Eidgenössisches Finanzdepartement EFD

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Bundesrat Kaspar Villiger - Abschied von der Luzerner FDP

08. Dez 2003 - Abschied von der Luzerner FDP am 8. Dezember 2003 in der Festhalle Sempach - Rede von Bundesrat Kaspar Villiger

Es gilt das gesprochene Wort



Zuerst möchte ich Karl Tschuppert für seine freundschaftlichen Worte danken. Es freut mich, dass gerade er es übernommen hat, einige Worte zu meinem Abschied von der Politik zu sagen. Ich möchte ihm auch herzlich danken, für die jahrelange treue Freundschaft und für seine hervorragende politische Arbeit.



Karl Tschuppert hat in Bern von Jahr zu Jahr an Statur und Einfluss gewonnen. Für eine moderne und langfristig lebensfähige Landwirtschaft hat er unendlich mehr getan als lautstarke Bewahrer überlebter Positionen. Die Sicherheitspolitik hat er als Wachtmeister massgeblich mitgeprägt. Trotz Widerständen hat er sich mutig für die UNO eingesetzt und angesichts des knappen Ständemehrs vielleicht sogar überhaupt den historischen Entscheid mit ermöglicht. Er verkörperte wie wenige die vier Kardinaltugenden Mut, Weisheit, Gerechtigkeit und Besonnenheit. Ich weiss, dass ihm der Entscheid des Volkes bei den Wahlen zu schaffen macht. Es mag ihm ein Trost sein zu wissen, dass er seinen Teil geleistet hat, und dass seine Verdienste um das Gemeinwesen unvergessen sind.



Ich möchte aber auch Helen Leumann und Georges Tehiler für ihre hervorragende Arbeit und ihre Unterstützung danken. Otto Ineichen gratuliere ich zur Wahl und wünsche ihm, dass er seinen beeindruckenden Schwung in Bern einbringen und politisch umsetzen kann!



I.



Während meiner Zeit als Bundesparlamentarier habe ich nie an eine Bundesratskandidatur gedacht. Und zwar deshalb, weil ein freisinniger Bundesrat aus den Stammlanden der CVP bis Ende der Achtzigerjahre undenkbar gewesen war. Die Achse Zürich-Waadtland bestimmte die freisinnigen Bundesräte.



Erst die politischen Turbulenzen im Zusammenhang mit dem Rücktritt von Frau Kopp änderten alles. Plötzlich wurden Köpfe aus andern Kantonen wählbar. Als mein Kopf in einer Tagesschau als einer unter vielen möglichen Kandidatenköpfen erschien, kommentierte meine Frau trocken: "die spinnen". Ich antwortete ebenso kurz: ja "die spinnen".



Aber einige Luzerner Parteifreunde erkannten die Gunst der Stunde und empfahlen mir, zu kandidieren. Geheime Treffen im Willisauer Stadttor fanden statt, Fäden wurden gesponnen, Strategien entwickelt. Ich begann, mit mir selber zu ringen. Einerseits faszinierte mich die Vorstellung, Bundesrat zu werden, andererseits war ich Partner in einem mittelständischen Familienunternehmen, und meine unternehmerische Tätigkeit erfüllte mich voll. Zudem war für mich von Anfang an klar, dass man nur Bundesrat werden soll, wenn man völlig unabhängig ist. Das Berlusconi-Modell kam für mich von Anfang an nicht in Frage!



Mit meinem Bruder suchte ich nach einer klaren Lösung, die mir die Loslösung vom Unternehmen ermöglichte, und ihm die Fortführung des Unternehmens gestattete. Ich entschoss mich das Risiko einzugehen und mich im Falle einer Wahl unwiderruflich von der Firma zu trennen.



Hier in Sempach fand dann die denkwürdige Delegiertenversammlung der LPL statt, die mich als Kandidaten portierte. Der Grossaufmarsch und die Aufbruchstimmung gaben mir die Motivation, aber auch den Glauben, dass es doch reichen könnte. Ich freue mich deshalb, dass ich meine letzte politische Rede, gerade hier in Sempach halten darf.



