Annäherung zwischen den USA und Russland
Vorwärts

Übersicht

Icon   Syrien

Annäherung in kleinen Schritten

Jörg Armbruster • Fri Oct 04 00:00:00 CEST 2013

John Kerry und Sergej Lawrow
Arbeiten am gemeinsamen Syrien-Projekt: der amerikanische Außenminister John Kerry (l.) und sein russischer Kollege Sergej Lawrow bei einer Pressekonferenz am 14. September. (Foto: dpa/Larry Downing)

Die Schritte, die jetzt gegangen werden, sind nicht übermäßig groß, weisen aber in eine wichtige Richtung. Dass die USA und Russland bei der Syrien-Resolution im UNO-Sicherheitsrat aufeinander zugegangen sind, ist schon ein Fortschritt nach zweieinhalb Jahren russischer Blockadepolitik. Bei näherer Betrachtung jedoch keiner, der Anlass zu Freudensprüngen gibt.

Letztendlich mussten die Amerikaner eine längere Strecke zurücklegen als die Russen. Die Verhandlungen, zunächst in Genf und dann in New York, waren eine Stolperstrecke immer am Rande des Scheiterns. Am Ende hat der amerikanische Außenminister nur wenig von dem bekommen, was er ursprünglich hatte durchsetzen wollen.

Weder darf die UNO einen Verantwortlichen für den Giftgaseinsatz benennen. Nach Meinung der Amerikaner kann es aber nur Assad gewesen sein, die Russen beschuldigen immer noch die Rebellen. Außerdem  sieht die Resolution keinen Strafmechanismus vor, der automatisch in Kraft tritt, wenn Assad tricksen und täuschen sollte. Die USA wollten diese Klarheiten in die Resolution geschrieben sehen, mussten aber zurückstecken. Russland hätte sonst womöglich die gesamten Verhandlungen platzen lassen. Wenn nun Assad nicht mitspielt bei der Zerstörung seiner Chemiewaffen, kann Russland im Sicherheitsrat erneut jede Strafaktion verhindern.

Inventur in den Giftgasdepots

Immerhin: Das Ziel ist, Syrien bis Mitte 2014 Chemiewaffen frei zu machen. Die Inspektoren der Organisation zum Verbot von Chemiewaffen (OPCW) haben am vergangenen Dienstag mit kleiner Delegation ihre Arbeit in Syrien aufgenommen. Bis Ende Oktober wollen sie eine Inventur in den Giftgasdepots gemacht haben. Keine leichte Arbeit mitten in einem Bürgerkrieg mit unklaren und täglich wechselnden Frontverläufen, zumal laut „Wall Street Journal“ diese Monsterwaffen im ganzen Land auf über fünfzig Standorte verteilt sein sollen.

Immerhin hat Assad Kooperation zugesagt: "Wir sind dem internationalen Abkommen gegen den Erwerb und den Einsatz von Chemiewaffen bereits beigetreten, bevor diese Resolution verabschiedet wurde", antwortete der syrische Präsident einem italienischen Fernsehsender – so als habe sich Syrien für diese Abrüstung aus besserer Einsicht entschieden und nicht auf Druck der USA.

Ob allerdings alle Rebellengruppen die Arbeit der OPCW-Inspektoren respektieren werden, ist eher zweifelhaft. Die sind enttäuscht, dass sich die USA noch nicht einmal zu einem kleinen Militärschlag gegen Stellung der Syrischen Armee haben durchringen können. Dieser wäre sicherlich nicht kriegsentscheidend gewesen, hätte ihnen aber eine Atempause verschafft.

Russland als Sieger, die Rebellen als Verlierer

Wer also sind die Sieger dieses vom russischen Außenminister angestoßenen Deals? Zweifellos Russland, das durch elegante Diplomatie wieder erstarkt ist und sich zum unentbehrlichen Partner gemacht hat. Ab jetzt gilt erst recht: Ohne Assads Schutzmacht Russland gibt es keine Lösung in Syrien!  Obama, politisch zwar ziemlich zerzaust, konnte immerhin das Gesicht wahren und auf den ohnehin nicht geliebten Militärschlag verzichten.

