Weltmuseum der Berge: Projekte

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Thomas Metscher (Bremen) [BIO]

Kulturgeschichte der Bergwelt

Entwurf eines Forschungsprojekts


Zielsetzung und methodologische Voraussetzungen
I. Natur, Kultur, Ästhetik und Geschichte. Theoretische Grundlegung
1. Der Begriff der Kultur
1.1. Onto-anthropologische Voraussetzungen des Kulturbegriffs
1.2. Der kulturelle Prozeß als Selbst- und Weltkonstitution. Raumordnung, Zeitordnung und der Begriff der Welt
1.3. Aneignung als kulturtheoretischer Schlüsselbegriff
1.4. Kultur und gesellschaftliche Form
1.5. Epistemische Voraussetzungen
2. Natur, Ästhetik, Naturästhetik
2.1. Der Begriff des Ästhetischen
2.2. Naturästhetik und Landschaft
2.2.1. Landschaft als kultureller Raum
2.2.2. Ansichten der Naturästhetik
2.2.3. Das Schöne und das Erhabene in der Erfahrung der Natur
II. Berge in kulturgeschichtlicher Perspektive
1. Die Erschließung der Berge als kultureller Raum: eine universalgeschichtliche Betrachtung
China als Beispiel
2. Zur Kulturgeschichte der Bergwelt in Europa
2.1. Erste Phase. Humanismus und Renaissance: die Entdeckung der Berge als Landschaft
2.2. Zweite Phase. Europäische Romantik und Zeitalter der Revolutionen: die umfassende kulturelle Erschließung der Berge
2.3. Dritte Phase. Moderne: von der Erschließung zur Eroberung, von der Eroberung zur Verwüstung der Berge

Die folgenden Überlegungen haben den Charakter eines Entwurfs. Entworfen wird der Grundriß eines Forschungsprojekts zur Kulturgeschichte der Bergwelt. Eine solche Kulturgeschichte ist, so weit ich sehe, bislang ungeschrieben, ja in dem umfassenden Sinn, wie sie hier entworfen wird, ist sie meines Wissens auch als Konzept bislang nicht entwickelt worden. Wir betreten also einen bisher unbegangenen Boden, und mehr als eine erste Grundlegung kann von unserem Versuch nicht erwartet werden. Dieser Projekt einer Kulturgeschichte der Berge bedarf einer gründlichen theoretischen Fundierung, und es geht im Entwurf gerade darum, die Stellen zu markieren, an denen die weitere Forschung anschließen könnte. Aus diesem Grund enthält dieser Text - implizit oder explizit - mindestens ebenso viele Fragen, wie er Antworten gibt oder vorzeichnet. Ja, zu allererst geht es darum, eine Problemstellung zu entwickeln, für deren umfassende Ausführung eine kooperative Bearbeitung notwendig ist.

Zielsetzung und methodologische Voraussetzungen

Im Mittelpunkt des Unternehmens steht ein Stück Geschichte der Kultur: die Kulturgeschichte eines bestimmten Wirklichkeitsbereichs: der Welt der Berge. Was hier 'Welt der Berge' heißt, wird, wie der Begriff der Kultur selbst, noch zu erläutern sein.

Jede Kulturgeschichte zielt, dies sei als Erstes festzuhalten, auf das Ganze eines Erfahrungs-, Lebens- und Gegenstandsbereichs. Sie zielt auf das Ganze einer gegen Welterfahrung - in unserem Fall auf das Ganze der Erfahrung der Berge als eine gegenständlichen Welt. Genauer noch formuliert (die Begriffe werden im Folgenden zu klären sein): Bei einer Kulturgeschichte der Berge geht es darum, wie sich Menschen die Berge, als Raumgestalt natürlicher Wirklichkeit, geschichtlich angeeignet haben. Ein riesiger Bereich, nicht nur weil die Berge so groß sind und es so viele auf der Erde gibt.

Für eine solche Aufgabe sind verschiedene Voraussetzungen zu notieren - methodologische Voraussetzungen, wie ich sie nenne.

(1) Das geplante Vorhaben ist, angesichts des Umfangs des zu behandelnden Bereichs, angemessen nur interdisziplinär durchzuführen: in der Form des Zusammenarbeit verschiedener Wissenschaften, die normalerweise nicht miteinander kooperieren. Dazu gehören die Geographie, Ökonomie und Soziologie ebenso wie die Kunstwissenschaften und die Philosophie. Dabei dürfte das Hauptproblem weniger in der Kooperation der verschiedenen Wissenschaften bestehen (dies ist in erster Linie ein Problem der Wissenschaftsorganisation) als in der Frage der Integration der einzelwissenschaftlichen Befunde. Eine Kulturgeschichte kann nicht das einfache Resultat der Addition von einzelwissenschaftlichen Forschungen sein, sondern hat deren Ergebnisse in einen theoretisch fundierten, homogenen Diskurs zu integrieren: sie besitzt integrativen Charakter. Dies bedarf einer theoretischen Fundierung, auf die sich die Einzelwissenschaften beziehen müssen. Sie hat ihren Kern im zugrunde gelegten Begriff des Kulturellen.

(2) Das Projekt einer Kulturgeschichte der Bergwelt hat rigoros jeden Restbestand an Eurozentrismus abzustreifen. Das Lippenbekenntnis zur Überwindung des Eurozentrismus ist nicht genug. Nicht nur muß die Arbeit an diesem Projekt in internationaler Kooperation erfolgen, sein Gegenstand - 'Bergwelt' - muß idealiter die Bergwelt aller Weltgegenden und Weltkulturen erfassen. Das bedeutet, eine solche Kulturgeschichte ist universalgeschichtlich zu erarbeiten. Sie muß zugleich politisch internationalistisch orientiert sein und im Geist einer produktiven Toleranz - der Achtung der Kulturen voreinander - erfolgen. Nicht der 'clash of cultures' ist angesagt, sondern deren Begegnung und Kooperation. Europa ist nicht die kulturelle Mitte der Welt, der westliche 'way of life' nicht die Norm der anderen Weltkulturen - wenn es auch der europäisch geprägte Zivilisationstyp ist, der sich die Erde untertan machte und die Bedingungen globaler Herrschaft heute definiert.

Eine solche Einsicht erfordert eine kritische Haltung gegenüber dem Zivilisationsmodell, das sich heute als Sieger der Geschichte versteht und als Norm einer zukünftigen Weltzivilisation durchsetzen will. Nur einer solchen Haltung kann die Wertigkeit anderer Kulturen - gerade auch vergangener Kulturen - unverstellt in den Blick treten.

(3) Eine dritte Voraussetzung ist zu nennen. Das ist die Voraussetzung eines philosophischen Realismus, die Annahme der Materialität der Welt: daß die Berge als materielle Entitäten tatsächlich da sind, unabhängig von unserem Bewußtsein, doch unserem Bewußtsein zugänglich existieren, zugänglich in der Praxis unseres Umgangs mit ihnen, erkennbar in ihrem Sein an sich, als Teil des greifbaren Planeten, der unser Wohnort ist - "this tangible planet which is our habitat" (David Craig). Ich spreche von der praktischen Evidenz der materiellen Welt, in der die Materialität der Welt uns gegeben ist. Uns gegeben ist, mit Aristoteles geredet, geformte Materie, von der die Berge ein Teil sind.



Zielsetzung und methodologische Voraussetzungen  |  
I. Natur, Kultur, Ästhetik und Geschichte. Theoretische Grundlegung  |  
1. Der Begriff der Kultur  |  
2. Natur, Ästhetik, Naturästhetik  |  
II. Berge in kulturgeschichtlicher Perspektive  |  
1. Die Erschließung der Berge als kultureller Raum: eine universalgeschichtliche Betrachtung  |  
China als Beispiel  |  
2. Zur Kulturgeschichte der Bergwelt in Europa


I. Natur, Kultur, Ästhetik und Geschichte. Theoretische Grundlegung

Der folgende Teil entfaltet die theoretischen Voraussetzungen und grundlegenden Kategorien unseres Unternehmens. Er versucht zu klären, wonach wir überhaupt fragen, wenn wir nach einer Kulturgeschichte der Bergwelt - überhaupt nach einer Kulturgeschichte - fragen. Die erste Frage, die dabei zu klären ist, lautet: was heißt 'Kultur' in dem hier vertretenen Konzept? Die Darstellung erfolgt in thesenartig verknappter Form (für eine ausführliche und detailliertere Darlegung sei auf meine in der Literaturliste angeführten Arbeiten, insbesondere Metscher 1982, verwiesen), wobei die einzelnen Gedankenschritte durch Numerierung markiert sind.

1. Der Begriff der Kultur

1.1.Onto-anthropologische Voraussetzungen des Kulturbegriffs

(1) Der philosophische Ansatz, von dem die hier vorgetragenen Überlegungen ihren Ausgang nehmen,(1)

setzt ein bei der "Existenz lebendiger menschlicher Individuen" als der "ersten Voraussetzung aller Menschengeschichte" (Karl Marx/Friedrich Engels, Deutsche Ideologie, MEW 3, 20f); Lebewesen, die, bedingt durch ihre körperliche Organisation gezwungen sind, ihre Lebensmittel selbst zu produzieren, um sich am Leben zu erhalten. Er setzt also ein bei einem materiellen Tätigkeitsverhältnis: der "Aktion" und den "materiellen Lebensbedingungen" "wirklicher Individuen" (loc. cit.). "Sinnlich-gegenständliche Tätigkeit" (Marx, Thesen über Feuerbach, MEW 3, 5f.) ist seine Grundkategorie. Das Modell gegenständlicher Tätigkeit ist die Arbeit. Sie ist eine "teleologische Setzung" (Georg Lukacs) und damit Synthesis von Sein und Bewußtsein (vgl. MEW 23, 193; Metscher 1989, 73-76). In der Arbeit, wie in allen menschlichen Tätigkeitsformen, sind Sein und Bewußtsein als dialektisch aufeinander bezogene, anthropologisch gleichursprüngliche Momente menschlichen Daseins gesetzt.

Von diesen Voraussetzungen kann in der Tat "nur in der Einbildung abstrahiert werden" (MEW, 3, 2O f.).

(2) In den Vorgängen menschlicher Lebenstätigkeit sind damit stets zwei Seiten gesetzt: das tätige Natursubjekt Mensch und sein Gegenstand, die zu bearbeitende Natur. Beide Seiten sind 'Natur', und zwar in der Unterscheidung von Natur, die wir selbst sind, und Natur außer uns. Sie konstituieren also ein Tätigkeitsverhältnis innerhalb eines umgreifenden Naturganzen, eines beide Seiten umschließenden Zusammenhangs. Nicht das Subjekt - dies zeigt sich als Resultat einer Überlegung, die methodisch mit den empirischen Individuen beginnt - ist ontologisch das Erste, noch ist es sein bloßer Gegenstand. Das Erste ist vielmehr Materie/Natur als umfassende Seinstotalität, die dieses Verhältnis erst möglich macht, indem sie es aus sich hervorbringt. Ist Bewußtsein Teil dieses Reflexionszusammenhangs, so muß auch gelten, daß Materie/Natur es ist, was Bewußtsein allererst möglich macht, indem sie es hervorbringt.

(3) Menschliches In-der-Welt-Sein ist ontologisch also durch eine materielle Reflexionsstruktur charakterisiert: ein grundlegendes Naturverhältnis - das praktisch-tätige Verhältnis des Natursubjekts Mensch zu der umgebenden Natur wie zu der Natur, die es selbst ist. In diesem Sinn ist menschliches In-der-Welt-Sein ein nicht hintergehbares Gegebenes, einziges 'Datum', das materialistische Philosophie zu ihrer Voraussetzung macht. Menschliches In-der-Welt-Sein aber bedeutet, daß der Mensch bei der kruden Unmittelbarkeit eines reproduktiven Naturverhältnisses nicht stehenbleibt, daß die "Produktion und Reproduktion des wirklichen Lebens" (Friedrich Engels) menschliche Selbstproduktion - und dazu gehört auch ästhetische Produktion - einschließt, ja zu ihrem Kern hat: Menschliche Selbstproduktion ist die erste Kulturtatsache.

(4) Menschliches In-der-Welt-Sein ist gerade dadurch ausgezeichnet, daß sich der Mensch innerhalb des umfassenden Naturzusammenhangs eine spezifisch menschliche Welt (Gesellschaft/Geschichte) durch seine eigene, Natur umgestaltende, Welt gestaltende Tätigkeit erst schafft; daß menschliche Welt ( als menschlicher Welt-Raum und menschliche Welt-Zeit) durch menschliche Lebenstätigkeit erst konstituiert wird. Als Kategorien dieses Konstitutionsprozesses haben die Begriffe Lebensweise, Kultur und Kulturprozeß ihren systematischen Ort. In diesem Zusammenhang kommt weiter den Begriffen Bedeutung, Sinn, Verstehen eine zentrale Rolle zu. Das menschliche Weltverhältnis ist stets auch ein Verhältnis des Welt-Verstehens; der Mensch ist das Wesen, das sich 'Welt' nicht nur materiell, sondern auch geistig (und dazu gehört Welt verstehend) aneignet.

(5) In der Perspektive eines solchen Denkens ist der Mensch nicht der König der Schöpfung, eher ihr Stiefkind; ein Wesen, dem es an allem zu mangeln scheint, was zum Überleben nötig ist. Es ist, in der Tat, ein "brechlicher Leim, aus dem die Menschheit geformt ist" (Herder). Keine Anthropologie, die zählt, wird daran vorbeigehen können - sowenig wie an der Tatsache, daß dieses höchst elende Wesen mit einem Fundus von Möglichkeiten ausgestattet ist wie kein anderes sonst. Dazu gehört, unabweisbar, ein Komplex flexibler Bedürfnis- und Triebstrukturen. Und dazu gehören affektive Basis Ressourcen.

(6) Gehen wir aufs Einfachste zurück. Da ist als Erstes "die körperliche Organisation" der menschlichen Individuen (MEW, Bd.3, 21): der Leib, seine Triebe und Bedürfnisse, auf elementarer Ebene Hunger und Liebe (Friedrich Schiller) als Grundtriebe. Anzunehmen ist eine Komplexität von Trieb- und Bedürfnisstrukturen gegenüber jeder Reduktion auf einen determinierenden Grundtrieb. Der Mensch ist "umfangreiches Triebwesen", Selbsterhaltung der "verläßlichste Grundtrieb" (Bloch 1959, 52). "Suum esse conservare" ist "appetitus" aller Wesen (Spinoza). Zum Komplex der Triebe und Bedürfnisse gehören, anthropologisch gleichrangig, die Bedürfnisse der Seele.

(7) Ohne Selbsterhaltung und Hunger wäre keine Notwendigkeit, sich durch die Produktion von Lebensmitteln zu reproduzieren. Die Erhaltung der Gattung auch auf unterster Ebene --Zeugung, Geburt, Überleben - ist möglich nur, wenn ein Minimum an Lebensmitteln für die physische Reproduktion zur Verfügung steht. Auch in diesem Sinn ist die Arbeit Fundamentaltatsache menschlichen Daseins. Menschliche Reproduktionstätigkeit ist eine solche, die immer mit Bewußtsein/Selbstbewußtsein und begleitet von sprachlicher Kommunikation erfolgt. Menschliche Reproduktion ist "bewußte Lebenstätigkeit", nie bewußtloses Tun. Bewußtsein und Sprache strukturieren den materiellen menschlichen Reproduktionsprozeß selbst, wie sie alle menschliche Lebenstätigkeit strukturieren. Bewußtsein gehört zur leiblich-materiellen Verfaßtheit menschlicher Naturwesen.

