Rezension Andrea Stoll Ingeborg Bachmann
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Icon   Andrea Stoll: „Ingeborg Bachmann"

„Es ist eine seltsame, absonderliche Art zu existieren“

Birgit Güll • Thu Oct 17 00:00:00 CEST 2013

C. Bertelsmann
(Foto: C. Bertelsmann)

Ingeborg Bachmann war bereits zu Lebzeiten eine gefeierte Dichterin. Wie steinig ihr Weg zum literarischen Ruhm war, zeigt Andrea Stoll in ihrer Biografie „Der dunkle Glanz der Freiheit“, die zum Bachmanns 40. Todestag am 17. Oktober vorliegt.

„Ich werde studieren, arbeiten, schreiben!“, notiert die 18-jährige Ingeborg Bachmann 1945 in ihr Tagebuch. Der Krieg ist vorbei, die junge Österreicherin hat ihn überlebt und drängt nun an die Universität. Sie wird ihre Heimatstadt Klagenfurt verlassen. „Natürlich will ich fort, aber damit ich studieren kann, und ich will überhaupt nicht heiraten“, schreibt sie in ihr Tagebuch. In Wien wird sie Philosophie, Germanistik und Psychologie studieren, 1950 mit einer Doktorarbeit über Martin Heidegger abschließen.

Zu diesem Zeitpunk waren bereits erste Gedichte von Bachmann in Zeitungen veröffentlicht worden. Sie pflegt Umgang mit den Wiener Literaten der Zeit, hat ein Netzwerk aufgebaut und weiß es zu nutzen. Bachmanns hoher Bildungsgrad ist ungewöhnlich für eine Frau ihrer Zeit. So habe der österreichische Schriftsteller Heimito von Doderer stets von „dem Bachmann“ gesprochen, erklärt Stoll, die den 2008 erschienenen Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan mitherausgegeben hat.

Absage an traditionelle Dichtung

In ihrer Bachmann-Biografie zeigt Stoll eine Frau, die konsequent ihr Ziel verfolgt, als freie Schriftstellerin zu leben. Vorbilder habe es für 1926 Geborene kaum gegeben. Die Gesellschaft und erste recht die Literatur der Nachkriegszeit ist männlich dominiert. Freundinnen wie Ilse Aichinger oder Marie Luise Kaschnitz lebten im Familienverband. Bachmann wird ein Leben lang unverheiratet bleiben.

Ihre Lyrik und ihre Prosa sind geprägt von ihrer Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. „Aus dem Wissen um die Beschädigung der kulturellen Tradition durch die nationalsozialistische Herrschaft legitimierte Bachmann ihre Absage an traditionelle Dichtungskonzeptionen“, schreibt Stoll. Die Schriftstellerin wendet sich ab vom Realismus der Zeit. Die Biografin beschreibt Bachmanns Ringen um Sprache und ihre harte Arbeit an den eigenen Texten, an die sie die höchsten Ansprüche legt.

Unermüdliche Netzwerkerin

Sie zeigt Bachmann nicht als entrückte Diva, sondern als unermüdlich Arbeitende, die an der Schreibmaschine kämpft und auf unzähligen, ermüdenden Reisen ihre literarischen Netzwerke ebenso pflegt wie den Austausch mit den Schriftstellern und Philosophen ihrer Zeit.

Bachmann wird die Welt in Wien schnell zu eng. Sie streckt ihre Fühler nach Deutschland aus. 1952 wird sie zum 10. Treffen der Gruppe 47 eingeladen. Im gleichen Jahr erscheint ihr erster Gedichtband „Mohn und Gedächtnis“. 1954 ist sie auf dem Cover des „Spiegel“. Sie ist berühmt, was nicht heißt, dass die „hundertfache Hydra Armut“ ihr nicht das Leben schwer macht. Doch sie ist nun eine Person des öffentlichen Lebens. Ihre Meinung ist gefragt, ihr Privatleben steht unter Beobachtung. Ihr politisches Engagement – etwa gegen den Vietnamkrieg – ebenso wie ihr Liebesleben. Die gescheiterte Beziehung zu dem Schriftsteller Max Frisch, die sie in eine tiefe Krise stürzt, bleibt der Öffentlichkeit nicht verborgen.

Vielschichtige Darstellung

„Es ist eine seltsame, absonderliche Art zu existieren, asozial, einsam, verdammt, es ist etwas verdammt daran, und nur das Veröffentlichte, die Bücher, werden sozial, assoziierbar, finden einen Weg zu einem Du, mit der verzweifelt gesuchten und manchmal gewonnenen Wirklichkeit“, formulierte Bachmann 1972 anlässlich der Verleihung des Anton-Wildgans-Preises. In der Nacht vom 25. auf den 26. September 1973 hat Ingeborg Bachmann sich bei einem Brandunfall in ihrer Wohnung in Rom schwer verletzt. Drei Wochen später, am 17. Oktober, stirbt sie 47-jährig an den Folgen.

Andrea Stolls lesenswerte Bachmann-Darstellung ist eine vielschichtige Biografie. Ihre Gespräche mit Bachmanns Geschwistern eröffnen einen weiteren Blickwinkel auf die Schriftstellerin. Vor allem aber zeigt eine junge Frau, die um die männlichen Machtstrukturen ihrer Zeit wusste – und sie deshalb für sich nutzen konnte. Wie viel Kraft das gekostet hat, ist wohl kaum zu ermessen.

Andrea Stoll: „Ingeborg Bachmann. Der dunkle Glanz der Freiheit. Biografie“, C. Bertelsmann, München 2013, 381 Seiten, 22,99 Euro, ISBN 978-3-570-10123-0