Assad ist noch einmal davon gekommen und kann sich ab sofort ganz auf seine konventionellen Waffen stützen. Nachschubsorgen muss er sich nicht machen. Ob er sich allerdings in Zukunft auf seinen zweiten Bündnispartner Iran noch wirklich verlassen kann, ist unklar. Aus Teheran kommen ganz neue  Töne. Irans Präsident Rohani hat angedeutet, dass er sich ein Syrien auch ohne Assad vorstellen könnte.

Verlierer sind die in sich völlig zerstrittenen Rebellen. Mitglieder des Oppositionsbündnisses, der Nationalen Syrischen Koalition, werfen dem Westen vor, durch die UN-Resolution Assad eine Lizenz zum Töten mit konventionellen Waffen verschafft zu haben. Nicht ganz zu unrecht. Über 1000 Syrer sind durch Chemiewaffen in diesem Krieg gestorben, über 100 000 durch konventionelle Waffen. Und da die Waffenlager Assads bestens gefüllt sind, kann er diesen Krieg noch lange fortsetzen. Sollte die Munition ausgehen, wird Russland sicherlich bereitwillig nachliefern.

So gesehen kann das syrische Regime gut und gerne auf seine Chemiewaffen verzichten, zumal ein erneuter Einsatz eine unvergleichlich härtere Reaktion der USA provoziert hätte. Denn noch einmal hätte sich Obama seine Wackelpolitik nicht leisten können.

Gemeinsames Syrien-Projekt

Die USA und Russland versuchen sich zum ersten Mal an einem gemeinsamen Syrienprojekt, der Zerstörung von Assads Chemiewaffen. Damit hätte angesichts der Sprachlosigkeit zwischen Putin und Obama auf dem G20-Gipfel in Petersburg am 5. September niemand gerechnet.  Und die UNO-Resolution 2118 verpflichtet sie sogar zu einem zweiten gemeinsamen Projekt. Sie fordert alle an dem Konflikt beteiligten auf sich „ernsthaft und konstruktiv“ an dessen Lösung zu beteiligen.

Im November soll nun die Genf2-Konferenz stattfinden mit den USA und Russland als wichtigsten Teilnehmern. Diese beiden Großmächte sind als Paten und Waffenlieferanten der Kriegsparteien vermutlich die einzigen, die wirklich Druck ausüben können auf Unterstützerländer wie Katar oder Saudi Arabien auf der einen Seite oder Assad auf der anderen.  Iran wird bei der neuen Genf-Konferenz mit am Tisch sitzen müssen anders als vor einem Jahr. Damals hatte Obama die Teilnahme der Mullahs verhindert. Katar und Saudi Arabien hatten ihm Beifall geklatscht.  Doch auch im Fall des Iran gilt: ohne den Mullahstaat keine Lösung in Syrien.

Die zwei Seiten des Verhandlungstischs

Wie könnte dieser runde Tisch in Genf aussehen am ersten Verhandlungstag, wenn er denn kommt? Etwa so: Auf der einen Seite ein geschlossener Block aus iranischen Delegierten, Vertretern des Assad-Regimes und dem russischen Außenminister. Alle tuscheln freundlich miteinander. Man ist sich ziemlich einig.

Ganz anders auf der Gegenseite des Tischs. Der amerikanische Außenminister sitzt da und versucht sich mit seiner EU-Kollegin abzustimmen. Sehr freundlich und bestimmt Dann aber wird es laut. Djihadistische Delegierte aus Nordsyrien beschimpfen gemäßigte als Ungläubige und Religionsverräter, Assad-Gegner aus Syrien beleidigen die aus dem Exil als Luxusoppositionelle, die eigentlich in Genf nichts zu suchen hätten.

Diese Zerstrittenheit der Opposition ist eines der größten Hindernisse auf dem Weg zu einer politischen Lösung. Allerdings gibt da auch noch: die Uneinsichtigkeit  Assads, die Sturheit Russlands und die Schwäche der USA. Genf 2 wird nicht die letzte Konferenz sein.