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Über uns




Im Jahr 2008 standen wir den Machern des europaweit erscheinenden Ultra-Magazins "Blickfang Ultra" (www.blickfang-ultra.de) für unser erstes großes Interview zur Verfügung. Viele Jahre hinweg hatten wir solche Anfragen abgelehnt, da wir an unseren Aktionen und nicht an unseren Worten gemessen werden wollten. Nach langem Überlegen stimmten wir diesmal zu, weil wir der Meinung waren, dass es nach 9 Jahren genug zu erzählen gibt. Dieses Interview beinhaltet alles, was über uns wissenswert ist.



Als erstes möchten wir eine Neuigkeit einführen. Es ist für viele Leser sehr interessant etwas über die Stadt selbst zu erfahren. Was prägt diese Stadt, was ist das besondere an ihr, was gibt es sehenswertes?

Chemnitz ist sozusagen das Herz von Mittelsachsen. 1143 gegründet, 240 000 Einwohner, lange Industriegeschichte (wurde früher das „sächsische Manchester“ dank vieler Textil-Firmen genannt). Wie jede deutsche Großstadt warf uns das Bombardement 1945 weit zurück, es entstanden im Sozialismus – neben dem Namen Karl-Marx-Stadt - viele hässliche Neubauten sowie eine völlig verunglückte Innenstadt. Zum Glück konnten einige alte Stadtteile wie rund ums Stadion erhalten bleiben, das verleiht dem Ganzen ein gewisses Flair. Die relevanten Szenen in Sachsen sind für uns Dresden (80 km), Leipzig (80 km), Zwickau (40 km), mit Abstrichen aufgrund ihrer Größe Plauen (80 km) und der Erzfeind, der Schacht (30 km, den richtigen Namen auszusprechen/schreiben steht bei uns unter Strafe). Chemnitz ist eine Stadt, die man liebt oder hasst. Es gibt durchaus auch Menschen aus den alten Ländern, die inzwischen gerne hier wohnen. Wirtschaftlich geht es aufwärts, wir haben eine erstaunlich hohe Beschäftigungsrate in der Szene. Wir sind mittlerweile eine der „ältesten“ Großstädte Deutschlands, in den 90ern sind viele junge Menschen abgehauen. Das hat aber den Vorteil, dass mehr Platz für die jetzigen jüngeren Leute da ist. Wer sich kümmert, kommt meistens in ´nem Job unter.


In wie weit prägt die Stadt die Szene (Arbeitslosigkeit, Abwanderung, Freizeitangebote, andere Subkulturen) und welche Einflüsse gehen von der Szene aus zurück in die Stadt (Graffiti, Konzerte)?

Wie eben bereits erwähnt, betrifft die Arbeitslosigkeit inzwischen mehr die ältere Generation, für die Jungen sieht es gar nicht so schlecht aus. Die Abwanderung war schon schlimmer, aber vereinzelt müssen immer noch Leute in die Schweiz, nach Österreich oder gen Westen arbeiten gehen. Die Stadt ist in Sachen Subkultur massiv vom HipHop geprägt. 1995 wurde das „Splash-Festival“ gegründet, was dann ab 1998 als Open-Air-Veranstaltung zum größten HipHop-Event Europas mutierte. Mittlerweile ist es in die Nähe von Leipzig weitergezogen. Dann haben wir natürlich die klassische Disko-Tucken-Szene. In unserer Stadt findet man sogar eine recht große Rock ´n Roll-Szene. Es gibt auch eine kleine linke Szene und eine für den Osten normale organisierte rechte Szene. Der Einfluss des Fussballs auf die Stadt wächst erst langsam. Viele Politiker im Rathaus stehen inzwischen hinterm CFC als Aushängeschild der Stadt und sind oft auf der Tribüne zu Gast. Wir versuchen in der alltäglichen Arbeit die Verbindung zwischen Verein und Stadt weiter zu entwickeln. So erscheinen derzeit neue, richtig massiv beliebte T-Shirts mit der Aufschrift „Chemnitz - Ehre, Treue Leidenschaft für Verein und Leidenschaft“. Durch das neue Fanprojekt, dessen Träger die Arbeiterwohlfahrt ist, werden jetzt auch wieder verstärkt die Besucher von AWO-Jugendclubs mit dem FCK in Verbindung gebracht und für Spielbesuche begeistert.


Wo spielt der Chemnitzer FC aktuell? Wie sieht die Zukunft aus und was bedeutet die Spielklasse für eure Szene?

Wir befinden uns inzwischen in Liga 4. Unvergessen für viele Ältere sind natürlich die Europapokalspiele in Sion, bei Juventus Turin, in Porto, Malmö FF oder Dortmund noch sehr gut in Erinnerung. Als (fast) ständiger DDR-1.-Ligist - und Meister 1967 - gings nach der Wende direkt in die 2. Bundesliga. Ein Glücksfall, dass die Mannschaft damals so stark war. Andere Traditionsvereine (z. Bsp. BFC Dynamo Berlin, Stahl Brandenburg, Stahl Riesa, Chemie Leipzig, Vorwärts Frankfurt/Oder) verschwanden unterhalb der Liga 3 und haben bis heute kaum wieder Tageslicht in Form von Profifussball gesehen. Damals war man auch noch weitsichtig dank des Präsidenten Werner Thomßen, der unser Stadion der Stadt für eine symbolische Mark „abkaufte“ und 99 Jahre Erbpacht sicherte. Die Jugendarbeit wurde durch die Kinder- und Jugendsportschule, die es in der Zone hier gab, weiter gefördert. Namen wie Rico Steinmann, Michael Ballack, Heiko Gerber, Peer Kluge oder Steffen Heidrich kennt eigentlich jeder in Deutschland - Chemnitzer/Karl-Marx-Städter Eigengewächse. 1993 war die Teilnahme am DFB-Pokal-Halbfinale und die Entlassung des Kult-Trainers Hans Meyer ein Knackpunkt – man begann hier zu träumen. Die Luftschlösser platzten natürlich und der CFC fand sich 1996 nach einem Jahr Söldner-Fussball in Liga 3 wieder. Nach drei Jahren gings dann wieder hoch in Liga 2, damals eine kleine Sensation mit einer Außenseiter-Mannschaft. Zwei Jahre hielt das an, dann war die Mannschaft dank vieler osteuropäischer „Stars“ heruntergewirtschaftet und verschwand in Liga 3. Altschulden tauchten auf, die besten Spieler mussten verkauft werden und am Ende stand sogar der Absturz in die Oberliga ins Haus. Dort haben wir uns aber ganz gut gestrafft. Vor allem dank der jungen Wilden auf dem Platz. Heute gibt es ein vom DFB unterstütztes Nachwuchsleistungszentrum, welches wir auch als „Ultras Chemnitz ´99“ mittlerweile jährlich mit einer Spende unterstützen. Das Geld wird natürlich „Chemnitz like“ fleißig bei Partys „ertrunken“. Und genau aus dieser Arbeit kommen einige Spieler der heutigen Mannschaft, die uns in der nächsten Saison wieder in die 3. Bundesliga bringen sollen.


