Stadtkunst

100 Jahre Deutscher Werkbund

Werkbundkiste, 1958; Copyright: Die Neue Sammlung - Staatliches Museum fuer angewandte Kunst / Design in der Pinakothek der Moderne, Muenchen (Foto: Sophie-Renate Gnamm)Werkbundkiste, 1958; Copyright: Die Neue Sammlung - Staatliches Museum fuer angewandte Kunst / Design in der Pinakothek der Moderne, Muenchen (Foto: Sophie-Renate Gnamm)München, Oktober 1907. Zwölf Künstler, Architekten und Unternehmer gründen den Deutschen Werkbund, der als eine der bedeutendsten kulturellen Institutionen des 20. Jahrhunderts in Deutschland Epoche macht. Der Zusammenschluss wird zur Architektur- und Design-Avantgarde mit internationaler Ausstrahlung.

"Vom Sofakissen bis zum Städtebau": So beschrieb der Architekt und Werkbund-Aktivist Hermann Muthesius 1912 die Spannbreite der gestalterischen Aufgaben in einer Zeit, in der Industrialisierung und Massenproduktion die Gesellschaft umwälzten. Das Ziel des Werkbunds war die "Veredelung" der gewerblichen Arbeit, die schnörkellose "gute Form", die sich an Qualität und Funktion orientiert. Ob es um das perfekte Teetassen-Design oder fortschrittliche Fabrikarchitektur ging, um den Verkaufs fördernden Werbeschriftzug auf der Keksdose oder um ambitionierten Wohnungsbau: Dem Deutschen Werkbund ist es gelungen, Architektur, Kunst und Design eines ganzen Jahrhunderts entscheidend zu prägen. Schon kurz nach seiner Gründung vereinte er die innovativsten Architekten und Gestalter der Zeit – ohne dass sich die schöpferischen Freigeister deshalb einem einheitlichen künstlerischen Programm unterwarfen. Grundlage des Werkbund-Erfolgs waren die Kreativität, Innovationskraft und Durchsetzungsfähigkeit seiner Mitglieder.

Beitrag zu einem glücklicheren Leben

Peter Behrens, Architekt und Gründungsmitglied des Werkbunds, hat den Beruf des Designers erfunden. Nachdem er 1907 zum künstlerischen Berater der AEG in Berlin berufen worden war, entwickelte Behrens mit einem Gestaltungsanspruch, der sich vom Bau einer Turbinenhalle über Entwürfe für elektrische Wasserkessel bis hin zur Typografie des Firmenbriefbogens erstreckte, eine "Corporate Identity" für das Unternehmen. Der Deutsche Werkbund erwies sich nicht nur in diesem Fall als erfolgreiche Vermarktungsgesellschaft für Industrieprodukte. Doch er war weit mehr. Der "Kampf gegen Hässlichkeit" und für die "gute Form" sollten auch erzieherisch wirken und einen gesellschafts- und sozialpolitischen Beitrag zu einem glücklicheren Leben leisten. Nach den Plänen von Werkbund-Mitglied Richard Riemerschmid entstand in Hellerau bei Dresden ab 1908 die einzige Gartenstadt in Deutschland, in der Reformideen vom genossenschaftlichen Grundbesitz, vom unkündbaren Mietrecht und vom Wohnen, Leben und Arbeiten im Grünen umgesetzt wurden. Die 1912 eröffnete "Bildungsanstalt" machte Hellerau darüber hinaus zu einem lebendigen und international wirksamen Zentrum kultureller Aktivitäten.

1914 zeigte der Deutsche Werkbund seine Leistungen in einer großen Ausstellung in Köln. Das spektakuläre Glashaus von Bruno Taut, eine in den Abendstunden bunt beleuchtete Architektur-Skulptur, war ein zukunftweisender Höhepunkt der Schau.

Nach dem Ersten Weltkrieg knüpfte der Werkbund an seine Programmatik an, mustergültige Gestaltungen auf der Grundlage neuer technischer Entwicklungen zu schaffen – materialgerecht, funktional, in konstruktiver Klarheit. Von Anfang an unterstützte der Werkbund auch das Bauhaus, die berühmte Kunst-, Design- und Architekturschule der Klassischen Moderne, die 1919 von dem langjährigen Werkbundmitglied Walter Gropius gegründet worden war.

Meilenstein der Architekturgeschichte

Mit der Siedlung Am Weißenhof in Stuttgart setzte der Deutsche Werkbund 1927 einen weiteren Meilenstein der Architekturgeschichte. 16 Architekten aus fünf Ländern, darunter Le Corbusier, Mies van der Rohe und Hans Scharoun, zeigten in der Werkbundsiedlung neue Bau- und Wohnformen "für den modernen Menschen" – ein bis heute faszinierendes Versuchsfeld der Avantgarde, das die Maximen der Standardisierung und Typisierung mit hohem Stil- und Formbewusstsein verband. Ausgehend von den Stuttgarter Impulsen entstanden in den Folgejahren in Brünn, Breslau, Prag und Wien weitere Musterhaussiedlungen der Moderne.

