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Marokko: Ur- und Frühgeschichte des östlichen Rif

Maroc: Rif Oriental

Seit 1995 unternimmt die KAAK in Nordostmarokko Prospektionen und Grabungen (Provinzen Al Hoçeima, Taza und Nador). Die Arbeiten werden in Kooperation mit dem "Institut National des Sciences de l'Archéologie et du Patrimoine", der marokkanischen Altertümerverwaltung, durchgeführt. Die Feldarbeit des Projektes ist weitgehend abgeschlossen. Neue Entwicklungen im Arbeitsgebiet führen nun dazu, an der Mittelmeerküste ein neues Projekt mit dem Titel "Marokkanisches Küsten-Neolithikum" anzuschließen.

Lokalisierung

Lokalisierung

Deutschland
33° 53' 28.59" N, 3° 28' 14.3796" W

Lage des Arbeitsraumes (c) DAIDer Naturraum: Das Konzessionsgebiet ist annähernd 10 000 Quadratkilometer groß und umfaßt sehr unterschiedliche Lebensräume. Im Westen reicht es bis ins Hohe Rif, im Norden grenzt es an die sehr vielgestaltige Mittelmeerküste, im Süden an die Flußoasen der Moulouya und des Oued Melloulou in einer bereits präsahara-artigen Landschaft. Nach Osten hin löst sich das Rif in einzelne Bergzüge und Ebenen auf. Das Gebiet ist stellenweise dicht besiedelt, vor allem im Umkreis der Provinzhauptstadt Nador, über weite Strecken hinweg dagegen fast menschenleer. Wo keine Industrieansiedlungen existieren, herrscht die pastorale Wirtschaftsform vor, Ackerbau ist in den küstenferneren Zonen bei Niederschlägen um 250mm prekär und mit Risiken behaftet. Neuerdings wird mit fossilem Wasser Irrigation betrieben, vor allem zur Förderung der Olivenkultur. Die einstmals von Garrigue-Vegetation überzogene montane Zone ist heute infolge der Überweidung weitgehend kahl.

Ziele

Der Konzeption des Projekts lag die Überlegung zugrunde, in dieser ans Mittelmeer angrenzenden Zone des Maghreb archäologische Grundlagenforschung zu betreiben mit dem Ziel, ein umfassendes Bild der Kulturabfolge von den frühesten Anfängen bis in die islamische Epoche zu gewinnen. Damit soll eine Grundlage geschaffen werden, um an der Nahtstelle zwischen dem afrikanischen und dem europäischen Kontinent Wechselwirkungen und kulturelle Einflüsse zu erfassen. Weiterhin war der marokkanischen Seite daran gelegen, Forschungen in einer archäologisch weitgehend unbekannten Region des Königreichs zu fördern, ein Wunsch, der im Zusammenhang mit der im vergangenen Jahrzehnt forcierten ökonomischen Entwicklung des marokkanischen Nordens steht. Das Projekt fördert nun gezielt durch Führungen, Ausstellungen und andere Veranstaltungen die kulturelle Identität der über lange Zeit marginalisierten Region.

Forschungsgeschichte

Archäologische Forschungsgeschichte im Maghreb ist immer in engem Zusammenhang mit der politischen Entwicklung des 20. Jahrhunderts zu sehen. Unser Arbeitsgebiet stand zum überwiegenden Teil unter spanischer Herrschaft (Marruecos Español), der Süden zählte zur französischen Zone des Landes. Mangels größerer Städte und einer entsprechenden Infrastruktur ist es vor allem im spanischen Landesteil nicht zu nennenswerter archäologischer Forschung gekommen. Lediglich im östlich angrenzenden Zegzel-Bergland wurde über einen längeren Zeitraum die Höhle von Taforalt untersucht. Abseits der großen Verkehrswege liegen die Stammesgebiete der Rifberber, und die großen Höhlen gelten als Hüter großer verborgener Schätze, was sie bis in die Gegenwart vor dem Zugriff Fremder bewahrt hat. Lediglich in der spanischen Enklave Mellilia und im Mündungsgebiet der Moulouya sind einige Aufsammlungen paläolithischer Geräte vorgenommen und publiziert worden. Parallel zu unserer Unternehmung haben sich in jüngerer Zeit einige Projekte der phönizischen und der frühislamischen Besiedlung des Küstenraumes zugewandt.

