Projektdetails

Fisch / Kutting:
Neues Bauen für neue Menschen? Planungen städtischer Verwaltungen und Aneignung durch die Bewohner im sozialen Wohnungsbau der 1920er Jahre
Laufzeit: 01.08.2009 bis 31.12.2009

Publikation:

Kutting, "Neues Bauen für neue Menschen?" Planungen städtischer Verwaltungen und Aneignung durch die Bewohner im sozialen Wohnungsbau der 1920er Jahre, Speyerer Forschungsberichte 264, Speyer 2010, ISBN 978-3-941738-02-7

Problemstellung:

Die gesellschaftlichen Umwälzungen des 19. Jahrhunderts zur Industriegesellschaft brachten einen enormen Bevölkerungsanstieg in den Städten und einen hohen Bedarf an innerstädtischem Wohnraum mit sich. Die Wohnungsproduktion basierte bis 1918 weitgehend auf privater Initiative. Sie war auf größtmöglichen Profit bei geringstmöglichem Ressourcenverbrauch ausgerichtet und verstetigte soziale Disparitäten. Arbeiterschaft und Kleinbürgertum wurden weitgehend in hochspekulativen Mietskasernen unter schlechten hygienischen Bedingungen und hoher Wohndichte untergebracht. Wuchernde Mietpreise zogen teils mehrfache Untervermietungen oder Schlafgängertum nach sich. Am Ende des 19. Jahrhunderts kam im Zuge bürgerlicher Reformbewegungen Kritik an den innerstädtischen Wohnverhältnissen der unteren sozialen Schichten auf. Die Forderung nach 'mehr Licht, Luft und Sonne' sollte nun für alle gelten und verband sich mit dem Anspruch, die hygienisch-gesundheitlichen sowie moralischen Lebensumstände der Bewohner von Mietskasernen zu verbessern und neue Wohnverhältnisse zu schaffen. Die öffentliche Hand schied jedoch, von Ausnahmen abgesehen, bis zum Ende des Kaiserreichs als Bauherrin neuer Wohnungskomplexe weitgehend aus.

In der Weimarer Republik wurde der Wohnungsbau zur öffentlichen Aufgabe. Die Weimarer Reichsverfassung (WRV) präzisierte als Sozialstaatsziel in Art. 155, "jedem Deutschen eine gesunde Wohnung" zu sichern. Dieser Verpflichtung kamen die Städte im Rahmen ihrer durch Art. 127 WRV garantierten kommunalen Selbstverwaltung nach, indem sie selbst bzw. städtische Wohnungsbaugesellschaften als Träger des Siedlungsbaus auftraten. Zu Recht gilt die Zwischenkriegszeit als die "bis heute wohnungspolitisch innovativste Periode in der Geschichte" Deutschlands (Häußermann/Siebel). Dabei wurden zugleich völlig neue Haus- und Siedlungsformen, nach Konzepten des Werkbundes oder des Bauhauses, umgesetzt sowie neue rationalisierte Bautechniken wie die Fertigteilbauweise (als Vorläufer des Plattenbaus) angewendet, bis hin zur schöpferischen Idee des 'Neuen Bauens' für den 'Neuen Menschen'.

Mit der als erster 'Lastenausgleich' nach der Hyperinflation seit 1924 erhobenen Hauszinssteuer stand den Städten eine innovative Finanzierungsform für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung. Aus diesen Mitteln entstanden Großsiedlungen wie die Römerstadt in Frankfurt a.M., die Hufeisensiedlung Berlin-Britz, Dessau-Törten oder Karlsruhe-Dammerstock. In der Zwischenkriegszeit wurden die Grundlagen für eine das ganze Jahrhundert prägende Tradition öffentlicher Investitionen in das Wohnungswesen geschaffen, die in politischer, sozialer, bautechnischer und ästhetischer Hinsicht bis heute nachwirkt.

Forschungsfragen/Arbeitshypothesen:

Mit dem Auftreten von Städten als Investoren und Bauherren von Großsiedlungen entstand ein in jeder Hinsicht neues Interaktionsgefüge zwischen der Verwaltung, die baut, und dem Bürger, der wohnt. Daraus ergeben sich zwei für das Programm der Sektion III wichtige Fragenkomplexe:

Zunächst sind die politischen Zielbestimmungen für das neue städtische Aufgabenfeld ‚sozialer Wohnungsbau', die technisch-rationellen Leitbilder, die rechtlichen Rahmenbedingungen und die tatsächliche Umsetzung durch die (Bau-)Verwaltungen zu analysieren. Anschließend wird der Fokus auf die Adressaten des Verwaltungshandelns gerichtet, also die Bewohner der neuen städtischen Siedlungen.

1.1 politische Zielbestimmungen

Wohnungsbau, insbesondere wenn dieser öffentlich verantwortet wird, ist immer auch Gesellschafts- und Sozialpolitik. Fraglich ist, welche Zielbestimmungen politische Entscheidungsgremien in den Städten für den sozialen Wohnungsbau vorgaben. Spielten dabei lebensreformerische Leitgedanken die wichtigste Rolle, neue stadtplanerische Erkenntnisse der ‚Weimarer Moderne' oder ging es entscheidend darum, eine in den vorherigen Jahrzehnten stark angewachsene, heterogene Stadtgesellschaft zu stabilisieren bzw. zu integrieren?