Im nächsten Jahr feiert ihr euer zehnjähriges Bestehen. Was hat sich in den fast 10 Jahren in Chemnitz getan, was hat sich verändert, was führt ihr konkret auf euer Wirken zurück? Hat sich der Geist der Gruppe gewandelt respektive ist vielleicht im Gegensatz zu früher ein Umdenken eingesetzt?

Es ist in den ganzen Jahren vieles einfach professioneller geworden. Man wächst mit seinen Aufgaben. Der Verein hatte seit der Wende die Fan-Arbeit extrem vernachlässigt, ein Fanprojekt ging flöten, weil Geld verschwunden war…. Nachdem wir uns eigentlich als „Choreo-Gruppe“ formiert und die ersten Pluspunkte gesammelt hatten, begann ein schleichender Prozess. Wir als Allesfahrer wurden plötzlich Ansprechpartner, 2001 wurde als Fantreffpunkt vom Verein die Fanhalle neben dem Stadion eröffnet, die dann nach und nach unser Treffpunkt und Anlaufpunkt für viele unorganisierte Fans wurde. So schnell konnte keiner schauen - wir machten durch diese Umstände die Fanarbeit! Der Verein kapierte dann auch langsam, dass wir nicht nur ein besoffener Haufen von Randale-Kids sind. Sondern ein ernstzunehmender Faktor im Stadion. Das führte zu einem von kritischem Respekt geprägten Verhältnis. Heute immer noch wichtige Leute stießen in den ersten beiden Jahren dazu, es entstanden Strukturen. Choreos kosten Geld - also wurden die Klassiker wie Collagen und Fotos verkauft. Heute reicht die Palette über DVD´s, Schals, T-Shirts, Buttons bis hin zu einem eigenen Bierstand in der Fanhalle. Wir dürfen nicht vergessen – wir reden hier von einem Verein mit rund 3 000 Zuschauern in der vierten Liga. Das Anspruchsdenken auch an uns selber ist viel höher geworden. Früher galt die Devise „Hauptsache, es qualmt“ und paar Doppelhalter sind zu sehen. Heute wird lieber mal ein Bengalo weggelassen, dafür eine noch fettere Choreo hingelegt. Ein Heimspiel dauert keine 90 Minuten, durch organisatorische Dinge sind es oft bis zu zehn Stunden im direkten Stadionumfeld. Wir haben inzwischen eine massive Verantwortung für die Fanszene, auch und gerade gegenüber Verein und den Behörden. Viele Alte sind gute Freunde und Unterstützer geworden. Wir haben es in den ganzen Jahren geschafft, die Fanszene wieder zu vereinen. Wir haben sowohl zu Leuten der A-Szene wie zu den Hools gute bis sehr gute Kontakte, es herrscht ein selten erlebtes Miteinander. Durch Drähte zu anderen Vereinen wissen wir, wie selten und wertvoll dieser Zustand ist. Partys der UC, Spenden-Konzerte oder ganz normale Spieltage werden von allen Fraktionen ohne Probleme miteinander besucht und gefeiert. Nicht selten prallen dabei Welten aufeinander, sozial, politisch, fantechnisch. Aber es findet ein Austausch von allen Seiten statt, es ist ein familiäres Gefühl eingezogen. Das ist Ehre und gleichzeitig Verpflichtung für uns, alles für den Namen FCK und seine Anhänger zu tun.


Wie sieht es aktuell bei den „Ultras Chemnitz ´99“ aus?

Die aktuelle Zahl von 26 Mitgliedern hielt sich über die ganzen Jahre relativ konstant. Wir waren nie weit über 30 Leute, unter 20 sind es auch nie gewesen. Unser Motto war immer Klasse statt Masse. Wir haben uns nie für eine unkontrollierte Masse geöffnet, wir wollten nur aktive Mitglieder. Das ist uns auch ganz gut gelungen. Aus den ersten beiden Jahren sind immer noch sieben Mitglieder bis in die Führungsgremien aktiv dabei. In den letzten beiden Jahren wurden allerdings keine neuen Mitglieder mehr aufgenommen. Jeder ist soweit aktiv dabei, wie es seine Verpflichtungen zulassen. Familie, Job – die klassischen Faktoren halt.


Nach 10 Jahren Ultrà in Chemnitz: Wie sieht es nach der Trennung von der NS mit dem Nachwuchs aus, wie groß ist euer Umfeld und wie lässt sich das altersmäßig erfassen?

Die Oberliga und die relativ preiswerten Fahrten zogen natürlich wieder vermehrt jüngere Leute an. Unser Umfeld umfasst derzeit rund 200 Leute, davon 70 bis 80 im engeren Umfeld. Altersmäßig reicht das Spektrum von 14 bis Mitte 20. Es sind einige dabei, die trotz fortgeschrittenen Alters aus ehemaligen Kutten-Fanclubs in ultra-orientierte Gruppen gewechselt sind.


Die „Brigade Süd“ wurde von euch erst in der aktuellen Saison ins Leben gerufen. Dabei ist die Fahne größer als eure und hängt mittig. Erzählt uns über diesen Zusammenschluss. Welche weiteren Gruppen gibt es noch?

Der Zusammenschluss „Brigade Süd“ ist unter anderem eine Folge der Verjüngung und Konzentrierung der Heimkurve. Von uns als „Ultras Chemnitz ´99“ wurden als Nachwuchsgruppe die „Ultra Youngsters ´07“ gegründet. Parallel dazu tauchten ultra-orientierte, junge Leute auf, die aber anfangs ihren eigenen Weg gehen wollten – die „Kameniza Sons“. Hinzu kam eine Umland-Gruppierung, die „Southside Supporters“. Irgendwann waren wir der Meinung, dass wir allen eine Heimat in der Kurve geben wollten, ohne ihre persönliche Heimat, ihre eigene Gruppe verlassen zu müssen. Daraufhin entschlossen wir uns, den Zaun freizugeben für einen neuen Namen. Daraus resultierte die „Brigade Süd“, angelehnt an die Südkurve, unsere Heimat im Stadion. Die Fahnen der Gruppen, welche die Brigade Süd vertreten, hängen um die BS-Fahne herum. Die Führung der Brigade Süd liegt natürlich weiter in unseren Händen. Die wichtigen Entscheidungen werden von uns getroffen. Natürlich arbeiten wir mit den Gruppen zusammen, verbringen viel Zeit miteinander und sind ein großer, geschlossener Haufen. Es hat aber jeder kapiert, dass die support- und ultra-orientierten Leute in Chemnitz nur gemeinsam eine Chance haben.


Wie muss man sich in eurer Szene eine Entscheidungsfindung zu bestimmten Dingen, wie Abläufe an Derby-Tagen, Vorgehensweise bei einer aufgetauchten Problemstellung usw. vorstellen? Entscheiden die Mitglieder der UC hier auch für die BS-Fraktion oder gibt’s ein Treffen, offen für sich der BS zugehörig fühlenden Personen? Habt ihr einen Führungsrat oder wird alles demokratisch entschieden?.