Die freisinnige Fraktion entschied sich für ein Einerticket und schlug mich der Bundesversammlung als offiziellen Kandidaten vor. Am 1. Februar 1989 wurde ich im ersten Wahlgang gewählt.



Ich habe meinen Entscheid nie bereut: Es gab während meiner langen Amtszeit sehr gute Zeiten, es gab aber auch sehr schwierige Zeiten. Ich arbeitete immer nach dem Motto, dass man nicht aufgeben darf, wenn man im "Tal der Tränen" wandelt, dass man aber auch nicht abheben soll, wenn es einmal rund läuft.



II.



Ende der Amtszeit zieht man normalerweise Bilanz: das ist nicht ganz einfach in der Politik. Politik ist ein andauernder Prozess, den man für begrenzte Zeit beeinflusst und dies erst noch mit begrenzten Möglichkeiten. Ein Bundesrat: hat wenig "Machtmittel". Er führt zwar sein Departement direkt, Aber sonst macht er Vorschläge, für die er andere gewinnen muss. Er muss überzeugen, muss kämpfen. Befehlen kann er nichts.



Trotzdem: Mit Beharrlichkeit kann man viel bewirken, mehr, als oft behauptet wird. Wenn es nicht so wäre, wäre ich nicht so lange geblieben! In unserer komplizierten Zeit gibt es keine einfachen Lösungen mehr, und keine, die nur Vorteile haben. Ich suchte immer nach machbaren Lösungen, die Mehrheiten finden. Nur das zählt am Schluss. Der genialste Vorschlag taugt nichts, wenn Parlament oder Volk ihn ablehnen.



Eine Opposition kann grossmündig behaupten und fordern, ohne je dafür gerade stehen zu müssen. Ein Bundesrat wird an dem gemessen, was durchgesetzt wurde.



Eigentlich war meine Methode einfach: zuerst Identifikation des Problems (gouverner c'est prévoir) dann Definition des Ziels der Lösung schliesslich Suchen eines Weges. Dabei war etwas wichtig: Beharrliches, unverrückbares Festhalten am Ziel Flexibilität beim Weg dorthin (in direkter Demokratie unumgänglich) Ich darf auf einige Wegmarken meiner Tätigkeit in den bewegten 15 Jahren hin weisen!



III.



Wenn ich zurückschaue, bin ich mit dem Erreichten zufrieden. Gleich nach dem Fall der Mauer wurde gegen grosse Widerstände die Sicherheitspolitik neu konzipiert. Ihre Grundideen mit der internationalen Komponente und dem Einsatz der Armee zur Unterstützung der zivilen Behörden im Inland gilt noch im neuesten Sicherheitsbericht. Die Armee wurde sofort verkleinert. Hätte man dies nicht sofort angepackt, könnten wir sie uns heute nicht mehr leisten. Das Dienstverweigererproblem wurde gelöst, der überdimensionierte Rüstungskomplex restrukturiert.



Die grössten Defizite, welche die Eidgenossenschaft je hatte, waren Anfangs der Neunzigerjahre. Mit Haushaltsziel und rundem Tisch Wurden sie Schritt für Schritt bis zum Überschuss im Jahr 2000 abgebaut. Der Einbruch bei den Steuern ergab einen herben Rückschlag. Die Schuldenbremse ermöglicht einen erneuten Abbau der neuen Defizite, und das Parlament hat das grösste Entlastungsprogramm aller Zeiten praktisch unter Dach. Dass die Schulden nochmals stark steigen, ist darauf zurückzuführen, dass alte Schulden in den Bereichen SBB und Pensionskassen endlich transparent offengelegt wurden. Im Gegensatz zur Propaganda der SVP wurden - ausser der LSVA zur Entlastung der Strasse und dem MWST-% für die AHV - nur Steuern in grossem Ausmass für die Wirtschaft gesenkt. Dadurch ist der Wirtschaftsstandort Schweiz sehr konkurrenzfähig.