Ergebnisse

Faustkeil aus I'Ammorene I, Spät-Acheuléen (c) DAII'Ammorene, Faustkeilfundplätze des Acheuléen (c) DAIDas Projekt hat Ergebnisse zu allen Epochen der Menschheitsgeschichte erbracht. Vorgestellt werden hier nur die wichtigsten Fundplätze. Das Altpaläolithikum repräsentieren umfangreiche Konzentrationen von Acheuléen-Artefakten im Mündungsbereich des Oued Kert nahe der Mittelmeerküste. Eine sehr weitläufige Fundstelle liegt in einer flächigen Erosion, hier konnten Hunderte von Artefakten aufgesammelt werden, die überwiegend einer sehr archaisch erscheinenden Fazies des Acheuléen anzugehören scheinen. Ein anderer Platz, I'Ammorene I, liegt südlich davon an einer Quelle und ist eher an das Ende des Acheuléen zu datieren. Hier finden sich sehr fein gearbeitete Faustkeile von dünnem Querschnitt. Alle Artefakte bestehen aus örtlichen vulkanischen Gesteinen, lediglich ein - möglicherweise ortsfremdes - Hachereau besteht aus Silex. Die Acheuléen-Fundstellen von I'Ammorene sind Gegenstand einer zukünftigen Dissertationsschrift der Universität Tübingen.

Die mittlere Altsteinzeit konnte vor allem in einer ausgedehnten Abri-Grabung erfaßt werden. Das Abri Ifri n'Ammar, malerisch in den Rif-Ausläufern an einem Verbindungsweg zur Moulouya gelegen, wurde in sechs Grabungskampagnen seit 1997 erforscht. Die Grabung ist vorläufig abgeschlossen. Insgesamt ergab sich eine fast 7 Meter messende Stratigraphie, deren untere Hälfte dem Mittelpaläolithikum angehört. Den oberen Abschluß der Sequenz bildet eine fundreiche Atérien-Schicht mit zahlreichen Stielspitzen, gefolgt von einer Schicht mit Moustérien-Charakter. Diese liegt auf mehreren Caliche-Schichten, Kalkkrusten, die die Fläche völlig versiegeln. Darunter fand sich wiederum charakteristisches Atérien, darunter bis zum Felsuntergrund Moustérien. Der obere Abschluß dieser Sequenz ist AMS-datiert auf 40 000 bis 50 000. Der tiefere Bereich wurde inzwischen thermolumineszenzdatiert (an verbranntem Silex, MPA-EVA Leipzig). Eine kleine Serie vorläufiger Daten reicht in stratigraphischer Abfolge von 60 000 bis 130 000/140 000 (unteres Atérien), wobei der unterste halbe Meter noch nicht datiert wurde. Damit ist Ifri n'Ammar der mit weitem Abstand älteste Atérien-Fundplatz Nordafrikas. Auch reines Moustérien wurde an keiner anderen Stelle vergleichbar alt datiert, zumal Hinweise auf ein Moustérien mit Acheul-Traditionen (M.T.A.) fehlen. Insgesamt sind 40 Proben in Bearbeitung, von denen man nun ein völlig neues Bild des nordafrikanischen Mittelpaläolithikums erwarten kann.

