DETAILS

Interpret:
Christiane Rösinger

Titel:
„Das sind immer so dumme Stereotypen“

Weiterführende Links:

Autor:
Ingo Reiff
Köln, 16.02.2011

INTERVIEWS

Christiane Rösinger - „Das sind immer so dumme Stereotypen“

Christiane Rösinger - „Das sind immer so dumme Stereotypen“

Christiane Rösinger hat einen großen Namen in der alternativen Musikszene dieser Republik. Ab Ende der achtziger Jahre war sie der Kopf der Lassie Singers, die im Spannungsfeld zwischen Neuer Deutscher Welle und Hamburger Schule musizierten und manchen als die weibliche Kreuzberger Antwort auf Die Ärzte galten. Nach der Auflösung der Lassie Singers war sie 1997 an der Gründung der Postpop-Band Britta beteiligt und gründete ein Jahr später das Label Flittchen Records. Außerdem betätigt sie sich musikjournalistisch (u.a. für die taz, die F.A.Z. und mit einer Kolumne für den österreichischen Radiosender FM4) und veröffentlichte 2008 ihren Debütroman „Das Schöne Leben“. Die im Januar 50 Jahre alt gewordene Vollblutmusikerin brachte erst im vergangenen Jahr ihr Solodebut „Songs Of L. And Hate“ heraus, das auf Crazewire damals kritisch betrachtet wurde. Ihr vielseitiges Schaffen ist aber Grund genug, sich mit Christiane Rösinger zu einem Gespräch zu treffen — über Theorie und den Schmerz, über die Segnungen Österreichs und blöde Musikjournalisten.

Als ich in den Backstagebereich des Kölner Gebäudes 9 komme, sitzt Christiane Rösinger mit den drei Musikern ihrer Liveband um einen Holztisch versammelt. Der eine liest Zeitung, die andere sitzt am Notebook. Und Christiane Rösinger will schnell noch was essen, bevor sie auf die Bühne muss. Zehn Minütchen hat sie aber noch, um Fragen zu beantworten. Da sie unter anderem mit Andreas Spechtl, dem Sänger der Band Ja, Panik, der ihr Album arrangierte und sie auch live begleitet, dort an dem Tisch sitzt, drängt sich die Einstiegsfrage geradezu auf, warum sie denn nach einer jahrzehntelangen Karriere als Bandmusikerin auf einmal solo aktiv wird. Eine typische Rösinger-Antwort direkt am Anfang: Sie habe sich eigentlich auch in ihren Bands schon immer solo gefühlt. Nun denn. Ob es denn als Solokünstlerin einfacher sei, so traurige und melancholische Texte zu verarbeiten. Ne,vor den anderen in ihren Bands habe sie auch nie Geheimnisse gehabt. Man könnte eher umgekehrt denken, dass man, wenn man in seinen Texten noch persönlicher werde, im Schutz der Gruppe besser aufgehoben sei. Sie schaut einen an aus großen, dunklen, müden Augen an, die gleichzeitig wach sind und so aussehen, als könnten sie nicht lügen. Gute Voraussetzungen also für ein Interview.

Ein Interview, auf das ich mich gründlich vorbereitete, um Christiane Rösinger gerecht zu werden. Nicht umsonst bezieht sich das Artwork ihres Albums, mit dem sie in diesem Frühjahr auf Clubtour unterwegs ist, auf Bob Dylans „Bringing It All Back Home“ und der Titel „Songs Of L. And Hate“ auf die fast gleichnamige Platte Leonard Cohens. Rösinger kennt sich aus in der Musikwelt, nicht zuletzt auch als Journalistin, die sich ebenso theoretisch mit der Welt auseinandersetzt, und zwar nicht nur mit der musikalischen. Ob es diese Theoretisierung nicht schwierig mache, praktisch Musik zu machen? Nein, sie habe zwar nichts gegen Theorie, finde diese auch interessant, aber bediene sich eher eines feuilletonistischen Stils. Und sie führt weiter aus: „Es gibt ja auch diesen Ansatz, dass man irgendwelche Theorien dann in Songs verbrät oder möglichst viel liest. Diese frühe Hamburger Schule-Herangehensweise: Ich les jetzt diese Theorien, die gerade en vogue sind, was an der Uni gerade heiß ist, das les' ich dann und dann verklausulier' ich das so'n bisschen und mach so Popmusik drunter und draus und alle finden's total toll. Inhaltlich kommt das ja selten über so'n Proseminar-Ding raus. Es beeindruckt ja immer nur diejenigen, die ein bisschen jünger sind oder das nicht kennen.“ Da ist er, der Rösinger-Sound, der Sprachfluss, gespickt mit lauter „so“s und „irgendwie“s, der bis zum Ende des Gesprächs immer weiterfließen wird. Und auch diese Bissigkeit ist spürbar, die man dieser weichen, herzlichen Frau im blauen Schlabberpulli zunächst nicht zutraut, die sie aber im Laufe des Gesprächs noch eindrucksvoll beweisen wird. Jedenfalls sei sie auch an soziologischen Fragen interessiert, nehme aber eher die Haltung einer Beobachterin ein, weniger theoriedurchdrungen denn erzählend, und das passe ganz gut zum Songs-Schreiben.