(8) In den lebenspraktischen Prozessen agieren und interagieren menschliche Individuen, die in einem unabgeschlossenen System von Tätigkeiten ihre vorgefundene Welt verändern, umgestalten, transformieren und im Zug dieser Transformationen eine spezifisch menschliche Welt ausbilden. Menschliche Welt ist immer vom Menschen gemachte - auf der Grundlage und im Rahmen vorgefundener natürlicher und sozialer Bedingungen, die, in der Besonderheit ihrer sozialen Form, ihrerseits Resultat menschlichen Handelns sind. Diese Welt-Konstitution bezieht sich sowohl auf materielle Gegenständlichkeit, die Produkt menschlicher Arbeit ist, als auch auf Bildung der sozialen Welt als eines Systems von Vereinbarungen, Konventionen und Institutionen, auf die Institutionen und Apparate politischer Macht, auf die Welt kultureller Objektivationen (Formen, Traditionen), auf das geistige System von Normen und Werten, schließlich und nicht zuletzt auf die drei großen geistigen Objektivationssysteme: Religion, Kunst, Wissenschaft. In diesem Zusammenhang gehört auch, was affektive Formierung genannt werden kann: die Ausbildung der Gefühlskultur (Raymond Williams hat dafür den Begriff 'structures of feeling' vorgeschlagen) - ein Gesichtspunkt, der gerade für die Ästhetik des Kulturellen (so für die Konstitution von Landschaft) eine zentrale Rolle spielt. Weltkonstitution bezieht sich zugleich auch auf die Konstitution von Bedeutung und Sinn auf allen Ebenen gesellschaftlichen Seins.

1.2. Der kulturelle Prozeß als Selbst- und Weltkonstitution. Raumordnung, Zeitordnung und der Begriff der Welt

(1 ) Der Fundamentalbereich kultureller Bildung ist der materielle Arbeitsprozeß: Arbeit als Prozeß der Vermittlung, Regelung und Kontrolle des Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur, in dem der Mensch dem "Naturstoff" als "Naturmacht" gegenübertritt und mit der Veränderung der Natur außer ihm "zugleich seine eigne Natur" verändert, die "in ihr schlummernden Potenzen" entwickelt und "das Spiel ihrer Kräfte seiner eigenen Botmäßigkeit" unterwirft (MEW, 23, 192f.). Diese Entwicklung der schlummernden Potenzen der Natur des Menschen im Vollzug menschlicher Arbeit (und darüber hinaus in allen menschlichen Tätigkeitsformen) ist es, was mit dem Begriff des Kulturellen im Sinn eines selbstproduktiven Akts, des Kulturellen als Selbstproduktion gemeint ist.

(2) Kultur ist demnach das Gesamt selbstproduktiver Akte. Kultur bezeichnet die Dimension von Selbstproduktion innerhalb des Systems menschlicher Tätigkeiten, bezogen auf den empirischen Tatbestand, daß der Mensch 'Schöpfer seiner selbst ist, sich im geschichtlichen Prozeß als menschliches Wesen überhaupt konstituiert. Menschliche Selbstproduktion ist eine empirische, keine metaphysische Kategorie. Kultur meint, in dieser fundamentalsten Bestimmung, das Produktive menschlicher Tätigkeit: Selbstproduktion, Selbstschöpfung, Selbstverwirklichung in allen Akten menschlicher Produktion und Reproduktion, in allen menschlichen Betätigungsweisen.

(3) Menschliche Selbstproduktion wird verstanden als Selbstzweckhandlung, als Zweck-in-sich-Selbst: Die sich als S elbstzweck geltende menschliche Kraftentwicklung (Marx' Begriff, vgl. MEW 25, 828) ist die eigentliche Kulturtatsache. Die Grundfrage der Kultur ist somit die Frage nach menschlicher Selbstverwirklichung, Selbstschöpfung, Selbstproduktion in allen geschichtlichen Epochen, Gesellschaftsformationen, Klassen, Schichten, Lebensweisen. Kultur heißt: selbsttätige, selbstzweckhafte Verwirklichung menschlicher Subjekte, schärfer noch formuliert: die Produktion von Subjektfähigkeit. Damit aber ist Kultur als der eigentliche Kern und Inhalt der geschichtlichen Bildung menschlicher Bedürfnisse, Fähigkeiten und Kräfte aufgefaßt, geschichtliche Bildung verstanden als gattungsgeschichtlicher Prozeß der Selbstkonstitution der menschlichen Subjekte.

(4) Im kulturellen Prozeß konstituiert sich menschliche Subjektivität, und es konstituiert sich menschliche Welt. Der kulturelle Prozeß ist der Prozeß einer Bildung von Mensch und Welt: der Prozeß einer konkreten Subjekt-Objekt-Dialektik. Die Bildung von Welt ist die Bedingung der Bildung des Subjekts und die Bildung des Subjekts die Bedingung der Bildung von Welt. Auf seiner objektiven Seite bildet der Mensch innerhalb der natürlichen Wirklichkeit eine zweite Wirklichkeit heraus: die von ihm geschaffene kulturelle Welt, die freilich, im ontologischen Sinn, Teil der 'ersten Wirklichkeit Natur' bleibt, so naturfremd diese 'zweite Wirklichkeit' auch erscheinen mag. Zu sprechen ist vom unaufhebbaren ontologischen Primat der Ersten Wirklichkeit vor der Zweiten. Dieser kulturellen Welt eignet wesensmäßig und daher unausweichlich ein fundierendes Naturverhältnis. Ja, kulturelle Welt-Bildung ist immer ein Sich-Einformen in ein umgreifendes Naturganzes, von dem menschliche Welt ein Teil ist. Menschliche Geschichte geschieht nicht jenseits der natürlichen Welt (jeder Schritt in dieses Jenseits ist ein Schritt in die Selbstzerstörung), sondern verbleibt als Teil in ihr. Kultur ist eben kein simpler Gegensatz zur Natur, sondern markiert ein je bestimmtes (historisch, gesellschaftlich und individuell unterschiedenes) Verhältnis von Menschen zur Natur. Dieses Verhältnis ist ein solches der Differenz in der Identität. Es kann unterschiedliche Formen besitzen. Diese liegen zwischen den Polen einer abstrakten Herrschaft über Natur (daß der Mensch, wie Engels in der Dialektik der Natur sagt, der Natur gegenüber tritt wie der Eroberer einem fremden Land) auf der einen, eines wissenden Sich-Einfügens in die Natur (der "Existenz in Harmonie mit den erkannten Naturgesetzen") auf der anderen Seite. Bedingung aber für menschliche Reproduktion - ihre Grundbedingung - bleibt in jedem Fall die Kontrolle des Menschen über elementare Naturkräfte. Deshalb ist ein Moment der Herrschaft des Menschen über die Natur - was einschließt: die Herrschaft des Menschen über sich selbst - der menschlichen Kultur unaufhebbar eingeschrieben. Eine solche Herrschaft ist auch die Bedingung dafür, daß Natur als ästhetischer Raum - damit als Landschaft - erst erscheinen kann.

(5) Menschliche Welt also meint das Raum-Zeit-Kontinuum einer kulturellen Zweiten Welt innerhalb der vorgefundenen Ersten, als Resultat und Bedingung universaler menschlicher Produktion - als Voraussetzung auch jedes geschichtlichen Fortschritts. Die Bildung des menschlichen Subjekts vollzieht sich immer innerhalb solcher Bedingungen.

(6) Das meint, der kulturelle Bildungsprozeß vollzieht sich als Raum-Zeit-Kontinuum. Er vollzieht sich in einem bestimmten Raum, und er vollzieht sich als Vorgang in der Zeit. Die Räumlichkeit dieses Prozesses ist die Bedingung dafür (im Sinne eines ontologischen Apriori), daß sich überhaupt so etwas wie 'Landschaft' als lebensweltliches wie ästhetisch-theoretisches Phänomen herausbilden kann. Von gleicher ontologischer Bedeutung ist die Zeitlichkeit dieses Prozesses: Kulturelle Bildung ist wesensmäßig ein Vorgang in der Zeit, Geschichte die Form, in der sich dieser Vorgang vollzieht. Dies gilt im ontogenetischen wie im phylogenetischen. Sinn - es gilt gleichermaßen für das Individuum wie für die Gattung. Der Begriff der Kulturgeschichte hat hier seinen systematischen Ort.

(7) Was sich im Prozeß kultureller Bildung vollzieht, ist die Konstitution einer Ordnung von Raum und Zeit. Raumordnung und Zeitordnung bilden sich nicht als Separata heraus, sondern als Kontinuum: als zusammenhängendes Ganzes. Jeder kulturelle Raum hat seine ihm eigentümliche kulturelle Zeit. Er folgt einer eigenen Zeitrechnung. Er hat Geschichte. Der kulturelle Raum ist so immer auch geschichtlicher Raum. Er ist Chronotopos.

(8) Zu unterscheiden sind weiter der rationale und der ästhetische Raum. Über den ästhetischen Raum wird noch unten zu reden sein. Mit rationalem Raum meine ich eine kulturelle Weltgestalt, sofern sie begrifflich (wissenschaftlich) erkennbar, meßbar und berechenbar ist. So wurde in bestimmten Phasen der Geschichte der menschlichen Zivilisation die Bergwelt als rationaler Raum behandelt: als wissenschaftlich erkennbar und mathematisch quantifizierbar, damit ausmeßbar und durch Berechnung erschließbar. Eine solche Raumrationalität ist notwendiger Bestandteil der Naturbeherrschung technologisch entwickelter Gesellschaften und nichts von sich her 'Böses'. Sie gehört zu entwickelten Formen kultureller Weltkonstitution. Sie wird destruktiv erst im Zusammenhang mit dem, was Logik der Herrschaft genannt werden kann: als Instrument für Zwecke der Eroberung und Unterwerfung; eine Logik, die gleichwohl große Teile vor allem der europäisch-neuzeitlichen Kulturgeschichte bestimmt hat und immer noch bestimmt.

(9) Der Begriff der Welt, wie er hier verstanden wird, meint jenes Ganze, das im Prozeß kultureller Bildung - des menschlichen Sich-Einformens in eine umfassende Naturordnung, von dem ich sprach - als spezifisch menschliche Ordnung sich räumlich und zeitlich konstituiert. Zu unterscheiden ist zwischen Welt und Wirklichkeit. 'Welt', im strengen Sinn, meint immer menschliche Welt. Menschliches Dasein ist also immer 'welthaft'.

(1O) Zum Weltbegriff gehört der Gedanke der Erschlossenheit. Menschliche Welt ist so oder so von Menschen erschlossene Welt; erschlossen im lebenspraktisch-epistemischen, ästhetischen und theoretischen Sinn. Die Grundkategorie, von der her der Gedanke der Erschlossenheit begrifflich zu entfalten ist, ist die der gegenständlichen Tätigkeit.

Erschlossenheit schließt Weltdeutung ebenso wie Sinnstiftung ein. Menschen deuten ('interpretieren') die Wirklichkeit, die sie erfahren, sie legen sie aus, und sie legen ihrer Welt einen Sinn bei. Mythologie und Kunst, Religion und Philosophie haben immer auch diese Funktion besessen, und in der Regel diese Funktion zuerst.

(11) Welt wird epistemisch und hermeneutisch erschlossen. 'Weltwissen'ist notwendiger Bestandteil menschlicher Welt, wie es 'Weltdeutung' ist. Menschliche Welt ist epistemisch erschlossene und hermeneutisch verstandene (= interpretierte) Wirklichkeit. Wissen und Interpretation aber sind gebunden an das, was die Horizonte sinnlich-gegenständlicher Weltkonstitution genannt werden kann. Diese Horizonte zeichnen der epistemisch-hermeneutischen Welterschließung ihre Grenzen vor. Erkenntnis ist im expliziten Sinn gleichfalls an dieser Grenze angesiedelt.

(12) Zu sprechen ist von den Horizonten menschlich-gegenständlicher Welt, die mit den epistemisch-hermeneutischen Horizonten zusammenfallen. Die epistemisch-hermeneutischen Horizonte sind historisch variabel in dem Sinn, wie die gegenständliche Welt historisch variable ist. Welterkenntnis und Weltverstehen sind also begrenzt durch die Grenzen gegenständlicher Welterfahrung. 'Begrenzt' heißt aber nicht: vollständig determiniert. Es gibt, im praktischen Leben wie in allen geistigen Formen, das Phänomen der Grenzüberschreitung. In Mythos, Religion, Wissenschaft und Philosophie, vor allem aber in den Künsten ist es zuhause. Es gibt Antizipation und Utopie. Welthorizonte sind offene Horizonte, im praktisch-gegenständlichen Leben und im Leben des Geistes. Die leitenden Begriffe hier sind die variable Grenze und der offene Horizont. Variable Grenze und offener Horizont sind Bestandteil des reflexiven Weltverhältnisses, das den Menschen vor allen anderen Lebewesen auszeichnet.

(13) Menschen verhalten sich reflexiv zu der sie umgebenden Wirklichkeit, und dazu gehört: sie schreiben ihre Deutungen in diese Wirklichkeit ein, Sie tun dies in symbolischen Handlungen, und sie verständigen sich kraft symbolischer Formen, die sie hervorbringen. Sie geben der Wirklichkeit Namen und machen sie so geistig-seelisch zu ihrem Eigentum. Erst als so angeeignete wird Wirklichkeit zu menschlicher Welt.

1.3. Aneignung als kulturtheoretischer Schlüsselbegriff

Eine Schlüsselfunktion für die theoretische Erfassung des Vorgangs kultureller Bildung als Prozeß menschlicher Weltkonstitution kommt dem Begriff der Aneignung zu. Mit seiner Hilfe ist kulturelle Bildung als dialektischer Prozeß begrifflich genau zu fassen.

(1) Der Begriff Aneignung orientiert sich an Marx' Unterscheidung zwischen begrifflicher, künstlerischer, religiöser und praktisch-geistiger Aneignung der Welt (vgl. MEW 42, 35f.). Marx' Aneignungsbegriff geht auf Hegels Begriff der Assimilation zurück, wie er im zweiten Teil der Enzyklopädie entwickelt wird (vgl. Keiler 1990). Unter 'Assimilation' versteht Hegel alle Prozesse, in denen ein Organismus das ihm Äußerliche, Unorganische (nicht Anorganische) "als subjektiv setzt", es "sich zu eigen macht", "mit sich identifiziert" (Hegel, Enzyklopädie von 1830, 357, 1. Zusatz), wobei drei Formen der Assimilation unterschieden werden: erstens der theoretische Prozeß; zweitens der reale praktische Prozeß; drittens die Einheit beider, der ideell-reelle Prozeß, die Umbildung des Unorganischen zum Zweck des Lebendigen" (Keiler 1990,119).

(2) Der Marxsche Aneignungsbegriff bezieht sich auf alle drei Formen der Assimilation. Aneignung meint dann, daß ein Äußeres in die Verfügungskraft eines Subjekts tritt, von diesem als sein Eigenes theoretisch erfaßt und praktisch besessen wird, wodurch es als 'Eigentum' diesem Subjekt zugehört. Aneignung, so verstanden, ist ein Vorgang von zentraler anthropologischer Bedeutung, und zwar in dem Sinn, daß erst im Prozeß der Aneignung der 'äußeren Welt' menschliche Subjektivität zu sich selbst kommt, daß sich der Mensch phylo- wie ontogenetisch in seinem Selbstsein als Gattung und als Individualität konstituiert. Aneignung äußerer Welt und Bildung einer menschlichen sind zwei Seiten des gleichen Prozesses. Kulturelle Bildung, so läßt sich nun sagen, vollzieht sich in keiner anderen Weise als in der einer fundamentalen Aneignung äußerer Welt. Kulturelle Bildung ist die in Form dieser Aneignungen sich vollziehende Konstitution menschlicher Welt im Sinn einer Formierung von Subjekt und Objekt. Aneignung wird so als vielgliedriger, vermittelter, intern strukturierter Prozeß aufgefaßt. Zu diesem gehört, daß der sich kraft der Aneignung vollziehende Bildungsprozeß stets Subjekt und Objekt in gleichem Maß betrifft: Der Bildung des Subjekts entspricht die des Objekts (des Ich die seiner Welt) und umgekehrt, dergestalt, daß die Bildung des Einen Bedingung des Anderen ist. Was auf der einen Seite als 'Humanisierung der Natur' erscheint, erscheint auf der anderen als die 'Naturalisierung des Menschen'. Ergo: Es gibt keine Bildung des Ich ohne Bildung von Welt, und es gibt keine Bildung von Welt ohne Bildung des Ich. Der Mensch ist die konkrete Einheit von Ich und Welt - nie das Ich allein. Nur in der Form menschlicher Weltaneignung vollzieht sich das Werden menschlicher Subjektivität.

