Alfred Brehm

Alfred Brehm fährt den Nil hoch, durchquert Wüsten, Steppen und Urwälder – immer auf der Suche nach Tieren, die in Deutschland noch niemand kennt. Mit einer reichen Sammlung kehrt er nach fünf Jahren in seine Heimat zurück.

Das 19. Jahrhundert ist das Jahrhundert der klassischen Afrikaforschung. Vielen Entdeckern geht es um Berge, Flüsse, Seen, die möglichst noch kein Europäer vor ihnen gesehen hat; um Gebiete, die vielleicht einmal einen wirtschaftlichen Vorteil versprechen oder die sich fürs Vaterland in Besitz nehmen lassen. Es gibt aber auch Männer – und ein paar Frauen –, die nach weniger spektakulären Dingen suchen. Georg Schweinfurth zum Beispiel richtet sein Augenmerk auf Pflanzen. Alfred Edmund Brehm ist einer, den vor allem die Tiere interessieren. Dass die Entdecker dabei in undurchdringliche, gefährliche Gebiete geraten, ist eher ein Nebenprodukt ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit.

Alfred Brehm bekommt die Liebe zur Natur in die Wiege gelegt. Sein Vater ist Pastor und ein berühmter Ornithologe seiner Zeit. Er nimmt den Sohn schon als kleinen Jungen mit auf die Jagd, lässt ihn Vögel und Tiere bestimmen. Nach der Schule macht Brehm junior zunächst eine Maurerlehre, 1846 beginnt er, in Dessau Architektur zu studieren. Sein Studium bricht er jedoch ab, als er die Chance hat, Baron Johann Wilhelm von Müller als Jagd- und Sammelgehilfe nach Nordostafrika zu begleiten.

Am 28. September 1847 besteigen Brehm, der Baron und fünf Jesuiten in Kairo eine Nilbarke und segeln flussaufwärts. Sie ziehen an Saatfeldern vorbei, die gerade zu sprießen beginnen, an Dattelpalmen, kahlen Gebirgen und Trümmern altägyptischer Tempel. Die Europäer stehen vor Sonnenaufgang auf, wandern dem Schiff voraus, um Tiere für ihre Sammlung zu erlegen. Sie erreichen Assuan und den ersten Katarakt, gelangen nach Nubien.

Hier sind die Ufer zu hoch, als dass sie überflutet werden können. Schöpfräder schaufeln Tag und Nacht das Wasser auf die Felder. Ein Nordwind behindert ihr Vorankommen. Die Deutschen lassen ihre Barke ziehen, überwinden den zweiten Katarakt. Der Nil führt sie durch die Battn el Hadjar, „den Bauch der Steine“, die „wüsteste“ Provinz Nubiens. Hier haben die Eingeborenen kaum etwas zu essen.

Die Forscher gelangen nach Dongola und Ambukol. Träger verschnüren ihr Gepäck mit Stricken aus Dattelbast auf Kamelen. Von dort aus geht es mit einer kleinen Karawane in die Wüste. «Es ist Nacht. Die Luft der Wüste ist wie immer, rein und hell, über uns leuchten die Sterne in ihrer ewigen Klarheit... Mit zusammengekoppelten Beinen liegen wiederkäuende Kamele in einem weiten Halbkreise außerhalb des Lagers; manchmal leuchten ihre Augen hell auf im Widerscheine der Flammen», schreibt Brehm später in seinen Reiseskizzen. Tagsüber trägt er das Baumwolltuch der Beduinen gegen die Hitze. Am Wegesrand liegen Sandmumien verdursteter Reisender und Kamele. Aber Alfred Brehm sieht – und jagt – auch Gazellen, arabische Antilopen, den isabellenfarbenen Luchs und Hyänen.

Anfang 1848 erreichen sie den Sudan, «eine neue Welt», wie Brehm schreibt. Die Menschen wohnen in runden Strohhütten mit kegelförmigem Dach, tokhul genannt. Brehm geht in Mimosenwäldern auf die Pirsch. Vor Khartum fließen der Weiße und der Blaue Nil zusammen, «dessen helles Wasser in jetziger Zeit gegen das trübe, grauweiße des weißen Flusses merklich absticht.» Brehm bleibt in einem Eingeborenendorf, um dort seine Vogelsammlung zu erweitern. Er bekommt Fieber, reitet zehn Stunden auf einem Esel in die Hauptstadt, um Medizin zu besorgen, kehrt dann zurück in den Busch. Erst am 8. Februar kommt Alfred Brehm mit 130 präparierten Vogelbälgern endgültig nach Khartum.

