Naturschutz heute – Ausgabe 2/01 vom 27. April 2001


Fatale Wirkung
Wasserkraftnutzung lässt Sachsens Flüsse sterben.

von Bernd Heinitz

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Ob die Rote Weißeritz, Flöha, Mulde oder Zschopau: Zahlreiche sächsische Flüsse siechen dahin und schuld sind unzählige so genannte Kleinwasserkraftanlagen (KWKA). Bereits Ende 1997 hat der NABU Sachsen hierzu anhand einer ausgewählten Region im Regierungsbezirk Chemnitz eine umfassende Dokumentation vorgelegt. Inzwischen ist viel darüber geredet und geschrieben worden; erschreckende Fotos sind durch die Presse und über den Bildschirm gegangen.

Sachsens damaliger Umweltminister Arnold Vaatz räumte seinerzeit ein: "Was an einigen Flüssen im Erzgebirge geschieht, ist nicht zu vertreten." Auf Arnold Vaatz folgte Rolf Jähnichen und auf diesen Steffen Flath. Alle drei Minister haben die Problematik zweifellos ernst genommen - aber sie haben sie nicht gelöst. Die Situation an Sachsens Fließgewässern ist unverändert dramatisch.

Keine Besserung in Sicht
Neuste Untersuchungen des NABU in den Regierungsbezirken Dresden und Leipzig zeigten ebenso besorgniserregende Zustände wie 1997 im Regierungsbezirk Chemnitz - wo die Ämter im Bemühen um die Durchsetzung gesetzlicher Regelungen inzwischen auf den erbitterten Widerstand der Kraftwerksbetreiber stoßen. In dem vom NABU untersuchten Gebiet an Gottleuba, Wilder und Roter Weißeritz sowie Müglitz ist an die lebensnotwendige Wanderung der Fische nicht mehr zu denken, denn kein einziges der vom NABU erfassten Wehre verfügt über eine Fischaufstiegshilfe. In allen betroffenen Gewässern ist das ökologische Gleichgewicht stark gestört. Für Fließgewässerfische besteht biologisch die Notwendigkeit zu wandern. Die Unterbrechung oder die Behinderung der Wanderung führt zur Einschränkung der Fortpflanzungsmöglichkeiten und zur Isolation von Teilpopulationen - und letztendlich zu einem drastischen Artenschwund.

Die KWKA Stenzel und Troiber (Sächsische Schweiz) beispielsweise sorgen mit fast vollständiger Ausleitung des Wassers dafür, dass die Gottleuba unterhalb des Wehrs mehr oder weniger trocken liegt. Ähnlich verhält es sich an der Anlage Rabenauer Grund, wo zu Zeiten der Wasserentnahme die für ein funktionierendes Ökosystem notwendige Wassermenge erheblich unterschritten wird. An anderen Gewässern werden nahezu 100 Prozent des Wassers ausgeleitet. Nur Sickerwasser gelangt in den eigentlichen Bachlauf.

Letzte verirrte Fische
Vollkommen unverständlich ist, dass in Kenntnis der vorgenannten Probleme und im Zeitalter der Renaturierung und Wiederherstellung unserer Flusslandschaften es heute in Sachsen überhaupt möglich ist, immer neue Wasserkraftanlagen zu genehmigen. Zeigen doch umfangreiche Projekte in der gesamten Europäischen Union, wie zum Beispiel das Elbe-Lachs-Programm 2000, dass die Wiederansiedlung einheimischer Fischarten und die Schaffung natürlicher Fortpflanzungsmöglichkeiten einen besonders hohen Stellenwert haben.

Aber der Wahnsinn geht weiter. So wurde erst vor nicht allzu langer Zeit eine Anlage im Töpelwinkel im Regierungsbezirk Leipzig genehmigt. Mit Zustimmung und Duldung der Naturschutzbehörde und gegen den Protest der Bürger, die ihr Naherholungsgebiet erhalten wissen wollten, geht dort ein malerischer Teil des Landschaftsschutzgebietes Freiberger Mulde-Zschopau brutal zugrunde. Die Landschaft ist verschandelt und der Wasserstand der Zschopau so niedrig, dass die letzten verirrten Fische eine leichte Beute der Kormorane werden.

Die Reihe der Beispiele könnte fortgesetzt werden. Erwähnt sei nur noch eine Anlage am noch naturnahen Schanzenbach, dem für Nordwestsachsen bedeutendsten Wildfischgewässer mit Rote-Liste-Arten wie Schmerle, Bachneunauge und sogar Steinbeißer. Dass auch der Schanzenbach zu einer feuchten Grünanlage verkommt wie viele andere sächsische Flüsse, muss befürchtet werden.