(3) Weltentdeckung (so auch, in oft gebrauchter Wendung, die 'Entdeckung der Berge') ist ein Begriff, der im Kontext der Aneignungskategorie seinen präzisen systematischen Ort hat. 'Weltentdeckung' ist Teil umfassender kultureller Aneignungsprozesse. Welterschließung ist ein zweiter dem Aneignungsbegriff zugeordneter Terminus. Weitere solche Termini sind: Unterwerfung und Eroberung. Aneignung, Entdeckung, Unterwerfung und Eroberung bilden eine kategoriale Reihe. Aneignung und Entdeckung bezeichnen dabei die positiven, Unterwerfung und Eroberung die negativen Seiten des menschlichen Weltverhältnisses.

(4) Der Aneignungsbegriff ist heute, im Anschluß an die Marxschen Unterscheidungen und den Hegelschen Assimilationsbegriff, weiter auszuarbeiten. Dafür sind folgende Differenzierungen nötig. Faßte Marx unter praktisch-geistiger Aneignung mit guten Gründen die sinnlich-gegenständliche Tätigkeit als Einheit materiell-physischer und kognitiver (auch sprachlicher) Momente, so sollte künftig doch zwischen praktisch-gegenständlicher und sprachlicher Aneignung kategorial unterschieden werden. Sprache ist ein spezifischer Modus geistiger Weltaneignung. Sie ist praktisches Welt- und Selbstbewußtsein. In Sprache ist Welt als menschliche unmittelbar geistig präsent. In ihr wird Welt dem Bewußtsein zugänglich, Welterfahrung zugleich kommuniziert und sedimentiert. In diesen Zusammenhang gehören auch Akte der Benennung (so das Benennen der Berge). Sie sind Aneignungsakte mit unterschiedlicher Bedeutung wie Weltdeutung, Weltorientierung und Welteroberung.

(5) Folgende Aneignungsarten sollen unterschieden werden: praktisch-gegenständlich, sprachlich, begrifflich (wissenschaftlich, philosophisch), religiös, mythologisch und ästhetisch (wobei der Begriff des Ästhetischen seinerseits auch unter dem Aneignungsgesichtspunkt zu differenzieren ist - siehe dazu die unten ausgeführten Überlegungen). Als der für unseren Zweck umfassenden Begriff soll der der kulturellen Aneignung gelten. Er stellt den Gesichtspunkt des Wohnbarmachens menschlicher Welt in den Mittelpunkt, eines Sich-Einrichtens des Menschen innerhalb der Naturwirklichkeit nach seinen, also spezifisch menschlichen Bedürfnissen. In diesen Zusammenhang gehören die Akte epistemischer Orientierung, Weltdeutung und Sinnstiftung, über die wir oben sprachen. In diesen Zusammenhang gehört weiter die Ausbildung symbolischer Ordnungen, in denen solche Akte, vor und neben der Wissenschaft und Philosophie, sich vollziehen.

(6) Die wesentliche kulturelle Funktion der religiösen, mythologischen und künstlerischen Aneignung besteht darin, Medien menschlicher Weltdeutung und Sinnstiftung zu sein. In kulturell hochentwickelten, rational orientierten Gesellschaften übernehmen auch Wissenschaft und Philosophie diese Funktion, während mythologische und religiöse Weltdeutungen zurücktreten oder aussterben. Kraft dieser Medien verortet sich der Mensch innerhalb der Wirklichkeit, in der er sich vorfindet. Das Finden eines Orts menschlichen Wohnens - einer Heimat, in der sich menschlich wohnen läßt - kann als Existential menschlicher Bedürfnisse gelten. Kraft des im anthropologischen Sinn reflexiven Weltverhältnisses, das menschliches Dasein auszeichnet, ist dieses ohne Weltdeutung und Sinnstiftung dauerhaft nicht möglich - Sinnsubstitute (wie der Fetisch der modernen Warenwelt) werden geschaffen, wo umfassende Sinndeutungen fehlen.

(7) Aneignung also meint den umfassenden Transformationsprozeß, in dem sich Menschen, als Teile einer natürlich gegebenen Wirklichkeit, die Wirklichkeit außer sich wie die Wirklichkeit, die sie selbst sind, durch selbstbestimmte Tätigkeit zu eigen machen und eine Welt als menschliche Welt erst ausbilden. Dieser Prozeß besitzt eine selbstreflexive Struktur, (a) da die objektive Wirklichkeit durch das Subjekt und für das Subjekt angeeignet wird, (b) da in diesem Prozeß der Mensch selbst nicht nur Subjekt der Aneignung eines Objekts außer ihm ist, sondern zugleich auch das Objekt der Aneignung selbst. Er entwickelt sich in diesem Prozeß. Er entfaltet in der Produktion einer gegenständlichen Welt sein menschliches Wesen. Dieser Gesichtspunkt erst macht das Werk der Aneignung zu einem kulturellen Tatbestand.

1.4. Kultur und gesellschaftliche Form

(1) Die Prozesse kultureller Bildung und Weltaneignung - so auch die der Entdeckung und Aneignung von Natur - erfolgen immer in bestimmter geschichtlicher Gestalt und unter den Bedingungen konkreter gesellschaftlicher Verhältnisse. Sie erfolgen unter bestimmten Bedingungen von Eigentum und Herrschaft. In diesem Sinn sind sie gesellschaftlich und geschichtlich formbestimmt. Das bedeutet, daß diese Prozesse in den verschiedenen Kulturen, historischen Stufen und gesellschaftlichen Formationen einen unterschiedlichen Charakter haben: in der chinesischen Kultur einen anderen als in der indischen oder europäischen, einen anderen in der Antike als im Mittelalter oder in der Neuzeit. Jede Kulturgeschichte wird diese Differenzen in Rechnung stellen müssen.

(2) Für die europäische Kultur wurde ein Naturverhältnis dominant, das ich mit dem Begriff der Logik der Herrschaft fasse. Der Begriff meint ein Verhältnis des zivilisatorischen Subjekts zur gegebenen Welt (Natur und menschliche Welt), das diese als Gegenstand der Eroberung, Inbesitznahme und Ausbeutung betrachtet. Das Subjekt versteht sich als Kämpfer und Sieger. Es ist dasjenige, das sich in der Unterwerfung des Anderen - Mensch, Erde, Weltraum - bewährt, in dieser Bewährung erst zu sich selbst kommt, sich bestätigt und sich als autonomes konstituiert. Es ist das 'klassische' Subjekt der europäischen Zivilisation, das heute blind seine globale Herrschaft zelebriert und die Gattung an den Rand der Selbstzerstörung treibt. In ihm zusammen treten der Geld-Fetisch des bürgerlichen Bewußtseins - das Profitmotiv als Motor kapitalistischer Akkumulation - und ein anthropologischer Wille zur Macht, der auch anderen Kulturen eignet; eine unheilige Allianz, die eine zerstörerische Dynamik freigesetzt hat. Sie wird über die Weltherrschaft zur Weltvernichtung führen, wenn ihr nicht Einhalt geboten wird.

(3) Diese Dynamik hat zugleich - in der gesamten Geschichte dieser Zivilisation - eine Gegenbewegung ausgelöst: die Opposition zur Logik der Herrschaft an vielen Fronten und in unterschiedlichster Gestalt, sozial, theoretisch, ästhetisch, am deutlichsten in der Philosophie und in den Künsten. Diese Opposition artikuliert sich nicht zuletzt in den - im Kern utopischen - Bildern einer idealen, idyllischen, umgreifenden, harmonischen, schönen oder erhabenen Natur, die vor allem die europäische Landschaftsmalerei auszeichnet.

(4) Gerade auch die Geschichte der Bergwelt ist in diese vielschichtige Dialektik von Unterwerfung und Widerstand hineingerissen. In ihr spiegelt sich dieser Prozeß in praktischer wie in geistiger Gestalt.

1.5. Epistemische Voraussetzungen

Zu den Voraussetzungen verschiedener Formen der Naturaneignung gehören solche epistemischer Art: Formen des Wissens und Bewußtseins von Natur, die bestimmte Gestalten des menschlichen Weltverhältnisses rechtfertigen und begleiten, aber auch (in Kooperation mit anderen Momenten) bedingen können. Die Auffassung von Natur als res extensa, der mechanistische Naturbegriff, wie ihn Descartes klassisch formulierte (die Bestimmung betrifft die gesamte Objektseite von Wirklichkeit, das Seiende im ganzen als Objekt, wie sie dem Subjekt-Seienden, dem Ich als res cogitans entgegen tritt), definiert Natur als Gegenstand, der als geometrisch-mathematisch konstituiertes, also berechenbares Objekt dem menschlichen Bewußtsein gegenüber steht. Er definiert Wirklichkeit als Objekt der Beherrschung. Der organistische Naturbegriff, der von den Vorsokratischen Philosophie über Aristoteles, den arabischen Aristotelismus, Giordano Bruno, Spinoza, Goethe, Schelling bis zu Engels' Dialektik der Natur (also in den dialektischen Materialismus) reicht, bildet dazu die Gegenposition (vgl. dazu die luziden Ausführungen in Ernst Blochs Materialismusschrift). Hier wird, wenn auch in sehr unterschiedlichen Formen und Begründungen, die Natur als umgreifendes, geordnetes Ganzes verstanden, in dem auch der Mensch steht und von dem die menschliche Welt ein Teil ist - in das menschliche Natur, will sie dauern, sich einzufügen hat. Hier gilt die Formel natura sive deus sive substantia (Spinoza). Sie definiert Natur als onto-metaphysische Substanz. Eine solche Naturauffassung liegt den Hauptlinien der europäischen Landschaftsmalerei ebenso zugrunde wie der Dichtung Goethes und der europäischen Romantik.



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2. Natur, Ästhetik, Naturästhetik  |  
II. Berge in kulturgeschichtlicher Perspektive  |  
1. Die Erschließung der Berge als kultureller Raum: eine universalgeschichtliche Betrachtung  |  
China als Beispiel  |  
2. Zur Kulturgeschichte der Bergwelt in Europa


 

2. Natur, Ästhetik, Naturästhetik(2)

2.1. Der Begriff des Ästhetischen

(1) Entdeckten wir als Kern des Kulturellen das Moment menschlicher Selbstproduktion, so ist das Ästhetische seinerseits als Modus des Kulturellen aufzufassen. In einem ubiquitären und omnipräsenten Sinn ist es Teil des Prozesses der Kultur. Ubiquitär und omnipräsent: es ist, zumindest in elementarer Form, an jedem kulturellen (sozialen, historischen) Ort und an jedem Zeitpunkt erschlossener Geschichte nachzuweisen. Mit 'Ästhetik' und 'Ästhetischem' ist das Phänomen des Ästhetischen im weitesten Sinn gemeint: als Vermögen des Subjekts, als ästhetische Gegenständlichkeit, als Prozeß. Als Grundformen des Ästhetischen werden unterschieden: Ästhetik der Natur, Ästhetik des Alltags und der Lebensweise und Ästhetik der Kunst.

(2) Spreche ich von Ästhetik (im Sinne des Ästhetischen als eines ubiquitären, omnipräsenten Phänomens), Ästhetizität (im Sinne des strukturellen Spezifikums von Ästhetik), ästhetischer Praxis (im Sinne menschlicher Betätigungsformen, bei denen Ästhetisches im Spiel ist), so mache ich eine grundlegende Voraussetzung: daß es so etwas wie ein ästhetisches Vermögen des Menschen gibt. Ich denke dieses als phylogenetisch entstanden, genetisch vermittelt und ontogentisch stets neu anzueignen und zu entwickeln. Dieses ästhetische Vermögen ist Teil des Ensembles der menschlichen kulturellen Produktivkräfte. Es ist kein apriorisches Gattungsvermögen, sondern genetisch entstanden: als (der historisch-genetischen Rekonstruktion zugängliches) Resultat phylogenetischer Entwicklungsprozesse (vgl. Lukacs, 1963). Es ist damit also auch in einem wesentlichen Sinn geschichtlich. Es ist Teil der Bildungsgeschichte der produktiven Organe des Gesellschaftsmenschen.

(3) Bereits der etymologische Wortsinn legt nahe: Ästhetik und Ästhetisches ist gattungsgeschichtlich an menschliche Sinnlichkeit gebunden. Kern des Ästhetischen ist die kulturelle Bildung menschlicher Sinnlichkeit. So hat bereits auf der Ebene des Alltagslebens jedes kulturelle Sich-Einrichten in eine gegebene Welt, jede Humanisierung von Umwelt, einen elementaren ästhetischen Aspekt, der die Entwicklung von Sinnlichkeit und sinnlicher Wahrnehmung betrifft. Jede Kultivierung einer Lebenswelt schließt Ästhetisierung ein, die immer Formierung von Sinnlichkeit (nach der Seite des Subjekts wie seines Gegenstands), Bildung ästhetischer Gegenständlichkeit wie auch des subjektiven gegenständlichen ästhetischen Sinns bedeutet. Die Geschichte des Ästhetischen insgesamt - über die Künste hinaus - ist das aufgeschlagene Buch der gegenständlichen Bildung menschlicher Sinnlichkeit, und zwar als Ergebnis menschlichen Tuns. In der Arbeit an der Bildung menschlicher Sinnlichkeit läßt sich die elementarste Funktion des Ästhetischen erblicken. In dieser Bedeutung sind gerade die Künste Vergegenständlichungen (und damit Entwicklung und Bildung) menschlichen Subjektvermögens. So arbeitet Literatur an der Bildung menschlicher Sprachfähigkeit, Musik an der Bildung des Ohrs, die bildhaft gestaltenden Künste an der Entwicklung des Sehens. Diese elementare Funktion der Künste ist auch ihre permanente Funktion.

(4) Ästhetische Bildung ist nicht auf die Entwicklung, Formung, Modellierung einzelner menschlicher Sinne beschränkt. Ästhetische Bildung bedeutet nicht allein Bildung von Subjektivität. Sie ist in einem ontologischen Sinn gegenständlichen Charakters. Ihr eignet ein fundamentaler Weltbezug, ein Weltverhältnis. Ästhetische Bildung ist immer auf die Formierung von Welt orientiert: sie arbeitet an der Bildung menschlicher Welt, der Humanisierung von Wirklichkeit, der Umformung, Gestaltung und Umgestaltung von Natur und Gesellschaft im Sinne einer Ausbildung menschlicher Welt. Dieser Weltbezug ästhetischer Bildung ist bereits durch ihren unausweichlichen Gegenstandsbezug gegeben: die Tatsache, daß sich ästhetische Bildung nie als isolierte Subjektbildung vollzieht, sondern immer in der Form sinnlich-gegenständlicher Tätigkeit.

(5) In der Bedeutung eines solchen Weltbezugs ist das Ästhetische eine Grundkategorie menschlichen In-der-Welt-Seins. Kultureller Tätigkeit inhäriert - zumindest in jeder entwickelten Form - der Aspekt ästhetischer Lebensgestaltung. Dazu gehört die Ausbildung einer ästhetischen Weltgestalt. Ästhetische Praxis schließt ein: kulturelles Sich-Einrichten in gegebener Wirklichkeit, das Herausarbeiten einer ästhetischen Welt-Gestalt als Welt-Raum menschlichen Wohnens, beschreibbar in der kategorialen Reihe von Wohnung-Haus-Ort-Landschaft, und zwar im Sinne eines menschlichen Sich-Eingestaltens in gegebene Natur. Diese kategoriale Reihe meint eine kulturelle Topologie räumlicher Lebensgestaltung, als eine fundamentale Form, in der eine menschliche Lebenswelt durch menschliche Tätigkeit erarbeitet und erschlossen wird. Ein solches Sich-Einrichten in gegebener Wirklichkeit schließt nicht nur grundlegende gesellschaftliche Verhältnisse ein, gründet nicht nur auf einer je gegebenen Produktionsweise. Es schließt auch grundlegende Naturverhältnisse ein (die stets durch die gesellschaftlichen Verhältnisse vermittelt sind). Auch für die Herausbildung einer ästhetischen Weltgestalt menschlicher Tätigkeit gilt, daß diese Tätigkeit in der Natur, ein menschliches Sich-Einformen in die Natur ist. Was immer zugleich bedeutet: Umformen von Natur in ästhetische Weltgestaltung. Im Vorgang dieses Sich-Einformens und Umformens konstituiert sich eine ästhetische Weltgestalt als menschlich geformte Natur.

