Adolf Erik Nordenskjöld

Ein Schwede sucht neue Handelsrouten für Sibirien. Zehn Monate lang ist sein Schiff kurz vor der Beringstraße vom Eis eingeschlossen. Dann aber schafft Adolf Erik Nordenskjöld als Erster die Durchfahrt durch die Nordostpassage.

Der gerade Weg führt nicht immer zum Ziel. Schon als Student der Naturwissenschaften, mit Schwerpunkt Mineralogie und Geologie, macht der junge Adolf Erik Nordenskjöld in Helsinki diese Erfahrung. Er führt ungezügelte Reden gegen die Russen, die zu dieser Zeit Finnland besetzt halten. Bis die Behörden ihn vor die Alternative stellen, seine Äußerungen zu widerrufen oder das Land zu verlassen. Da nützt es auch nichts, dass sein Vater, ein renommierter Mineraloge, Chef des finnischen Bergwesens ist. Der Sohn muss 1857 ins benachbarte Schweden emigrieren.

Adolf Erik Nordenskjöld wird noch einige Umwege gehen, bevor er seinem großen Ziel näher kommt. Als Geograph und Geologe fährt Nordenskjöld 1858, 1861 und 1864 mit schwedischen Expeditionen hinauf nach Spitzbergen, dringt mit Booten in unerforschte Fjorde ein. 1868 kämpft er sich von Spitzbergen aus mit der „Sofia“ im Zickzackkurs an der Treibeiskante entlang nach Norden – bis 81 Grad 42 Minuten nördliche Breite, so weit wie bis dahin kein anderes Schiff im eurasischen Raum. Und sein Hydrographenteam lotet Rekordtiefen aus: 2650 Faden, mehr als 4800 Meter.

Nordenskjöld steigert seine Ambitionen. Er will mit Schlittenhunden zum Nordpol. Um die Eignung grönländischer Tiere für dieses Unternehmen zu testen, landet er an der Westküste Grönlands, stößt von dort 50 Kilometer über das Inlandeis nach Osten vor.
Nach seinen Forschungen widerspricht Adolf Erik Nordenskjöld der weit verbreiteten Ansicht, diese Landeismassen seien im Grunde Hochgebirgsgletschern wie denen in der Schweiz vergleichbar. «Der eigentliche Gletscher verhält sich zum Inlandeis wie ein reißender Strom oder Bach zu einem großen, ruhigen See.»

Die Nordpolexpedition wird ein Fehlschlag. Schon drei Wochen nach dem Aufbruch von der Mossel-Bucht auf Spitzbergen türmen sich im Meer solche Eismassen auf, dass es für die drei Hundeschlitten kein Durchkommen gibt. Nordenskjöld kehrt nach Spitzbergen um. Auf der Von-Otter-Insel zieht er 15 Tage durch Nebel und Schneestürme bis zum Wahlenberg-Fjord. Nordenskjöld entdeckt, dass die Insel von einer 600 bis 900 Meter hohen Eiskappe überzogen ist, die seltsame Hohlräume in sich birgt: steilwandige, breite Spalten, die meist parallel verlaufen.

Der Nordpol bleibt unerreichbar, so richtet Nordenskjöld sein Augenmerk auf den Nordosten. Noch immer hat niemand die Umfahrung Asiens geschafft. Der Schwede hält die Nordostpassage für den Schlüssel zur Erschließung Sibiriens. Die großen Ströme Ob, Jenissei und Lena, die alle nach Norden hin münden, könnten miteinander verbunden sein und zu Handelswegen werden. 1875 tastet Adolf Erik Nordenskjöld sich mit einer Schaluppe, 1876 mit einem Frachtdampfer den Jenissei hinauf. Er gründet im Jenissei-Busen einen Hafen, den er nach Oskar Dickson benennt, dem schwedischen Mäzen, der diese wie auch viele andere Arktisexpeditionen finanziell fördert. Adolf Erik Nordenskjöld bestimmt die ersten Längengrade an der Küste – die Landkarte Sibiriens bekommt durch ihn wichtige Konturen. Auf dem Landweg kehrt Nordenskjöld nach St. Petersburg zurück.

Die anti-russischen Jugendsünden sind vergessen. Nordenskjöld wird nicht nur von Dickson und dem schwedischen König Oskar II. unterstützt, sondern findet auch im Zarenreich einen Mäzen: Alexander Sibiriakow, ein russischer Minen- und Schiffstycoon, ebnet ihm politisch den Weg. Mit dem Walfangdampfer „Vega“ – in Bremen aus bester Eiche gebaut, komplette Barktakelage, 60-PS-Motor – sowie drei Begleitschiffen sticht Adolf Erik Nordenskjöld am 22. Juni 1878 von Nordnorwegen aus in See. Er hat Botaniker und Zoologen, Geophysiker und Ozeanographen an Bord, dazu drei Walrossjäger und 16 Matrosen der schwedischen Marine, die aus 200 Freiwilligen ausgewählt worden sind. Die Expedition hat Proviant für zwei Jahre und reichlich Vitaminvorrat gegen Skorbut dabei: Meerrettich und Pickles, eingemachte Maulbeeren und Zitronensaft.