Natürlich gibt es bei uns Führungspersonen, die einen Schritt weiterdenken, auch die Richtung vorgeben. Der „Brigade Süd“ wurde von uns ins Leben gerufen und wird auch von uns geleitet. Einmal wöchentlich sitzen dann die führenden Vertreter der Gruppen zusammen und bequatschen die nächsten Spiele. Dort entstehen Ideen bzw. werden präsentiert, werden Choreo-Termine ausgemacht, Busse oder Zugfahrten geplant. Die klassische Schiene halt. Die einzelnen Vertreter teilen das dann ihren Gruppen mit, meistens gibt’s da wenig gegen zu sagen. Gerade weil die Gruppen von anerkannten Mitgliedern vertreten werden. Großartige Diskussionen in einer anarchischen Struktur würden da niemandem was nutzen – der gute alte Spruch „Viele Köche verderben den Brei“ hat halt doch was Wahres an sich. Grundsätzlich wird aber jede Meinung ernst genommen und in die Beschlüsse mit einbezogen. Viele Sachen werden vorher auch schon in den internen Foren diskutiert, da ergibt sich eine Entscheidung fast schon automatisch.


Was denkt Ihr, wo liegen eure Schwachstellen und was sind Mängel, an denen ihr zukünftig noch mehr arbeiten müsst, um effektiver zu werden oder, um eure Kurve in noch stärkeren Licht erstrahlen zu lassen?

Zu verbessern gibt es immer was, keine Frage. Aber es sind oft alltägliche Dinge, an denen man arbeiten muss, kleine unscheinbare Sachen. Das große Ganze stimmt eigentlich. Wir müssen uns nicht verstecken, haben unseren eigenen Stil, die Jugend-Arbeit scheint auf einem guten Weg zu sein, im Verein sind wir als starke Macht im Stadion registriert, auf den Rängen gibt es trotz mancher Kritik viel Unterstützung für unsere Sache. Daran muss man aber arbeiten, jedes Spiel erneut. Manchmal gibt es Halbzeiten, da geht einfach nichts. Diese Lücken müssen noch ausgefüllt werden. Natürlich wären 500, 600 aktive Leute in der Kurve besser als die jetzigen 300. Aber für Chemnitzer Verhältnisse ist das ´ne gute Zahl. Noch dazu das Zusammenspiel mit den anderen Blöcken inzwischen gut klappt. Die größte Herausforderung wird wohl sein, dieses Niveau zu halten. Es darf keine Selbstzufriedenheit einkehren.


Euer erstes Nachwuchsprojekt „New Society“ ist gescheitert, Was waren die Gründe, was wurde falsch gemacht und was machen die Leute heute, oder gibt es die New Society gar noch?

Die „New Society“ war unser erstes Nachwuchs-Projekt. Allerdings hatten wir auf der Gruppe nicht die Hand so drauf, wie wir es hätten haben müssen. Sicherlich haben wir auch Anfangs-Fehler gemacht, gaben ihnen zuwenig kreative Freiheiten und drängten sie somit wieder an den Rand. So entwickelten die Jungs sich selber in Richtung Straße, während wir mehr das Interesse aufs Stadion legten. Irgendwann gingen die Ziele zu weit auseinander, es war auch unmöglich, die Schere zu schließen. Es gab nicht wirklich Streit untereinander – es gab aber einen massiven Interessen-Konflikt. Bauten die Jungs eigenständig irgendwelchen Mist, fiel es automatisch auf uns zurück. Die Jungs brachten viel zuviel Politik mit ins Spiel, was mit unserer Philosophie nicht vereinbar war. An erster Stelle steht für uns der Fussball, der Verein - in der „New Society“ ging es für viele mehr um Demos als um Choreos. Der Ultra-Gedanke setzte sich dort leider nicht so durch, wie er von uns gewünscht war. Wir waren dann auch in der öffentlichen Wahrnehmung in einer ziemlichen Sackgasse. Aus reinem Eigen-Interesse, auch an dem inzwischen gewachsenen Anspruchsdenken an uns selber, entschlossen wir im April 2006, die „New Society“ aufzulösen. Krass gesagt: Wir haben das Kind geboren, also dürfen wir es auch umbringen.
Mittlerweile gibt es die Gruppe wieder, wir haben uns untereinander ausgesprochen. Die „New Society“ ist eine eigene Gruppe, die losgelöst vom Ultra-Gedanken ihre eigenen Ziele verfolgt. Welche das sind - wir wollen hier nicht für andere Gruppen reden. Man muss aber auch erwähnen, dass einzelne NS-Mitglieder in Gruppen der „Brigade Süd“ wechselten bzw. heute noch bei Choreos mithelfen. Wir als „Ultras Chemnitz ´99“ akzeptieren die „New Society“ inzwischen als eigenständige Gruppe, die ihren Weg geht und auch weiter gehen wird. Die Polizei und der Staats-Schutz haben sie massiv auf dem Kieker, Telefone werden abgehört – aber sie sind ein Teil der Szene und als solcher akzeptiert. Fussball ist kein Wunschkonzert, schon gar nicht für Behörden.


Wie gestaltet sich der Ligaalltag bei euch? Wann werden Aktionen durchgeführt und wie sind die Zahlen bei Auswärtsspielen?

Die Liga ist wortwörtlich Alltag geworden. Wenn Du zum 6. Mal nach Auerbach oder Pößneck fährst, erträgst Du das nur im Suff oder mit Mottofahrten. Aber gut - im Kommerz-TV gabs mal die Werbung „Spaß ist das, was Du draus machst“. Und so ist es auch. Wir sind einer der größten Vereine der Oberliga Süd und durch die recht kurzen Entfernungen haben wir immer ordentliche Haufen am Start. Zwischen 300 und 1 500 Gästen bringt Chemnitz aktuell immer mit. Heimspiele gestalten sich je nach Gegner. Treffpunkt ist die Fanhalle am Stadion. Gibt’s größere Aktionen, ist natürlich erstmal Arbeiten angesagt. Standard-Heimspiele werden gediegener angegangen. Aktionen gibt es bei großen Gegnern oder situationsbedingt. Mit Spruchbändern wird auf aktuelle Geschichten rund um den Verein reagiert, gegen einen guten Gegner soll natürlich auch ein optischer Glanzpunkt gesetzt werden. Standard heißt aber nicht gleich Standard - die Zahl der Schwenkfahnen und Doppelhalter steigt ständig, auch dank der neuen jungen Gruppen mit neuen Ideen. Gerade bei solchen Spielen, wo der harte Kern unter sich ist, ergeben sich natürlich auch Chancen, neue Sachen zu trainieren. So bekam erst letztens ein Nachwuchs-Capo die Chance, ne Halbzeit auf dem Zaun sein Bestes zu geben.


Gibt es auch Dinge, die ihr anders gemacht hättet? Was wollt ihr noch verändern oder seid ihr zufrieden mit dem Erreichten?