1.2 technisch-rationelle Leitbilder

Rationalisierung nach den Konzepten des Fordismus und Taylorismus waren in der Zwischenkriegszeit nicht nur in der Arbeitswelt vorherrschend, sie bestimmten auch zunehmend die Debatte über die Neugestaltung des Wohnungswesens. Studien etwa der eigens eingerichteten Reichsforschungsanstalt für Wirtschaftlichkeit im Bau- und Wohnungswesen sowie andere Forschungsinitiativen trugen durch Bewegungs- und Materialstudien zur Konzipierung neuer Wohnungsgrundrisse, Raumgrößen und Einrichtungsgegenstände bei. Rationalisierung war kein Selbstzweck, sondern Kern der Wohnungsfrage, nämlich qualitativ angemessenen Wohnraum zu einem für die angesprochenen sozialen Schichten bezahlbaren Preis herzustellen. Zu fragen ist, in wie weit Erkenntnisse und Forschungsergebnisse aus Rationalisierungsstudien in die städtischen Planungen des sozialen Wohnungsbaus Einzug hielten? Verbanden sich mit den rein technisch-materiellen Rationalisierungsanstrengungen auch Bestrebungen, derartige Kriterien an den Menschen anzulegen, d.h. Mieter in städtischen Siedlungen zu einer rationellen, effizienten Lebensweise anzuhalten bzw. aufgrund der baulichen Vorgaben sogar hierzu zu zwingen? Spiegelte sich das immer wieder in der Zwischenkriegzeit beschworene Leitmotiv des 'Neuen Menschen' im städtischen Wohnungsbau wider? Oder ließen sich die wirtschaftlich-qualitativen Anforderungen an öffentliche Neubauten auch abseits der 'Weimarer Moderne' mit konservativ-heimatverbundener Siedlungsbauweise verwirklichen?

1.3 rechtliche Rahmenbedingungen

Basis des sozialen Wohnungsbaus in der Weimarer Republik war eine seit 1924 erhobene Sondersteuer: die Hauszinssteuer. Sie wurde von Immobilieneigentümern eingezogen als eine Art Lastenausgleich für Inflationsgewinne aus der Hyperinflation von 1923. Die Hauszinssteuer beruhte auf einem Reichsgesetz. Die Festsetzung der Höhe und die genaue Verteilung der für Neubaumaßnahmen zweckgebundenen Mittel oblagen jedoch den Ländern und Kommunen. Fraglich ist die konkrete Verwendung der Mittel vor Ort. In welcher Höhe bewegte sich der Anteil der Hauszinssteuermittel für den städtischen sozialen Wohnungsbau? Kam es zu einer - je nach politischer Couleur - differenzierten Handhabung der Hauszinssteuer?

1.4 Umsetzung durch die (Bau-)Verwaltungen

Bei der konkreten Umsetzung der politischen Vorgaben, der technisch-rationellen Leitbilder und des rechtlichen Rahmens durch städtische Verwaltungen ergeben sich folgende Fragen: Wie wird die neue Bauaufgabe administrativ organisiert? Fand eine Expansion der (Bau-)Verwaltungen statt oder wurde auf externen Sachverstand zurückgegriffen? Verliefen die Planungsprozesse vornehmlich verwaltungsintern oder wurde die Öffentlichkeit an der Bauplanung beteiligt und potentielle Bewohner der Neubauten um ihre Meinung gebeten? Ging die Verwaltung auf die Wünsche und Vorstellungen der künftigen Bewohner ein oder bestimmte eine paternalistisch-erzieherische Herangehensweise der Planer die Bauphase? Betrieben die Stadtverwaltungen eine Öffentlichkeitsarbeit und bewarben ihre neuartig-modernen Wohnungen etwa durch Musterausstellungen oder Führungen, um deren Vorzüge gegenüber Altbauten darzulegen und somit Mieter zu gewinnen? Gab es vor dem Bauprozess eine Art Baufolgenabschätzung bzw. nach Fertigstellung der Siedlungen eine Evaluation?

2. Aneignungsstrategien

Der zweite Fragenkomplex behandelt die Adressaten des Verwaltungshandelns der Städte und deren re-aktive Aneignung der modernen Siedlungsbauten. Folgten die Mieter der in den Verwaltungen erdachten technisch-rationellen Handhabung moderner Grundrisse, Raumgrößen und wissenschaftlich errechneter Schrittfolgen? Ließen sie sich somit von der Verwaltung zum 'Neuen Menschen' erziehen? Oder fand eine Umnutzung der Räumlichkeiten im Sinne vormoderner Wohnverhaltensweisen statt?

Methodisches Vorgehen:

Antworten auf diese Fragen wurden anhand des Beispiels Frankfurt erarbeitet. Das sog. Neue Frankfurt gilt als Laboratorium und Prototyp des Neuen Bauens in Deutschland. Als herausragendes Ergebnis der Planungsarbeit der dortigen Stadtverwaltung wurde die Frankfurter Küche herangezogen. Gerade an ihr ließ sich die minutiöse Erziehungsarbeit der Planer in der Frankfurter Stadtverwaltung gegenüber den Bürgern nachweisen. Umgekehrt konnte mit Hilfe eines Berichts der Reichsforschungsgesellschaft für Wirtschaftlichkeit im Bau- und Wohnungswesen von 1929 deren tatsächliche Aneignung durch die Bewohner dem Planungshandeln entgegengehalten werden.

Bilanz:

Es zeigte sich, dass die von den Planern eng gesteckten Möglichkeiten der individuellen Aneignung von den Bewohnern 'unvernünftigerweise' weidlich genutzt wurden. In ihrem Aneignungsverhalten zeigte sich eine Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, denn sie entledigten sich in weiten Teilen eben nicht ihrer alten Wohnsitten, sondern waren mit der Geschichte verhaftet. Der Neue Mensch im Neuen Bauen blieb weitgehend Utopie.



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