Die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Finanzplatz wurden laufend modernisiert, der EU wurde eine gute Lösung abgerungen. Das enorme Projekt der NFA ist abstimmungsreif, der alte Beamte wurde abgeschafft usw. usf.



Tätigkeit als Bundesrat: stets Anliegen, die Kollegialität zu beachten, und auch die wichtigen Geschäfte der Kollegen mitzugestalten.



Als Bundespräsident lag mit die Stärkung des Kollegiums sehr am Herzen. War mir so wichtig wie Vertretung der Schweiz nach aussen!



Ich bin dankbar, dass ich mich so lange Zeit an der Problemlösung beteiligen durfte. Der Dienst am Land hat mir viel bedeutet. Trotz aller Probleme und Turbulenzen habe ich meine Arbeit gerne geleistet und dabei viel Befriedigung empfunden!



V.



Weil ich bald aus dem Amt scheide, habe ich zunächst über die Vergangenheit gesprochen. Mich bewegt aber die Zukunft zur Zeit mehr! Gestatten Sie mir dazu einige Bemerkungen.



Die Schweiz war bisher sehr erfolgreich. Was müssen wir vorkehren, damit wir diese Erfolgsgeschichte fortsetzen können? Zunächst möchte ich einige Fakten kurz skizzieren, welche die Problemlösungen erschweren:



Es kann uns nicht mehr egal sein, was ausserhalb unserer Grenzen geschieht. Zwischen Wirtschaftsstandorten ist im Zeitalter der globalisieren Märkte ein gnadenloser Wettbewerb entstanden. Wie wir diesen Wettbewerb bestehen, entscheidet über unseren künftigen Wohlstand.



Die Veränderungen der Altersstruktur unserer Gesellschaft werden die Innovationsfähigkeit der Gesellschaft, die Finanzierbarkeit der Sozialwerke und das Wachstumspotenzial des Landes negativ beeinflussen.



Der rasche Wandel überfordert viele Menschen. Fehlleistungen einiger Manager im In- und Ausland haben zu einer Vertrauenskrise der Wirtschaft gegenüber geführt. Man hat den Eindruck, der Sinn für Verantwortung habe abgenommen und der Zeithorizont der Politiker bemesse sich an den nächsten Wahlen und nicht an der nächsten Generation. Die Probleme werden bekämpft, statt dass man sich um deren Lösung bemüht.



Als Reaktion auf die allgemeine Verunsicherung droht sich eine eigentliche Reformfeindlichkeit zu entwickeln. Das ist für ein Land im globalen Umfeld gefährlich, denn die Strukturen müssen sich ständig anpassen, wenn wir den Wohlstand bewahren sollen.



VI.



Einen ganzen Wahlkampf lang, hat man nun unserem Volk mit viel Geld eingehämmert, wie furchtbar der Zustand dieses Landes mit seiner abgewirtschafteten Führungscrew sei. Ich bestreite diese Diagnose ganz entschieden: objektiv ist der Zustand der Schweiz viel besser als unsere subjektive Befindlichkeit. Ich will einige positive Faktoren aufzählen:



Grosse Teile der Wirtschaft haben die Hausaufgaben gemacht und sind fit für einen Aufschwung. Die fiskalischen Rahmenbedingungen sind trotz ständiger Kritik absolut konkurrenzfähig. Das Bildungssystem wird Schritt für Schritt modernisierst. Die Landwirtschaft bewältigt den tiefgreifenden und schmerzlichen Strukturwandel bisher vorbildlich. Die Arbeitsmärkte sind so flexibel wie kaum in einem andern Land. Die Bilateralen I haben die wirtschaftlichen Nachteile der Nichtmitgliedschaft in der EU entscheidend gemildert. Der Binnenmarkt wird Schritt für Schritt vitalisiert. Ich wüsste zur Zeit nicht, mit welchem Land wir den Vergleich zu scheuen hätten.



VII.



Trotz dieser positiven Beurteilungen besteht Handlungsbedarf! Wenn wir unsern Wohlstand bewahren wollen, und wenn wir nicht um eine Liga absteigen wollen, müssen wir jetzt wichtige Reformen fortsetzten und umsetzen. Sonst laufen wir Gefahr, aus der Spitzengruppe der Länder auszuscheiden und beispielsweise mit viel höheren Arbeitslosigkeiten leben zu müssen!