Es gibt bei Prominenten den Standard-Satz „Nein, ich hätte alles wieder so gemacht.“ Das ist natürlich Schwachsinn. Im Leben hat man aber keine Chance, das Rad der Zeit zurückzudrehen. Man kann nur dazulernen. Unser größter Fehler war sicherlich das Projekt „New Society“. Aber gut – auch daraus haben wir gelernt und sind gerade in Sachen Nachwuchs auf einem richtig guten Weg. Zufrieden ist man natürlich nie. Und Veränderung bedeutet Entwicklung. Wir versuchen, die Mentalität für diesen Verein, diese Stadt, diese Kurve Tag für Tag näher zu bringen. In Gesprächen mit Freunden, Kollegen, in der Kneipe, in der Disco…. Eine entscheidende Entwicklung war natürlich die „Brigade Süd“ - ein entscheidender Einschnitt.


Ihr habt mit der Fanhalle einen guten Treff in Stadionnähe. Wie wichtig ist dieser für die Szene als Anlaufpunkt und was habt ihr sonst für Aktivitäten unter der Woche bzw. wie ausgeprägt ist euer Gruppenleben?

Die Fanhalle war unsere größte Bewährungsprobe. Dank geschickter Verhandlungen haben wir irgendwann die komplette Kontrolle über die Halle übernommen. Finanziert wird sie vom Hauptsponsor, der sich dort mit Imbiss-Ständen etablieren wollte. Das ging schief auch der überteuerten Preise schief. Erst, als wir dort das Ruder in die Hand nahmen, wurde die Halle so richtig von den Leuten angenommen. Und zwar von allen. Bei Heimspielen trifft man dort die Hools genauso wie den „wandelnden Fanshop“ an, auch unter der Woche. Der Bierstand, ein Raritäten-Shop und der UC-Stand sind Pflicht-Punkte geworden für viele Fans. Nach dem Spiel gibt’s dann die unsäglichen Zusammenfassungen im MDR auf Fernsehern. Inzwischen etablieren sich Partys für den Nachwuchs, bei denen bis zu 500 Leute bei Live-Musik von den „Arbeitslosen Bauarbeitern“, einer inzwischen bei einem Berliner Label gesignten Punk-Band aus Chemnitz, oder wie letztens „Lousy“ (spielten auf dem legendären „Witz FullForce“) abgehen. Im übrigen beides Bands aus Chemnitzer Fankreisen, Spontane Grill-Partys aller Fraktionen selbst im Winter gehören inzwischen dazu.
Das Gruppenleben an sich spielt sich natürlich in der Hauptsache rund um die Halle ab, Grillabende, Fussball schauen oder einfach nur bei ´nem Feierabend-Bierchen schnacken, das sind so die Programmpunkte. Natürlich haben sich über die Jahre Freundschaften untereinander entwickelt, die auf differenzierten Interessen basieren. Aber auch das gehört dazu. Es trifft sich im Endeffekt alles wieder in der Mitte, am wichtigsten Punkt – dem Verein, dem Ultra-Leben.


Chemnitz hat eine bedeutende Hooliganszene. Im Stadion trifft man diese aber selten an. Gibt es Verstrickungen zu eurer Szene? Wie seht ihr das ab und an sehr spontane Auftreten dieser Leute?

Nun gut, die Zeiten der großen Hool-Schlachten im Stadion sind schon lange vorbei. Das geht natürlich auch an Chemnitz nicht vorbei. Die Jungs der „Hoonara“ haben ab und zu noch ihren Spaß. Aber eben die klassischen Wald- und Wiesen-Dinger. Gelegentliche Auftritte wie 2006 in Halle sind noch vereinzelte Rauchzeichen, viel geht logischerweise aber nicht mehr in der Öffentlichkeit. Verstrickungen in unsere Szene gibt es sicherlich, in so einer Familie wie in Chemnitz kennt man sich. Es war auch auf jeder UC-Party ´ne Abordnung der sportlichen Jungs am Start bzw. sieht man sich in der Fanhalle. Vor allem mit den Alten gibt’s gute Beziehungen. Viele haben natürlich Respekt vor der Geschichte der Chemnitzer C-Szene. Wer mit Bierkästen ins Stadion marschiert (Mitte der 90er in Osnabrück) oder mal eben Frankfurt (West) in der eigenen Stadt umhaut, der hat nicht umsonst ´nen guten Ruf in Deutschland. Immer noch. Zur aktuellen Lage wollen wir uns eigentlich nicht äußern, das gebietet der Respekt vor dem Namen und den Mitgliedern der „Hoonara“.


Habt ihr gewisse Ziele der Außendarstellung bzw. legt ihr auf bestimmte Dinge Wert?
Wie beurteilt ihr euren eigenen Support? Gibt es Bemühungen aufwändiges Liedgut einzuführen und dafür anfangs vielleicht mit weniger Leuten zu singen, oder ist euch die Lautstärke einer großen Kurve lieber und es wird stattdessen auf traditionelle Gesänge gesetzt, damit auch möglichst viele mitsingen?!

Unser Ruf als „Assi-Pöbel“ – geschenkt. Und der wird auch gern mal gepflegt. Aber eben auf ´nem ganz hohen Level. Natürlich erlauben wir uns Auswärtsfahrten, auf denen es mehr als versoffen abgeht. Aber das können wir uns auch leisten. Weil wir jederzeit den Nachweis bringen, das wir es können. Und Ausreißer gehören dazu. Wir müssen niemandem etwas beweisen – außer uns selber. Da wir aber die Messlatte inzwischen immer höher gelegt haben, zelebrieren wir die Extreme mit Herzblut. Mittlerweile haben wir wieder Wert auf ein Einheits-Auftreten gelegt. Gerade die „Brigade Süd“-Jacken sorgen wieder für ein geschlossenes Outfit. Im Block steht kaum noch ein Schalträger. Darüber kann man streiten – aber für die Außenwirkung ist das wichtig. Man braucht jeden im Stadion, natürlich auch den klassischen Schalträger. Aber die Führung – die beanspruchen wir schon für uns. Support ist Glaubenskrieg. Für ist die Unterstützung der Mannschaft das Wichtigste. Und die hat in erster Linie laut zu sein. Den Spielern ist es scheißegal, was Du singst. Hauptsache, sie merken, dass Du da bist. Das ist auch eine Erkenntnis aus vielen Gesprächen mit Spielern, die wir gerade in den gemeinsamen Reisen ins Trainingslager und so hatten. Dort wird schon mal Klartext geredet und kein Wischiwaschi wie bei ner Autogrammstunde. Wir wissen schon, was wichtig für die Mannschaft ist. Andererseits entzieht man sich natürlich nicht dem Wettkampf der Ränge und versucht auch dort, seinen Mann zu stehen. Traditionelle Lieder sind massiv wichtig – sie verkörpern Tradition. Genauso ist es uns aber auch gelungen, neue Lieder fast schon zu Traditionen zu machen. Zu Gemeinschafts-Erlebnissen, wo Leute mitsingen, die sonst nur jodeln, wenn ihnen jemand in den Schwanz beißt.


