1.7.2011

Schlaglichter der Wirtschaftspolitik

Monatsbericht Juli 2011

I. Aktuelle Themen und Analysen

2. Was treibt die Preise? Zum Einfluss von Spekulation auf Agrarrohstoffpreise

Intro

Auf internationaler Ebene - sowohl bei den G20 als auch in der EU - ist das Thema Preisvolatilitäten auf Agrarrohstoffmärkten in den Fokus gerückt. Dabei wird häufig die Vermutung geäußert, dass die jüngst zu beobachtenden extremen Preisschwankungen auf den Agrarrohstoffmärkten und die in der Tendenz steigenden Lebensmittelpreise auf ein gestiegenes Engagement von "Finanzmarktspekulanten" zurückzuführen seien. Empirisch eindeutige Belege für einen solch kausalen Zusammenhang gibt es bislang jedoch nicht. Wie sollten vor diesem Hintergrund die auf Agrarrohstoffen basierenden Finanz- bzw. Derivatemärkte reguliert werden? Mit Blick auf die jüngste Finanzkrise besteht Einigkeit darin, dass alle Finanzmärkte einen marktwirtschaftlichen Regulierungsrahmen benötigen. Die Forderung nach mehr Transparenz ist der erste Schritt. Darüber hinausgehende Regulierungsschritte bedürfen der Analyse. Mögliche weitergehende Maßnahmen dürfen nicht an den Symptomen, sondern müssen an den mikro- und makroökonomischen Ursachen ansetzen. Um eine effektive Regulierung der internationalen Finanzmärkte zu gewährleisten, ist zudem eine internationale Koordinierung notwendig.

Agrarrohstoffe stehen im Fokus der G20

Die Frage nach einem möglichen Einfluss von Spekulation auf die Preisentwicklung bei Agrarrohstoffen ist auf internationaler Ebene insbesondere im Rahmen der französischen G20-Präsidentschaft in den Fokus gerückt.[1] Auch die am 2.2.2011 veröffentliche EU-Rohstoffmitteilung [2] befasst sich erstmals mit dem Einfluss der Finanzmärkte auf die physischen Rohstoffmärkte, insbesondere auf die Märkte für Agrarrohstoffe. Dahinter steht die Vermutung, dass die zuletzt gestiegene Preisvolatilität auf den internationalen Agrarrohstoffmärkten, also die intensiveren Preisausschläge bei Agrarrohstoffen wie Weizen, Mais usw., auf das erhöhte Engagement der Finanzmarktakteure der Derivatemärkte zurückzuführen sein könnte.

Die Frage nach der möglichen Auswirkung von Spekulation auf die Preisentwicklung auf Agrarrohstoffmärkten und eine daraus folgende Notwendigkeit und Ausgestaltung möglicher Regulierungsmaßnahmen ist im Kontext mit den allgemeinen Bestrebungen der G20 zu sehen, die Finanzmärkte als Reaktion auf die Finanz- und Wirtschaftskrise stärker zu regulieren. Derzeit wird diese Zielsetzung auf Märkten für Finanzprodukte auf verschiedenen politischen Ebenen umgesetzt. Dabei soll durch adäquate Regulierung ein Missbrauch von Finanzinstrumenten unterbunden werden. Dies soll vor allem dadurch geschehen, dass die Transparenz hinsichtlich der abgesicherten bzw. nicht abgesicherten Risiken erhöht wird. Zudem wird diskutiert, dass unterbesicherte Risiken verstärkt mit Sicherheiten zu unterlegen sind.

In diesen Regulierungsbereich fallen auch Derivate, die auf Agrarrohstoffen basieren. Gleichwohl entsteht häufig der Eindruck, dass an die Regulierung der Agrarrohstoff-Derivatemärkte höhere Erwartungen geknüpft werden, nämlich dass durch eine strengere Regulierung Preisschwankungen reduziert würden und letztlich die Nahrungsmittelpreise sinken könnten. Unabhängig davon, ob eine stärkere Regulierung der auf Agrarrohstoffen basierenden Derivatemärkte gerechtfertigt sein kann oder nicht, sei bereits jetzt vorweggenommen, dass mit einer stärkeren Regulierung der Derivate- bzw. Warenterminmärkte für Agrarrohstoffe nicht zwangsläufig ein niedrigeres Nahrungsmittelpreisniveau verbunden sein muss. Denn auch eine Regulierung der Agrarrohstoff- Derivatemärkte kann die grundlegenden Fundamentaldaten nicht außer Kraft setzen. Angebots- und Nachfragefaktoren, darunter auch die Markt- und Wettbewerbsstruktur im Nahrungsmittelbereich, sind wesentliche Bestimmungsfaktoren für die Nahrungsmittelpreise.

