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Landeanflug wie auf einem Flugzeugträger

Luftfahrt: Wenn das Risiko steigt, müssen die Könner ran

VDI nachrichten 21.07.2000, S. 03

Von Frank Littek

Selbst ein Urlaubsflug kann ein kleines Abenteuer sein – wenn man nach Funchal auf Madeira unterwegs ist. Der Flughafen gilt noch immer als einer der schwierigsten der Welt.

Argwöhnisch lässt Flugkapitän Friedrich Keppler seine Augen über die Wellen des Atlantik schweifen. Vom Cockpit seines jetzt gut 119 t schweren Airbus A 310-300 beobachtet er die kleinen Schaumkronen auf den Wogen. Wind aus nördlicher Richtung mit einer Stärke von 15 km/h bis 20 km/h hatten die Wetterfrösche im fernen Hannover vorhergesagt. Aber die Dünung ist ruhig, so ruhig wie der Flug bisher. 246 Passagiere bringen Keppler und seine Crew auf die Urlaubsinsel Madeira. Ein Ferienflug wie jeder andere? Nicht ganz.
Rechts vor dem Flugzeug brechen sich die Wellen an den schroffen Felsen einer Insel. "Vier", ruft Copilot Hans-Jürgen Rudolph aus, gibt damit die Entfernung zur Landebahn an, da taucht sie auch schon im Cockpitfenster auf. "Ist in Sicht", bestätigt Kapitän Keppler, und weist mit dem Finger auf einen von hier oben erschreckend schmalen Streifen zwischen Wasser und Felsen: die Landebahn des Flughafens Funchal auf Madeira.
Deutlich sind von hier oben auch die Stelzen zu erkennen, auf denen die Landebahn derzeit ins Meer hinaus verlängert wird. Die Runway liegt jetzt parallel zum Airbus und taucht im rechten Fenster des Cockpit auf. Mit ihren grauen Betonpfeilern wirkt sie, als hätte ein Riese sie an die Felsen direkt über das Meer geklebt. Um zu landen, fliegt die Maschine an der Piste vorbei, sinkt dabei stetig und muss dann eine scharfe Rechtskurve einleiten, an deren Ende die Landebahn unmittelbar vor dem Flugzeug liegen sollte.
Kein leichtes Unterfangen. Erst wenige Wochen zuvor hatten eine ganze Reihe von Flugzeugen bei extrem schlechtem Wetter den Anflug nach mehreren erfolglosen Versuchen abbrechen müssen. Dem Airbus von Hapag-Lloyd mit Kepplers Team war es im dritten Versuch sicher gelungen. "Das Wetter war mit uns", kommentiert Keppler, "Risiken werden hier nicht eingegangen".
Jetzt konzentriert er sich wieder auf einen neuen Anflug, wenn auch heute das Wetter besser ist. Die Maschine befindet sich nun exakt vier nautische Meilen von dem Funkfeuer Funchal entfernt. An dieser Stelle, die der Copilot Rudolph durch Zuruf anzeigt, muss die Besatzung Sichtkontakt zur Landebahn des Flughafens haben – ansonsten müsste Keppler den Anflug jetzt abbrechen: Vier Meilen Sicht sind das mindeste.
Diese Hürde ist genommen, das Flugzeug sinkt weiter – der Endanflug auf einen der gefährlichsten Flughäfen der Welt beginnt.
Rund 600 000 Urlauber kommen im Jahr nach Madeira, zumeist mit dem Flugzeug. Fast alle deutschen Charterlinien fliegen Funchal regelmäßig an, auch Hapag-Lloyd, Kepplers Arbeitgeber. Sie alle lassen beim Flug nach Madeira nur ihre besten Piloten ins Cockpit, oft "Check-Kapitäne", Flugzeugführer, die wieder andere Piloten ausbilden.
Was den Piloten hier am meisten Kopfzerbrechen bereitet, sind unkalkulierbare Fallwinde, die von den nahen Bergen kommen. Zusammen mit unberechenbaren Böen aus bestimmten Richtungen, sog. Sektorwinden, und Turbulenzen machen es den Piloten schwer, die Flugzeuge präzise auf dem optimalen Aufsetzpunkt zu landen. Bisweilen wird der Anflug durch tiefhängende Wolken und damit ausgesprochen schlechter Sicht zusätzlich erschwert.
Nur Kapitäne, keine Copiloten, dürfen Funchal anfliegen. Das schreibt die portugiesische Luftfahrtbehörde vor. Neulinge müssen ein spezielles Training absolvieren –Theorie, Simulatorflüge, vor allem aber vor Ort reale Starts mit Triebwerksausfall, Landung, Go-Around. Nicht selten gehen die jungen Piloten an Bord wieder in die Luft und üben, während die Urlauber schon ihre Koffer auspacken.
Und mindestens alle sechs Monate müssen die Kapitäne in Madeira landen, sonst verlieren sie ihre Landeberechtigung und müssen von vorn anfangen.
Im Cockpit ist jetzt die Konzentration zu spüren. "Flaps 15", ordnet Kapitän Keppler an und Hans-Jürgen Rudolph zieht den Schalter für die Klappen der Mittelkonsole etwas zurück. Ein leichtes Vibrieren läuft durch das Flugzeug, als die Auftriebshilfen an der Rückseite der Tragflächen ausfahren.
Wenig später werden die Klappen auf 20 Grad, dann auf 30 Grad gesetzt. Der Autopilot ist jetzt ausgeschaltet. Keppler fliegt die Maschine von Hand. Sein Blick gleitet suchend nach rechts aus dem Cockpitfenster, während er mit ruhiger Hand das Flugzeug dirigiert.
"Dort drüben", bemerkt Rudolph trocken, "Waypoint Gelo". Keppler hat sie im gleichen Moment gesehen, die ehemalige Eisfabrik an der Küste von Madeira. Das Gebäude, ein grauer Kasten, in den Flugkarten als "Waypoint Gelo" vermerkt, ist ein wesentlicher optischer Bezugspunkt für den Landeanflug auf Funchal.
Und jetzt wird es auch schon richtig ungemütlich im Cockpit. Die scharfe Rechtskurve beginnt, dabei sinkt die Maschine in dramatischer Schräglage schnell ab. Turbulenzen packen den Flieger, heben ihn leicht an und lassen ihn dann plötzlich einige Meter durchsacken. Keppler lässt dabei die Landebahn nicht aus den Augen.
Das Ende der Kurve ist erreicht. Die Maschine richtet sich langsam aus der Schräglage wieder auf. Die Plastikverkleidungen schütteln sich in einer weiteren Turbulenz. Das Flugzeug befindet sich nun direkt über Gelo, der Eisfabrik. "850", gibt First Officer Rudolph die Höhe in Fuß an. Damit fliegt der Airbus genau in der vorgeschriebenen Höhe über diesen Punkt. "Flaps 40", sagt Keppler ruhig, während Rudolph die Anweisung auch schon ausführt. Die Maschine sinkt auf 600 Fuß, dann auf 500 Fuß.
Neben den Fallwinden ist die Landebahn ein Grund dafür, dass es in Funchal noch immer spannend ist zu landen. Die Piste – einem Flugzeugträger nicht unähnlich – wurde ins Wasser gebaut. Am Bahnende und am Bahnanfang endet die Runway jeweils abrupt in 60 m Höhe über dem Wasser des Atlantiks. Nördlich der Bahn steigen die Berge steil an. Und es gibt kein Instrumenten-Landesystem.