4 besondere Herausforderungen sind zu bewähltigen, wenn wir in der obersten Liga bleiben wollen:



1. Der nationale Zusammenhalt unserer eigentlich zerbrechlichen Nation ohne die natürlichen Bindekräfte einer gemeinsamen Sprache und Kultur muss erhalten werden. Das erfordert eine permanente politische und kulturelle Anstrengung, eine Besinnung auch auf Werte, die uns zusammenhalten, wie Gerechtigkeit, Solidarität, gegenseitiger Respekt. Aggressive Töne wie im Wahlkampf sind hier Gift !



2. Unsere Stellung in der vernetzten und interdependenten Welt, unsere Stellung auch dem Giganten EU gegenüber, muss definiert und gefestigt werden.



3. Das Problem der alternden Gesellschaft muss in seiner ganzen Breite umfassend angegangen werden.



4. Der Wirtschaftsstandort Schweiz muss wettbewerbsfähig bleiben. Das braucht die ständige Überprüfung des Umfeldes, damit man rechtzeitig die richtigen Massnahmen treffen kann.



Die Bewältigung dieser Herausforderungen wird Massnahmen erfordern, die zu heftigen Widerständen führen werden.



VIII.



Ich kann nur kurz andeuten, was das konkret bedeuten kann:



Die nächste Generation wird ohnehin höhere Sozialbeiträge bezahlen müssen. Wenn wir ihr noch einen zu teuren Staat übergeben, wird das ihre Wachstumschancen erdrücken. Noch sind Staats- und Steuerquote attraktiv: sollte aber eine wachsende Staatsquote die privaten Freiräume weiter einengen, und eine wachsende Steuerquote die steuerliche Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen, würde der Wohlstand auch gefährdet. Das bedeutet, dass wir die Ausgaben langfristig in den Griff bekommen müssen. Mit der Schuldenbremse und dem Entlastungsprogramm ist ein Grossteil der Arbeit geleistet. Ein weiteres schmerzhafte Massnahmenpaket ist aber unumgänglich. Wichtige Vorarbeiten liegen vor. so dass der neue Bundesrat ein Fundament hat. Es braucht jetzt den Mut, auch das noch umzusetzen.



Schicksalhaft für die langfristige Fiskalquote und damit für das zukünftige Wachstumspotential ist die Konsolidierung unserer Sozialwerke. Im Wahlkampf ist dazu auch von den grossen Siegern nur wenig Konkretes und Ermutigendes zu hören gewesen. Die Erarbeitung sozialverträglicher und gleichzeitig volkswirtschaftlich verträglicher Lösungen ist eine äusserst schwierige politische Gratwanderung, die zu schmerzhaften politischen Auseinandersetzungen führen wird.



Der öffentliche Verkehr ist wichtig. Wir sind aber im Begriff, Infrastrukturen zu schaffen, deren Betriebs- und Folgekosten wirtschaftlich nicht gedeckt werden können und die Steuerzahlenden wie Blei belasten könnten. Es drängen sich auf eine mutige Verzichtplanung und eine Verbesserung der diesbezüglichen Strukturen.



Die Bildung ist für unsere Zukunft von grosser Bedeutung. Deshalb lassen wir auch ein Ausgabenwachstum trotz Finanznot zu! Aber auch hier werden die Mittel begrenzt bleiben. Es ist unerlässlich, aus dem Bildungsfranken mehr herauszuholen. Auch das wird eine Überprüfung der Strukturen erfrodern.



Ein staats- und finanzpolitisch erstrangiges Projekt ist die Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenverteilung. Es ist abstimmungsreif. Jetzt müssen wir das Volk für dieses grosse Projekt gewinnen! Das wird deshalb nicht einfach sein, weil Widerstand zu erwarten ist von überzeugten Gleichmachern, unverbesserlichen Zentralisten und besitzstandbesessenen Bürokraten.