Zahlreiche Mitglieder oder Mitbestreiter eurer Szene sind ja oft in Europa unterwegs. Guckt man da nicht auch mit verklärten Blick in die verschiedenen ausländischen Kurven und will so was nicht auch im eigenen Stadion mal umsetzen? Gibt es womöglich Länder, denen ihr nicht gleich nacheifert, aber deren Stärken ihr vielleicht umsetzen versucht oder es insgeheim würdet?

Die Leute, die in der Hopping-Szene unterwegs sind, haben kaum noch Aktivposten in der Szene zu besetzen. Ausländische Einflüsse findet man bei uns kaum, bis auf ein, zwei allgemein bekannte Lieder, die sich bei vielen Jüngeren durchgesetzt haben. Viele von uns haben sehr viel gesehen, mal allgemein gesagt. Natürlich inhaliert man viel und wünscht sich das insgeheim für die Heimkurve. Da aber jede Kurve, jeder Verein, jede Ultra-Gruppierung eigentlich ein eigener Mikro-Kosmos sind, kannst Du solche Sachen gar nicht kopieren. Noch dazu einzelne Leute nie die Wirkung einer genialen Kurve in die eigene Kurve transportieren können. Dann wiederum sitzen drei Leute bei paar Bier zusammen, dichten auf ne Melodie ein Lied und das Ding zieht in der Kurve. Da schüttelst Du manchmal den Kopf und sagst „Okay, es ist so.“ Experimentierfreudig war Chemnitz natürlich noch nie, das braucht man nicht zu verschweigen. Du fragst nach Stärken aus anderen Ländern? Interessant ist natürlich weiterhin die alte italienische Szene, die Ultras und ihr Einfluss im Verein im Sinne der Fans.


Eine Fanszene wächst in einer niedrigen Spielklasse für gewöhnlich eng zusammen. Man kennt sich. Wie ist euer Stand im Stadion und habt ihr Kritiker im Stadion?

Die Ultra-Szene in Chemnitz ist in beschissenen Zeiten gewachsen. Das ist unser großer Vorteil. Dort stand wirklich nur noch der harte Kern, das war die Zeit, als wir von Liga 2 bis Liga 4 durchgereicht wurden. Da standen Dienstag nachmittags 26 Leute in Reutlingen, davon 13 UC-Mitglieder. Wir kassieren in Bielefeld ne 1:5-Klatsche und haben dort ´ne Choreo über den ganzen Block. Standen in Duisburg mit 42 Leuten, davon die Hälfte UC. Und so weiter. Gerade die alten Haudegen haben den Hut gezogen vor uns, dass wir trotz aller Verlockungen des kapitalistischen Unterhaltungs-Systems weiterhin zum damals für den Mainstream unattraktiven FCK gefahren sind. Dadurch haben wir einen Rückhalt erfahren, den Du nicht mit 100 Choreos und 200 geilen Liedern hinbekommst. Da war hektoliterweise Herzblut am Start, genau das ist die Währung, die zählt.
Im Stadion gelten wir als die Stimmungs-Kurve, die anderen Blöcke warten auf Inspirationen von uns. Gelegentlich fordern andere, kleinere Support-Haufen die Südkurve, ein bestimmtes Lied zu singen. Ich kann da nur sagen – Rock ´n Roll. Kritiker gibt es vereinzelte, aber da haben wir inzwischen eine ganz gute Konflikt-Kultur etabliert. Wir sind ansprechbar, kritikfähig und reißen niemandem den Kopf ab. Es sei denn, es passiert anonym im Netz, hinterhältig oder auf Lügen basierend. Dann wird’s ernst. Aber selbst das wird auf der Politik der kurzen Wege geklärt.


Was sind eure persönlichen Höhepunkte in fast 10 Jahren aktiver Fanzeit für euren Verein?

Sieben Mal in Folge Köln Südstadion. Immer angetrunken – Entfernung egal. Spaß beiseite, es gibt viele Momente, an die man sich gern erinnert. Gewisse Pyro-Auftritte wie 2002 in Magdeburg, gezockte Fahnen („Commando Elbhorde“, Dynamo Dresden in Plauen), „Two Pac Dynamo“ (während des Spiels in Dresden vom Zaun geholt), Sekt-Trinken mit der Aufstiegs-Mannschaft von Dynamo auf der Haupttribüne im Jahnsportpark in Berlin aus dem Siegerpokal, der komplette Tag um die 5-Jahres-Feier unserer Gruppe mit ner schicken Heim-Choreo, einer genialen Party am Abend (der Club hatte 90 Plätze, anwesend waren ca. 200 Gäste), Doppeldecker-Fahrt nach Neumünster (da saßen vom Spieler bis zum Hool-Chef alle im Bus), das 3:0 im Schacht, die erste richtig fette Auswärts-Choreo dort, als 3 000 Gäste mit nem riesigen „Chemnitzer FC“ via Bändern überzogen wurden inklusive Platzsturm gegen Ende des Spiels, die Klassenerhalts-Feier gegen TeBe 2000, als das Stadion komplett durchdrehte…. Es gibt viele Momente. Weniger glückliche Momente waren hingegen die Abstiege allgemein, ein Trauermarsch durch Chemnitz mit 400 Leuten nach dem feststehenden Abstieg vor zwei Jahren, als wir symbolisch den Profifussball in Chemnitz zu Grabe trugen. Interne Differenzen, die vor vier Jahren fast zur Auflösung geführt hätten. Aber gut - das macht die Geschichte ja so spannend und so lebenswert.


Spinnen wir mal etwas herum und drehen das Rad der Zeit 5 Jahre nach vorn. Was denkt ihr, wo ihr im Jahr 2013 stehen werdet? Wagt auch mal einen Blick über eure Stadtgrenzen und beschreibt, dass Szenario, welches in den deutschen Stadien zu diesem Zeitpunkt herrschen wird. Ist die gute alte Zeit dann entgültig vorbei, hat der Konsument gewonnen und müht sich lediglich ein kleines Grüppchen Aufrechter im Stadion einen ab oder wird unsere Bewegung vielleicht doch noch überraschend Rückenwind bekommen und die Verhältnisse wieder halbwegs erträglich?

Die Frage wird wohl nichtmal ein Prophet beantworten können. Nüchtern betrachtet wird die Ultrá-Geschichte in eine Nische gedrängt. Toleriert als bunte Stimmungsmacher, verhasst als Anti-Konsumenten. So, wie es jetzt vielerorts schon ist. Die Reize für die Jüngeren werden immer mehr in dieser Gesellschaft. Es wird immer schwerer, Nachwuchs zu gewinnen. Und die Gegenseite wird immer raffinierter und hemmungsloser in Sachen Repression. Andererseits – wer weiß, vielleicht erkennt der ein oder andere in drei, vier Jahren, wohin die Geldmaschine will. Weg von Traditionen, hin zum Börsenmakler-Publikum. Entweder entwickelt sich eine Kultur wie in England oder Österreich, wo die Fans „ihren“ Verein gründen oder es rappelt bei den ursprünglichen Clubs ordentlich. Es wird sicherlich eine spannende Zeit, vermutlich aber leider auch eine recht deprimierende werden.


