Seifenkraut
(Saponaria officinalis)
Die stark duftende Madonnenlilie, Lilium candidum, ist eine der ältesten kultivierten Pflanzen, die von der Antike bis ins 19. Jahrhundert medizinisch verwendet wurde. Wegen ihrer strahlend weißen Blüte war sie auch Symbol für die Gottesmutter Maria, wie uns Walahfrid Strabo in seinem Gedicht berichtet.
Ampfer.
Die Blüten und Fruchtstände verschiedener Ampferarten erfreuen das Auge. Genutzt wird allerdings ihr Blatt.
Das Lorscher Arzneibuch ist kein Kräuterbuch mit Pflanzenabbildungen. Wie solche frühmittelalterlichen Pflanzenabbildungen gestaltet waren, zeigt die Darstellung der Pfingstrose in der so genannten Pseudo-Apuleius-Handschrift eines französichen Klosters aus dem 9. Jahrhundert, die sich heute in der Hesssischen Landesbibliothek in Kassel befindet
(2° ms.phs. et hist. nat. 10) fol. 16

Aus der Kinderstube nachantiker Heilkunde - Lorscher Arzneibuch steht am Anfang der mittelalterlichen Pharmazie

Ein neues Licht fällt auf die Klostermedizin der Karolingerzeit, seit im Jahr 1989 in Lorsch bei einem Symposium das "Lorscher Arzneibuch" vorgestellt wurde, das bis dahin nur Eingeweihten als sogenannter Bamberger Codex (Staatsbibliothek Bamberg, Cod.med. 1) bekannt war. Dieser Codex stellt nicht nur die älteste erhaltene medizinisch-pharmazeutische Handschrift deutscher Herkunft dar, sondern gehört nach Auffassung des Paläographen Bernhard Bischoff auch zu den ältesten Handschriften des Lorscher Klosters, in dessen Skriptorium sie um das Jahr 795 geschrieben wurde. So wurde eine neue Seite des Klosters Lorsch als Zentrum der Wissensvermittlung im frühen Mittelalter erschlossen. Der Wert der Handschrift liegt schon allein in der Zusammenstellung verschiedener Texte, die sozusagen ein Handbuch für den Mönchsarzt darstellen, der ja im frühen Mittelalter auch der Apotheker war. Auf Pergamentblättern entfaltet sich eine 150seitige Sammlung medizinisch-pharmazeutischer Texte.

Medizin als Wissenschaft im Dienste des Nächsten

Der wohl wichtigste Einleitungstext rechtfertigt die Heilkunde gegen Angriffe solcher Christen, die mit der Heilkunst einen Eingriff in den göttlichen Heilsplan ablehnten. Es ist faszinierend, wie der Verfasser aus den biblischen Texten - also mit den Waffen der Gegner - das Recht und auch die Pflicht ableitet, dem Kranken mit den durch den Heiligen Geist gegebenen Kenntnissen und den von Gott geschaffenen Mitteln zu helfen.

Nichts anderes verbirgt sich hier auf vergleichsweise schmucklos gestalteten Pergamentblättern als einer der Schlüsseltexte für die Aneignung antik-heidnischer disciplinae für die eigene christliche Gegenwart, für die Antikenrezeption also, die zu den Charakteristika der sogenannten „karolingischen Renaissance“ gehört, für die Josef Fleckenstein nicht ohne Grund den ihm günstiger erscheinenden Begriff der „karolingischen Bildungsreform“ vorgeschlagen hat. In der Tat ist gerade im letzten Jahrzehnt des achten Jahrhunderts eine besonders intensive Beschäftigung mit den artes, dem spätantiken Bildungskanon, festzustellen, darüberhinaus aber auch mit bis dahin durchaus noch als problematisch empfundenen Wissenschaften (disciplinae), insbesondere also jenen Wissensgebieten, die einem spezifisch christlichen Bildungsauftrag zu widersprechen schienen. Die Beschäftigung mit der Dichtkunst der heidnischen Antike gehörte ebenso dazu wie auch die gelehrte Heilkunde in der Tradition von Hippokrates oder Galenus, die im Sinne eines christlichen Wahrheitsbegriffes als parum verum und somit als nichtig galten. Ja, mehr noch: Der Mensch, der mit dem Anspruch auftrat, Krankheit heilen zu wollen, machte sich geradezu der vermessenen Ursünde der superbia schuldig, indem er gleichsam korrigierend in den Heilsplan Gottes einzugreifen trachtete. Die frühmittelalterliche Hagiographie ist voll von Beispielen für das nutzlose Tun des Arztes - allein Gott weiß den Menschen von seinen Beschwerden zu befreien, denn es ist Gott, der dem infolge der Erbsünde für Krankheit anfälligen und dem Tod geweihten Menschen Krankheit schickt: als Strafe für sündhaftes Tun, als Bewährungsprobe aber auch als Bewahrung vor schuldhaftem Tun. Das Vorwort des Lorscher Arzneibuches schafft nun die Verbindung des nach wie vor gültigen Erklärungsmodells mit der Erkenntnis einer physischen Disposition zum Kranksein, die - mit Hilfe und Zustimmung Gottes - nichts anderes als Hilfe im Sinne christlicher Nächstenliebe fordert. Damit war die Legitimität ärztlichen Tuns begründet und die Beschäftigung mit der antiken Heilkunde gerechtfertigt. Wenn deshalb, so der uns unbekannte Verfasser dieser Zeilen, in den Schriften der Heiden etwas Nützliches entnommen wird, findet man, was oft der Fall ist, gleichsam Gold in einer Dungstätte.