(6) Unverzichtbar für eine dialektische Ästhetik ist der Gestaltbegriff im Sinne der grundlegenden Bestimmung sinnlicher Form. Er besitzt mehrere kategoriale Ebenen. Er meint erstens die Kohärenz eines gestalthaft strukturierten Einzelnen, wobei sich 'Kohärenz' auf den strukturellen Zusammenhang der Teilelemente bezieht, aus denen dieses Einzelne besteht und durch den es von anderen Einzelnen unterscheidbar (oder überhaupt vergleichbar) wird. Der Aspekt der Sinnlichkeit bezieht sich erstens dabei auf das sinnlich rezipierbare Konkretum der Existenzweise eines jeden Gestaltganzen. Der Begriff bezieht sich zweitens auf ein Ensemble von einzelnen Gestaltformen innerhalb eines umgebenden Raums wie auch innerhalb einer zeitlichen Folge. (Der einzelne Baum, der zunächst als einzelner ästhetisch wahrgenommen wurde, fügt sich als Teil ein in das Ganze einer Landschaft.) Die Einzelgestalt wird so selbst zum Gestaltelement innerhalb einer Ensemblegestalt (sie besitzt Gestaltkontur).Im Gegensatz zur Einzelgestalt besitzt die Ensemblegestalt die hochgradige Komplexität eines aus einzelnen Gestaltformen bestehenden Totum. Dieses Verhältnis ist nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich zu denken, d.h. im Sinne einer zeitlichen Folge bzw. einer Handlungssequenz. In zeitlicher Form vermag die Ensemblegestalt auch die Transformation der einzelnen Gestaltformen einzuschließen, aus denen sie zusammengesetzt ist.

Die Gestaltkategorie ist unverzichtbar für die Ästhetik der Lebensweise und der Künste wie für die Ästhetik der Natur. In letzterer liegt ihre Relevanz unmittelbar auf der Hand, und zwar hinsichtlich des für die ästhetische Rezeption von Natur grundlegenden Aspekts der Räumlichkeit: der Räumlichkeit von Gestaltformen, der Ensemblegestalt wie der Einzelgestalt.

(7) Ästhetisches Weltverhalten ist aufgrund seines konstitutiven Gegenstandscharakters immer gestaltbezogen: bezogen auf die interne Strukturiertheit, sinnliche Geformtheit seines jeweiligen Gegenstands. Diese Gestaltbezogenheit ästhetischen Weltverhaltens ist in den unterschiedlichen ästhetischen Wirklichkeitsbereichen allerdings unterschiedlich. Steht in der Ästhetik der Natur der Aspekt der Gestaltwahrnehmung im Mittelpunkt (mithin ein rezeptiv-kontemplatives Weltverhalten - wie das ästhetische Weltverhalten gegenüber der Natur überhaupt primär kontemplativer Natur ist), so tritt in der Ästhetik der Lebensweise ein eingreifendes Weltverhalten als charakteristisches Moment hinzu: das Moment eingreifender Gestaltung vorgefundener Gegenständlichkeit (die naturgegeben oder bereits an sich selbst kulturell geformt sein kann). Jedes Moment des tätigen Eingriffs in zuhandene Wirklichkeit ist eine kulturelle Handlung (bereits in den sanftesten Formen gestaltender Naturveränderung: das Pflanzen von Blumen, das Anlegen eines Gartens). Dies gilt intensiviert für alle Formen landschaftlicher Gestaltung von Natur, ja es gilt im Hinblick auf sämtliche Ebenen der Lebensweise. In der Ästhetik der Kunst dann wird das Moment des Gestaltens zum konstitutiven Spezifikum: künstlerische Produktion ist gestalthaftes Formen künstlerischer Welt, das Bilden einer künstlerischen Weltgestalt

2.2. Naturästhetik und Landschaft

Vor dem jetzt entfalteten theoretischen Hintergrund sind einige weitere kategoriale Klärungen möglich geworden. Sie betreffen den Begriff der Landschaft, verstanden als kultureller Raum sowie Gesichtspunkte zur Naturästhetik, insbesondere die Kategorien des Schönen und des Erhabenen.

2.2.1. Landschaft als kultureller Raum

(1) Der Begriff der Landschaft ist zu fassen als kultureller Raum. Landschaft meint: Natur, bezogen auf Kultur, Natur als Dimension des Kulturellen - als Ort menschlichen Wohnens, als Raum der Suche und des Unterwegsseins, als ästhetischer Weltraum. Auch die Stadt kann Landschaft oder Teil einer Landschaft sein.

(2) Landschaften sind, genauer gesprochen, kulturelle Orte. 'Kultureller Ort' meint: der Mensch verortet sich. Er schafft oder sucht Ortschaften des Wohnens und der Welterfahrung. Es ist dies Teil seiner Raum-Bildung: jenes Sich-Einformens in die Natur, von der oben gesprochen wurde.

(3) Also sind Landschaften Orte menschlichen Wohnens, so fern sie auch liegen mögen, oder sie sind Orte der Suche nach einem Land, wo sich besser wohnen läßt als in dem der Herkunft. Eine Ortschaft, in der der Mensch bei sich selbst ist, bezeichnet das Wort Heimat. Es konnotiert die untrennbare Verbundenheit der Seele mit einem Ort des Wohnens und der Herkunft, ihre affektive Verwurzelung in einer persönlichen Geschichte. Freilich kann eine Heimat auch eine gewählte sein, doch immer gehört eine Geschichte dazu. Heimat mag auch ein Ort der Zukunft, der begriffenen Hoffnung sein, U-Topie - "wo noch keiner gewesen ist", die Erde zur Heimat wird. Zur Landschaft der Sehnsucht verwandelt sich der Raum, wenn er Ort der Suche wird nach einer solchen Welt des geglückten Lebens oder als Utopie Sinnbild vorscheinenden Glücks.

(4) Landschaften sind kulturelle Orte auch dort, wo in einer Landschaft kein Mensch vorkommt. Immer ist der Bezug auf Menschen der Landschaft eingesenkt. Oft ist sie Ort des Gegensatzes zum gewöhnlichen Leben, den Wohn-Orten der höfischen oder bürgerlichen Welt - als Gegenwelt des Rückzugs, der Erfüllung oder der Resignation im Angesicht des entfremdeten Daseins, als Gegenorte der Muße, Buße, Meditation oder Daseinserfüllung. Landschaften leben vom Kontrast zum falschen Leben, von dem sie sich abheben. "Wohin ich geh'? Ich geh', ich wandre in die Berge (...). Ich suche Ruhe für mein einsam Herz". "Mir war auf dieser Welt das Glück nicht hold." (Gustav Mahler, Lied von der Erde. Nach Li Po) Der klassische Topos solcher Gegenwelt ist - seit Theokrit und Vergil - die Pastorale. Als Gegenwelt der Daseinserfüllung - des geglückten Lebens als eines solchen der wiedergefundenen Harmonie von Kultur und Natur - besitzt die Pastorale (wie von Schillers Theorie der Idylle zu lernen) auch im politisch-geschichtsphilosophischen Sinn ein utopisches Potential. Die Vierte Ekloge Vergils ist der beste Beleg dafür.

(5) In den Künsten wird die Landschaft zum ästhetischen Weltraum. Sie ist Experimentierfeld utopischer Entwürfe, Spiegel subjektiver Erfahrungen und Handlungen. Auch in diesem Sinn ist sie Ortschaft der Seele. In ihr gespiegelt erscheint das Schicksal der Seele in der Welt.

(6) In den Künsten sind Landschaften Symbole individuell-gesellschaftlicher Weltverhältnisse. Sie sind Archive geschichtlicher Erfahrung und Handlung. Sie stiften Sinn, sie sind Weltdeutungen. Sie sind dies in allen Künsten: in der Malerei, in der Musik, im Drama, Roman und lyrischem Gedicht. Gerade in diesem können Landschaften zu Seismographen seelischer Befindlichkeit und Stimmung, zum Medium affektiver Welthaltungen werden - zu Dokumenten damit der (noch ungeschriebenen) Geschichte der menschlichen Seele. Denn die Landschaft steht im Kernbereich der menschlichen Gefühlskultur. Eine ihrer zentralen Kategorien ist die Stimmung. In der Stimmung spiegelt sich die Seele in der Welt.

So werden Landschaften (in der Malerei zeigt sich dies am deutlichsten) als freundlich, feindlich, heroisch, idyllisch, 'romantisch' usf. empfunden, und sie werden so empfunden, bevor sie in solcher affektiven Qualität erkannt werden. Es zeigt sich, daß die affektive Erschließung unumgänglich zum Prozeß kultureller Aneignung gehört. Dabei sind die Gefühle so historisch, wie es die Bedürfnisse des Leibes und des Geistes sind. Die Gefühle und ihre Kultur sind untrennbarer Bestandteil der allgemeinen Geschichte des menschlichen Geschlechts.

(7) Die Grenze einer Landschaft markiert die Wildnis - als Bezeichnung des Orts, an dem eine Landschaft als kultureller Raum in unberührte Natur übergeht. Kultur grenzt hier an Natur an - die Erfahrung der Wildnis ist eine Erfahrung jenseits des kulturellen Raums, aber immer auf einen solchen bezogen. Das reine An-sich der Natur - an diesem Punkt ist dem großen Kant recht zu geben - ist für Menschen unzugänglich.

(8) Wildnis also ist ein Grenzbereich, ihre Erfahrung eine Grenzerfahrung. Sie ist die absolute Gegenwelt zur Welt des gewöhnlichen Lebens, mit dem sie gleichwohl unauflösbar verbunden bleibt. Die Wildnis ist der kulturelle Ort der Grenze. In ihm wohnt das ungeborgene Abenteuer. Die Wildnis erscheint als ursprüngliche Natur - Raum "ursprünglicher Kräfte", weil sie vom Menschen noch nicht erschlossen ist. Ihr gehört das Moment des Unentdeckten an, und nur, wo es Unentdecktes gibt, wo auch Gefahr lauert, reale oder imaginierte, gibt es das Abenteuer. Und doch gibt es die 'unmittelbare' Natur für den Menschen nicht. Auch ursprüngliche Natur - sie muß 'sogenannt' ursprünglich heißen - geht, sobald sie der Mensch berührt, in die Vermittlungen menschlichen Handelns und Bewußtseins ein. So ist die Wildnis, als Ort der Grenze, kultureller Ort und Ort jenseits der Kultur zugleich.

2.2.2. Ansichten der Naturästhetik

(1) Von Naturästhetik kann nur reden, wer die Materialität der natürlichen Welt im Sinn eines gestalthaften Zusammenhangs, der 'Formhaftigkeit' von Seiendem zu seiner Voraussetzung macht; gestalthaft in der erläuterten Bedeutung von sinnlicher Form. Dazu gehört der Grundgedanke des ontologischen Realismus: daß die Natur als an sich seiende, gesetzmäßig aufgebaute Wirklichkeit außer uns und unabhängig von uns, doch uns lebenspraktisch zugänglich und, zumindest in Teilen auch theoretisch erkennbar, existiert. 'Theoretisch erkennbar in Teilen' meint: insofern Natur als Gegenstand unserer praktischen Wirklichkeitserfahrung begegnet.

(2) Der Grundbegriff einer solchen Naturauffassung ist der auf Aristoteles zurückgehende Begriff der geformten Materie. Allein Seiendes, das sinnliche Form hat, kann Gegenstand der ästhetischen Erfahrung werden, d.h. als ästhetischer Gegenstand begegnen. Einzubeziehen in die Überlegungen ist auch der altgriechische physis-Begriff. Physis ist, nach Martin Heidegger, "das eigenwüchsig aufgehende Seiende" (Heidegger 1950, 48). Dem Langenscheidt zufolge hat Physis (zumindest) fünf verschiedene Bedeutungsschichten: 1. Naturordnung, Naturkraft, Welt, Geschöpf; 2. Geburt, Herkunft; 3. Wuchs, Gestalt; 4. Natur, Anlage, Wesen, Fähigkeit; 5. Geschlecht, Charakter. Der Begriff der Physis faßt also das Ganze des Seienden als Naturordnung, er erfaßt die Gestalthaftigkeit des Seienden als Gewachsenes, Natur nicht nur als vorfindliches Seiendes (natura naturata), sondern auch als latente Kraft, Anlage und Fähigkeit (natura naturans). Zugleich bedenkt er die Herkunft des Seienden: das, woher alles Seiende kommt, woraus es entsteht. Einen so umfassenden Naturbegriff hat im Rahmen neuzeitlichen Denkens vielleicht allein Goethe vorgelegt (vgl. dazu Alfreds Schmidts wichtige Studie Goethes göttlich-schöne Natur) . Allein im Horizont eines Naturbegriffs solcher Dimension kann eine Naturästhetik philosophisch begründet und ausgearbeitet werden.

(3) Zu den unverzichtbaren Voraussetzungen philosophischer Naturästhetik gehört weiter die Einsicht, daß der Mensch selbst, als Naturwesen, Teil der Natur als eines Umgreifenden ist. Natur, für uns, heißt Natur, die wir sind und in der wir stehen. Zugleich tritt er, dies gehört zu seiner anthropologischen Besonderheit, zu dieser Natur - seiner eigenen und die außer ihm - in ein Verhältnis der Reflexion, das in gegenständlicher Tätigkeit, der Notwendigkeit der Reproduktion durch Arbeit gründet. In ihm liegt der Ursprung des kulturellen Prozesses beschlossen.

(4) Zum reflexiven Weltverhältnis des Menschen gehört, daß dieser zur Natur wie zu aller ihn umgebenden Wirklichkeit (auch der von ihm geschaffenen) in vielschichtige Beziehungen tritt. Das reflexive Weltverhältnis des Menschen ist aus Schichten aufgebaut. Eine dieser Schichten ist das ästhetische Weltverhältnis. Es ist ein solches, das die Welt als selbstzweckhafte Gestaltform lustvoll erlebt.

(5) Die anthropologische Grundlage dieses Verhältnisses liegt im ästhetischen (genauer gesprochen: 'poietischen') Vermögen des Menschen als Teil des Ensembles menschlicher Produktivkräfte (vgl. Metscher 2001). Es hat also in einer produktiven Fähigkeit seinen Grund, auch dort, wo es sich primär rezeptiv (kontemplativ) äußert.

(6) Die ästhetische Naturerfahrung nenne ich, im Anschluß an den Kantschen Begriff, selbstzweckhaft,(3) weil sie den Naturgegenstand nicht dem Gesichtspunkt ihm äußerlicher Zwecke unterwirft, sondern ihn in seinem geformten An-sich-Sein zu ihrem Gegenstand macht. 'Geformtes An-Sich-Sein' bezieht sich dabei auf eine Synthesis von Gegenstandsstrukturen - eine ästhetische Synthesis -, in der greifbare Gestalt, Körperlichkeit, Farbe und Laut zusammentreten. Zur ästhetischen Synthesis in der Naturerfahrung gehört die visuelle Aisthesis ebenso wie die akustische und die taktile. Ich sehe Wald und Berg, berühre Baum und Gestein, höre Wind, Knarren der Äste und Vogelgesang. Ihren Kern hat diese Erfahrung freilich, ich sagte es, in der Gestaltstruktur, einer internen materiellen Verfaßtheit des naturhaft Seienden selbst. Farbigkeit, Akustik und Taktilität sind als Attribute dieser Gestaltstruktur zu begreifen.