Christiane Rösinger ist auf dem Land aufgewachsen und hat sich als Kind Dostojewski aus der Fahrbücherei ausgeliehen. Ihr erzählender Ansatz verwundert also nicht, ihre Texte sind ja auch poetisch, ironisch, unabgeschlossen, mit zu füllenden Leerstellen: literarisch halt. Was hält sie denn von der Aussage des Literaturnobelpreisträgers Kenzaburō Ōe, ohne den von ihm empfundenen Schmerz hätte er nie begonnen zu schreiben? Ist der Schmerz Voraussetzung für Kreativität? Sie antwortet mit Proust, „der sagt, dass uns ja nur das Leiden an einer Sache überhaupt dazu bringt, diese Sache zu analysieren und immer weiter zu denken. Also braucht es Widerstand oder Leiden. Wenn alles immer total super wäre, dann würd' man sich ja nicht so viele Gedanken drüber machen.“

Und die zehn „Songs Of L. And Hate“, die auch den Kern ihres späteren Livesets ausmachen werden, spiegeln allesamt das glatte Gegenteil von „total super“ wider. Melancholie und Trauer ziehen sich wie ein roter Faden durch das Album, das aber trotzdem heitere und humorvolle Züge hat. Selten war die Plattitüde, etwas mit einem lachenden und einem weinenden Auge zu sehen, treffender als bezogen auf diese Songs. Die Platte ist nicht depressiv, sondern melancholisch. Trotzdem wird Rösinger in vielen Rezensionen auf das Scheitern, Kapitulieren und Verlassenwerden reduziert. Und das wurmt sie. Da funkeln ihre Augen und sie erhebt die Stimme: „Mich regt das immer so'n bisschen auf. Ich schreib ja selber auch über Musik, und ich weiß auch, dass es manchmal schwer ist, Worte zu finden. Aber immer dieses Scheitern und Verlassenwerden… […] Ich sehe mich weder als gescheitert noch als sonstwas. Eine Künstlerexistenz als gescheitert — was ist denn dann nicht gescheitert? Nicht gescheitert ist dann, wenn man in den Charts ist und bei Stefan Raab bei Pro Sieben sitzt. Das ist irgendwie Quatsch. Und zum Verlassenwerden: Jeder ist in seinem Leben schon verlassen worden. Oder manchmal verlässt man auch selber, weil man’s nicht aushält oder so. Das passiert ja jedem. Aber dann wird das immer so zusammen genannt: ‚Verlassenwerden — Scheitern — Eine Frau am Ende‘. Das sind immer so dumme Stereotypen. […] Da kommt dann irgendwas wie ‚Desillusion‘ und ‚Sinnlos‘, die hören nicht richtig zu […] und denken sich dann ‚Der muss es ja so schlecht gehen oder die muss ja so traurig sein‘.“

Die Musikerin und Journalistin Rösinger, die sowohl primär als auch sekundär von der Musik lebt, sieht einen Werteverfall im journalistischen Schreiben, der nicht zuletzt durch die Egalisierung des Schreibens im Web 2.0 begünstigt wird. Sie erzählt von der bärbeißigen, promovierten Musikwissenschaftlerin, die ihr als Lektorin bei der F.A.Z. das Leben zur Hölle gemacht, ihr aber auch das gute Schreiben beigebracht habe. Frau Rösinger, die musikalische Ikone der alternativen Frauenbewegung, eine Konservative? Man staunt. Aber so, wie sie einem von ihren Überzeugungen berichtet, mit entwaffnender Ehrlich- und Bodenständigkeit, mag man ihr fast zustimmen — und gleichzeitig die Qualität des Online-Journalismus verteidigen. Inzwischen hat sich Christiane Rösinger eine Kippe angezündet — nicht ohne vorher mimisch und gestisch um Erlaubnis zu bitten — und sich in Rage geredet. Also ist ein Themenschwenk ratsam, vom Sekundären hin zum Primären: zu ihrer Tour und ihrer Musik.