[1] Vgl. www.g20.org/Documents2011/02/COMMUNIQUE-G20_MGM%20_18-19_February_2011.pdf.

[2] Vgl. http://ec.europa.eu/enterprise/policies/raw-materials/files/docs/communication_de.pdf.

Mit Spekulation werden Gewinne aus Preisdifferenzen erzielt

Spekulation wird im ökonomischen Kontext als eine auf Gewinnerzielung aus Preisveränderungen gerichtete Geschäftstätigkeit definiert. Aus ökonomischer Sicht ist Spekulation ähnlich der Arbitrage. In beiden Fällen handelt es sich um den Versuch, aus Preisdifferenzen Gewinne zu erzielen. Arbitrage beschreibt dabei die risikolose unmittelbare Ausnutzung von Preisunterschieden in unterschiedlichen Märkten. Spekulation ist demgegenüber risikobehaftet, weil sie sich auf die Ausnutzung zukünftiger, subjektiv erwarteter Preisunterschiede bezieht.

So kann etwa ein Landwirt erwarten, dass der gegenwärtige Weizenpreis (Kassapreis) zukünftige Angebots- oder Nachfragebedingungen nicht vollständig widerspiegelt. Wenn er steigende Weizenpreise erwartet, wird er beschließen, seine Ernte erst zu einem späteren Zeitpunkt zu verkaufen, und entsprechende Kosten für die Lagerung auf sich nehmen. In einem anderen Fall könnte er erwarten, dass der vom Markt für Januar 2012 prognostizierte Preis für Weizen (Terminpreis) dann im Januar höher oder niedriger sein wird, und entsprechende Vorkehrungen treffen. Es gibt Finanzinstrumente, die es ihm ermöglichen, von den subjektiv erwarteten Preisänderungen zu profitieren bzw. sich gegen Preisänderungen abzusichern:

  • Warentermingeschäft (physische Lieferung an einem bestimmten Termin zu einem vorab vereinbarten Preis),

  • derivates Termingeschäft mit Cash-Settlement (bei Fälligkeit erfolgt keine physische Lieferung, sondern ein Zahlungsausgleich der Preisdifferenz zwischen Sicherungspreis und aktuellem Marktpreis) und

  • Optionen (Möglichkeit, sich gegen die Abweichung von einem bestimmten zukünftigen Preis abzusichern).

Bei dem Landwirt handelt es sich ebenso wie bei Händlern um Marktteilnehmer, die physische Rohstoffe handeln (so genannte "commercials"). Sie nutzen Finanzinstrumente in der Regel, um sich gegen Preisschwankungen abzusichern. Daneben sind auf Derivatemärkten reine Finanzmarktakteure (so genannte "non-commercials") aktiv. Diese zeichnen sich im Gegensatz zu den "commercials" dadurch aus, dass sie den Rohstoff in der Regel nicht selbst physisch beziehen oder anbieten bzw. den Rohstoff nicht selbst in ihrem täglichen Geschäft verwenden. Typische Beispiele für "non-commercials" sind institutionelle Anleger, die speziell auf sie zugeschnittene Finanzmarktinstrumente wie Zertifikate - eine weitere Form von Derivaten - auf Agrarrohstoffbasis als Anlageobjekte nutzen.