Ihr habt einen sehr eifrigen Szenekundigen Beamten, der euch das Leben schwer macht. Wie geht ihr damit um?

Na gut, „Wolle“ (bürgerlich: Wolfgang R.) ist wohl einmalig in der Geschichte. Anrufe bei Arbeitgebern, Verleumdungen beim Verein, „private“ Ansagen rund um die Spiele – die ganze Palette eben. Und das Ganze gewürzt mit einer ordentlichen Portion Hass auf einzelne Personen. Aber gut – wir sollten diesen wertvollen Platz nicht für solche Menschen verschwenden. Es ist inzwischen ein wenig ruhiger geworden, die Buben werden ja auch nicht jünger. Mittlerweile herrscht das Klima eines gesunden, aber ständig angespannten Verhältnisses. Wenn „Wolle“ was sagt, springt der Verein. Sind wir uns mit dem Verein im Klaren, kommt der Auftritt des jungen Herren. Man könnte es fast als Drei-Parteien-Landschaft bezeichnen. Ursprung der Jagd auf uns war ein Prozess, in dem er 2001 gegen ein führendes UC-Mitglied aussagte und vor Gericht wie ein Lügner stand - weil die Geschichte komplett anders war und das von den Juristen zum Glück auch verstanden wurde. Seitdem kam immer wieder das Gefühl eines Rachefeldzugs auf. Er hatte es sich auf die Fahnen geschrieben, die UC zu zerstören. Das hat er bis heute nicht geschafft - er ist an dieser Aufgabe gescheitert. Jetzt schaut er immer öfter auf die jüngere Fraktion, lässt die älteren ziemlich in Ruhe. Als Standard sind drei Zivis mit dabei, vom BGS kommen noch mal zwei dazu. Außerdem versucht die Staatsmacht gerade, neue unbekannte Gesichter zu installieren. Aber nen Zivi riecht man nach all den Jahren gegen den Wind. Ansonsten haben wir die die üblichen Probleme, wie sie wohl fast jeder inzwischen kennt. Glasflaschenverbot in allen Zügen, exorbitante Aufmärsche der Trachtentruppe, sinnlose Provokationen geistig entleerter Staats-Knechte - der „normale“ Alltag halt. Negativer Höhepunkt in der jüngsten Vergangenheit war ein Spiel der Muskeln, welches die Policia im April gegen Plauen anzettelte. Erst verbot man altangestammte Zaunfahnen (Begründung: man könne aus den Buchstaben Plakate gegen die Polizei machen), dann wurde ein harmloses Plakat gegen Polizeiwillkür nicht reingelassen. Aus Protest über die Zensur verließen 300 Südkurven-Gänger das Stadion für eine Halbzeit. In der zweiten Halbzeit sollte das Stadion geschlossen wieder betreten werden – das verhinderte aber die Polizei und provozierte Randale im Eingang. Die Kurve verteidigte geschlossen den Block. Danach gabs noch massive Übergriffe auf unsere Plauener Freunde und vor der Fanhalle. Das sorgte für ordentlich Zoff im Verein und unter den Fans. Jetzt gibt’s erstmal ´ne Art Burgfrieden bis Saison-Ende, damit die Mannschaft die nötige Unterstützung bekommt und die Qualifikation für die neue Regionalliga schafft.


Gibt es spürbare Auswirkungen der relativen Nähe von Bundesligafußball in Chemnitz?

Ja, jeden zweiten Sonntag wird 11 Uhr im Stadion Bundesliga geschaut – unsere A-Junioren. Und der nahegelegenste Bundesligist spielt in Nürnberg.


Wie schauts um eure Beziehungen zur Führungsetage im Verein aus? Gibt es Probleme oder läuft die Kommunikation rund? Gab es in der Vergangenheit nennenswerte Konflikte, wenn ja, welche und wie wurden diese gelöst?

Es ist wie in jeder Beziehung - reden ist wichtig. Gerade am Anfang unserer Geschichte mussten wir uns unseren Stand hart erarbeiten. Als man aber in der Chef-Etage merkte, dass sich da was tut, dass die Zustimmung im restlichen Fan-Volk da war, beschäftigte man sich ernsthafter mit uns. Auf der einen Seite mit Gesprächen - auf der anderen Seite mit Hilfe der Zivis…. Vieles lief über gegenseitigen Druck - der Verein „nutzte“ die Fanhalle als Druckmittel, wir hatten die breite Masse und unsere Öffentlichkeits-Wirkung. Ein Beispiel aus dem Jahr 2005: Es gab wieder mal Zoff. Der Verein plante, uns bei einem „Schlichtungsgespräch“ die Fanhalle zu entziehen. In der Nacht vorm Gespräch stellten wir in der Halle den Zustand her, in dem wir sie übernommen hatten – nackt und kalt. Während des Gesprächs kam der Vereins-„Trumpf“ auf den Tisch – da überreichten wir den Schlüssel mit dem Hinweis, dass wir schon mal vorgearbeitet hätten… Plötzlich stand der Fantreff, das Aushängeschild der eigentlich nicht vorhandenen Fanarbeit im Verein, ohne Betreiber da. Einen Tag später hatten wir den Schlüssel wieder - ohne jegliche Auflagen.
Inzwischen sind die Fronten aber geklärt, man respektiert sich halbwegs. Viel läuft auch über das neue Fanprojekt, Choreo-Anmeldungen, SV-Probleme - da sitzt jetzt das FP mit am Tisch. Wir haben viele Aktionen für den Nachwuchs gemacht, Geld gesammelt, nach nem Schnee-Chaos 300 Leute organisiert, die an einem Abend das Stadion vom Schnee befreiten usw. Das sind Dinge, die kann man nicht wegdiskutieren.
Wir als Fans sind der Verein! Die anderen dürfen ihm dienen. Das darf man nie vergessen, wenn man auf den Rängen steht. Und daran sollten die fingerzeigenden Herren denken, die auf der Tribüne sitzen.


Eure Freundschaften oder auch Kontakte muten ja teilweise etwas abenteuerlich an. Am festesten dürfte wohl, auch aufgrund der geringen Distanz beider Städte, die Freundschaft zu den Ultras Plauen sein. Kontakte gibt es jedoch auch nach Essen und Duisburg. Erzählt doch mal, was es mit diesen Freundschaften auf sich hat, wie sie entstanden, wer sie pflegt und vor allem wie oft und wie sie geführt werden.