Brehm interessiert sich für die Geschichte des Landes. Der Reisende sieht immer noch die Verwüstungen, die der Krieg der Türken 1820/21 im Sudan hinterlassen hat. Khartum wurde erst 1830 zur Hauptstadt erklärt – wegen der guten Wasserqualität des Blauen Nil. Doch für einen Weißen ist die Stadt auf Dauer die Hölle. «Man hat berechnet, dass 80 Prozent aller Europäer, welche gezwungen sind, mehrere Jahre nacheinander in Khartum zu leben, während dieser Zeit sterben», schreibt Brehm. Auch er und sein Gefährte leiden sehr unter dem Klima, haben immer wieder mit Fieberanfällen zu kämpfen. Sie bleiben drei Wochen in der Gegend.

Brehm interessiert sich für alle Bereiche des sudanesischen Lebens. Wie die Menschen ihre Waffen schmieden, wie sie ihre Felder bestellen. Und er verurteilt den Menschenhandel: Der Afrikareisende sieht «erst im Sudan... die Sklaverei in ihrer ganzen Abscheulichkeit, denn dort begegnet er der Sklavenjagd», notiert er in sein Tagebuch.

Den anstrengendsten Teil ihrer Reise haben die Forscher noch vor sich. «Südlich Khartums kann der Europäer nicht mehr als zivilisierter Reisender: er muss als Halbwilder die Steppen und Wälder durchziehen.» Ende Februar 1848 brechen sie mit dem Briten John Petherick in die Steppe von Kordofan auf. Erst auf dem Weißen Nil, dann über Land. Das Wildleben in der Steppe ist reich, aber die Männer leiden vier Monate lang fast ununterbrochen an Fieber. Sie gelangen nach El Obeid, die Hauptstadt von Kordofan. 20000 Einwohner verständigen sich dort in mehr als fünf verschiedenen Sprachen. Es geht nach Melbek, wo Brehm interessante Vögel erlegt, bevor ihn das Fieber zum wiederholten Mal ans Bett fesselt. «Heiße Südwinde warfen uns Wolken von Staub und Sand über den Hals, erschwerten uns das Atmen und wirkten bei ihrer starken elektrischen Spannung lähmend auf den Körper.» Da auch ihre Reisekasse langsam zu Ende geht, machen sie sich am 25. Mai auf den Rückweg.

Doch aller Strapazen zum Trotz – als von Müller am 10. Februar 1849 zurück nach Deutschland fährt, bleibt Brehm in Ägypten. Er studiert die arabische Sprache, den Koran, legt die Landeskleidung an. Im Februar des folgenden Jahres fährt er – im Auftrag des Barons – wieder den Nil hinauf. Diesmal dringt Alfred Brehm zum Oberlauf des Blauen Nil vor. Er jagt und sammelt mit einer kleinen Expedition in den Urwäldern, die sich am Ufer des Stroms entlangziehen. Der Wald ist an vielen Stellen undurchdringlich, unzählige Tierstimmen schwirren durch die Luft. An einem Tag sieht Brehm mehr als 30 Krokodile. Er beschreibt Leoparden, Termiten und Gorillas. Über Gorillas notiert er: «Es tut mir Leid, dass ich der Zerstörer vieler anmutiger Träumereien sein muss. Aber der Gorilla lauert nicht auf den Bäumen über dem Wege, um einen unvorsichtig Vorübergehenden zu ergreifen und in seinen zangengleichen Händen zu erwürgen, er greift den Elefanten nicht an und schlägt ihn mit Stöcken zu Tode, er schleppt keine Weiber aus den Dörfern der Eingeborenen weg.» Später werden seine Reiseskizzen als Dissertation anerkannt.

Brehm gelangt bis Sennar und Er Roseires. Weiter südlich wird der Fluss zu seicht, um darauf weiterzufahren. Anfang März 1851 ist die Expedition wieder in Khartum, acht Monate später kommt Brehm in Kairo an.

Von dort unternimmt Alfred Brehm mit den Wissenschaftlern Theodor von Heuglin und Theodor Bilharz eine Expedition an den Sinai, bevor er im Mai 1852 zurück nach Deutschland aufbricht.

Von 1853 bis 1855 studiert er in Jena Naturwissenschaften und schließt mit dem Doktortitel ab. In den folgenden Jahren reist er nach Spanien, Skandinavien, Westsibirien und nach Habesch (heute Äthiopien), später auch nach Westsibirien. 1863 wird Brehm der erste Direktor des Hamburger Zoos. Ein Jahr später erscheint der erste Band von „Brehms illustriertes Tierleben“. Es umfasst nach Abschluss sechs Bände und macht den Zoologen zum berühmten Mann. Die Wurzeln des Werks liegen in Afrika.

Extras

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