Ifri n'Ammar, Grabung in den Atérien-Schichten (c) DAIIfri n'Ammar, Blick vom Selloum-Felsen auf das Abri (c) DAIÜber den mittelpaläolithischen Schichten liegen in Ifri n'Ammar mehrere Meter Ibéromaurusien. Zum Teil handelt es sich um eine Escargotière, ein zu Teilen aus Gehäusen verzehrter Landschnecken aufgebautes Sediment, das außerordentlich fundreich ist. Das Ibéromaurusien der Ifri n'Ammar und zwei weiterer Fundstellen, Ifri el-Baroud und Hassi Oenzga Plein Air, datiert zwischen 18 000 und 7500 v.Chr., eine jüngst erschlossene Stratigraphie im Küstenbereich (vgl. Projekt "Marokkanisches Küstenneolithikum") scheint nun die Lücke zwischen Spät-Ibéromaurusien und Frühneolithikum zu schließen (Mitte 7. bzw. frühes 6. Jahrtausend v.Chr.).

Während des Ibéromaurusiens war das Arbeitsgebiet offenbar dicht besiedelt. Fast alle Höhlen und Abris des Raumes weisen Schichten aus dieser Epoche auf, und kleinere Jagdlager reichen bis hoch in die montane Zone des Rif. An den bedeutenden Fundplätzen wie Ifri n'Ammar scheint es zumindest zu Vorformen der Seßhaftigkeit gekommen zu sein, denn die räumliche Aufteilung des Abris in Werkstatt-, Lebens- und Bestattungsbereich bleibt über einen langen Zeitraum erhalten. Im Ibéromaurusien der Ammar sind zudem die ältesten Malereispuren Nordafrikas gesichert. Sie wurden bereits zwischen dem 13. und dem 10. Jahrtausend durch Kulturschichten versiegelt. Im Bereich der Malereispuren fanden sich mehrere Bestattungen, meist von Kleinkindern, in einem Falle allerdings von einem erwachsenen Mann. Die Menschenreste werden gegenwärtig auf ihre DNA untersucht. Die Steinindustrie des Ibéromaurusien basiert auf Lamellen, besonders häufig sind Rückenspitzen, die zu Kompositgeräten verarbeitet wurden. Daneben erscheint eine reiche Knochenindustrie, Schmuck aus marinen Muscheln, Fossilien und eine Reihe verzierter Objekte aus Knochen.

Stielspitzen des oberen Atérien (c) DAIAbnahme von Lackprofilen in Ifri n'Ammar (c) DAIIm anschließenden Neolithikum ist der Lebensraum stark eingeschränkt, nur wenige Fundplätze in der Nähe von Quellen gehören dieser Epoche an. Einer davon, das kleine Abri von Hassi Ouenzga (die "Gazellenquelle"), erbrachte eine bedeutende Stratigraphie, deren älteste Schicht noch vor der Mitte des 6. vorchristlichen Jahrtausends liegt. Auf sehr engem Raum konnten hier Schichten des Alt- und Mittelneolithikums gesichert werden. Vereinzelte Scherben bezeugen ferner die Anwesenheit der Glockenbecherkultur. Die bereits sehr hohen Daten der ältesten Schicht werden inzwischen von neu entdeckten Fundplätzen des Küstenbereichs deutlich übertroffen und weisen dem östlichen Rif eine bedeutende Rolle bei der Neolithisierung des Maghreb zu (vgl. Projekt "Marokkanisches Küsten-Neolithikum"). Das Altneolithikum des Arbeitsraumes zeigt sehr weiträumige Beziehungen von der Meerenge bis in das algerische Oranais, der zumindest überwiegend auf Jagd basierende wirtschaftliche Hintergrund der altneolithischen Bewohner hat offensichtlich zu großer Mobilität beigetragen.