"Non-commercials" werden häufig in der Rolle der "Spekulanten" gesehen. Ihr Auftreten und ihre Aktivitäten werden vielfach für steigende Agrarrohstoff- und Nahrungsmittelpreise verantwortlich gemacht, weil ihr Anlageverhalten nicht auf die "traditionellen" und allgemein akzeptierten Absicherungsmotive abzielt. In der mikroökonomischen Theorie werden "non-commercials" jedoch wichtige Funktionen auf den Derivatemärkten zugesprochen: Erstens, so wird argumentiert, tragen ihre Aktivitäten dazu bei, dass Änderungen in den Fundamentaldaten, d. h. Informationen über gegenwärtige und künftige Angebots- und Nachfragebedingungen für Agrarrohstoffe, sich rasch in den Marktpreisen widerspiegeln. Zweitens können sie zur Versorgung der Märkte mit Liquidität beitragen. Und drittens können sie den "commercials" auch als Hedgingpartner dienen, indem sie Preisänderungsrisiken übernehmen, für deren Absicherung jene ansonsten keinen Gegenpart finden würden.

Dennoch besteht die Möglichkeit, dass Spekulation auch ein eigenständiger Faktor bei der Preisbildung sein kann, z. B. wenn Positionen allein aufgrund der Erwartung eines künftig höheren Marktpreises eingenommen wurden, ohne die zugrunde liegenden Fundamentaldaten auf der physischen Angebots und Nachfrageseite zu berücksichtigen. In diesem Fall spricht man von einem typischen "Blasen-Phänomen", bei dem die Preisentwicklung einzig von der Erwartung künftig noch höherer Preise getrieben wird. Da einzelne Marktakteure nur in den seltensten Fällen über eine ausreichende - und wenn überhaupt, dann nur über eine kurzfristige - Marktmacht verfügen, um Preise beeinflussen zu können, treten solche "Blasen-Phänome" meist in Folge eines so genannten Herdenverhaltens auf.

Als mögliche Ursachen für ein solches Herdenverhalten können makroökomische Rahmenbedingungen eine Rolle spielen. So könnte etwa eine expansive Geldpolitik der Zentralbanken in Japan, den USA und im Euroraum zu einem Liquiditätsüberschuss auf den globalen Finanzmärkten führen. Wenn viele Anleger in gleichgerichteter Weise nach geeigneten Anlagemöglichkeiten für diesen Liquiditätsüberschuss z. B. auf Derivatemärkten suchen, könnte der steigende und gleichgerichtete Kapitalzufluss in diese Märkte die Entstehung eines "Blasen-Phänomens" begünstigen. Auf der Suche nach Ursachen für einen möglichen Einfluss von Spekulanten auf Preisveränderungen auf Rohstoffmärkten und daraus folgenden Regulierungsmaßnahmen müssen also neben mikro- auch makroökonomische Aspekte berücksichtigt werden.

Die Fundamentaldaten: Angebot und Nachfrage sind entscheidend

Um der Frage nach den Ursachen für gestiegene Preisvolatilität von Agrarrohstoffen nachgehen zu können, ist es zunächst notwendig, sich die Fundamentaldaten, d. h. die Angebots- und Nachfragebedingungen, genauer anzusehen. Ein Vergleich mit allgemeinen Rohstoffmärkten scheint dabei auch mit Blick auf die oft angeführten Besonderheiten von Agrarrohstoffmärkten lohnend.

  

Angebot und Nachfrage auf Rohstoffmärkten sind allgemein von längerfristigen Trends bestimmt ...

Rohstoffmärkte sind allgemein in der kurzen Frist sowohl angebots- als auch nachfrageseitig durch eine geringe Flexibilität gekennzeichnet, da Rohstoffe häufig kurzfristig nur sehr eingeschränkt substituierbar und Produktionsanpassungen mit Kosten verbunden sind. Daher können veränderte Markterwartungen oder Rahmenbedingungen kurzfristig zu extremen Preisausschlägen, also zu einer hohen Preisvolatilität, führen.

Die Nachfrage nach Rohstoffen wird derzeit in erster Linie getrieben durch Schwellenländer wie China und Indien. Rohstoffmärkte weisen häufig auf der Angebotsseite prozyklische Verhaltensweisen auf, d. h. Explorationen neuer Rohstoffvorkommen finden häufig erst in Zeiten hoher Gewinne statt. Kurzfristig hohe Preise geben demnach Anreize für Investitionen in die Suche nach und die Erschließung von neuen Vorkommen. Die derzeit zu vernehmenden Ankündigungen der Rohstoffkonzerne anlässlich ihrer Bilanzpressekonferenzen lassen auf eine geplante Ausweitung der Abbaukapazitäten schließen. Die in jüngster Zeit zu beobachtende Verknappung bestimmter Rohstoffe auf der Angebotsseite ist zudem teilweise auf einseitig verhängte Handelsbeschränkungen und Zölle, wie bei der Ausfuhr seltener Erden aus China, eine größere Konzentration der Anbieter sowie Lagerstätten in politisch und klimatisch unsicheren Gebieten zurückzuführen.