Wir müssen weiter der Sucht Einhalt gebieten, jedem echtem oder vermeintlichen Missstand mit einer neuen staatlichen Vorschrift zu begegnen. Sonst werden die Freiräume von Wirtschaft und Gesellschaft schleichend erdrosselt. Allerdings hat die wirtschaftliche Freiheit ihren Preis: Die Verantwortung. Nicht alles, was nicht verboten ist, darf immer auch getan werden. Wenn die Wirtschaft diese Verantwortung nicht wahr nimmt, wird die Gesetzesmaschinerie halt gut geölt weiter laufen!



Auch in der Binnenwirtschaft muss mehr Wettbewerb erzwungen werden, dass wir von unserem wachstumshemmenden Hochpreisniveau herunterkommen.



Der service public ist etwas Wichtiges, aber das Wort wird zunehmend für nicht finanzierbare gewerkschaftliche und regionale Besitzstände missbraucht. Die Post etwa dürfen wir nicht an der Anzahl Poststellen oder Briefzentren messen, sondern nur an der Leistung. Sonst wird sie sehr bald, auch von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern durchfinanziert werden müssen, was wiederum ein Wachstumskiller ist.



Auch die Reform der Landwirtschaft muss konsequent zu Ende geführt werden. Dann hat die Landwirtschaft trotz aller Schmerzen Zukunft!



IX.



Zur Zeit erregt die Frage der Zauberformel die Gemüter. Soll die Regierung die Kräfteverhältnisse der politischen Grosswetterlage widerspiegeln? Oder wäre es Zeit für eine Mitte-Links-Regierung? Oder eine Mitte-Rechts-Regierung?



Die Konkordanz ist wegen der Volksrechte entstanden. Mit "Zauber "hatte das nie etwas zu tun. Im Laufe der Geschichte band man jene politischen Kräfte in die Regierungsverantwortung ein, die ein bedeutendes parlamentarisches Oppositionspotential mit effizienter Referendumsfähigkeit verbanden. Damit wollte man eine Blockierung der Politik verhindern. Das geschah zuerst mit den Katholisch-Konservativen, dann mit der BGB dann mit den Sozialdemokraten.



Wir stehen heute vor schwierigen Problemen. Diese sind nur lösbar, wenn die wichtigsten Kräfte angemessen in die Regierungsverantwortung eingebunden sind. Die Kräfteverhältnisse haben sich verändert. Man kann darüber streiten, wann, in welchem Rhythmus, mit welchen Personen und mit welchem Stil eine Anpassung vorgenommen werden soll. Das wird das Parlament entscheiden! Aber die Ausklammerung etwa der SP oder der SVP aus der Regierungsverantwortung könnte die Mehrheitsfindung für Problemlösungen bis zur Blockade verunmöglichen.



Was die Problemlösung zusätzlich erschwert, ist das neue Politikverständnis links und rechts, das sich unter dem Einfluss ausländischer Politikstile zunehmend radikalisiert. Die Gewerkschaften (die allein 20 Vertreter im Nationalrat stellen!) flirten zunehmend mit Streiks, und zwar nicht nur für arbeitnehmerische Anliegen, sondern auch für politische Interessen. Sie spielen mit dem Feuer, und sie nehmen dabei in Kauf, dass die soziale und politische Stabilität gefährdet wird. Und sie verkennen, dass dann wiederum ihre Mitglieder den bittersten Preis bezahlen. Sie opfern das Landesinteresse und das Interesse der Arbeitenden dem machtpolitischen Interesse der eigenen Führungscrew.



Die angedrohte Oppositionsstrategie der SVP kann nicht weniger zerstörerisch sein. Die Ablehnung eines an sich brauchbaren Budgets ohne dass man eine wirkliche Alternative vorzuschlagen hat, ist ein Beispiel. Wenn die Linke aus gegenteiligen Gründen Das Gleiche tut, geht die so stabile Schweiz ohne Budget ins neue Jahr. Was das für die Stabilität des Finanzplatzes und das Vertrauen in den Werkplatz bedeuten könnte, wage ich nicht zu ermessen.



