Zur Herkunft der kanadischen
Inuit gilt heute als sicher, daß ihre Vorfahren
aus Asien stammten. Wahrscheinlich sind sie erst nach
der letzten Eiszeit über eine zwischen den beiden
Kontinenten bestehende Landverbindung nach Nordamerika
in das Gebiet des heutigen Alaska gezogen – lange
nach den Indianern, die Nordamerika weiter südlich
besiedelten.
Diese Paläo-Eskimos jagten zunächst wohl nur
auf dem Land. Je weiter sie jedoch den Norden des amerikanischen
Kontinents besiedelten, desto mehr paßten sie
sich den Lebensbedingungen des Küstenlandes an
und begannen, Meeressäuger (Robben und Walrosse,
später auch Wale) zu jagen.
In ihrem Kern dürfte die traditionelle Kultur der
heutigen Inuit wohl auf diese Jagdgewohnheiten zurückzuführen
sein. Denn noch immer fußt ihr gesamtes soziales
Leben auf dieser Jagdkultur mit der Familie als Grundlage.
Da zum Jagen größere Gemeinschaften notwendig
waren, schlossen sich überwiegend verwandte Familien
zu Familienverbänden in gemeinsamen Camps zusammen.
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bestanden
noch etwa 700 derartiger Familienverbände, die
über den kanadischen Norden verstreut lebten.
Das Überleben unter den Bedingungen der Arktis
war nur möglich, weil die Inuit über außergewöhnliche
Anpassungsfähigkeit verfügten, eine Eigenschaft,
die ihnen auch heute immer wieder zugute kommt. In den
wildreichen Landgebieten westlich der Hudson Bay versorgten
sie sich nahezu ausschließlich durch die Karibujagd
und durch Fischen in Flüssen und Seen. In allen
Küstenregionen bildeten dagegen Meeressäuger
und Meeresfische die wesentliche Nahrungsquelle der
dort lebenden Inuit.
Ursprünglich hielten sich die Inuit für die
einzigen Menschen auf der Erde, da sie jahrhundertelang
in nahezu vollständiger Isolation lebten. Sieht
man von wenigen gelegentlichen Kontakten mit den ersten
europäischen Forschungsreisenden ab, kamen die
Inuit erst im frühen 19. Jahrhundert mit Europäern
in Berührung – mit Forschern auf der Suche
nach der Nordwestpassage und vor allem mit Walfängern.
Bald danach tauchten auch Pelzhändler im Norden
auf. Da Felle und Pelze schon immer für die Inuit
eine bedeutende Rolle spielten, war ihnen das Fallenstellen
ebenso wichtig wie die Jagd. Mit der wachsenden Bedeutung
des Pelzhandels intensivierten sich deshalb die Beziehungen
zur Außenwelt.
Während des Zweiten Weltkriegs und in den Folgejahren
verstärkte der kanadische Staat seine Präsenz
im Norden des Landes. Flugplätze, Wetter- und Militärstationen
wurden errichtet, die staatliche Verwaltung ausgebaut
und auch die Erschließung von Bodenschätzen
in Angriff genommen. Mit dem Abbau von Erdöl-,
Erdgas- und Mineralien-Lagerstätten kamen immer
mehr Menschen aus dem kanadischen Süden in die
Arktis.
Die immer engere Berührung mit den Inuit ließ
die kanadische Regierung bald die Notwendigkeit erkennen,
eine breite medizinische Versorgung, Schul- und Bildungssysteme
sowie soziale Einrichtungen aufzubauen. Dies und nicht
zuletzt auch der Rückgang von jagdbarem Wild und
daraus resultierender Nahrungsmangel führten dazu,
daß die Inuit nach und nach in die neu entstehenden
Siedlungen mit Gesundheitszentren, Schulen, Supermärkten,
Kirchen und Verwaltungsstellen zogen.
Kanadas Inuit haben
ungewöhnlich flexibel teils durch Widerstand und
teils durch Anpassung auf die Konfrontation mit der
völlig andersartigen Kultur der Weißen aus
dem Süden reagiert. Dabei haben sie nie ihre traditionellen
Werte oder das Bestreben aufgegeben, eigenständig
und unabhängig zu bleiben.
Abriß
der Geschichte der Inuit