  

... auf Agrarrohstoffmärkten zudem durch Klima- und Witterungseinflüsse

Die Entwicklung der Nachfrage auf Agrarrohstoffmärkten hängt im besonderen Maße vom Bevölkerungswachstum (erwarteter Anstieg von derzeit 6,8 auf rd. 9,3 Milliarden Menschen im Jahr 2050) sowie dem Verbrauchsanstieg ab, insbesondere in "boomenden", bevölkerungsreichen Schwellenländern wie China und Indien. Eine kurzfristig erhöhte Nachfrage kann auch auf Lagerbildung zur Vorsorge gegen Hungersnöte in politisch instabilen Staaten zurückgeführt werden. Allerdings spielen Agrarrohstoffe bzw. die auf Agrarrohstoffen basierenden Finanzinstrumente auch als Anlageobjekt und zur Risikoabsicherung gegen Aktienkurs- und Währungsverluste eine zunehmend wichtigere Rolle.

Das Angebot wird vor allem von Klimafaktoren sowie Lagerbeständen beeinflusst. Missernten infolge von Dürren und Überschwemmungen haben bereits in der Vergangenheit immer wieder zu starken Preisschwankungen geführt. Dabei gibt es zum einen mit "El Niño" ein Klimaphänomen, das sich auf einen großen Teil der Erde erstreckt, mit Trockenheit in Südostasien und Australien sowie starken Regenfällen in Südamerika. Zum anderen können auch regional begrenzte Klimafaktoren eine gewichtige Rolle spielen, zumal die Produktion einzelner Agrarrohstoffe regional relativ stark konzentriert ist (vgl. Abbildung 1, PDF Monatsbericht 07/11, S. 11).[3]

Als weiterer Einflussfaktor ist die Wechselwirkung mit den Energiepreisen zu sehen. Höhere Öl- bzw. Energiepreise führen einerseits zu einer direkten Verteuerung der Produktion von Agrarrohstoffen. Andererseits steigt infolge hoher Ölpreise auch indirekt die Nachfrage nach Agrarrohstoffen zur Herstellung von Biotreibstoffen als Alternative. [4] Das führt ab einem bestimmten Ölpreis zu einer stärkeren Korrelation zwischen Lebensmittel- und Ölpreis (vgl. Abbildung 2, PDF Monatsbericht 07/11, S. 12).

Projektionen deuten darauf hin, dass der Preisdruck infolge vermehrter Nutzung von Agrarrohstoffen für die Biokraftstoffproduktion in Zukunft noch zunimmt.

Des Weiteren trägt auch die Verhängung unilateraler Exportverbote, wie etwa im Falle Russlands nach den Bränden im Jahr 2010, zur Angebotsverknappung bei. Prinzipiell ist das Angebot von Agrarrohstoffen - abgesehen von Lagerbestandsanpassungen - kurzfristig nicht sehr flexibel. Aufgrund der periodischen, zumeist jährlichen, Anbauzeiten ist es allerdings etwas flexibler als bei anderen Rohstoffen, bei denen längere Zyklen von 2-3 Jahren vorherrschen. Die größten Potenziale für Angebotssteigerungen von Agrarrohstoffen liegen vor allem in einer stärkeren Marktintegration der Agrarmärkte in Entwicklungsländern, aber auch im Abbau von Handelshemmnissen, z. B. durch Abschluss der WTO Doha-Runde und Verbote unilateraler Exportrestriktionen, sowie der Erhöhung der Produktivität. Beispiele sind der Ausbau von Infrastruktur, damit Marktzugang überhaupt erst möglich wird, sowie Investitionen in Bildung und F&E zur Steigerung der
Produktivität. [5]

[3] Vgl. etwa DB Research 2011 "Steigende Lebensmittelpreise - strukturell oder temporär?" vom 28. März 2011.