Die Linke und die Rechte scheinen also bereit, das Landesinteresse ihren politischen Egoismen zu opfern. So verstehe ich den Amtseid nicht. Das macht mir mehr Sorge, als die an sich schon schwierigen objektiven Probleme.



An diesen Beispielen sehen Sie die Risiken einer Mitte-Links oder Mitte-Rechts-Regierung: Im Mitte-Links-Fall: Obstruktion der Rechten im Parlament mit dem Risiko, auch bürgerliche Anliegen unrealisierbar zu machen, das gepaart mit einer Kaskade von obstruktiven Referenden. Im Falle der Mitte-Rechts-Regierung: Destabilisierung des Landes durch Strasse und Streiks. Auch gepaart mit einer Referendumskaskade. Auch wenn man diese Drohungen verabscheut, muss man halt doch sehen, dass nur der Einbezug dieser Kräfte in die Verantwortung eine Chance bietet, eine mögliche Blockade zu verhindern.



Natürlich faszinieren Unruheszenarien die Medien und die Politiker. Endlich wird es interessant, Stopp der konkordanten helvetischen Langeweile. Aber es geht nicht um Spiele und Einschaltquoten, um persönliche Profilierung und dgl., es geht auch nicht um machtpolitische Muskelspiele, Sondern es geht um Verantwortung. Ich hoffe, dass sich jedes Mitglied des Parlamentes übermorgen seiner grossen Verantwortung für das Land bewusst ist.



X.



Ich möchte noch einige Bemerkungen machen zur Rolle eines Mitglieds des Bundesrates. Ein Bundesrat ist nicht der Interessenvertreter einer Partei oder einer Gewerkschaft, der im Bundesrat mit einem gebundenen Mandat das Maximum für seine Gruppe herausholt. Es wäre auch nicht akzeptabel, wenn ein Bundesrat jeweilen in seiner Fraktion Instruktionen holen müsste.



Ein Bundesrat muss zwar das Gedankengut und die Überzeugungen seiner Partei ins Kollegium einbringen, er muss aber zusammen mit den Kollegen taugliche und in Volk und Parlament mehrheitsfähige Lösungen suchen. Diese Lösungen werden angesichts unserer zersplitterten politischen Landschaft häufig Kompromisse sein müssen. Ein Bundesrat muss deshalb eine starke Persönlichkeit sein, die hin und wieder auch das Spannungsverhältnis zu seiner eigenen Partei aushält. Das gilt es zu erhalten!



XI.



Gestatten Sie mir noch einige Bemerkungen zur Lage der FDP! Die Partei ist in einer sehr schwierigen Situation. Weitere Verluste würden das Risiko mit sich bringen, dass die FDP keine prägende Kraft der Schweizer Politik mehr wäre. Die schwierige Situation ist aber wie so oft auch eine Chance. Ich bin der Meinung, dass das Überleben der FDP nicht nur im Interesse der Partei selber ist, sondern ganz klar auch im Interesse des Landes. Ohne eine Kraft wie die FDP wird das Land seine zentralen Probleme kaum lösen können.



Es gibt viele Gründe für die Probleme der Partei. Ich will nur einige summarisch erwähnen: Fehlleistungen in der Wirtschaft wurden den Freisinnigen angelastet. Die Medien und die andern Parteien nutzen die Gelegenheit genüsslich, dem jahrzehntelangen Musterknaben eins auszuwischen. Die hervorragenden unternehmerischen Leistungen vieler FDP-Mitglieder in der Wirtschaft gingen schlicht unter. Das ist zwar ungerecht, aber wir mussten damit leben.



Die Europapolitik wurde über weite Strecken zum eigentlichen internen Spaltpilz. Entsprechende Spannungen wurden plakativ nach aussen getragen.



Im Grunde hat die Fraktion gute Arbeit geleistet. Trotzdem trat sie immer wieder uneinheitlich auf. Oft entstand auch der Eindruck, freisinnige Politiker verträten überprononciert Partikularinteressen und arbeiteten eher jeder für sich als für die Partei und das Land.