(7) Ästhetische Synthesis besitzt die Struktur einer Subjekt-Objekt-Relation: Ein Subjekt erfährt seinen Gegenstand in der Form der Synthesis. Die gegenständliche Seite dieser Synthesis kann genauer noch als Zusammenspiel von Gestaltformen gefaßt werden. Der ästhetische Gegenstand ist ein Kompositum von Unterschiedenem; er ist konstituiert als kompositorische Gestalt. Das harmonische Zusammenspiel solcher Gestaltformen ist, was als Schönheit in der Natur bezeichnet werden kann.

(8) Zu sprechen ist von der Morphologie der gegenständlichen Welt in der ästhetischen Erfahrung der Natur, und zwar in dreifacher Hinsicht: als Morphologie des einzelnen Gegenstands (dieser eine Berg, Baum, See ist mein Gegenstand), als Morphologie eines Gegenstands- bzw. Gestaltensembles (Berg, Baum, See zusammen bilden meinen Gegenstand) und der Morphologie eines gegenständlichen Raumes - einer Raumgestalt. Letztere meint das Ganze einer Landschaft als Gegenstand meiner ästhetischen Erfahrung. Die Landschaft begegnet hier als ästhetisches Phänomen. Das Ganze einer Landschaft ist immer der Rahmen, in dem auch der Einzelgegenstand ästhetischer Naturerfahrung begegnet. Landschaft ist daher die ästhetisch umgreifende Kategorie.

(9) Naturästhetik ist, dies ihre Differenz zur Ästhetik der Künste, eine nicht-mimetische Form des Ästhetischen (zu Mimesis vgl. Metscher 2001). Vorherrschend in ihr ist das rezeptive Moment: ein kontemplativer Charakter. In der Naturästhetik verändere ich den Gegenstand nicht, ich lasse ihn in seinem So-Sein bestehen - dies ist gerade die Bedingung des Ästhetischen hier. Eine mentale Korrespondenz des Subjekts (psychisch - geistig - kognitiv) zu den ästhetischen Strukturen der Natur - dem gestalthaften Bau der Naturformen, den Prinzipien ihrer inneren Form, wie immer - ist anzunehmen, um überhaupt das Phänomen der ästhetischen Erfahrung in der Natur erklären zu können.

Zu erinnern aber ist, daß das rezeptive Vermögen der ästhetischen Wahrnehmung im produktiven Vermögen des Anthropos seinen Grund hat, und das rezeptive Vermögen auf keinen Fall gegen das produktive ausgespielt werden darf.

(10) Ästhetische Naturerfahrung, in entwickelter Gestalt zumindest, ist kein rein kontemplativer Akt. Ein Moment von Tätigkeit gehört ihr zu. So ist der körperliche Zugang, die physische Bewegung in der Natur - der Gang in ihr, das Besteigen des Bergs, die Fahrt auf dem Wasser - die Bedingung der vollen Erfahrung auch der Ästhetik der Natur. Diese ist Gestalt eines sinnlich-gegenständlichen Verhältnisses und gründet in sinnlich-gegenständlicher Praxis. Wer die Natur nur durch das Hotelfenster erlebt, von Bergbahnstation oder Sonnenterrasse, oder gar nur im Bildschirm der Glotze, wird nur einen schwachen Abklatsch ihrer Erhabenheit und Schönheit erfahren. In der Naturerfahrung sind die Bedingungen solcher Erfahrung untrennbarer Bestandteil der ästhetischen Synthesis.

2.2.3. Das Schöne und das Erhabene in der Erfahrung der Natur

Zu den Grundkategorien der Naturästhetik gehören die des Schönen und des Erhabenen. Seit Kants Kritik der Urteilskraft (1790) sind sie feste Bestandteile jeder philosophischen Theorie, die sich auf Naturerfahrung einläßt. Auch eine materialistische Ästhetik der Natur kann auf sie nicht verzichten.

(1) Nach Kant ist das Schöne Form subjektiver Erfahrung (Kritik der Urteilskraft, §9). Seinen Kern hat es im Gedanken der Selbstzweckhaftigkeit ("Zweckmäßigkeit ohne Zweck", op. cit., §17). Zugleich vollbringt es die Leistung einer Synthesis (der "Einheit des Mannigfaltigen"). Hier ist ein Grund gelegt, den auch eine materialistische Ästhetik nicht aufgeben darf. Zugleich aber sind die Kategorien der Kantschen Theorie auf den Boden einer realen Subjekt-Objekt-Dialektik zu stellen.

(2) Wie also ist der Begriff des Schönen materialistisch zu fassen? Zu sagen ist, daß alle bisher von uns entwickelten Bestimmungen des Ästhetischen auch für die Kategorie der Schönheit gelten. Diese ist Form der Bildung menschlicher Sinnlichkeit. Sie ist gegenständlichen Charakters, konstituiert sich in der selbstreflexiven Beziehung von Subjekt und Objekt. Ihre Gegenständlichkeit ist unbegrenzt und unbeschränkt, idealiter das Totum von Natur und Gesellschaft. Sie ist anwendbar auf die unterschiedlichen Formen ästhetischen Weltverhaltens: von der kontemplativen Rezeption gegebener Gegenständlichkeit über die gestaltende Veränderung, Umformung und Formveränderung solcher Gegenständlichkeit (Wirklichkeit im Sinne von Natur und Gesellschaft) bis hin zur künstlerischen Werkgestaltung und kulturellen Weltgestaltung. Schönheit ist sinnliche Form, d.h. kategorial ausgezeichnet durch Gestalthaftigkeit. Schönheit als Kategorie ist anwendbar auf alle Gebiete des Ästhetischen: auf die Ästhetik der Natur, auf die Ästhetik des Alltags und der Lebensweise, auf die Ästhetik der Kunst.

Im Begriff der Schönheit aber treten darüber hinaus weitere Bestimmungen hinzu.

(3) Der Begriff des Schönen akzentuiert das Moment des Zusammenstimmens nicht nur der Form, sondern auch dem Inhalt nach. Mit der Kategorie des Schönen tritt zum Gedanken sinnlicher Form und Gestalthaftigkeit, formaler Kohärenz und interfunktionaler Ganzheit der einer Harmonie divergierender menschlicher Subjektkräfte. Das Schöne heißt: selbstzweckhaftes Spiel der Subjektkräfte.

(4): Zugleich besitzt das Schöne gegenständlichen Charakter. Es ist immer bezogen auf einen Gegenstand - in der Naturästhetik auf die Gestalthaftigkeit (interne Strukturiertheit) der natürlichen Welt im erläuterten Sinn. Die Erfahrung dieser Gestalthaftigkeit erst ist es, was das Spiel der Subjektkräfte auslöst.

(5) Schönheit meint eine Modalität des Ästhetischen, die auf Zusammenklang, Zusammenstimmen von Divergenzen, schließlich sinnliche Harmonie geht. Harmonie ist Modus von Schönheit, in dem die fugenlose Auflösung von Gegensätzen gelingt. Harmonie assoziiert Geschlossenheit, Abgeschlossenheit, Rundung, Ganzheit. Schönheit allerdings muß nicht notwendig harmonisch sein. Es gibt eine disharmonische Schönheit, d.h. eine solche, in der inhärente Spannungen offengehalten sind.

(6) Schönheit also ist Begriff einer Synthesis. Schönheit heißt: Zusammenklang von Differentem, wobei die in ihr zusammengeschlossenen Differenzen sich nie im Verhältnis der Gleichgültigkeit befinden, vielmehr in dem einer Spannung, oft eines Kampfes. Dies gilt nicht nur für die Kunst, auch für das Naturschöne. Erst in diesem Sinne vermag das Schöne als Ideal zu fungieren. Die Synthesis des Schönen kann ein Zusammenstimmen oder In-Beziehung-Setzen schärfster Gegensätze, ja unversöhnbarer Widersprüche sein. Zu unterscheiden ist zwischen flacher und komplexer Schönheit, weiter zwischen Modi des Schönen (Anmut, Grazie) bis hin zum bloß Gefälligen und zur falschen Schönheit des Kitschs. Komplexe Schönheit ist immer aus Widersprüchen gebaut. Sie ist Gegensätzen abgerungen, Resultat eines Kampfes um Selbstverwirklichung in der Auseinandersetzung mit Widerständen. Die Harmonie komplexer Schönheit ist stets eine solche, die enorme Spannungen in sich trägt, aus solchen Spannungen hervorgeht.

(7) Harmonie ist also nicht Eigenschaft jeder Schönheit, vielmehr eine besondere Form derselben, und zwar eine solche, in der die Spannungen, die der Schönheit inhärieren, zur Ruhe gekommen sind. Schönheit aber ist auch als Zusammenklang nichtberuhigter Spannungen möglich, als schmerzhaftes Zusammentreten: die ungelöste Spannung (Differenz) als Tendenz des gegenständlichen Materials, aus dem die schöne Gestalt gebaut ist. Harmonie meint immer: überwundene Trennung und aufgehobene Entfremdung. Schönheit kann gerade die Gespanntheit ausdrücken, die eine nicht überwundene Trennung charakterisiert. Und doch wohnt dem Schönen die Tendenz zur Harmonie inne - Harmonie ist das geheime Telos des Schönen.

(8) Echte Harmonie leugnet die Spannungen nicht, aus denen sie hervorgeht, die sie zur Ruhe bringt. Der glatte Strom kann eine unauslotbare Tiefe verbergen, das Schöne dem Schrecklichen entsprungen sein - Rilke nennt es "des Schrecklichen Anfang" (Erste Duineser Elegie). Die tiefste Harmonie ist Resultat des gewaltigen Vorgangs der Überwindung von Schrecken und Barbarei. Sie ist die Konsonanz des Dissonanten - concordia discors. Eine solche Harmonie ist die höchste Form der Schönheit im Sinne eines Ideals. Ihr eignet der Charakter utopischen Vorscheins. So gesehen drängt jede Schönheit insgeheim auf Harmonie, auch die disharmonische Schönheit der modernen Kunst. Der Gegenbegriff des Schönen ist nicht das Schreckliche. Der Gegenbegriff des Schönen ist das Häßliche.

(9) Das Häßliche ist Begriff einer Deformation, der Störung und Zerstörung eines werthaften Ordnungsgefüges. Häßlich ist der zerreißende, nicht zu versöhnende Widerspruch. Das Häßliche ist die ästhetische Gestalt des metaphysisch Bösen. Die klassische Metaphysik war gut beraten, diesem keine Substanz zuzuerkennen.

(10) Der altgriechische Kosmosbegriff faßt Natur als "harmonisch gegliederte Ordnung", als "einheitliches Ganzes im Gegensatz zum bloßen Nebeneinander von Teilen". (Albus 1999, 175). Natur als Kosmos meint diese als organische Gestalt, als Harmonie von Unterschiedenem, mithin als schön. Der Kosmosbegriff ist dem der Physis (der oben erläutert wurde) an die Seite zu stellen. Eine materialistische Naturästhetik hat diese Begriffe modern gewendet zurückzugewinnen. Das Schöne, materialistisch gewendet, gründet in der objektiven Verfaßtheit von Seiendem - in einem Ontologicum - und zugleich in der Verfaßtheit eines dieses Seiende erfahrenden Subjekts - einem Anthropologicum. Es gründet, genau gesprochen, in der Relation dieser zwei Seiender - in der Relation eines Subjekts zu einem Objekt innerhalb einer beiden umgreifenden Welt. Ästhetisch ist diese Relation dann und nur dann, wenn das objektiv Seiende (der Gegenstand) von dem subjektiv Seienden (dem Menschen) als zweckmäßig in sich selbst (selbstzweckhaft) und im Sinn eines interesselosen Wohlgefallens erfahren wird, wobei gesetzt ist, daß in dieser Erfahrung etwas von dem An-sich des objektiv Seienden in die Erfahrung eintritt. In ihr konstituiert sich eine Synthesis divergenter Subjektkräfte, der eine kompositorische Synthesis des ästhetischen Gegenstands entspricht. Schönheit wird erfahren, wenn der Gegenstand als Konsonanz, überschaubare Ordnung und Harmonie wahrgenommen wird.

(11) Schönheit geht auf eine überschaubare Ordnung - auch wo sie den Kosmos meint, nimmt sie diesen als eine solche Ordnung wahr. Im Gegensatz dazu steht die Erfahrung des Erhabenen. In ihm ist die Überschaubarkeit und Konsonanz der Ordnung aufgehoben. Natur bricht als Übermächtiges in die Erfahrung des Subjekts ein.

(12) Der Begriff des Erhabenen zielt auf das Inkommensurable in der Erfahrung von Natur. Er bezeichnete die Erfahrung einer Grenze. Der Ort dieser Erfahrung ist eine Grenzsituation. Der Wildnis ist solche Erfahrung immanent. Natur zeigt sich als unergründbar, ihre Kraft als übermächtige Urgestalt, der Kosmos als grenzenlos, und in dieser Grenzenlosigkeit 'ohne Begriff', nicht meßbar, nicht vergleichbar, nicht faßbar. Kant unterscheidet das mathematisch Erhabene, das durch räumlich und zeitlich große Ausdehnung (Meer, Wüste, Sternenhimmel) vom dynamisch Erhabenen, das durch Kraft und Macht (Sturm, Gewitter) gekennzeichnet ist.

(13) Die Grenze, auf der das Erhabene seinen Ort hat, markiert auch die Grenze unseres Erkenntnisvermögens. Die Erfahrung des Erhabenen ist die Erfahrung eines materiellen Metaphysicum - sie ist "metaphysische Erfahrung" (Wilhelm Weischedel) par exellence.

(14) Die Erfahrung des Erhabenen ist von sich selbst her leer. Sie ist ohne Inhalt. Einen solchen Inhalt gibt allein das diese Erfahrung machende Subjekt. Er ist Akt der Interpretation, eine Subjektsetzung. Für Kant ist das Erhabene eine "negative Lust" (Kritik der Urteilskraft, §23). In seiner Erfahrung beweist sich die Autonomie des Subjekts, gelangt der Mensch zur unmittelbaren Gewißheit seiner Freiheit, ein Gedanke, der in den Künsten eine politische Variante erhält. So wird in Joseph Anton Kochs "Schmädlibachfall" die erhabene Landschaft zum Symbol politischer Freiheit und der unbezwingbaren Macht der Revolution. Die im Erhabenen präsente Übermacht kann freilich auch als Zerstörung wirken: als Erfahrung der Nichtigkeit des Ich, seiner metaphysischen Bedeutungslosigkeit. In dieser Form geht das Erhabene in die Geschichte des Nihilismus ein.

(15). Die Deutungen des Erhabenen sind gesellschaftlich und historisch bedingt und nicht zuletzt geprägt von individueller Lebensgeschichte. Immer aber hält seine Erfahrung eine Herausforderung bereit, der nicht ausgewichen werden kann, die als metaphysische Frage unnachgiebig eine Antwort verlangt.

(16) In der Naturästhetik sind Schönes und Erhabenes präsent, nicht nur als getrennte Entitäten, sondern auch in der Form eines Zusammenspiels. So kann oft nicht gesagt werden, wo in der Erfahrung der Natur - man denke an Meer und Hochgebirge - das Schöne aufhört und das Erhabene beginnt. Der ästhetischen Synthesis der Naturerfahrung gehören beide an.



Zielsetzung und methodologische Voraussetzungen  |  
I. Natur, Kultur, Ästhetik und Geschichte. Theoretische Grundlegung  |  
1. Der Begriff der Kultur  |  
2. Natur, Ästhetik, Naturästhetik  |  
II. Berge in kulturgeschichtlicher Perspektive  |  
1. Die Erschließung der Berge als kultureller Raum: eine universalgeschichtliche Betrachtung  |  
China als Beispiel  |  
2. Zur Kulturgeschichte der Bergwelt in Europa


 

II. Berge in kulturgeschichtlicher Perspektive

Der folgende Teil des hier entworfenen Projekts - es ist von der Konzeption her sein Hauptstück - hat noch ganz und gar fragmentarischen Charakter. Er liefert einen Rahmen mit punktuellen Ausarbeitungen und Problemskizzen zu einzelnen Teilen. Die Ausarbeitung im Einzelnen soll die Aufgabe zukünftiger Arbeit sein. Sie wird schrittweise erfolgen. Im ganzen gesehen, ist sie nur in kooperativer Arbeit möglich.