Der Beginn des NS-Gewaltregimes 1933 bedeutete das Ende des Werkbundes als international wirksamer Kulturinstitution. Er wurde "gleichgeschaltet", blieb aber noch bis 1938 mit einem eigenen Vorsitzenden bestehen.

In den Trümmern der Nachkriegszeit organisierte sich der Werkbund dezentral in Landesverbänden und behielt diese neue föderale Struktur bis heute bei. "Werkbündler" engagierten sich beim Wiederaufbau, richteten Musterwohnungen für die Internationale Bauausstellung in Berlin 1957 ein und entwickelten das Konzept für den Deutschen Pavillon auf der Weltausstellung in Brüssel 1958.

Ganz gegen den fortschrittsgläubigen Zeitgeist setzte der Werkbund 1959 mit der Tagung "Die große Landzerstörung" in Marl ein Thema auf die Agenda, das noch heute aktuell ist: die Folgen der Industrialisierung und Urbanisierung für Umwelt und Ökologie. Was nutzen gute Trinkgläser, wenn das Wasser darin eine "denaturierte Brühe" sei, mahnte der damalige Vorsitzende Hans Schwippert.

In der Publikation 100 Jahre Deutscher Werkbund, die 2007 zum runden Geburtstag der Institution erschienen ist und die gleichnamige Ausstellung begleitet, kommt Winfried Nerdinger zu dem Schluss: "Es ist die Tragik des Werkbundes, dass er als erster – lange vor den Warnungen des Club of Rome, vor der Gründung ‚grüner’ Parteien und der Ökologiebewegung – die entscheidenden Probleme der Zukunft erkannt und benannt hat, aber an der Größe dieser bis heute ungelösten Aufgabe wenn nicht zerbrach, so doch sich selbst zersplitterte."

Engagement für nachhaltige Stadtplanung

Seit den 60er Jahren steht nicht mehr das Design der "guten Form" im Mittelpunkt der Werkbund-Aktivitäten, sondern ein facettenreiches Engagement für eine nachhaltige Stadtplanung und eine bewohnerorientierte Bau- und Wohnungspolitik. Mit diesem Wandel von der "Gesinnungs- zur Aktionsgemeinschaft" und der Regionalisierung – oder "Zersplitterung" – seiner Arbeit verlor der Werkbund an Profil und Wirkkraft. Die Mitgliederzahlen gingen ebenso zurück wie seine Bedeutung in der öffentlichen Wahrnehmung.

Umso beachtlicher ist das Projekt, das der Deutsche Werkbund Bayern plant: die Werkbundsiedlung Wiesenfeld in München. Nach dem Entwurf des japanischen Architekten Kazunari Sakamoto soll am Rand von Schwabing ein Raumgefüge aus Pavillons und schlanken Punkthäusern mit 500 Wohnungen entstehen. Aus Kostengründen steht die Umsetzung des Projekts jedoch auf der Kippe.

Ungewiss ist 100 Jahre nach seiner Gründung auch die Zukunft des Deutschen Werkbunds. Zu tun gäbe es genug: Bisher fehlt eine interdisziplinäre Plattform für Ideen und Entwürfe, wie eine Ästhetik des Lebens und Wohnens im 21. Jahrhundert aussehen könnte, die ökologischen wie ökonomischen Erfordernissen gerecht wird. Aus der Kraft seiner Tradition und mit zeitgemäßem Know-how könnte der Werkbund diese Lücke füllen.

Die Ausstellung zum 100. Geburtstag

Die Ausstellung 100 Jahre Deutscher Werkbund 1907l2007 war vom 19. April bis 26. August 2007 im Architekturmuseum der TU München in der Pinakothek der Moderne zu sehen. Vom 16. September bis 18. November 2007 wurde die Ausstellung in der Akademie der Künste, Berlin, Hanseatenweg gezeigt. Die anschließenden Auslandspräsentationen werden durch das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) organisiert.

Die Ausstellung mit rund 500 Exponaten – Plakaten, Modellen, Möbeln, Design, Zeichnungen und Fotografien – wurde vom Architekturmuseum der Technischen Universität München in Kooperation mit der Technischen Universität Darmstadt (Fachgebiet Geschichte und Theorie der Architektur) organisiert.

Literatur zum Thema

Nerdinger, Winfried in Zusammenarbeit mit Werner Durth (Hg.): 100 Jahre Deutscher Werkbund 1907I2007, München, Prestel Verlag 2007, ISBN-10: 3791338676, ISBN-13: 978-3791338675

Elisabeth Schwiontek
ist freie Journalistin in Berlin

Copyright: Goethe-Institut, Online-Redaktion

Mai 2007