Springflut

Was springt bei der Springflut?

Wer an einem Nordseestrand steht und über die Weiten des Wattenmeers blickt, dürfte von den Gezeitenkräften schwer beeindruckt sein. Doch Ebbe und Flut kann man überall an den Küsten beobachten, mit Wasserstandsänderungen von wenigen Zentimetern bis einigen Metern. Aber was verursacht das extreme Hochwasser einer Springflut? Und was ist eine Nipptide?

Infografik in zwei Teilen. Oben: Links die Sonne, ganz rechts die Erde, und dazwischen der Mond. Auf beiden Seiten der Erdoberfläche - zu Sonne und Mond hin und auf der entgegengesetzten Seite - wölbt sich je ein Wasserberg auf. Unten: Links die Sonne, ganz rechts der Mond, und dazwischen die Erde. Wieder wölbt sich auf beiden Seiten der Erde - zur Sonne hin und zum Mond hin - je eine Art Wasserberg auf.
Springtide

Ebbe und Flut entstehen hauptsächlich durch die Anziehungskraft des Mondes. Je nachdem, wo man sich auf der Erdoberfläche befindet, wirkt die Mondgravitation unterschiedlich stark: Je näher der Betrachter dem Mond ist, desto intensiver wirkt dessen Anziehungskraft. Auf diese Unterschiede in der Anziehung reagiert das Wasser der Ozeane – es bildet Flutberge und Ebbetäler, die feste Erde ist zu starr für einen sichtbaren Effekt. Der Rhythmus der Gezeiten – einmal Ebbe und einmal Flut innerhalb von 12 Stunden und 25 Minuten – wird vom wechselnden Stand des Mondes vorgegeben.
Die Gezeiten werden allerdings auch von der Anziehungskraft eines viel größeren Himmelskörpers beeinflusst – von der Sonne. Sie übt zwar im Vergleich zum Mond nur 46 Prozent der Gezeitenkraft auf das Meerwasser aus, aber das reicht aus, um die Höhe von Flut und Ebbe erheblich zu variieren.

Infografik in zwei Teilen. Dargestellt ist der Einfluss von Sonne und Mond auf die Höhe der Gezeiten. Bei der Nipptide oben gleichen sich die Wirkungen zum Teil aus, bei der Sprintide unten verstärken sie sich.
Nipptide und Springtide

Und das geht so: Steht die Sonne in einer Linie mit Mond und Erde, dann verstärkt sie die Gezeiten. Das passiert also immer bei Neumond und bei Vollmond. Bei Neumond steht die Sonne hinter dem Mond. Dann kommt ihre Wirkung einfach zu der des Mondes hinzu. Bei Vollmond ist die Sache ein bisschen komplizierter. Auf der Seite der Erde, die dem Trabanten zugewandt ist, zieht der Mond das Wasser (weil diese Oberfläche ihm näher ist als der Erdmittelpunkt) stärker zu sich hin, die Anziehungskraft der Sonne ist dort zugleich schwächer als im Erdmittelpunkt. Gerade umgekehrt ist es auf der sonnenbeschienenen, mondfernen Seite.

Sowohl bei Vollmond als auch bei Neumond verstärken sich also die Gezeitenkräfte von Mond und Sonne durch ihre Überlagerung. Und nicht nur die Flut ist an diesen Tagen besonders stark, sondern auch die Ebbe. Denn das Wasser, das in die Flutberge hinein fließt, muss ja schließlich irgendwo her kommen. Anders als der Name „Springtide“ suggeriert, „springt“ bei der ganzen Angelegenheit allerdings nichts. Denn die Himmelskörper bewegen sich ja kontinuierlich durch den Raum und nicht ruckartig. So können sie auch keine unvermittelten Wasserbewegungen auf der Erde hervorrufen.

Die Nipptide tritt auf, wenn die Sonne im rechten Winkel zum Mond steht, also bei Halbmond. Dann gleicht sie die Gezeitenwirkung des Erdtrabanten zum Teil aus. Wer an solchen Tagen am Strand steht und das Meer beobachtet, wird nur ein zaghaftes „Nippen“ des Wasserspiegels feststellen können – und nicht sonderlich beeindruckt sein. Wenn Sie richtig starke Gezeiten erleben wollen, fahren Sie also besser in den Tagen nahe Neu- oder Vollmond an die Küste …

Die Gezeiten und die Zentrifugalkraft

Die Gezeiten und die Zentrifugalkraft

Animation: Die Erde ohne Eigenrotation, gezeigt ist nur ihre Drehung um den gemeinsamen Schwerpunkt mit dem Mond. Drei Punkte auf der Oberfläche beschreiben dadurch jeweils einen kleinen Kreis, der kleiner ist als der Erdradius. Eingezeichnet ist auch die stets konstant bleibende Fliehkraft für jeden der drei Orte, die in diesem System auftritt.
Fliehkraft im Schwerpunktsystem Erde-Mond

In vielen Erklärungen der Gezeiten taucht die Fliehkraft auf, die durch die Bewegung der Erde um den gemeinsamen Schwerpunkt mit dem Mond entsteht. Die Fliehkraft wird auch Zentrifugalkraft genannt und ist im Allgemeinen eine Scheinkraft innerhalb eines rotierenden Bezugssystems. Wie man im Folgenden sehen wird, ist diese Fliehkraft an jedem beliebigen Punkt der Erde gleich groß. Das klingt zunächst einmal ziemlich verblüffend, wenn man sich vorstellt, wie das Erde-Mond-Duo durchs All wirbelt – aber es ist tatsächlich so. Vielleicht rührt die Irritation daher, dass die Bewegung der Erde um ihren gemeinsamen Schwerpunkt mit dem Mond manchmal fälschlich als eine Rotation bezeichnet wird. Der richtige Begriff wäre aber „Umwälzbewegung“ oder „Revolution ohne Rotation“. Diese wird hier unabhängig von der Drehung der Erde um sich selbst betrachtet.

Darstellung der Bahn eines Punkts auf der Erdoberfläche im Lauf von 28 Tagen. Das Zentrum ist der gemeinsame Schwerpunkt von Erde und Mond. Während der Erdmittelpunkt einfach einen Kreis mit etwa 5000 Kilometer Radius beschreibt, beschreibt ein Punkt auf der Erdoberfläche eine Zykloidbahn: Sie entsteht durch die Überlagerung der Erddrehung und der Bewegung des Schwerpunkts des Erde-Mond-Systems.
Zentrifugalkraft und Gezeiten

Vernachlässigt man die Eigenrotation unseres Planeten, dann folgen im Erde-Mond-System alle Punkte der Erde, ob an der Oberfläche oder im Erdinnern, einer Kreisbewegung mit der gleichen Kreisbahn, dem gleichen Radius und der gleichen Geschwindigkeit (siehe Abbildung). Einzig und allein die Mittelpunkte der Kreisbewegung unterscheiden sich. Wenn man sich im Erde-Mond-System mitbewegt, nimmt man an jedem Punkt die Fliehkraft (Zentrifugalkraft) wahr. Die Scheinkraft muss bei der Berechnung der Gezeitenkräfte in dem rotierenden Bezugssystem natürlich berücksichtigt werden, spielt aber im Grunde für die Entstehung der Gezeiten keine Rolle. Entscheidend sind die Gravitationskräfte. Es ist darum günstiger, das Geschehen im nicht rotierenden Bezugssystem zu betrachten, wie es im Hauptartikel nachzulesen ist.