‚Touren macht alt, dick, hässlich und traurig.‘ — Diese Aussage nutzten die Lassie Singers, um 1998 ihren Abschied von der Bühne zu legitimieren. Jetzt ist Christiane Rösinger wieder auf Tour. Stimmt die Aussage noch? Sie lacht bebend und macht sich an die Exegese der Attribute: Das Leben an sich mache halt alt, und Touren mache dick, da man die ganze Zeit im Bus sitze und immer Hunger habe, da alles so anstrengend sei. Hässlich stimme aber nicht: „Ich glaub', wenn man vierzig Jahre bei der Sparkasse arbeitet, wird man hässlicher wie auf Tour.“ Na gut. Über das Traurigsein wurde schon genug gesprochen. Rösingers Fazit: Sie ist eigentlich sehr gern auf Tour. Das habe so etwas altmodisch Merkantiles: „Man fährt und reißt so die Kilometer ab, Ausladen, wieder Einladen, Geld zählen, Auftreten. […] Wie in einem Kaufmannsladen, dann guckt man, wieviele Leute kommen und so. Das hat sowas Handfestes, das find' ich ganz gut.“ Wieder so eine konservative Aussage. Na gut, auch wieder nachvollziehbar. Aber ein bisschen unerwartet kommt das schon von einer Frau, die ihr Leben alles andere als konservativ gelebt hat. Aber das Schubladendenken stößt halt manchmal an seine Grenzen, da hat sie schon recht.

Über ihr auf Youtube heißdiskutiertes Berlin-Lied, in dem sie über die Arschlochkinder in Cafés und deren Öko-Eltern schreibt, sagt sie, dass Berlin halt größere Szenen habe, in denen sich vieles zentriere — außerdem gebe es in Berlin eben mehr Hunde und Hundehaufen als anderswo. Aber das Lied heiße schließlich nicht „Das gibt es nur in Berlin“. Berlin, dieser Mikrokosmos, den Rösinger so schön, subjektiv und ehrlich beschreibt wie kaum eine Zweite, ist noch immer der Mittelpunkt ihrer musikalischen Welt — aber es drängt sich die Frage auf, was denn eigentlich mit Österreich ist. Immerhin musiziert sie seit einiger Zeit unter anderem mit Andreas Spechtl von Ja, Panik, und Songtexte wie „Es geht sich nicht aus“ springen einem ins Auge, da sie so schön ungewöhnlich sind im bundesdeutschen Sprachgebrauch. Rösinger ist sich nicht ganz sicher, woher das kommt. Schon mit den Lassie Singers war sie in Österreich teilweise beliebter als daheim. Dann lernte sie den Andreas kennen und schreibt nun schon seit über zwei Jahren eine wöchentliche Kolumne für FM4. „Irgendwie kommt das immer auf mich zu“, sagt sie, und das könnte ja auch schon wieder ein Titel für ein Stück sein, denkt man. Österreich sei zumindest ein bisschen Ausland, wo man immerhin die Sprache ihrer Musik verstehe, und habe „wenigstens son bisschen was Exotisches.“ Das sei schon sehr attraktiv.

Nun muss Christiane Rösinger aber auch los. Wir haben ganze 20 Minuten geredet und das Essen wartet, bevor die Fangemeinde im Gebäude 9 mit melancholischen Songs verwöhnt werden will. Ihre Tour wird sie noch durch ganz Deutschland und schließlich nach Salzburg und Wien führen. Die spezielle Verbindung von Wien und Christiane Rösinger ist mit Händen zu greifen, wenn sie zusammen mit Andreas Spechtl auf einer roten Couch in der Wiener Judengasse „Ich Muss Immer An Dich Denken“ singt. So wie der Mensch Christiane Rösinger: Kurz und knackig, mitten ins Mark. 

Video: „Ich Muss Immer An Dich Denken“

Embed-Code:

Christiane Rösinger - Ich muss immer an dich denken from playgrrround on Vimeo.


Prunkstücke

 
 
 

Wir Präsentieren: