alpen wurde die Mär in die Welt gesetzt, Rigi sei eine Abkürzung von Regina montium – Königin der Berge. Dem ist aber nicht so. Der älteste bis anhin bekannte Beleg für den Namen ist von 1368 und lautet: in pede montis riginam (am Fusse des Berges Riginam). Etwas später, 1384, ist von Riginen die Rede. Ab 1518 ist die Bezeichnung klar feminin.
Mit Riginen benennt man geologische Schichtungen, die an der Rigi-Nordseite deutlich sichtbar sind. Rigi ist also eine Ellipse, eine Verkürzung von Riginen.

Spekulativ: Der Eiger
Der älteste Beleg für den Namen Eiger stammt aus dem Jahr 1252 und lautet: mons qui nominatur egere (der Berg, der Eiger genannt wird). Man geht davon aus, dass der Berg diesen Namen von der darunter liegenden Alp erhalten hat. Er könnte auf das lombardische ágar (auch aigru, egru) für Ahorn zurückzuführen sein.

Scherzhaft: Der Mönch
Der Name Mönch ist erst seit 1860 allgemein in Gebrauch und ist offenbar als Gegenstück zur Jungfrau zu verstehen. Man könnte ihn also als eine scherzhafte Benennung erklären: Zwei Zölibatäre nebeneinander.

Unspektakulär: Die Jungfrau
Der Name Jungfrau hat, entgegen phantasievollen Deutungsversuchen, einen gänzlich unspektakulären Ursprung: Es war die am Fuss der heutigen Jungfrau liegenden Alp Jungfrauenberg, die dem Berggipfel zu seinem Namen verhalf. Der Name der Alp wiederum verweist auf deren ehemalige Besitzerin, das Frauenkloster von Interlaken.

Sagenhaft: Der Pilatus
Der Sage nach soll Pontius Pilatus auf diesen Berg verbannt worden sein und für das schlechte Wetter zuständig sein. Im Spätmittelalter wurde der Aufstieg auf den Pilatus deshalb per Gesetz verboten.
Der wahre Sachverhalt ist wesentlich harmloser: Der Name geht auf das romanische pilat zurück, das auf dem lateinischen pila – Säule – beruht.

Kein Mythos: Die Mythen
Die Mythen sind einzeln feminin und werden als "Miite" ausgesprochen. Auf das feminine Geschlecht weist der Geologe Alerbt Heim bereits 1866 in seinem berühmten "Panorama von der Grossen Mythe" hin. Die Schreibweise y rührt von alten y, welches als langes i ausgesprochen wird. Der Ursprung ist das lateinische meta für Säule.

Imperial: Die Churfirsten
Oft werden die Churfirsten fälschlich als Kurfürsten gedeutet. Es ist eben geradezu langweilig, wenn die wahre Bedeutung so offensichtlich ist: Die Churfirsten sind ganz einfach die Grenzfirsten zwischen dem Toggenburg und Chur.

Überraschend: Der Säntis
Als wohl einer der ältesten Bergnamen ist der Säntis bereits um 850 belegt. Ihm liegt der besitzanzeigende romanische Personenname Sambutinus zugrunde: "Der am Samstag Geborene". Deutsch lautet dieser Name Semptis oder Sämptis und ist seit dem 14. Jahrhundert bezeugt. Man darf auf einen frühmittelalterlichen Alpbesitz eines Sambutin schliessen.

Gut belegt: Der Titlis
Im frühsten Beleg von 1435 wird der Titis als "Tuttels berg" bezeichnet. Dem Namen dürfte ein Personenname Tutilo und somit ebenfalls ein Alpbesitz zugrunde liegen. Daraus ergäbe sich folgende Reihe: Tutilinesberg – Tütlinsberg – Tütlisberg – Titlisberg und, nach dem Wegfallen des Grundwortes –berg, Titlis.

von Nathalie Henseler, NZZ am Sonntag
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