Das umfassende Bild der steinzeitlichen Entwicklung, das im Rahmen des Projekts gewonnen werden konnte, läßt sich leider nicht auf die anschließende "Protohistoire" übertragen, d.h. auf die nachsteinzeitlichen Perioden bis zur Antike bzw. Islamisierung. Zwar konnten mehrere hundert Grabhügel unterschiedlicher Größe und Form kartiert werden, jedoch fehlen die Siedlungen dieser Zeit. Mehrere Grabhügel wurden ausgegraben und lieferten interessante Ergebnisse zum Grabritus und zum Hügelaufbau, jedoch kaum je eine Beigabe. Die meisten Hügel sind beraubt und nachträglich wieder instandgesetzt. Die Siedlungen der Protohistoire sind ohne Zweifel ephemer und entsprechen der wohl überwiegend nomadischen Lebensweise der nachneolithischen Bevölkerung. Wahrscheinlich liegen Formen von Almwirtschaft vor, denn in der montanen Zone finden sich häufig Bauten in Trockenmauerwerk, manchmal in Verbindung mit Grabhügel, in der Regel jedoch ohne Sediment und Funde. Im Küstenbereich finden sich gelegentlich Felskammergräber nicht näher präzisierbarer Zeitstellung.

Bestattung des Ibéromaurusien (c) DAIMuschelschmuck des Atérien. Ältester Schmuck der Menschheitsgeschichte. (c) DAIDie Ergebnisse des Projekts "Préhistoire et Protohistoire du Rif Oriental Marocain" befinden sich im Aufarbeitungs- und Publikationsstadium. Der aus dem Projekt hervorgegangene Arbeitsbereich "Marokkanisches Küsten-Neolithikum" beginnt nach 2006 unternommenen anfänglichen Untersuchungen seine Feldarbeiten 2007. 

Höhle Ifri el-Baroud, Fundplatz des Ibéromaurusien (c) DAI Hassi Ouenzga, Epipaläolithische Escargotière und neolithisches Abri (c) DAI Vorgeschichtliches Felskammergrab (Hanout) (c) DAI

Kooperation

Institut National des Sciences de l'Archéologie et du Patrimoine (Rabat, Marokko, A. Mikdad).
Institut Jacques Monod CNRS Paris (Paläo-DNA, E. Geigl).
AMS- und C14-Labore Berlin, Erlangen, Heidelberg, Kiel, Temara, Utrecht.
Max Planck Institut für Evolutionäre Anthropologie Leipzig (TL-Datierung, D. Richter).
Museum Alexander König Bonn (Fauna, R. Hutterer).
Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Erlangen (Sedimentologie, L. Reisch). 

Further Contact Partners

Abdeslam Mikdad

Institut National des Sciences de l'Archéologie et du Patrimoine
1, rue Ghandi, MA - Rabat, Maroc
Tel. ++212 - 37 750961
Fax ++212 - 37 209400
mikdad5@hotmail.com

Bibliographie

in Auswahl:
A. Mikdad, AVA-Beiträge 17, 1997, 169ff.;
J. Eiwanger, A. Mikdad und Mitarbeiter, AVA-Beiträge 20, 2000, 109ff.;
J. Moser, La Grotte d'Ifri n'Ammar, Tome 1, L'Ibéromaurusien, AVA-Forschungen Bd. 8, 2003;
A. Mikdad, J. Moser, M. Nami, J. Eiwanger, AVA-Beiträge 24, 2004, 125ff.;
J. Eiwanger, R. Hutterer, AVA-Beiträge 24, 2004, 139ff.;
J. Linstädter, Zum Frühneolithikum des westlichen Mittelmeerraums - Die Keramik der Fundstelle Hassi Ouenzga, AVA-Forschungen Bd. 9, 2004;
J. Eiwanger, in : Expeditionen in vergessene Welten - 25 Jahre Archäologische Forschungen in Afrika, Amerika und Asien, AVA-Forschungen Bd. 10, 2004.

Kontakt

Das Deutsche Archäologische Institut (DAI) ist eine wissenschaftliche Einrichtung, die als Bundesanstalt zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts gehört. Das Institut mit Zentrale in Berlin und mehreren Kommissionen und Abteilungen im In- und Ausland führt archäologische Ausgrabungen und Forschungen durch und pflegt Kontakte zur internationalen Wissenschaft.
Das Institut veranstaltet wissenschaftliche Kongresse, Kolloquien und Führungen und informiert die Öffentlichkeit über seine Arbeit.  

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