1. Die Erschließung der Berge als kultureller Raum: eine universalgeschichtliche Betrachtung

Die Erschließung der Berge als kultureller Raum ist, ebenso wie ihre ästhetische Entdeckung als Landschaft, das Resultat langer geschichtlicher Prozesse. Sie setzt einen bestimmten zivilisatorischen Stand, auf der Basisebene eine Entwicklung der Produktivkräfte voraus, die die Kontrolle über Naturkräfte ermöglicht (dazu Jonas 1969, Herrmann 1977). Erst muß die unmittelbare Gefährdung, die von der ungezähmten Natur ausgeht, behoben, erst muß menschliche Reproduktion auf elementarer Ebene gesichert sein, bevor Natur als kultureller Raum (und das schließt ein: als ästhetischer wie als rationaler Raum - als erkenn- und berechenbare Welt) erschlossen werden kann. Zu solcher Bedingung gehört eine bestimmte epistemische Einstellung zur Natur, ein Begriff von ihr, der sie als geordnetes Ganzes als beherrschbar und damit erst als (zumindest potentiellen) Ort menschlichen Wohnens, schließlich als Landschaft versteht. Bevor diese Bedingungen gegeben sind, erscheint Natur im Bewußtsein der Menschen als von Göttern oder Dämonen bewohnte, dem Menschen fremde, oft auch bedrohlich-chaotische Welt - als göttlicher, dämonischer und bedrohender anderer Raum.

So sind frühen Kulturstufen die Berge als chaotische Welt erschienen, aus der Gefahr drohte, oder aber auch als heiliger Ort, an dem die Götter wohnen. Die griechische Vorstellung vom Olymp als Sitz der Götter belegt dies ebenso wie die tibetanische Benennung des Mount Everest als "Mutter-Gottheit" der Erde. Die Berge sind hier "heilige Berge" (Mann 1988), unzugänglich und unzulänglich für den Menschen, Ortschaften einer absoluten Transzendenz. Der Berg kann, in mythologischen und religiösen Formen, dann auch zum Grenz-Ort der von menschlicher und nicht-menschlicher (transzendenter) Welt, zum Ort der Begegnung von Mensch und Gott (oder Teufel) werden: Abraham führt Isaak auf den Berg, wo das Opfer vollzogen werden soll, also in die menschenferne Welt, auf Gott zu, Moses empfängt die Gesetzestafeln auf dem Berg Sinai, Mohammed seine Offenbarungen in einer Höhle des Berges Hira (Mann 1988, 193; vgl. auch Koran, Sure 52). Christus wird auf dem Berg vom Teufel versucht.

Berge, in diesen Vorstellungsformen, sind Orte der Ferne, ausgezeichnet durch die Fremde zur menschlichen Welt, das Ganz-Andere - doch auch Orte der Begegnung der unterschiedlichen Welten, Orte der Grenze und des Schnitts.

Auch in frühen Kulturstufen grenzten menschliche Kulturräume an den Berg-Raum an, nisteten sie sich in ihm ein. Nicht erst in der Neuzeit wurden Berge besiedelt und begangen. "In Wirklichkeit", schreibt Roy Oppenheim mit Blick auf die Alpen (dies dürfte ebenso für andere Gebirge gelten), "haben seit zehntausenden von Jahren Menschen in den Alpen gelebt - Jäger, Bauern, Einsiedler.(...). Die ersten Begehungen der Gebirge sind aus praktischen Bedürfnissen des menschlichen Lebens hervorgegangen. Wir wissen (...), daß schon die Etrusker Handel über die Alpen hinweg betrieben. Auch deutet die phönizische Herkulessage auf das Vorhandensein uralter Paßstraßen über die Alpen hin" (Oppenheim 1974, 10). Seit dem Fund des 'Mannes vom Hauslabjoch', des sogenannten 'Ötzi', in einer Höhe von 3200 Metern in den Ötztaler Alpen ist davon auszugehen, daß bereits in der Jungsteinzeit, also vor gut 5000 Jahren Berggebiete bis in große Höhen planmäßig und zielgerichtet begangen wurden (der gefundene Mann war an Kleidung und Ausrüstung so gut ausgestattet, daß er monatelang im Hochgebirge überleben konnte) (vgl. dazu einschlägige Literatur). Kriegszüge, die die Kelten nach Süden, die Römer nach Norden führten, hatten den Ausbau von Alpenpässen zur Folge. Hannibal zog im 3. Jahrhundert v.u.Z. über die Alpen. Doch blieben noch für die Römer die Alpen eine schreckliche Welt. Livius spricht von den "scheußlichen Alpen". Das Hochgebirge "mit seinen bis in die Unterwelt hinabreichenden Abgründen" sei entsetzlich. "Alles erstarrt in den Alpen voll Frost, ist ewig mit grauen Hagelschlossen bedeckt und immerwährend von Eis eingehüllt." So Silius Italicus (Oppenheim 1974, 10).

Erste Bergbesteigungen wurden von Hirten und Jägern ausgeführt. Sie sind wenig dokumentiert. Wir wissen, daß der Col del Teleccio 1206 von Einheimischen begangen wurde, 1250 der Monte-Moro-Paß, um die gleiche Zeit der Col de Fenetre de Bagnes und der Löbschenpaß.

Die Ersten, die in die Berge gingen, waren mit Sicherheit Hirten, Jäger und Händler (auch der Mann vom Hauslabjoch war vermutlich ein Hirte). Später wurden auch herrschaftliche Jagden in den Bergraum hineingetragen. Im Theuerdank, einem allegorischen Epos (1517) kommt ein Ritter mit Steigeisen und Bergstock vor (Oppenheim, 19f.). Das Bergerlebnis der Jäger, so läßt sich rekonstruieren, war von Einsamkeit und Bedrohung, von der Erfahrung des Unbekannten und der Unzulänglichkeit der Bergwelt geprägt. Inwieweit weitere Motive (Abenteuerlust, Entdeckungslust) in solche Unternehmungen hineinwirkten, dürfte schwer zu entscheiden sein.

Die im allgemeinen Bewußtsein wie in der einschlägigen Literatur nahezu universal geltende Auffassung, daß die kulturelle Einschließung der Bergwelt, vor allem ihre ästhetische Erschließung, erst in der europäischen Renaissance einsetzt und dann im späten 18. und 19. Jahrhundert seinen Höhepunkt erreicht, ist, in dieser Form geäußert, nicht zu halten. Er ist das blamable Beispiel eurozentristischer Ignoranz. Die Bergwelt als kultureller Raum wie ästhetischer Gegenstand gibt es außerhalb Europas schon einige Jahrhunderte davor.



Zielsetzung und methodologische Voraussetzungen  |  
I. Natur, Kultur, Ästhetik und Geschichte. Theoretische Grundlegung  |  
1. Der Begriff der Kultur  |  
2. Natur, Ästhetik, Naturästhetik  |  
II. Berge in kulturgeschichtlicher Perspektive  |  
1. Die Erschließung der Berge als kultureller Raum: eine universalgeschichtliche Betrachtung  |  
China als Beispiel  |  
2. Zur Kulturgeschichte der Bergwelt in Europa


 

China als Beispiel

China ist das große Beispiel dafür. Berge, so lesen wir in einer jüngst erschienenen sinologischen Veröffentlichung, "spielen in der ästhetischen Gedankenwelt der Chinesen seit zwei Jahrtausenden eine besondere Rolle. Die ersten Bergdarstellungen entstanden im Zusammenhang mit Vorstellungen, nach denen die unzulänglichen Gebirge am Rande der zivilisierten Welt den Lebensraum von Unsterblichen und Paradiese für die Seelen der Verstorbenen darstellten. Später idealisierte man das von irdischen Zwängen freie Leben in den Bergen als Gegenpol zum geschäftigen Treiben in den Städten und am Kaiserhof. Berge wurden zum geistigen Zufluchtsort enttäuschter Beamten und zurückgezogener Literaten und zum Sinnbild für Unverdorbenheit, Dauerhaftigkeit und Unbeugsamkeit. Die Natur und ihre Nachahmung in Form von Landschaftsgärten schien der geeignete Raum für die edelsten Beschäftigungen: das Studium der Literatur, die Dichtung und die Malerei. So wurden Berge zu einem wichtigen Topos in der Lebenswelt chinesischer Gelehrter - als Thema in der Landschaftsmalerei (shan-shui, wörtlich: 'Berg und Wassermalerei'), als einzelner Felsen in privaten Gärten oder miniaturisierte Nachbildung in Studierzimmern und Malstudios." (Schlomps 2000, 126f.) In alten China waren gesellschaftlich und kulturell günstige, wenn nicht gar ideale Bedingungen für die ästhetische Aneignung der Landschaft gegeben: eine Entwicklung der Produktivkräfte in ausreichender Höhe, um die Kontrolle über bedrohende Naturkräfte zu gewähren, die Ausbildung zentralistisch organisierter Monarchie mit einer hochgradig rational gestalteten Gesellschaftsstruktur (Beamtenschaft), ein diesseitig ausgerichtetes rationalistisches Weltbild, das die Natur als gesetzmäßig verfaßte Ordnung, den Menschen als Teil der Natur ansah. Nicht zufällig war es gerade die Aufklärung, die die altchinesische Kultur als große menschheitsgeschichtliche Leistung erkannte. So schrieb Diderot über die Chinesen: "Diese Völker sind allen anderen Völkern überlegen an Alter, Geist, Kunst, Weisheit, Politik und ihrem Geschmack für die Philosophie, ja sie machen (...) sogar in diesen Punkten den aufgeklärtesten Ländern Europas den Rang streitig" (zit. Durant 1981, 21), und auch Voltaire nannte die "Einrichtung des Reichs der Chinesen" "in Wahrheit die vorzüglichste, welche die Welt je gesehen hat" (loc.cit.).(4)

Das klassische chinesische Denken (Konfuzius und Lao-Tse) begriff den Kosmos als ideale Ordnung: als Harmonie von Himmel, Erde und Mensch (Glasenapp spricht von 'Universismus' dieses Denkens, (Fischer Lexikon, 105), die im menschlichen Leben politisch und ethisch stets neu zu realisieren ist. Holz spricht von der "Einheit von naturphilosophischer und ethischer Weltdeutung" (Holz 1994, 45), dem dao als einem strukturell dialektischen Konzept (als Urgrund, Absolutes und übergreifendes Allgemeines). Das dao ist das "Maß, nach dem der Mensch zu leben hat, es ist der Sinn, der allem Geschehen als dialektisch-polare Einheit von Yang und Yin innewohnt und den es dadurch zu erhalten und zu stärken gilt, daß man das unrechtmäßige Überwiegen einer Kraft, einer Begierde oder einer Potenz vermeidet" (op.cit., 47). Dabei steht Yang für Licht/männlich, Yin für Dunkelheit /weiblich. Himmel und Erde gelten als Vater und Mutter aller Wesen (vgl. Glasenapp, 98).(5)

In der chinesischen Malerei nimmt die Naturnachahmung anerkannterweise eine beherrschende Stellung ein. Die "Liebe zur Natur" gilt als "Konstante der chinesischen Kunst" (Bedin 1995, 40). Seit dem 4. Jahrhundert finden sich außer Menschen auch Bäume und Felsen auf Bildern. Charakteristisch ist die Verbindung von Realismus und Symbolik. "Steile Berge türmen sich zum Himmel auf, knorrige Bäume hängen über schwindelnden Abgründen, winzige Klöster kleben an den Felsen, all dies bezeugt die Kleinheit der Menschen angesichts der Unendlichkeit der Natur" (op.cit., 42), zugleich aber auch die Teilhabe des Menschen an einer umfassenden, kosmisch geordneten Natur. Diese Auffassung drückt sich in der Perspektive aus, die keinen einheitlichen festen Fluchtpunkt kennt, sondern entweder aus der Vogelschau, von weit oben her, oder vom Vordergrund im Hinblick auf ferne Gipfel erfolgt. Auch können verschiedene Blickwinkel gewählt werden, um den Blick auf Ziele zu lenken, denen besondere Bedeutung zukommt (op.cit., 44f.). Höhepunkte erlebte die chinesische Landschaftsmalerei unter der Sung-Dynastie (960-1279). Sie entwickelte sich in zwei Stilrichtungen. Die der nördlichen Schule bevorzugte mächtige Gebirge, die einen Großteil des Bildes füllen, die der südlichen Schule gibt allein Umrisse der Erscheinung der Natur.

Die Berge waren nicht nur Gegenstand ästhetischer Darstellung, sie waren seit dem 3. Jahrhundert auch bevorzugte Orte des Aufenthalts der Maler und Dichter, sie waren "keine Furcht einflößende Ungeheuer, sondern alte, vertraute Freunde. Die Natur war keinem feindlich gesinnt, und jeder betrachtete sich als einen Teil des ihn umgebenden Ganzen" (Fontein/Hempel 1985, 41). Der berühmte Maler Kuo Hsi (11. Jahrhundert), der letzte große Repräsentant der Ideenwelt der Sung-Zeit, schreibt in einer Abhandlung über Malerei: Bei der Betrachtung der Bilder von Bergen entstehen in den Menschen ähnliche Gedanken, wie sie der Künstler hatte. "Es ist, als ob sie wirklich mitten in der Bergwelt waren. Darin liegt die Bedeutung der Malerei, die sich über die Landschaft erhebt, welche sie abgebildet hat" (op.cit., 41; vgl. auch Durant 1981, 117).

Die Darstellung der Berge in der chinesischen Lyrik (der Hauptgattung der chinesischen Literatur) ist von höchster Komplexität und Vielfalt. Sie bewegt sich auf einem ästhetischen Niveau, das in der gesamten Geschichte der Weltliteratur nur selten erreicht, sicher nie übertroffen wurde. Im Folgenden können nur einige wenige Hinweise gegeben werden.(6)

Die Darstellung der Bergwelt in der chinesischen Lyrik bewegt sich, wie die Malerei, zwischen den Polen einer genauen, doch höchst vielseitigen realistischen Abbildung und einer äußersten symbolisch-semantischen Verdichtung. So konnte diese Lyrik zum Vorbild einer bestimmten Richtung der klassischen Moderne, des Imagismus' Ezra Pounds werden (vgl. Graham 1977). Naturästhetisch gesehen, steht diese Lyrik zwischen den Polen des Schönen und des Erhabenen. Zugleich ist sie, wie Günther Debon schreibt, "Ausdruck der eigenen Gefühle", "Seelenlandschaft". "Dabei versteht der Chinese fast ausnahmslos als Landschaft Gebirg und Wasser, nämlich das von Flußläufen, Wasserfällen und Seen belebte Hochgebirge. Hier mag die dualistische (besser: dialektische, T.M.) Philosophie des männlichen Yang- und des weiblichen Yin-Prinzips nachwirken. Aber auch Paradiesesvorstellungen spielen mit; denn man dachte sich den Ort der Seligen als ein Gebirgsland inmitten der See" (Debon 1988, 222). Nach Debon ist Dso Ses "Den Einsiedel suchen" das erste Naturgedicht Chinas in dem von ihm erläuterten Sinn. Es entwirft eine umgreifende Landschaft von Gebirge und Wasser, mit liebevoll ausgemalten Detailbildern, in der der Einsiedel seine Hütte gebaut hat. Thematisch konstitutiv ist der Gegensatz einer von Hierarchie und Unterwerfung bestimmten politisch-sozialen Welt zum freien und einfachen Leben in der Natur (ein Grundthema auch der europäischen Pastorale; vgl. Vergils Eklogen). Die Natur - der Berg - ist erhabener Gegenstand der Betrachtung ( (das Wort wird gebraucht, jedenfalls in der Übersetzung). Die Welt des Einsiedels ist die Welt einer freien Assoziation von Gleichen, die in der Betrachtung der erhabenen Natur und im 'freien Schweifen' in ihr ihr Dasein haben.