Abenteuerlich – na gut, es erklärt sich alles aus der Geschichte heraus. Essen entstand beim Ultra-Fest in Bremen 2000, als man sich dort kennen lernte und die Wellenlänge stimmte. Gleiche Liga, diverse gemeinsame Partys, Spielbesuche – vor allem von Essener Seite bei unseren Gastauftritten rund um den Ruhrpott - zu der Zeit damals passte das einfach.
Essen ist eine schöne Erinnerung, vor allem unter den alten Leuten beider Seiten. Kontakte übers Netz und Telefon sind immer noch da, aber für eine offizielle Gruppenfreundschaft reicht es nicht mehr. Andere Liga, weite Entfernung, neue Leute - es gibt einige Gründe. Grundsätzlich ist aber jeder Essener in Chemnitz gern gesehen und auch umgedreht gibt es da keinerlei Probleme. Dafür haben wir zuviel gemeinsam erlebt, als dass man das einfach in die Tonne wirft. Die verwirrten Grünen, als in Oberhausen knapp 70 Essener bei uns am Gästeblock auftauchten. Oder unser Heimspiel gegen Wattenscheid - Essens Spiel in Dresden fiel aus, da rollten hier mal eben 100 Ruhrpott-Freunde an und rockten mit uns das Stadion. Als Essen hier spielte, hatten sie Stress mit den Cops. Wir holten dann mit 30 Leuten die Essener am Gästeblock ab und verbrachten den Rest des Spiels gemeinsam in der Fanhalle. Mit Videotext und ohne Knüppel-Beamte. Auch die Gastfreundschaft, wenn wir im Pott waren, hatte richtig was. Aber gut - im Leben gehen Wege auch mal auseinander. Aber vergessen wird das keiner auf beiden Seiten. Und, wer weiß – zwischen Liga zwei und Liga 4 liegen keine Welten…
Duisburg war eher was über Einzelpersonen, hauptsächlich über die „Blue Pirates ´99“, dessen Gründer heute noch fast jedes FCK-Spiel besucht. Es waren auch mal ehemalige „Ultras Duisburg“ mit am Start bei einem Hallenturnier in Chemnitz. Aber so intensiv war das nie. Jetzt gibt es nur noch den BP-Kontakt, mit „Kohorte Duisburg“ haben wir rein gar nichts mehr am Hut.
Das intensivste im Alltag ist inzwischen Plauen, logisch, bei der Entfernung. Die Alten der UC hatten schon zu eigenen Kutten-Zeiten Kontakte nach Plauen. Die Fanclubs „Flintstones“ (Chemnitz) sowie „Mitte“ und „Plauener Jungz“ (Vorreiter der Ultra-Szene in PL) sind die Begründer des Kontakts. Dazu gabs gemeinsame Hopping-Touren, immer mal gegenseitige Besuche. Das wurde dann im Lauf der Jahre immer intensiver.


Eine weitere recht ungewöhnliche und bestimmt fast allen Lesern unbekannte Freundschaft besteht zu den Ultras aus Diosgyör. Mit welchen Gruppen genau bestehen dort Kontakte, wie kam es dazu und wie ist der aktuelle Stand der Dinge? Vor einiger Zeit konnte man ja sogar eine UC-Fahne beim Derby in Nyreg. Erblicken.

Bei UC gibt es ein ungarisches Mitglied, welches in Diosgyör aktiv war und mit der Familie mit nach Chemnitz ziehen musste. Hier fand er den Weg zum Fussball und damit zu uns. Freundschaft ist es keine - einzelne UC fuhren einige Male mit nach Ungarn, wenn er wieder mal in die Heimat zurückkehrte. Dort lernte man die aktiven Jungs kennen. Dort hatten wir auch die Ehre, unsere Fahne mit aufhängen zu dürfen. Während der WM waren einige der Diosgyör-Jungs im Gegenzug zu Gast in Chemnitz. Sicherlich werden auch in Zukunft sich bietende Gelegenheiten zum Besuch genutzt.


Eine wie immer heikle Frage ist das Thema Politik. Ohne um den heißen Brei herumzureden assoziiert man die Ultras Chemnitz und generell das Chemnitzer Fanbild als rechts. In der Mitte ausgeschnittene Hakenkreuzfahnen auf Sankt Pauli oder das ein oder andere Gerücht bzgl. Der politischen Einstellung lassen wohl viele darauf schliessen. Wie seht ihr die Sache? Wie handhabt ihr dieses Thema und gab oder gibt es diesbezüglich auch mal Diskussionen im kleineren oder gar größeren Kreis?

Die „Ultras Chemnitz ´99“ sind kein politischer Fanclub. Die Geschichte auf St. Pauli war auch keine Aktion von uns. Obwohl die Sache damals eher als Provokation der Paulianer zu betrachten ist, weniger als eine rechtsradikale Aktion. Ursprünglich war ja auch das Plakat „Wir sind brauner und weißer als ihr“ als UC-Aktion geplant. Treffer versenkt, die angeblich so andere Fanszene hatte ihren Aufreger. Von uns wird man nie ein politisches Statement, egal wie in welche Richtung, hören oder sehen. Innerhalb der UC sind Leute aller Ansichten dabei. Und das funktioniert, weil man sich gegenseitig respektiert. Die Fanszene ist relativ gemischt strukturiert. Wenn eine Szene im Osten nicht demonstrativ auf links macht, ist sie für viele automatisch rechts. Deswegen stört uns dieses Gelaber eigentlich weniger - wir müssen hier leben und damit klarkommen. Und das tun wir.


Wie stehts um die Kontakte zum Fanprojekt?

Erstaunlicherweise sind die sehr gut. Anfangs waren wir sehr skeptisch. Zum Glück wurde neben der ehemaligen Fanbeauftragten, die jahrelang ziemlich einsam ihre Runden drehte und sich dabei etablierte, ein junger Mann aus der Fanszene als Projektleiter eingestellt. Der hatte natürlich gleich einen Stein im Brett. Wir nutzen es als zweiten Treffpunkt neben der Fanhalle, gemeinsames Fussball schauen, pokern oder einfach paar Diskussionen beim Feierabend-Bier beleben das Projekt natürlich ungemein. Gleichzeitig sind wir mit im Fanarbeitskreis vertreten. Von uns kommen auch Ideen für die Arbeit des Projekts. Wir geben der Sache definitiv eine Chance. Gerade, weil wir auch das FP als Punkt sehen, der zwischen den teilweise verhärteten Fronten Ultras Chemnitz vs. Verein/Polizei als regulierendes Element einwirken kann.
Zur Geschichte des Namens „Fanprojekt“ in Chemnitz muss man nicht viel sagen: Das ehemalige Fanprojekt wurde eingestellt, weil Geld verschwunden war. Es hatte null Akzeptanz. Es war von Beginn an eine Totgeburt. Der damalige Chef verband die Arbeit mit einem eigenen Fanshop und überteuerten Bussen. Der Junge spielt heute keinerlei Rolle mehr, seine aktuelle Freundin durfte letztens das DFB-Pokalfinale der Frauen pfeifen – das wars aber auch in Sachen Jörg I.


Ihr habt ja ein eigenes Infozine. Gebt doch mal die wichtigsten Eckdaten dieses Blattes wieder. Verfolgt ihr eine bestimmte Intention damit, oder steht die schnelle Verbreitung von Neuigkeiten und szenerelevanten Informationen an erster Stelle?