[4] So wurden im Zeitraum der Jahre 2007-2009 etwa 20 Prozent des Rohrzuckers zur Biospritgewinnung genutzt (vgl. FAO et al., 2011: Price Volatility in Food and Agricultural Markets: Policy Responses, S. 9).

[5] Vgl. z.B. FAO et al., 2011: Price Volatility in Food and Agricultural Markets: Policy Responses, S. 14-16.

Der Einfluss von Spekulation auf Rohstoffpreise ist nicht eindeutig belegt

Gestiegenes Interesse von Finanzinvestoren

Die Hypothese, dass Aktivitäten auf den Terminmärkten die Preise an den Rohstoffmärkten - losgelöst von den Fundamentaldaten - beeinflussen und ein so genanntes "Blasen-Phänomen" auslösen können, lässt ein Blick auf die an den Termin-/Derivatemärkten gehandelten Volumina vermuten: So wird an der Rohstoffbörse in Chicago mittlerweile das 46-Fache der jährlichen Weizenproduktion und das 24-Fache der jährlichen Mais-Produktion gehandelt. Die Europäische Kommission stellte fest, dass die Investitionen in Warentermingeschäfte zwischen 2003 und 2008 von 13 Milliarden Euro auf 170-205 Milliarden Euro angestiegen sind.[6] Das Gesamtvolumen für Rohstoffinvestments wird Ende 2010 auf 300 Milliarden US-Dollar geschätzt, davon entfallen fünf Prozent auf Agrarrohstoffe. [7]  

Ein Grund für das gestiegene Finanzvolumen ist, dass Finanzinvestoren, also die "non-commercials", Rohstoffe bzw. von Rohstoffen abgeleitete (derivate) Finanzprodukte als Anlagemöglichkeit entdeckt haben. So wies etwa eine Studie der Ökonomen Gary Corton und K. Geert Rouwenhorst im Jahr 2004 darauf hin, dass mit Anlagen in Rohstoffen zwischen 1959-2003 eine jährliche Rendite von 11,5 Prozent erzielt werden konnte. [8]

[6] Vgl. http://ec.europa.eu/enterprise/policies/raw-materials/files/docs/communication_de.pdf, S. 2.

[7] Vgl. Deutsche Bundesbank (2011), "Zum Zusammenhang zwischen Spekulation und Preisvolatilitäten in Agrar-Futuresmärkten".

[8] Vgl. Corton, Gary and Rouwenhorst, K. Geert (2004), "Facts And Fantasies About Commodity Futures", Yale ICF Working Paper No. 04-20, June 2004.

Führen Aktivitäten von Finanzinvestoren auf den Terminmärkten zu höheren Rohstoffpreisen?

Finanzinvestitionen in Rohstoffderivatemärkte dienen auch zur Absicherung von Risiken auf Aktienmärkten sowie von Währungsrisiken. So zeigt McKinnon (2011), dass die seit 2008 von der US-amerikanischen Notenbank Fed betriebene expansive Geldpolitik eine wesentliche Ursache für die Preissteigerungen auf den Rohstoffmärkten ist.[9] Da die meisten Rohstoffe in US-Dollar fakturiert werden, müsste sich die Rohstoffpreissteigerung nicht zwingend auf andere Märkte ausdehnen. Sie könnte durch entsprechende Anpassungen des Wechselkurses, d. h. Abwertung des US-Dollars, ausgeglichen werden. Wenn aber viele Zentralbanken, insbesondere auch in den großen Schwellenländern, eine expansive Geldpolitik verfolgen, kann es zu einer weltweiten Inflation und zu einem globalen Anstieg der Rohstoffpreise kommen. Tatsächlich preisen Rohstoffmärkte solche Inflationstendenzen rasch ein.[10] Infolge expansiver Geldpolitik erhöht sich das Interesse der Finanzmarktakteure an werterhaltenden Anlagen. Dabei kann gleichgerichtetes Verhalten, so genanntes Herdenverhalten, die Entstehung eines "Blasen-Phänomens" unterstützen. Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn die physischen Rohstoffmärkte besondere Charakteristika, die eine Blasenbildung fördern, aufweisen.