Medizin als Bildungsziel

Im Frühjahr des Jahres 796 scheint der Durchbruch erst ganz kurze Zeit zurückzuliegen: Alkuin, gleichsam der „Bildungsminister“ Karls des Großen, beschreibt in einem Gedicht die von Karl dem Großen in so löblicher Weise in verschiedene Tätigkeitsbereiche (ordines, secta, scholae, agmina) organisierte Hofkapelle und innerhalb derselben auch solche, deren Tun mit Ausbildung zu tun hat bzw. deren Einrichtung sich Alkuin sich wünschen würde: Für die Einrichtung einer „Poetenklasse“ unter dem Patronat Vergils setzt sich Alkuin besonders ein; das emsige Tun der secta Hippocratica, der Ärzte also, freut ihn besonders. Ärztliches Tun am Hof Karls des Großen - und das auch noch im Rahmen der Tätigkeiten der Hofkapelle: das ist sehr auffällig! Ein Kapitular des Herrschers, ausgestellt in Diedenhofen im Jahre 805, fordert Mindestkenntnisse in der Medizin und 819 erwähnt Hrabanus Maurus medizinische Grundkenntnisse in seiner Beschreibung klerikaler Bildungsziele - und Hrabanus war ein Schüler Alkuins. Man sieht also: Am Hof Karls findet eine Neubewertung der Medizin statt (übrigens immer in enger Nachbarschaft zur Poesie), deren Vermittlung bereits dort Teil klerikaler Aufgaben ist; und es sind die Klöster, die dies als Auftrag weiterzutragen haben. Für Fulda unter Hrabanus Maurus gibt es dafür einen literarischen Beleg. Und in Lorsch begegnen wir den wohl am Hofe Karls zum ersten Mal formulierten Grundgedanken der Rechtfertigung der Heilkunde. Man wird also sicherlich sagen können, daß Lorsch zu dem engeren Kreis von Klöstern gehörte, die den Bildungsauftrag der höfischen Zentrale nicht nur aufzunehmen, sondern auch umzusetzen und weiterzugeben hatten. Vielleicht ist das sogar einer der Aufträge gewesen, die sich an das Königskloster Lorsch gerichtet haben?

Teure exotische Drogen durch Heimisches ersetzbar?

Doch zurück zu den anderen Texten des Arzneibuches: Auf die Rechtfertigungsschrift folgt ein in Hexametern gehaltenes Gedicht, das geradezu anmutet, als sei es anläßlich der Kostendämpfungsmaßnahmen im heutigem Gesundheitsbetrieb entstanden. Es folgen ein Fragment des sogenannten Hippokratischen Eids, Pflanzenlisten, mehr als 500 Rezepte für Heilmittel, die zum größten Teil aus der Antike stammen, Vorschriften für vorbeugende Monatstränke und schließlich die Abschrift eines Briefes des griechischen Arztes Anthimus an den Frankenkönig Theuderich über gesunde Ernährung.

Bedeutendster Textteil bleibt aber ohne Zweifel die Rechtfertigung der Heilkunde, die nach Meinung namhafter Wissenschaftler als ein Neubeginn der Medizin, die sich dann im elften Jahrhundert zur vollen Blüte entfaltete, als viele antike Quellen erst auf dem Umweg über die arabische Welt wieder ins Abendland kamen. Aber nicht nur der Wissenschaftler, auch der interessierte Laie, kann sich jetzt ein besseres Bild davon machen, wie die Lage der Kranken, der Krankenpflege, der Mönchsärzte und - Apotheker zur Zeit Karls des Großen war. Er mag dabei schwanken zwischen Staunen, Zweifeln, Fragen; er muß es stets in dem Bewußtsein tun, daß es noch mancher Forschung bedarf, um die Zuverlässigkeit der antiken Überlieferung, die Identifikation von Pflanzen, der Gründe für befremdliche, vielleicht magische Rezeptbestandteile, die Tauglichkeit der Rezepturen, der Interpretation der Krankheitsbilder zu klären. Eine im Frühjahr 2000 an der Universität Würzburg gegründete Forschergruppe „Klostermedizin“ läßt hoffen, daß in überschaubarer Zeit neue Erkenntnisse über den Stand der Medizin in der Karolingerzeit gewonnen werden. Die frühmittelalterlichen Heilmittel kamen hauptsächlich aus dem Reich der Pflanzen: exotischer, mediterraner aber auch damals schon heimischer Pflanzen.

Im Bereich des ehemaligen Klosterfriedhofes nördlich der Basilika dokumentiert ein neu angelegter Kräutergarten die Bedeutung des Lorscher Arzneibuches. Entstanden ist dort ein Schau- und Erlebnisbereich mit ausgesprochen kontemplativem Charakter, mit Blickbeziehungen zum nahen Odenwald ebenso wie zu den erhaltenen baulichen Resten aus klösterlicher Zeit.

Adelheid Platte/Dr. Hermann Schefers

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