Nicht so wie Hui und Lian will ich mich beugen;
Doch ist der Schön-Yang-Berg nicht meine Menschlichkeit:
Mit andern will Erhabenes ich betrachten,
Will schweifen frei, wenn mich die Stunde lockt.
(Debon, 52)

Der Höhepunkt der chinesischen Dichtung ist die Zeit der T'ang-Dynastie (618-907); ihre bedeutendsten Dichter sind Li Po (701-62) und Tu Fu (712-70), die sehr unterschiedliche Typen verkörpern (vgl. Cooper 1973, Graham 1965). Eine Vielzahl anderer, nicht weniger bedeutender Dichter sind in Ergänzung dieser beiden zu nennen: Meng Chiao, Han Yü, Li Ho, Tu Mu, Li Shang-Yin (vgl. Graham 1965). Auffallend ist, auch bei flüchtigster Kenntnis, der thematische und formale Reichtum dieser Lyrik. Ein Problem bilden die Übersetzungen (auch dem hier Schreibenden ist diese Lyrik nur durch Übersetzungen zugänglich). Die deutschen Übersetzungen, dies ist der Eindruck, scheinen diese Lyrik oft auf ein spätromantisches Instrumentarium (sprachlich und rythmisch) einzuebnen. Die englischen Übersetzungen, so scheint es, differenzieren stärker, in ihrer Reproduktion dissonanter Fügungen klingen sie härter und moderner. Zur Wirkungsgeschichte dieser Lyrik sei des weiteren auf Gustav Mahlers Lied von der Erde verwiesen, das im Text auf Hans Bethges Sammlung Die Chinesische Flöte ( nach Li Po, Chang Tsi, Mong Kao Jen und Wang Sei) und Mahlers eigene Bearbeitungen aufbaut. Auf diesem Weg ist zumindest ein kleines Stück der chinesischen Lyrik in die große europäische Musik eingegliedert worden.

Die folgenden Beispiele sollen allein eine erste Einführung geben. Sie stammen sämtlich aus Lyrik des Ostens, hrsg. von Gunert, Schimmel, Schubring. Die Übersetzungen sind am Ende der Texte vermerkt.

In Frieden liegen die neun Lande.
Die vier Gestade sind bewohnt.
In neun Gebirge hieb ich Pfade.
Neun Strömen bahnte ich das Bett
Und dämmte die neun Moorgelände:
Die vier Meere wurden eins. (Gundert)
Abendsonne kreuzt den Kamm der Berge.
Alle Schluchten deckte Dunkel schon.
Mondlicht hinter Föhren fröstelt nächtlich.
Wind und Quelle rauschen tief und voll.
Reisigsammler kommt, hat sein Genüge.
Vogel fand im Nest die erste Ruh.
Nur dem Freund, dem späten, schlägt am Wege
Unter Ranken harrend meine Zither zu.
(Gundert)
Ein Schwarm von Vögeln, hohen Flugs entschwunden.
Verwaiste Wolke, die gemach entwich.
Wir beide haben keinen Überdruß empfunden,
Einander anzusehn, der Berg und ich.
(Eich)
Bergfelsen
Durch steiles Felsgeklüft führt mich der schmale Pfad
Im Dämmerlicht zum flederumschwirrten Kloster.
Ich ruhe auf des Tempels Stufen, wo vom Regen
Die Blätter der Bananen frisch, die Jasminblüten duften.
Der Mönch erzählt von all den vielen Buddhabildern,
Die in die Wand gehaun, sie seien Meisterwerke,
Und eine Fackel holt er, sie ins Licht zu setzen,
Doch sieht man wenig in dem ungewissen Flackern.
Ein Bett bereitet er sodann und kehrt die Matten
Und stellt vor mich die Abendsuppe hin,
Einfach Gemüse, schlichten Reis, doch für den Hunger gut.
Tief ruht und still die Nacht, die hundert Stimmen
Der Zirpen, die den Tag durchlärmten, schweigen.
Dort hinter Felsenzacken kommt der Mond hervor
Und füllt mit seinem Schein des Fensters Gitterwerk.
Der Tag erwacht. Ich wandre einsam ohne Pfade
Talein, talaus, bergauf, bergab im Nebelrieseln.
Rot strahlt der Berg, das Tal mischt grüne Lichter
Und bunte Farben schimmernd in das Leuchten.
Oft treff auf Stämme ich von Kiefern oder Zedern
Uralt und stark, die wohl zehn Männer kaum umspannten.
Dem Bache folgend schreite ich mit nackten Füßen
Auf wohlgewählten Steinen klüglich durch die Flut.
Des Wassers Rauschen klingt mir in den Ohren,
Indes der Wind mit meinen Kleidern spielt.-
So macht Natur das Leben frei und fröhlich.
Wozu doch treten wir in das Getrieb des Altags ein,
Wo wir gespannt in harte Sklavenketten?
Ach, könnten wir die Freiheit kennen,
Doch bis zum Alter solch ein Leben führen
Und nie zurück mehr müssen in der Menschen Schwarm!
(Wilhelm)

Die Ausarbeitung des vorgeschlagenen Projekts einer Kulturgeschichte der Bergwelt hat in der Zielsetzung --idealiter - alle Weltkulturen zu berücksichtigen. Eine solche Ausarbeitung kann nur in langfristiger kooperativer Arbeit erfolgen, es kann nie und nimmer das Werk eines Einzelnen sein.

An diesem Ort sei der Hinweis gegeben, daß im Hinblick auf die literarische Erschließung der Bergwelt in jedem Fall der japanische und indische Kulturraum in die nächsten Schritte der Erarbeitung einbezogen werden muß. Als Beispiele für das japanische Haiku gebe ich:

Mit einem Ende
Lehnt an die Berge sich dort
Der Strom des Himmels
Shiki
(Ulenbrook, 149)
Beim ersten Schneien
Das Meer ein wenig ferner -
Doch wo die Berge?
Shiki
(Ulenbrook, 197)
Im Bergdorf türmt sich
Der Schnee, und unten gurgelt
Des Wassers Rauschen.
Shiki
(Ulenbrook, 223)
Vom Bergpaß oben
Kommt jemand noch herunter
Im dichten Schneesturm!
Shiki
(Ulenbrook, 223)

Ich gebe weiter ein Beispiel aus dem indischen Kulturraum (Mahabkarata, vor 5. Jahrhundert u.Z.), in dem eine halb mythische, halb ästhetische Landschaft evoziert wird (zit. nach Lyrik des Ostens, 151f.):

Der Himalaya
Den Himalaya dort schaut er, der Gebirge gewaltigstes,
Mit metallreichen Felshörnern, mit vielgestaltigen, reich geziert,
Im Windgebraus hierher, dorther übergossen vom Wolkenflug,
Mit Flüssen, Grotten, Talwänden, mit Felspalästen schön geschmückt,
Wo in den Berghöhlen versteckt Löwen-Tigergetier sich regt,
Wo mannigfaches Lied zwitschert bunt gefiederte Vögelschar,
Bienenvögel und auch Schwäne, der Datyuha, das Wasserhuhn,
Pfaun, Fasanen, dazu Spechte, Kuckucke heben ihren Ruf,
Wo der schwarzäug'ge Tschakora haust samt dem Vogel Sohneslieb
An Gewässern gar anmutig, an Teichen voller Lotospracht -
Der Wasservögel Ruf lieblich ziert die Stätten mit süßem Schall.
Dort spielen auf den Felsplatten Nymphen, pferdköpf'ge Genien
Die Elefanten-Welthüter reiben an Bäumen rings den Zahn.
Geister der Luft ziehn ihren Weg. Gar manches Kleinod findet man,
Sich schlängelnd kriechen Giftschlangen umher, die feurig zündelnden.-
Der hier in Goldesschein leuchtet, der dort im Silberlicht erstrahlt,
Dort wiederum salbengleich glänzt: zum Himalaya kam er hin.
(Oldenburg)



Zielsetzung und methodologische Voraussetzungen  |  
I. Natur, Kultur, Ästhetik und Geschichte. Theoretische Grundlegung  |  
1. Der Begriff der Kultur  |  
2. Natur, Ästhetik, Naturästhetik  |  
II. Berge in kulturgeschichtlicher Perspektive  |  
1. Die Erschließung der Berge als kultureller Raum: eine universalgeschichtliche Betrachtung  |  
China als Beispiel  |  
2. Zur Kulturgeschichte der Bergwelt in Europa


 

2. Zur Kulturgeschichte der Bergwelt in Europa

2.1. Erste Phase. Humanismus und Renaissance: die Entdeckung der Berge als Landschaft

In Europa beginnt die Entdeckung und Erschließung der Berge - und nicht zuletzt auch ihre ästhetische Entdeckung - mit der Renaissance.(7)

Die Besteigung des Mont Ventoux in der Provence am 26. April 1336 durch den dreiunddreißigjährigen Dichter Francesco Petrarca, "allein vom Drang beseelt, diesen außergewöhnlich hohen Ort zu begehen" (Albus 1999, 203), wird in der Regel als Schlüsseldatum für die Entdeckung der Berge als Landschaft genannt (vgl. Burkhardt 1981, 326-28; Ritter 1963). Auf dem Gipfel angekommen, steht er "durch den ungewohnten Hauch der Luft und die ganze freie Rundsicht bewegt, einem Betäubten gleich da" (zit. Albus 1999, 203). Die Bergbesteigung wird ihm zum Gleichnis für die Pilgerfahrt des Lebens ("in der Tat liegt das Leben, das man das selige nennt, auf hohem Gipfel, und ein schmaler Pfad (...) führt zu ihm hin") (dazu ausführlich Burkhardt 1981, 328f). Er schlägt ein mitgebrachtes Büchlein auf, die Bekenntnisse des Hl. Augustin, und sein Auge fällt auf eine Stelle im 10. Abschnitt: "Und da gehen die Menschen hin und bewundern hohe Berge und weite Meeresfluten und mächtig daherrauschende Ströme und den Lauf der Gestirne und verlieren sich selbst darüber". Darauf schließt er das Buch und schweigt. Bei Petrarca verbindet sich Altes und Neues auf eindringliche und faszinierende Weise. Das Neue ist die Besteigung des Bergs nur um ihrer selbst willen und um die Welt zu sehen und zu entdecken, das Alte: das Motiv der Selbsterkenntnis und der Gedanke der Bergbesteigung als Pilgerfahrt.

Eine Reise als Jenseitswanderung und Pilgerfahrt (sie ist zugleich eine umfassende Weltfahrt) schildert Dante in der Göttlichen Komödie. Ist der erste Teil, Inferno, ganz und gar von Bergmetaphern durchsetzt: vom leuchtenden Berg der Tugend im Ersten Gesang zu den Abstürzen, Abgründen und Bergstürzen, Abgründen und Bergstürzen der Höllenlandschaft, hat der zweite Teil, Purgatorio, als zentrales Bild den Läuterungsberg. Hier ist die Wanderung ein Aufstieg, wie sie in der Hölle ein Abstieg war. Erst im Paradiso wird die Metapher des Bergs durch die einer vielschichtigen Himmelswelt abgelöst. Sehr genaue Naturbeobachtungen gehen durchgängig in Dantes Text ein, auch Erfahrungen, die er selbst beim Bergsteigen gemacht haben muß (Dante war Bergsteiger, es gibt Arbeiten dazu: vgl. Burkhardt 1981, 326, Hielermann von Heel 1932). So beschreibt er in Purgatorio, Vierter und Zehnter Gesang den Aufstieg in einem Kamin (Dante 1988, V. 85f. u. 175).

Inwieweit die Berge Dantes ein Aestheticum sind, müssen weitere Untersuchungen zeigen. Es gibt Naturschönheit bei Dante - vorrangig jedoch sind seine Landschaften allegorische Orte, keine ästhetischen, die Berge der Hölle Orte des Schreckens. Immer wieder aber ist real Gesehenes und Erlebtes in die vielschichtige Bergmetapher eingegangen.

Die ästhetische Entdeckung der Landschaft in der Renaissance hat ihre Vorläufer. So zeigt ein Brief des jüngeren Plinius (61-113 v.u.Z.), wie aus 'Ländereien' eine Landschaft wird. Von der Gegend um seinen Landsitz in Tuscien sagt er: "Die Landschaft ist ganz herrlich". Er spricht vom Amphitheater der schöpferischen Natur. Zu Recht schreibt Anita Albus, hier konstituiere sich ein "Subjekt mit neuer zeitlicher und räumlicher Perspektive" (Albus 1977, 202). Plinius: "Es wird für Dich ein großer Genuß sein, wenn Du von einem Berg aus auf der Landschaft hinunterblickst". Zu erblicken seien "nicht Ländereien, sondern ein in außergewöhnlicher Schönheit gemaltes Landschaftsbild". Er spricht von Buntheit und Gliederung der Landschaft, entdeckt also Farbe und Form ihrer ästhetischen Gestalthaftigkeit.

Die Entdeckung landschaftlicher Schönheit war in der Renaissance humanistisches Programm - Teil der "Entdeckung der Welt und des Menschen" (Burckhardt 1981). Die Besteigung von Bergen, die praktische Erkundung der Natur gehörte dazu. Burkhardt nennt neben Petrarca eine Reihe weiterer Humanisten, die Berge bestiegen: so Fazio degli Uberti, den Verfasser einer gereimten Kosmographie (Burkhardt 1981, 329). Auch Oppenheim verweist auf eine Reihe bergsteigender Humanisten neben Petrarca. Rotario d'Asti etwa, der 1358 einen Dreitausender, die Roccia Melone (3537) in der Nähe des Mont Cenis zum ersten Mal bestieg. (Oppenheim 1974, 26ff.) Auch erste Klettereien fallen in diese Zeit: so die Ersteigung des Mont Aguille 1492 durch Antoine de Ville mit der Hilfe von Seilen und Leitern - der Beginn der Epoche des Alpinismus.

Zusammen mit Künstlern unternehmen wagemutige Humanisten Expeditionen in die Alpen, oft mit dem Ziel ihrer topographischen Erfassung (1538) (dazu Oppenheim 1974, 32). Auch von Leonardo ist bekannt, daß er die Alpen bereiste. Von ihm stammt eine Hochgebirgsstudie (um 1511), die eine Bergwelt (ein Gipfelpanorama) ganz ohne Beiwerk oder religiöse Bezüge zeigt - eine der ersten (oder die erste?) Abbildungen der Berge als 'reine Landschaft'. Auch Menschen fehlen auf dem Bild.

Schrittweise wird die landschaftliche Schönheit der Berge entdeckt. Der Züricher Naturforscher Conrad Geßner erstieg um die Mitte des 16. Jahrhunderts den Pilatus wie auch andere Berge. Er schreibt in einem Brief von dem "Vergnügen für den ergriffenen Geist, die gewaltige Masse der Gebirge zu bewundern und das Haupt gleichsam in die Wolken zu erheben." In die ästhetische Erfahrung der Gebirge tritt hier neben die Erfahrung des Schönen auch deutlich die des Erhabenen, wenn Geßner fortfährt: "Ich weiß nicht, wie es zugeht, daß durch diese unbegreiflichen Höhen das Gemüt erschüttert und hingerissen wird zur Betrachtung des erhabenen Baumeisters" (De Montium Admiratione). Geißner erklärt, zeit seines Lebens jährlich einige Gipfel besteigen zu wollen - mit dem ersten Ziel des Studiums der Bergflora, mit dem zweiten aber des Bergsteigens selbst, für das, neben das ästhetische Erleben, die Freude an der körperlichen Übung steht. Er schreibt, und diese Sätze sollten in jede theoretische Erörterung des Bergsteigens gehören: "Es ist eine fest beschlossene Sache, daß ich, solange mir Gott das Leben schenken wird, jedes Jahr die Besteigung einiger Gipfel machen werde oder doch zumindest eines von ihnen in der Zeit, da die Bergflora in voller Blüte stehen wird, sowohl um diese zu untersuchen, wie auch um meinem Körper eine edle Übung zu verschaffen und eine Freude meinem Geist" (Oppenheim, 34). Die Lust der körperlichen Bewegung tritt neben das ästhetische Vergnügen und das forschende Interesse an der Natur.