Hier macht die SVP den besseren Eindruck. Besonders zu denken gab mir, dass ob der Verunsicherung innerhalb des Freisinns immer mehr Exponenten das Heil in einer Kopie der SVP suchten. Im Markenartikelgeschäft lernt man, dass die Kopie letztlich immer dem Original hilft. Je mehr Freisinnige auf den Rucksack der SVP springen, desto eher sind die Wähler überzeugt, dass eben gerade die SVP richtig wäre.



Vielleicht haben wir auch hin und wieder vergessen, dass Politik sehr viel mehr ist, als nur Sachpolitik. Politik braucht eine Idee, eine staatspolitische Konzeption, eine Wertebasis. Gute Finanz- oder Wirtschaftspolitik ist entscheidend wichtig, aber es braucht eben auch eine politische Leitidee, die Wärme, Geborgenheit und Identifikation vermittelt. Die FDP muss in den nächsten Monaten ein markantes eigenständiges Profil mit einem konstruktiven Gestaltungsprogramm entwickeln, sich aber gleichzeitig hüten, einem andern Erfolgsmodell nachzueifern. Die Partei muss auch offen bleiben, mit wem sie von Fall zu Fall ihre politischen Ideen realisieren will.



Der Liberalismus ermöglicht variable Koalitionen, aber eben auch als Identitätsmerkmal und Stärke nicht als "Wischiwaschi".



XII.



Eine Partei kann auch nicht losgelöst von ihrer Geschichte und ihren Wurzeln plötzlich etwas ganz anderes tun, ohne ihre Glaubwürdigkeit zu verspielen. Das bedeutet dass wir die Zukunft von unseren Stärken der Vergangenheit aus gestalten müssen. Dazu nur einige Stichworte:



Der Freisinn kommt aus der Tradition einer problemlösenden Kraft in einem zerstrittenen Umfeld. An diesem historischen Auftrag müssen wir uns nach wie vor orientieren. Freisinnige werden nie eine attraktive Oppositionsbewegung sein!



Weiter muss der Freisinn eine gestaltende, unabhängige, treibende und freiheitlich Kraft sein, die verbindet und nicht spaltet. Der Freisinn geht vom mündigen Individuum aus, für welches die Freiheit im Zentrum steht. Diese Freiheit muss aber durch Verantwortung und Selbstverantwortung begrenzt werden. Davon leitet sich ein ordnungspolitisch klares Wirtschaftsverständnis ab, daraus leitet sich aber auch soziale Verantwortung ab.



Ich habe es gesagt: Der Sozialstaat muss konsolidiert werden. Aber der Sozialstaat ist eben wichtig, und hier dürften die Freisinnigen durchaus hin und wieder etwas mehr Wärme ausstrahlen.



Unser vom Volk kontrollierte Staat ist letztlich das Ergebnis freisinniger Politik. Es ist nicht glaubwürdig, wenn wir ihn plötzlich zum Feind stempeln. Wir müssen aber auch er muss der Staat aller sein, er darf nicht auswuchern, er ist zu kontrollieren und zu begrenzen. Aber wir müssen allen jenen entgegentreten, die ihn ständig diffamieren wollen.



Freiheit und Staat, nicht Freiheit statt Staat muss die Devise sein. Aus dem Leitbild des mündigen Individuums lassen sich dann auch alle anderen gesellschaftspolitischen Grundsätze ableiten, Toleranz so gut wie Vielfalt, Weltoffenheit usw. Im gängigen Koordinatensystem muss die Partei klar bürgerlich und rechts stehen, aber sie ist im Gegensatz zur anderen grossen bürgerlichen Partei weltoffen, ordnungspolitisch wirklich konsequent und gesellschaftspolitisch fortschrittlich.



XIII.



Nehmen wir an, die politische Landschaft würde auf die Pole SP und SVP reduziert und die eine oder andere der beiden hätte alleinige Entscheidungsmacht. Können die vier Herausforderungen von diesen Kräften allein bewältigt werden?