Es war einfach eine neue Möglichkeit, mit der Kurve zu kommunizieren. „Das Neue Testament“ wird mit 300 Exemplaren zu jedem zweiten Heimspiel produziert, besteht aus vier Seiten. Wir verbreiten darin Infos, die wir für wichtig halten. Es ist auch ein kleines kostenloses Gegenstück zum offiziellen Programmheft, ein kleines Puzzleteil in „unserer“ Fanarbeit. Es ist regelmäßig vergriffen, wird aber auch zum Download bereitgestellt.


Was denkt ihr, unterscheidet euch von anderen Szenen/Gruppen worauf ihr am meisten Stolz seid?

Uns hat mal ein Kritiker gesagt: „Ich kann Euch nicht leiden. Aber Ihr habt eins geschafft und das bewundere ich an Euch - Ihr habt es geschafft, die Fanszene in Chemnitz zu vereinen.“ Und das kann man eigentlich auch so stehen lassen. Wir haben sehr gute Drähte in alle Bereiche unserer Szene, hier respektiert sich eigentlich jeder als Chemnitzer. Egal, mit welcher Intention er zum Sport geht – man steht für Chemnitz seinen Mann. Im Vergleich zu anderen Gruppen haben wir einen recht hohen Alters-Durchschnitt, es sind wie bereits erwähnt immer noch genug Leute aus der Anfangszeit dabei. Außerdem, wer das Chemnitzer Publikum kennt, weiß, wie schwer es durchaus ist, hier Stimmung reinzubringen. Auch das hat sich geändert – die Südkurve vereint unter unserer Führung in Sachen Stimmung das Stadion. Wir haben in den ganzen Jahren eine gewisse Struktur in der Fanszene aufgebaut, die es so vorher nicht gab. Wir unterscheiden uns auch von gewissen verkrampft ultrig auftretenden Gruppen, indem bei uns der Spaß-Faktor ziemlich weit oben steht. Wir haben mal vor Jahren eine Choreo mal fast in den Sand gesetzt, weil die bastelnden Herrschaften lieber halb besoffen Daily Soaps schauten als zu basteln… Wir haben erstaunlich viele Leute, die Arbeit haben und daher ganz bewusst beim Fussball abschalten. Wir unterwerfen uns keinen Szene-Regeln, wir sind unsere eigene Szene. Aus unseren Kreisen kommt der Autor des (fast) unkommerziell erschienen Buches „Bin beim Club“ - ein Renner in der Fanszene. Ein Blick auf 40 Jahre FCK/CFC. Das sind alles Facetten, die uns ziemlich einzigartig machen.


Mal weg vom Thema Chemnitz und den Blick auf den restlichen Teil des Landes. Wie seht ihr die aktuelle Entwicklung der gesamtdeutschen Szene? Gibt es Gruppen/Kurven die euch beeindrucken, oder die ihr aus der Entfernung her respektiert oder möglicherweise sogar Vorbilder?

Eine Einschätzung ist schwer, weil man sich eigentlich nur selber am besten beurteilen kann. Grundsätzlich haben wir Respekt vor allen, die diesen Kampf in Sachen Ultra annehmen und durchziehen. Aufgeben ist nicht. Die Frage ist nur: In welche Richtung entwickelt sich alles? Es gibt mittlerweile Berge an Verboten, der Gigantismus in Sachen Choreographie scheint auch ausgereizt. Pyrotechnik hat kaum noch ihre Faszination früherer Jahre. Es wird sich viel in Richtung Vereins-Politik entwickeln, Einfluss nehmen, die Zukunft des eigenen Vereins mitzubestimmen. Gleichzeitig wird es wichtig zu sehen sein, wie die verwöhnte Jugend von heute an den Ultra-Gedanken gebunden werden kann. Das ist eine schwierige Aufgabe, das merken wir selber fast täglich. Beeindruckende Kurven zu nennen ist schwer. Auf jeden Fall haben wir vor jedem Respekt, der im Rahmen seiner Möglichkeiten das Maximum herausholt. Wir verzichten hier bewusst auf Namen. Wer das genannte Kriterium für sich beanspruchen kann, darf ein Bier darauf trinken. Und zu Deiner Frage nach Vorbildern - Vorbilder sind etwas für Mitläufer. Am Anfang schaut man natürlich in alle Richtungen und nimmt Eindrücke mit. Aber spätestens, wenn man ansatzweise eine eigene Identität entwickelt hat, sollte man sein eigener Herr sein und seinen eigenen Weg als Gruppe gehen.


"Ultras - No Fans!" Eure Meinung zum Slogan dieses Heftes?

Dieser Slogan gehört auf den Müll. Es geht nur zusammen. Viele ältere Ultras sind als klassische Fans aufgewachsen. Eine ganz wichtige Erfahrung. Diese eigene Welt namens Fussball, die ungeschriebenen Gesetz, das Hocharbeiten in der Fanszene - das fehlt vielen jungen Ultras heutzutage. Man kann mit 40 Leuten sein eigenes Ding machen und isoliert in der eigenen Szene sein. Man kann aber auch den Rest der Leute mitreißen. Den Zusammenhalt im Zeichen des Vereins zu fördern. Ultras sind Extrem-Fans. Mit der Portion Fanatismus mehr als der „normale“ Fan. Sicherlich hat man da mehr Verantwortung, versucht mehr Einfluss zu nehmen - aber tief im Herzen sind wir alle Fans unseres Vereins, unserer Stadt. Und genau das verbindet uns alle.


Zum Abschluss noch eine etwas unkonventionelle Frage: Was bedeutet es für euch, Mitglied in einer Ultra-Gruppe zu sein?

Man verbringt miteinander eine ziemliche heftige Zeit. Es ist mehr als nur Saufen, Fussball gucken und auswärts fahren. Die Verantwortung, die man sich auf den Tisch holt. Der Einfluss, den man über die Jahre erreicht hat - das alles kostet Kraft und Nerven. Man hätte ein weitaus ruhigeres Leben haben können in den letzten Jahren, viel Geld für Strafen gespart, hätte sich unzählige Diskussionen mit Chefs, Verwandten und Freunden erspart. Aber diese Liebe zum Verein, dieses Feuer im Herzen - das treibt Dich immer wieder an. Und das alles erlebst Du mit Deinen Freunden, Deinen Mitstreitern hinter der Fahne der Gruppe. Unter dem eigenen Zeichen. Das ist eine Verbindung, die nichts so schnell trennen kann. Und wenn Du dann noch die kleinen Erfolge siehst, die durch dein Wirken entstanden sind – das alles hat nur die Gruppe möglich gemacht. Als Ultra-Gruppe durchbrichst du Grenzen, die sonst keiner attackieren würde. Du bist Vorreiter und Pionier in vielen Dingen, gleichzeitig besinnst du dich intensiv auf die Tradition. Es gibt nicht wenige bei uns, die sich das Wappen der Gruppe tätowieren haben lassen. Das sagt so ziemlich alles - das aktive, bewusste und intensive Leben in einer Ultra-Gruppe geht unter die Haut. Für immer.




Interview: Ultras Chemnitz ´99
Fotos: Ultras Chemnitz ´99