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Verfassungskomitee in Ägypten stimmt über umstrittenen Neuentwurf ab

Abstimmung über die Verfassung in Ägypten

Die neuen "Freiheiten" - aus Sicht der Islamisten

Noch ist die Lesung der neuen ägyptischen Verfassung nicht abgeschlossen. Doch die Verfassungskommission hat die Mehrheit der Artikel bereits abgenickt. Weil sie die Bezüge des Staates zur Religion klären sollen, sind sie bei der Opposition, bei Menschenrechtlern und christlichen Ägyptern besonders umstritten.

Von Björn Blaschke, ARD-Hörfunkstudio Kairo

Obwohl noch nicht alle Artikel des neuen Verfassungsentwurfes von der Verfassungskommission abgesegnet wurden, sind es doch schon einige. Und für die hagelte es Kritik. Menschenrechtler monieren, dass am Anfang nicht die Grundrechte der Ägypter festgeschrieben werden sollen - die Freiheiten.

Stattdessen ist der erste Artikel eine Einschränkung. Da heißt es nämlich, dass Ägypten zur "arabischen und islamischen" Gemeinschaft gehöre. Im Umkehrschluss bedeutet das eine Ausgrenzung der Christen, von denen in Ägypten - je nach Schätzung - zwischen sechs und zehn Millionen leben.

Abdel-Maabud: Alle Bürger sind vor dem Gesetz gleich

Von Ausgrenzung könne keine Rede sein, sagt Salah Abdel-Maabud, der für die salafistische Nur-Partei in der Verfassungskommission sitzt: "Wir Ägypter - Ägypten - gehört von Natur aus zur islamischen Gemeinschaft. Aber das schließt keine andere Religion aus!"

Verfassungskomitee in Ägypten stimmt über umstrittenen Neuentwurf ab
tagesthemen 22:15 Uhr, 29.11.2012, Stefan Maier, ARD Kairo

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Und er erklärt: "Wir sprechen später über die Freiheiten. Da heißt es, dass alle Ägypter gleich sind, dass es keinen Unterschied gibt zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen. Und ich möchte sagen, dass der Verfassungsentwurf in seiner Gesamtheit alles umfasst. Möglicherweise gibt es in dem Entwurf einen Artikel, der etwas ´anreißt´, dann vervollständigt jedoch ein anderer Artikel den Gesamtsinn. Wenn wir beispielsweise auf die Freiheitsrechte gucken, besagen die, dass all unsere Bürger vor dem Gesetz gleich sind - unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Sprache, Religion…"

Raum für Interpretationen

Trotzdem meinen Kritiker, dass Artikel zwei die Gefahr der Diskriminierung von Frauen berge. Denn dort steht: "Die Grundsätze der Scharia, also des islamischen Rechts sind die Hauptquelle der Gesetzgebung." 'Die Grundsätze' - dieses Wort ist ein Kompromiss, den die Salafisten eingehen mussten; sie hatten ursprünglich verankert sehen wollen, dass die Scharia die Quelle des ägyptischen Rechts wird.

Nun sollen es also ihre Prinzipien sein, was eine zeitgemäße Auslegung erlaubt. Trotzdem: Auch die Grundlagen der Scharia bieten immer noch einen großen Interpretationsspielraum. Ebenso der Artikel zehn, in dem es heißt, dass die Familie an sich "gegründet ist auf Religion, Ethik und Patriotismus". Was heißt das praktisch? Soll nach Meinung von Abdel-Maabud eine Frau in Ägypten arbeiten dürfen? "Sie kann arbeiten. Mit der Erlaubnis ihres Mannes. Denn er ist dazu verpflichtet, sie zu versorgen."

Das Gesetz ist Gesetz

Mitglieder des Verfassungskomitees diskutieren über neuen Entwurf
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Mitglieder des Verfassungskomitees diskutieren über neuen Entwurf

Und wann sollen die Ägypter heiraten dürfen? Insbesondere Frauen? Bislang dürfen sie das erst, wenn sie 18 Jahre alt sind. Könnte sich das durch ein neues Gesetz ändern? "Das ist grundsätzlich eine Frage des Naturgesetzes; etwas Menschliches. Wenn das Mädchen in die Pubertät kommt, kann es heiraten. Aber das wird durch ein Gesetz geregelt und wir halten uns an das Gesetz. Ich stehe auf Seiten des Gesetzes und wenn das Heiratsalter auf vierzehn gesenkt wird, auch", erklärt Abdel-Maabud.

Zomor: Kopftuch tragen ist eine persönliche Entscheidung

Tarek al-Zomor gehört zur Gamat Islamiya; einer Islamisten-Vereinigung, die ihre Ziele einst mit Gewalt durchsetzen wollte. So saß Zomor 30 Jahre lang im Gefängnis, weil er Anfang der 80er-Jahre den Mord am damaligen Präsidenten Anwar al-Sadat mit geplant hatte. Heute haben er und seine Organisation dem Terror abgeschworen; Zomor ist Sprecher der islamistischen Partei "Bau und Entwicklung" - einer Verfechterin der Scharia. Und Zomor spricht sich dafür aus, dass künftig alle Frauen in Ägypten ein Kopftuch tragen: "Das ist eine persönliche Entscheidung - wir werden niemanden dazu zwingen. Aber wir werden alles dafür tun, die Frauen davon zu überzeugen, dass sie den Schleier anlegen."

Islamisten wollen Verfassung im Eilverfahren durchdrücken
B. Blaschke, ARD Kairo
29.11.2012 12:31 Uhr

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Die Azhar - höchste religiöse Instanz Ägyptens

In Zweifelsfragen muss künftig die Azhar entscheiden, die höchste religiöse Instanz Ägyptens. Genau das sieht der Verfassungsentwurf vor: "Der Rat der ältesten Azhar-Gelehrten muss konsultiert werden bei Fragen, die die Scharia betreffen" - also das islamische Recht. Das dürfte Ägyptens Verfassungsrichter weiter aufbringen, weil dieser Artikel bedeutet, dass sie bei Fragen, die in irgendeiner Weise religiös sind, nicht angerufen werden - sondern Religionsgelehrte.

Ägyptens Präsident Mohammed Mursi
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Ägyptens Präsident Mohammed Mursi: Abstimmung im Eilverfahren

Kritiker sehen darin die Gefahr, dass sich Ägypten in Richtung Gottesstaat entwickelt, denn religiös wird hier vieles gesehen. Noch besetzen viele Männer, die schon zu Zeiten von Präsident Hosni Mubarak berufen wurden, die hohen Ämter der Azhar; früher waren sie sozusagen Regime-treue religiöse Gegenspieler der Muslim-Brüder und der Salafisten. Das heißt, dass sie zumindest theoretisch eher gegen die Islamisten sind. Für die, die heute in Ägypten bestimmen, ist das kein Problem. So sagt Zomor: "Es wird Zeit brauchen; Zeit bis die Richter all die Fähigkeiten besitzen."

Wenn der Verfassungsentwurf dem Volk zur Abstimmung vorgelegt wird, besteht die Möglichkeit, dass er abgelehnt wird - vielleicht weil der Entwurf der Mehrheit der Ägypter zu religiös ist. Zomor, der Ex-Terrorist, sagt, dass er das hinnehmen würde: "Selbstverständlich. Aber ich denke nicht, dass das ägyptische Volk die Scharia ablehnen wird."

Stand: 29.11.2012 21:15 Uhr

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