In Funchal wird nur nach Sicht geflogen

In Funchal fliegt der Kapitän mit Hilfe eines gerichteten Funkfeuers nach Sicht. Die Landebahn selbst ist extrem kurz, genau 1781 m lang. Für die Landungen der Maschinen stehen nur 1550 m zur Verfügung, dramatisch wenig im Vergleich zu Hannover etwa, wo Keppler herkommt. Hier ist die Bahn 3800 m lang.
Da muss der Touch-down genau bei einem exakt definierten optimalen Punkt erfolgen, denn bei dem ohnehin kurzen Bremsweg wird kein Meter verschenkt. Und dann muss die Maschine sehr viel stärker als normal abgebremst werden.
Gelingt das wegen des Windes nicht, ist die Piste nass und das Bremsen schwierig, wird sofort durchgestartet – ein Manöver, das in Funchal nicht selten ist. Dann wird entweder auf besseres Wetter gewartet oder eine Landung auf der gut 8 km entfernten Insel Porto Santo versucht. Klappt auch das nicht und der Sprit wird knapp, geht es nach Teneriffa zum Auftanken.
Selbst für kleinere Flugzeuge wie die Boeing B 737 oder den Airbus A 320 ist Funchal schwierig anzufliegen und der Bremsweg schon knapp kalkuliert. Diese Flugzeugtypen wiegen bei der Landung aber "nur" rund 60 t. Hapag-Lloyd aber fliegt Funchal mit einem Airbus A 310 an. Das Flugzeug ist bedeutend größer und wiegt bei der Landung mit 119 t fast das Doppelte.
Mittlerweile kommt die Piste immer näher, nur noch eine Meile ist das Flugzeug vom Aufsetzpunkt entfer