Die Oberläufe der Fließgewässer im Erzgebirge und Vogtland sind bevorzugter Lebensraum von Kieslaichern. Diese Fische benötigen gut durchströmte Unterwasserkiesbänke als Laichplätze. Durch den Aufstau wird, bedingt durch die Abflussberuhigung, der kiesige Untergrund mit Feinsedimenten überlagert. Der Gewässerboden verliert seine Tauglichkeit als Laichplatz und Nahrungsgrund, der Lebensraum Fließgewässer eines seiner wichtigsten Elemente. Diese Situation ist skandalös und um so bedenklicher, als es sich um dauerhafte Eingriffe handelt, von denen sowohl die Tier- und Pflanzenwelt der Flüsse und ihrer Ufer als auch das Kleinklima und nicht zuletzt die Schönheit der Landschaft empfindlich betroffen sind. Elektroenergiegewinnung durch Kleinwasserkraftanlagen steht im Widerspruch zu den Zielen des Naturschutzes und die Politik muss endlich Konsequenz daraus ziehen.

Mindestens 250 Wehre
Landesweit sind derzeit mindestens 250 Kleinwasserkraftanlagen in Betrieb. Diese Anlagen stellen schon durch ihre Anzahl an sächsischen Fließgewässern einen nachhaltigen und erheblichen Eingriff in die Natur dar. Davon befinden sich allein 158 in der Region Erzgebirge/Vogtland. Hinzu kommen noch einmal so viele zur Zeit ruhende, nicht betriebene Anlagen.

Wasserkraftanlagen werden in Sachsen überwiegend auf der Basis von so genannten "Altwasserrechten" betrieben. Diese Rechte wurden teilweise im 19. Jahrhundert vergeben. Diese alten Wasserrechte enthalten keine Auflagen für Wassermengen, die aus ökologischer Sicht im Flussbett verbleiben müssen. Der Grund ist relativ einfach: Zur damaligen Zeit waren zum Teil Wasserräder in Gebrauch, später kleinere Turbinen, mit anderen Worten, die ausgeleiteten Wassermengen waren so gering, dass kaum Gefahren bestanden. Heute werden auf Grundlage dieser Rechte jedoch moderne Turbinen mit großem Schluckvolumen betrieben. Da das Altrecht keine Auflagen enthält, wird vor allem bei Niedrigwasser oft das gesamte Wasser dem Fluss entnommen.

Gesetze ohne Wirkung
Das Landesnaturschutzgesetz stellt unverbaute Flussabschnitte unter generellen Schutz und der Landesentwicklungsplan schreibt fest, dass Gewässer und ihre Ufer in ihrer naturraumtypischen Ausprägung zu erhalten und - soweit sie in ihren ökologischen Funktionen nachhaltig gestört sind - zu renaturieren sind. Was ist ein solcher Landesentwicklungsplan, was ist ein Naturschutzgesetz wert, wenn sie zugunsten von Privatinteressen jederzeit ignoriert werden können? Wasserkraftanlagen mit einer Leistung unter einem Megawatt tragen weder in nennenswertem Umfang zur Stromgewinnung bei, noch haben sie einen ins Gewicht fallenden Einfluss auf die Kohlendioxidminderung. Alle Kleinwasserkraftanlagen Deutschlands zusammen mindern die Kohlendioxidbilanz gerade mal um 0,1 Prozent.

Der NABU Sachsen ist nicht grundsätzlich gegen die Nutzung der Wasserkraft. Selbstverständlich sollen alternative Energieträger sinnvolle genutzt werden. Aber es muss die Prüfung des einzelnen Standortes durchgesetzt werden. Nur wenn die Natur am Gewässer intakt bleibt, ist die Wasserkraft wirklich umweltfreundlich.

Auf Initiative des NABU gründete sich im Oktober 1998 eine "Allianz für Sachsens Flüsse". Zwölf Organisationen aus Sport, Naturschutz, Jagd, Angeln, Jugend und Tourismus haben sich zusammengeschlossen, um gemeinsam mit Nachdruck die Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Behörden zur Umsetzung konkreter Maßnahmen zum Schutz der sächsischen Fließgewässer zu bewegen.

Zerstörung beenden
Der Weg aus der Katastrophe führt über die Politiker, die sich längst bekannten Tatsachen endlich mit Konsequenz stellen müssten: Elektroenergiegewinnung durch Kleinwasserkraftanlagen steht im Widerspruch zu den Zielen des Naturschutzes und ist nicht nur unter ökologischen, sondern auch unter ökonomischen Aspekten höchst fragwürdig. Wasserkraftanlagen, deren Leistung unter einem Megawatt liegt, tragen weder in nennenswertem Umfang zur Elektroenergiegewinnung bei, noch haben sie einen ins Gewicht fallenden Einfluss auf die Kohlendioxid-Reduzierung. Sie bringen dem Betreiber Gewinn und zerstören die Natur. Politische Entscheidungen zugunsten von Natur und Umwelt sind überfällig.

Der NABU fordert ein Ende der seit Jahren andauernden sinnlosen Zerstörung der sächsischen Flusslandschaften.


Naturschutz heute, Ausgabe 2/01 vom 27. April 2001


Naturschutz heute ist das Mitgliedermagazin des 1899 gegründeten Naturschutzbundes Deutschland (NABU). Mehr über den NABU und seine Aktivitäten unter www.NABU.de.

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