Die Schiffe passieren Inseln und Sandbänke, die noch auf keiner Karte eingezeichnet sind. Sie fahren eine öde, grau-grüne Küste entlang, deren Vegetation aus Gras, Moos und Flechten besteht. Dichter Nebel erschwert immer wieder die Orientierung, oft können sich die Schiffe gegenseitig nur mit Signalen ihrer Dampfpfeifen lokalisieren. Es gibt wenige Seevögel, ab und zu ein paar Schneehühner, Eulen und Falken – doch unter Wasser, das sehen die Forscher am Inhalt ihrer Schleppnetze, herrscht pralles Leben: eine Fülle von Fischarten und Seesternen.

Zwei Schiffe fahren von der Karasee aus in die Heimat zurück. Die verbleibenden zwei erreichen am 19. August Kap Tscheljuskin, die nördlichste Spitze Asiens. Fünf Salutschüsse, zur Feier des Tages abgefeuert, lassen einen Eisbären die Flucht ergreifen, der am Strand spazieren geht. Am 27. August erreicht die Expedition die Mündung der Lena. Dort trennt sich das auf den gleichen Namen getaufte Schiff von der „Vega“, um als erster europäischer Dampfer den Strom hinaufzufahren. Nach 55 Tagen erreichen sie das mehr als 2000 Kilometer entfernte Jakutsk. Von dort geht am 16. Oktober ein Telegramm ab. Es wird für lange Zeit die letzte Nachricht von Nordenskjöld und seinen Leuten sein.

In Briefen, die vom August datierten, waren die Schweden zuversichtlich, bis Ende September an der Beringstraße einzutreffen, das Asien und Amerika trennt. Nach dem Abschied von der „Lena“ versucht die „Vega“ zuerst, die nordöstlich gelegenen Neusibirischen Inseln zu erreichen. Elfenbeinsammler, die im Frühjahr vom Festland aus mit Hundeschlitten über das Eis aufbrechen, verbringen dort den Sommer. Sie haben berichtet, die Uferbänke seien mit Mammut-, Nashorn-, Bison-, Pferde- und Auerochsenknochen übersät. Doch das Meer wird so flach, dass das Schiff den Kurs ändern muss. Den Schweden gelingt die Einfahrt in die Koljutschinbucht, bis zur Beringstraße fehlen gerade noch etwas mehr als 200 Kilometer – da aber wird die „Vega“ von einem mindestens 30 Kilometer breiten Gürtel zusammengefrorenen Treibeises eingeschlossen. Am 27. September wird sie an einer 40 Meter langen und 25 Meter breiten Scholle für die Überwinterung vertäut. «Dieses Festfrieren so nahe dem Ziel», notiert Nordenskjöld, «ist das Missgeschick gewesen, mit welchem ich mich während aller meiner Eismeerfahrten am schwersten aussöhnen konnte.»

Die Forscher bleiben für Monate verschollen. Heimkehrende amerikanische Walfänger erzählen, die Eisverhältnisse im Norden der Beringstraße seien just in diesem Jahr besonders schlecht. Am 11. Dezember veröffentlicht der „New York Herald“ ein Telegramm aus San Francisco, das vom Vortag datiert. Zwei Walfänger berichten, Eingeborene hätten ihnen mitgeteilt, nördlich der Ostspitze Asiens sei ein „russisches Kriegsschiff“ im Eis eingeschlossen. In Schweden wächst die Angst, Eisdruck und Skorbut könnten an Bord zu einer Katastrophe führen. Sibiriakow lässt in Malmö ein Rettungsschiff mit Namen „Nordenskjöld“ bauen. Es sticht am 13. Mai in See, soll durch den Suezkanal und an Indien vorbei nach Japan fahren, um so von der Pazifikseite aus Hilfe zu bringen.

Die Schweden messen derweil an jedem Ersten eines Monats die Stärke des neu gebildeten Eises: Dezember: 56 Zentimeter, Januar: 92 Zentimeter, Februar: 108 Zentimeter, März: 123 Zentimeter, April: 127 Zentimeter. Sie feiern Weihnachten bei minus 35 Grad. Sie erforschen die Sitten der Ureinwohner, die ab und zu aus Neugier über das Eis an Bord kommen. Stellen fest, dass die Sprache der Tschuktschen von dem Wortschatz der Eskimos grundverschieden ist. Machen einen Landausflug mit Hundeschlitten, die von Einheimischen gelenkt werden.

Am 18. Juli 1879, nach 294 Tagen, gibt das Eis die „Vega“ wieder frei. Zwei Tage später fährt sie um Asiens Ostspitze. Die Nordostpassage ist erstmals durchfahren. Anfang September geht vom japanischen Jokohama aus die Triumphmeldung um die Welt. Nach seinen Erfahrungen in Eis und Nebel notiert Adolf Erik Nordenskjöld ernüchtert, diese Route werde wohl «schwerlich von wirklicher Bedeutung für den Handel» sein. Dennoch schreibt er feierlich in sein Tagebuch: «Man möge es uns verzeihen, dass wir mit einem gewissen Stolze unsere blaugelbe Flagge am Mast emporsteigen sahen, und die schwedischen Salutschüsse abfeuerten, wo die Alte und die Neue Welt einander die Hände zu reichen suchen.»

In den Jahren 1882 bis 1883 erkundet Adolf Erik Nordenskjöld noch einmal das Innere von Grönland. Sein Name aber bleibt für immer mit der Asienumrundung verbunden. Die Schweden haben einen neuen Feiertag: Am 24. April ist „Vega-Tag“.

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