Ein Markt weist umso mehr Tendenzen zur Blasenbildung auf, je intransparenter er ist und je schwieriger sich die Bestimmung des Fundamentalwertes des gehandelten Gutes darstellt. Als Hinweis für eine Blasenbildung kann eine hohe Korrelation von Preisen verschiedener Ressourcenarten angenommen werden, die losgelöst von den Fundamentaldaten zu erfolgen scheint. Wichtige Faktoren, die eine solche Korrelation begünstigen, sind das niedrige Zinsniveau sowie die Risikoaversion der Anleger.[11] Während sich vor einer Krise viele Investoren mit einer hohen Risikoneigung finden, die in risikoreiche Anlagen investieren, nimmt deren Zahl während oder infolge einer Rezession stark ab. Dies könnte ebenfalls als Erklärung für die gleichförmige Preisbewegung dienen.

Wissenschaftlich lässt sich der Einfluss der "noncommercials" auf die Preise nicht klar belegen: Eine Ursache liegt in der fehlenden oder zumindest wenig belastbaren Datenbasis. Eine gemeinsame Studie von FAO (Food and Agriculture Organization), IFAD (International Fund for Agricultural Development), OECD, UNCTAD, Weltbank, WTO, IFPRI (International Food Policy Research Institute) und den VN als Beitrag für den G20-Prozess lässt die Frage nach dem Einfluss von Spekulation durch "non commercials" offen.[12] Dies ist insofern wenig verwunderlich, als die beteiligten Institutionen unterschiedliche Sichtweisen offenbarten. Sie konnten sich aber darauf einigen, dass zusätzlicher Forschungsbedarf auf diesem Gebiet besteht. Eine Studie der Welthungerhilfe (2011)[13] vermutet, dass es zwar Einflüsse von "Spekulanten" gebe, deren Bedeutung aber als weitaus geringer einzuschätzen sei als die Nachfragefaktoren. Einzelne Studien der OECD (2010), der VN (2010) sowie der Bundesbank (2011) äußern ebenfalls Skepsis an einem wesentlichen Einfluss von Spekulanten auf die Agrarrohstoffpreise.[14]

Irwin und Sanders weisen im Rahmen ihrer von der OECD 2010 veröffentlichten Studie darauf hin, dass ein systematischer Einfluss von Spekulanten auf die Preise nur möglich wäre, wenn über Termingeschäfte das Angebot an Rohstoffen durch Lagerbildung oder durch geringere Produktion künstlich verknappt werden könnte. Zu beobachten ist aber gerade ein prozyklisches Verhalten der Rohstoffunternehmen, die verstärkt in neue Abbaustätten investieren. Zudem stiegen während der letzten Rohstoffpreishausse in den Jahren 2006 - 2008 die Lagerbestände von lagerfähigen Rohstoffen nicht, sondern sie sanken. Bei Agrarrohstoffen spielt zudem die Haltbarkeit eine Rolle, so dass die Lagerfähigkeit zeitlich restringiert ist.

Wenn institutionelle Anleger und Finanzinvestoren tatsächlich einen höheren, von den Fundamentaldaten losgelösten Preis längerfristig realisieren könnten, müssten mit der Zeit "Fundamentalisten" auftreten, die auf einen niedrigeren Preis setzen und damit stabilisierend wirken würden. Zudem waren die empirischen Preiswirkungen nicht allein auf Rohstoffe, für die ein Terminmarkt existiert, begrenzt. Preisschwankungen waren auch auf Rohstoffmärkten zu beobachten, obwohl keine Indexfonds auf den entsprechenden Terminmärkten engagiert waren. Historische Evidenz deutet sogar darauf hin, dass ein Verbot von Agrarterminmärkten (z. B. 1896 im Deutschen Reich) mit dem Ziel, Spekulation einzudämmen, zu tendenziell erhöhter Preisvolatilität im Kassamarkt geführt hat.

Die Analysen der OECD, VN und Bundesbank legen nahe, dass Aktivitäten der Marktteilnehmer auf Terminwarenmärkten im Zeitraum 1995 - 2010 sogar zu einer Reduktion der Preisvolatilität auf den Rohstoffmärkten beigetragen und sich somit tendenziell stabilisierend ausgewirkt haben im Vergleich zu Rohstoffmärkten ohne entsprechende Finanzinstrumente. Dies könnte als Beleg dafür gesehen werden, dass die Aktivitäten der Teilnehmer im Sinne der Arbitragesuche zu einem Abbau von Ungleichgewichten bzw. Informationsdefiziten mit Blick auf die Fundamentaldaten beigetragen und nicht etwa Ungleichgewichte ausgelöst oder verstärkt haben.