Von zentraler Bedeutung für die Entdeckung der Landschaft, die sich in der frühen Neuzeit auf vielen Ebenen vollzieht, ist ihre Aneignung im Medium der Künste. Diese wiederum hat in dieser Epoche ihren Mittelpunkt in den bildenden Künsten und dort vor allem in der Malerei. Die Landschaftsmalerei ist der Hauptschauplatz der Entdeckung der landschaftlichen Schönheit zu diesem historischen Zeitraum (im ausgehenden 18. Jahrhundert, löst die Literatur die Malerei als erstes Medium ästhetischer Naturaneignung ab.)

An Genesis und Geschichte der europäischen Landschaftsmalerei sind eine Reihe von Faktoren beteiligt: ökonomische, soziale, politische, epistemische und ästhetische.(8)

Die Entdeckung der Landschaft - genauer ist hier von ihrer Konstituierung zu sprechen - und im Zusammenhang damit die Herausbildung der Landschaftsmalerei zu einer autonomen Kunstform vollzieht sich in einer Reihe von Schritten. In einem ersten Schritt wird der Goldhintergrund, wie er für die traditionelle (byzantinische) Malerei typisch ist, durch einen Bildhintergrund ersetzt, in den Realia einer landschaftlichen Welt treten: Wald, Wiese, Feld, Dorf, Fluß und Meer, Felsen und Berge. Aus diesem Bildhintergrund (Parerga, Beiwerk genannt) bildet sich in einer Reihe weiterer Schritte die autonome Landschaft heraus (vgl. Albus 1997, 250) - wobei 'Landschaft' immer (wie eingangs ausgeführt) eine gestalthaftes Ensemble von Naturseiendem meint - nicht die bloße Aneinanderreihung von einzelnen seiner Elemente. " 'Landschaft' ", erläutert Anita Albus, "umfaßt das Ganze der Natur in der besonderen Physiognomie monotoner oder kontrastierender, rauher oder lieblicher, harmonischer oder bizarrer Regionen, die dem Blick aus erhabener Ferne das unsichtbare Zusammenspiel von Boden, Luft, Gewässer, Pflanzen, Tieren, Mensch und Menschenwerk offenbaren" (Albus 1999, 201). Die Darstellung von Landschaft in der Malerei setzt im späten Mittelalter ein, und von den frühesten Beispielen an tritt die Bergwelt (Hügel, Berge, Felsformationen) in ihre Darstellung ein. Allein an Giotto (Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert) sei erinnert, bei dem die genaue Beobachtung von Naturobjekten sich mit der Wiedergabe der Formen und atmosphärischen Eigenart (auch Farbigkeit) seiner umbrischen Heimat verbindet. Auffallend ist, daß die Darstellung der Bergwelt (im weitesten Sinn von Gebirge, Berg, Hügel, Felsformation, Felsgrotte usw.) von Beginn an in der Landschaftsmalerei eine zentrale Rolle spielt. Dies sicher nicht allein deshalb, weil viele der dargestellten Landschaften gebirgig waren, sondern auch der ästhetischen Attraktion wegen, die von Bergen ausgeht. Hinzu tritt die symbolische Bedeutung, die mit der Bergwelt verbunden ist oder mit sich verbinden läßt. Dabei wird die traditionelle Semantik der Bergwelt als Ort der Wildnis, Ferne, Grenze oder heiliger Berg eine wichtige Rolle gespielt haben. Auf Lorenzettis Fresken mit Motiven des schlechten und guten Regiments (1338-40, Sienna), allgemein als Auftakt der Landschaftsmalerei bezeichnet, begegnen wir einer Landschaft mit gebirgigen Formationen (offenkundig der toskanischen Landschaft nachgebildet), bei Konrad Witz (Petri Fischzug, 1444) einem detailliert entwickelten Gebirgsmotiv als Rahmen eines biblischen Geschehens, bei Dürer (Ansicht von Arco, Ende 15. Jahrhundert) dann bereits dem selbständigen Landschaftsbild.

Die Geschichte der neuzeitlichen Landschaftsmalerei kann hier nicht einmal skizzenhaft rekonstruiert werden; sie muß zu einem späteren Zeitpunkt der Ausarbeitung wieder aufgenommen werden. An dieser Stelle muß der Hinweis genügen, daß diese Malerei, noch weit vor der Romantik, eine unerhörte Fülle von Formen und Landschaftstypen entwickelt (sie auf eine - etwa die ideale Landschaft - zu reduzieren, käme einer unzulässigen Vereinseitigung gleich). Dazu gehört die konstruktivistische Weltlandschaft (Altdorffer, Brueghel, Verhaerdt) ebenso wie die symbolische oder allegorische Landschaft (Leonardo, Botticelli, Tintoretto, Giorgione, El Greco, Brueghel, Rembrandt), die ideale Landschaft von Caracci bis Lorrain und Watteau, der vielschichtige Realismus der Niederländer zwischen den Polen von Naturalismus, Symbolismus und früher Romantik. Aus der Kenntnis dieser Tradition heraus ist die Malerei des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts eher eine Transformation als ein Neubeginn.

2.2. Zweite Phase. Europäische Romantik und Zeitalter der Revolutionen: umfassende kulturelle Erschließung der Berge

Die umfassende und irreversible Erschließung der Alpen setzt erst in jener Epoche ein, die mit Eric Hobsbawm als "Age of Revolution" bezeichnet werden soll, dem Zeitalter der Doppelrevolution: der ökonomischen, wie sie sich paradigmatisch in England, der politischen, wie sie sich paradigmatisch in Frankreich vollzieht. In diesem Zeitraum bildet sich die Gesellschaft der Moderne in ihrem Doppelcharakter heraus: der kapitalistisch verfaßten ökonomischen, der demokratisch-parlamentarisch verfaßten politischen Gesellschaft. Beide zusammen konstituieren die moderne Gesellschaft als bürgerliche, das moderne Zeitalter als Zeitalter der Bourgeoisie. Es ist die Gesellschaft, in deren Zeichen sich die Unterwerfung, Eroberung und schließlich Verwüstung der Erde vollzieht; in einem Prozeß, der auch heute noch nicht als abgeschlossen gelten kann.

Die geistigen Vorgänge, die diese Geschichte begleiten, wären falsch verstanden, wenn man sie allein als ihren affirmativen Ausdruck, ihre ideologische Legitimierung begreifen wollte. Sie sind dies auch, aber in ihren wesentlichen Formen sind sie zugleich mehr: Einspruch und Opposition gegen die Herrschaftslogik, die der bürgerlichen Gesellschaft von Beginn an immanent ist und die sich in der Unterwerfung der Erde und der Ausbeutung von Menschen niederschlägt.

Eine Kulturgeschichte der Bergwelt für diesen Zeitraum hat allen seinen Aspekten Rechnung zu tragen. Sie hat zu beschreiben, in welchem Maße der Raum der Berge ökonomisch, politisch und sozial erschlossen wird, er hat zu beschreiben, in welcher Gestalt dieser Erschließungsprozeß seinen geistigen Ausdruck findet, und er hat die Kräfte und Formen zu beschreiben, in denen Einspruch und Widerstand gegen diesen Erschließungsprozeß zum Ausdruck kommen. Da dieser Einspruch vor allem in Formen der Kunst - aber auch in solchen der Theorie (Philosophie) - sich artikuliert, werden diese Formen im Mittelpunkt einer solchen Kulturgeschichte stehen müssen.

Ein Schwerpunkt dabei ist die neue Auffassung von Natur, wie sie sich in den Künsten der Zeit (in allen Künsten, wenn auch die Literatur jetzt einen Vorrang hat) herausbildet. Sie wird mit dem Begriff einer romantischen Naturauffassung höchst ungenau beschrieben, da diese Naturauffassung durchaus in der Aufklärung ihre Wurzeln hat. Albrecht von Hallers Die Alpen von 1729/32 seien hier genannt, in dem die Naturauffassung Jean Jacques Rousseaus vorbereitet wird, die dann die Grundlage der gesamten romantischen Naturauffassung bildet. (Zur Herausbildung der neuen Naturauffassung im 18. Jahrhundert sehr instruktiv: Dirlinger 2000). So findet sich in Rousseaus Bekenntnissen (IV. Buch) der Begriff des "schönen Landes" als eines solchen, dem "Gießbäche, Felsen, Tannen, dunkle Wälder, Berge, bucklige Pfade und fürchterliche Abgründe" zugehören (Wagner 1959, 16), damit ein Begriff von Naturästhetik, der Kants Unterscheidung des Schönen und Erhabenen vorbereitet. Ist nach Kant das Schöne als Harmonie eines selbstzweckhaft wahrgenommenen Gegenstands bestimmt, so das Erhabene als machtvolle Natur (Kritik der Urteilskraft, §28): "Kühne überhängende gleichsam drohende Felsen, am Himmel sich auftürmende Donnerwolken, mit Blitzen und Krachen einherziehend, Vulkane in ihrer ganzen zerstörenden Gewalt, Orkane mit ihrer zurückgelassenen Verwüstung, der grenzenlose Ozean, in Empörung gesetzt, ein hoher Wasserfall eines mächtigen Flusses u. d. gl." Die Vorstellung einer erhabenen Natur wird bei Koch (vgl. Frank 1995), Schiller (Wilhelm Tell; vgl. Metscher 1992) und in der revolutionären Romantik (so bei P.B. Shelley; vgl. Metscher 1998) zur politischen Metapher, die heroische Landschaft zum Symbol einer Freiheit, die die Natur verbürgt und in der Gesellschaft einzulösen ist.

An der im Verlauf des 18. und frühen 19. Jahrhunderts sich ausbildenden 'neuen' Naturauffassung (sie knüpft an die 'immanentistische', realistische und pantheistische Tradition europäischen Denkens an (vgl. Bloch 1972) haben alle europäischen Nationen teil. Das Denken Goethes bildet einen Höhepunkt in diesem Prozeß (vgl. Schmidt 1984). Im Einzelnen kann er als weitgehend erforscht gelten. Was fehlt, sind Studien, die die Forschungsergebnisse koordinieren und kritisch zusammenfassen. Eine Kulturgeschichte der Bergwelt wird sich, geleitet von ihrem besonderen Gesichtspunkt, der Aufgabe einer solchen Zusammenfassung stellen müssen.

2.3. Dritte Phase. Moderne: von der Erschließung zur Eroberung, von der Eroberung zur Verwüstung der Berge

Zu der letzten Phase in der Geschichte der Erschließung der Alpen kann hier nur eine knappe These vorgetragen werden. Sie lautet: der Prozeß dieser Erschließung, wie er sich in den letzten beiden Jahrhunderten vollzog, setzte einen Vorgang frei, der über die totale Eroberung des Alpenraums zur (zumindest partiellen) Verwüstung der Bergwelt führte. Diese Verwüstung steht im Zusammenhang mit der rücksichtslosen Inbesitznahme des Bergraums, mit seiner rücksichtslosen Besiedlung, wirtschaftlichen Nutzung wie der faktisch unkontrollierten Ausbreitung des Massentourismus.

Oppenheim hat in seinem Buch über die Entdeckung der Alpen diesen Vorgang genau beschrieben und dokumentiert. Er unterscheidet folgende Gesichtspunkte: die wissenschaftliche Entdeckung der Alpen, die alpinistische Erschließung, die Entwicklung des Alpinismus zum Massensport, die touristische und technische Eroberung, die Entwicklung der Bevölkerungsstruktur. Er schließt mit dem Kapitel "Der Umbruch im alpinen Raum". Er schreibt: "Während über zwei Jahrhunderten - seit der Mitte des 18. Jahrhunderts - trachtete der Mensch danach, das Gebirge zu erobern, in seine Gewalt zu bekommen (...). Der Eroberung, die mit dem 19. Jahrhundert ihr vorläufiges Ende fand, folgte in unserem Jahrhundert die Beherrschung, die Nutzbarmachung und die Zerstörung" (op.cit., 259). Irreversible Eingriffe seien zu verzeichnen: Bebauung, Verbauung, Zubetonierung, technische Übererschließung (Lift - und Bergbahnsysteme), Verkehr, touristische Überschließung. Auf eine zugespitzte Formel gebracht: Die Wildnis ist zur Wüste geworden, greifbar vor unseren Augen vollzieht sich eine Verwüstung der Landschaft. Es ist dies ein in solchem Umfang historisch einmaliger, unsere Lebensgrundlagen zerstörender Vorgang. Daß er nicht auf die Alpen beschränkt ist, hat unlängst Reinhold Messner in einem beklemmenden Bericht in der Süddeutschen Zeitung bestätigt.(9)

Er trägt den Titel: "Der Gipfel des Selbstbetrugs. Kein Höhenrausch, kein Glücksgefühl - nur Müll: Der Mount Everest ist zum Konsumgut für jedermann verkommen", SZ v. 28/29, April 2001). Messner schreibt, und den Kulturhistorikern der Bergwelt seien diese Zeilen ins Stammbuch geschrieben: "Der Mount Everest macht nur noch Negativschlagzeilen : als Müllberg, als Todeszone für Adrenalin-Freaks, als Rummelplatz für Touristen, die überall sonst schon gewesen sind. Seitdem im Internet und in Reisekatalogen mit dem Angebot 'Everest for everybody' die Vorstellung verkauft wird, der Aufstieg ins Nirwana sei für Geld zu haben, ist auch der höchste Berg der Welt, von den Einheimischen in Nepal einst als Heiligtum 'Sagarmatha' und in Tibet als 'Qomolungma' verehrt, Konsumgut geworden."

Eine Gesellschaft, die in der Ausplünderung der Erde ihre ultima ratio hat und die Natur zum Spielort einer pathischen Selbstbestätigung degradiert, hat ihr Todesurteil schon unterzeichnet. Ihr Untergang ist verdient.


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ANMERKUNGEN

(1) Die hier gebrauchte Begriff des Anthropologischen faßt Anthropologie im Sinne einer 'Onotlogie des gesellschaftlichen Seins' (vgl. Lukacs, 1984), nimmt zugleich aber auf Martin Heideggers Begriff des In-der-Welt-Sein Bezug (vgl. Metscher 1989) . Vgl. weiter: Metscher 1999 u. 2001.

(2) Vgl. zum Folgenden Ontologie, Kulturtheorie, Ästhetik in Metscher 1989, insbs. 134ff.

(3) Vgl. Kant, Kritik der Urteilskraft: "Zweckmäßigkeit ohne Zweck".

(4) Vgl. zur ersten Orientierung, Fontain/Hempel 1985, insbes. 39ff.; Durant 1981, 21ff.; Holz 1994; Schwarz 1994; Störig 1987, 85ff.

(5) Der Gesichtspunkt der ökonomisch-sozialen, politischen und epistemischen Voraussetzung der chinesischen Naturästhetik wird noch weiter auszuarbeiten sein.

(6) Dieser Teil insbesondere bedarf der sehr gründlichen Ausarbeitung.

(7) Die gälische Literatur Irlands ist ein bemerkenswerter Sonderfall und in der Ausarbeitung unbedingt zu berücksichtigen. In der gälischen Literatur gibt es eine ausgeprägte Naturästhetik (vgl. O'Connor 1962, 17ff.), auch die Bergwelt an Schlüsselstellen des lyrischen Gedichts (vgl. Murphy 1970).

(8) Eine im vollen Umfang materialistische Historiographie dieses Prozesses steht meines Wissens noch aus. Norbert Schneiders verdienstvolle Geschichte der Landschaftsmalerei (Schneider 1999) krankt an einem ökonomistisch verkürzten Begriff materialistischer Kunstbetrachtung: komplexe Faktoren werden zu schnell und unvermittelt auf den Faktor Ökonomie reduziert. Ein Vorbild für eine materialistische Bildanalyse ist Hilmar Franks Deutung von Joseph Anton Kochs Der Schmadribachfall (Frank 1995) - man wünscht sich diese Methode auf die gesamte Geschichte der Landschaftsmalerei ausgeweitet.

(9) Die Ausstellung Desert und Transit (Kunsthalle Kiel Juli/Sept. 2000, Museum der bildenden Künste Leipzig Nov. 2000/Jan. 2001; Ermacora 2000) versuchte gleichfalls sich diesem Problem zu stellen. Leider tat sie es mit ästhetisch und theoretisch unzulänglichen Mitteln.


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