Im Fall der SP-Dominanz verlöre der Wirtschaftsstandort sehr rasch durch hohe Steuern, hohe Schulden und Überregulierung seine Konkurrenzfähigkeit. Der teure Staat und die unberücksichtigt der Demografie ausgebauten Sozialwerke nähmen der nächsten Generation ihre Chancen. Die Arbeitslosigkeit wäre rasch auf europäischem Niveau. Die Föderalismusreform würde bgebrochen.



Im Fall der SVP-Dominanz würde das Demografieproblem bei den Sozialwerken ebenfalls nicht gelöst, weil es aus Rücksicht auf Wähler im Rentenalter verdrängt würde. Das interne Preisniveau bliebe überhöht, weil man die Kartelle gewähren liesse. Die systematische Diffamierung Andersdenkender, die offensichtliche Intoleranz würde den nationalen Zusammenhalt schleichend zerstören. Die Schweiz geriete in eine internationale Isolation, was die Exportindustrie bald zu spüren bekäme.



In den beiden Fällen würden ganz klar nicht alle vier zentralen Herausforderungen gelöst werden können. Wenn aber die Freisinnigen eine der SP und der SVP vergleichbare Kraft sind, sind alle Probleme in konstruktiver Zusammenarbeit mit wechselnden Mehrheiten im Rahmen der Konkordanz lösbar. FDP und SVP können zusammen eine vernünftige Steuer-, Finanz- und Wirtschaftspolitik durchsetzen. Der Standort bleibt wettbewerbsfähig. Die SP hilft aber der FDP beim Durchsetzen einer wirksamen Wettbewerbspolitik. FDP und SVP gestalten eine massvolle und effiziente Sozialpolitik, wobei die SP mit darüber wacht, dass kein Sozialdarwinismus daraus entsteht.



Der FDP gelingt es mit Teilen aus SVP und SP, den nationalen Zusammenhalt zu erhalten. Die Freisinnigen müssen mit der SVP die Revitalisierung des Föderalismus gegen die gleichmacherischen und zentralistischen Überzeugungen der SP durchsetzen Und damit den Föderalismus verwesentlichen und modernisieren. FDP und SP sorgen für eine weltoffene Schweiz, die als solidarisches Mitglied der Völkergemeinschaft Respekt und Goodwill geniesst.



XIV.



Fazit



Die Schweiz hat das Potential, um ihre Erfolgsgeschichte fortzusetzen. Die Umstände sind aber im historischen Vergleich schwieriger geworden. Was im Wahlkampf an Problemverdrängung, unzulässiger Simplifizierung und Konzentration auf läppische Werbegags sichtbar geworden ist, ermutigt nicht gerade. Die Politik wird mehr leisten müssen. Was es jetzt braucht, ist harte Knochenarbeit und Mut zum Unpopulären. Dabei haben die Freisinnigen eine wichtige Rolle zu spielen. Wir Freisinnigen dürfen uns nicht entmutigen lassen. Ich lasse mir die Überzeugung nicht nehmen, dass es einen politischen Markt für Problemlösung statt Problemverdrängung gibt, einen Markt auch für unsere Idee und Überzeugung. Aber wir müssen um diesen Markt kämpfen. Wir müssen vor die Haustüre treten und mit zum Rechten schauen.



Dazu kommt noch etwas: Die beste Idee lässt sich nicht durchsetzen in der Politik wenn nicht für ihre Umsetzung Knochenarbeit geleistet wird und wenn man sie nicht an die Basis trägt. Die Luzerner FDP hat solche Arbeit geleistet und in den Wahlen zugelegt. Dazu gratuliere ich Ihnen. Ich hoffe, dass sich andere Kantonalparteien daran ein Beispiel nehmen.



Der Freisinn muss wieder zur Volkspartei werden! Ich danke Ihnen allen für Ihr Wohlwollen und Ihre langjährige Unterstützung. Dies hat mir Kraft gegeben. Ich wünsche Ihnen alles Gute und melde mich hiermit aus der Politik ab!





08. Dez 2003

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