[9] Vgl. McKinnon, R. (2011), The cusp of worldwide inflation. How the Federal Reserve is making the global economy less stable, in: The international economy, 25 (2011), 1, S. 30 - 31.

[10] Vgl. McKinnon, R. (2011), a.a.O.

[11] Vgl. Commerzbank (2011): Alles hängt am Ölpreis - aber woran hängt der?, Economic Research vom 15. April 2011, S. 2 - 4.[12] Vgl. FAO et al., 2011: Price Volatility in Food and Agricultural Markets: Policy Responses, S. 21.

[13] Vgl. Welthungerhilfe (2011) (Bass, H.H., Finanzmärkte als Hungerverursacher?, in: http://www.welthungerhilfe.de/fileadmin/media/pdf/Studien/FINAL_WHH_2011-04-08.pdf).

[14] Vgl. OECD [Irwin, S. H. and D. R. Sanders (2010), "The Impact of Index and Swap Funds on Commodity Futures Markets: Preliminary Results", OECD Food, Agriculture and Fisheries Working Papers, No. 27, OECD Publishing], VN [Gilbert, C. L. (2010) "Speculative Influences on Commodity Futures Prices 2006-2008, No. 197], Bundesbank (2011) "Zum Zusammenhang zwischen Spekulation und Preisvolatilitäten in Agrar-Futuresmärkten".

Wie viel und welche Regulierung?

Zwar gibt es bislang auf Basis von mikroökonomischen Studien keine eindeutigen empirischen Belege für den kausalen Einfluss von Spekulation auf Rohstoffpreise. Dennoch besteht die Gefahr, dass in Zeiten expansiver Geldpolitik die Märkte mit Liquidität "überschwemmt" und somit die eigentlich mikroökonomisch fundierte Funktion der Rohstoffderivate durch diesen makroökonomischen Effekt überlagert werden könnten.

Effiziente wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Vermeidung möglicher "Blasen-Phänomene" auf Rohstoffmärkten müssten primär an der Ursache ansetzen. Auf makroökonomischer Ebene ist die Verfolgung einer geldwertstabilisierenden Währungspolitik eine zentrale Voraussetzung, um einen übermäßigen Liquiditätszufluss in die Derivatemärkte und damit die Gefahr einer Blasenbildung zu reduzieren.

Auch auf mikroökonomischer Ebene stellt sich die Frage nach weiteren regulatorischen Rahmensetzungen für Derivatemärkte. Wichtigste Maßnahme, um einem "Blasen-Phänomen" vorzubeugen, ist die Schaffung von mehr Transparenz, und zwar sowohl auf den Warentermin- und Derivatemärkten als auch auf den Agrarrohstoffmärkten. Vorschläge der französischen G20-Präsidentschaft zielen daher vor allem darauf ab, eine größere Transparenz bezüglich der Produktion, des Verbrauchs und der Lagerung von Agrarrohstoffen zu erreichen. Darüber hinaus bieten die Vorschläge für die EU-Finanzmarktregulierungen, insbesondere für so genannte Over-The- Counter (OTC)-Derivate, wichtige Fortschritte für mehr Transparenz in diesem Segment. Sie sollten auch global Anwendung finden.

Bei weitergehenden Regulierungen, die über die Schaffung von mehr Transparenz hinausgehen, sind auch mögliche Folgewirkungen zu berücksichtigen. Dies gilt etwa für die häufig vorgeschlagenen Positions- oder Preislimits, die insbesondere die Aktivitäten der "non-commercials" beschränken sollen. Eine nicht international abgestimmte Einführung solcher Regulierungen dürfte dazu führen, dass Akteure an andere Standorte abwandern. Damit könnte es für "commercials", die ihre Produktion oder ihren Bedarf gegen Preisänderungsrisiken absichern wollen, schwieriger werden, "non-commercials" als Hedgingpartner auf den heimischen Finanzmärkten zu finden. Somit könnten auch "commercials" gezwungen sein, auf andere Finanzplätze auszuweichen.

Kontakt: Dr. Friedrich Gröteke

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