Anleger, was tun? Die Furcht vor der Fiskalklippe
Die größte Sorge der Finanzmärkte ist derzeit eine Patt-Situation, wie sie nach der Präsidentschaftswahl 2000 entstanden war. Wahlzettel wurden nachgezählt, die Zählung abgebrochen, gestritten vor Gericht und in den Medien. Irgendwann wurde schließlich George W. Bush zum Sieger erklärt.
Eine unbequeme Wahrheit
Sein demokratischer Kontrahent Al Gore hatte anschließend hinreichend Zeit, sich um sein Lebensthema Klimakatastrophe zu kümmern. 2007 erhielt er noch den Oscar für seinen Doku-Schocker "Eine unbequeme Wahrheit". Aber im Prinzip ist Gore seitdem vergessen. Bush hat die Welt dagegen acht Jahre lang und durch die Folgen seiner Politik auch darüber hinaus in Atem gehalten.
In Atem gehalten werden wollen die Investoren ab Mittwoch nicht. Nichts mögen die Akteure auf den Finanzmärkten weniger als Unsicherheit – von den berufsmäßigen Hasardeuren der Branche einmal abgesehen. "Ein Patt nach der Wiederwahl wäre das Schlimmste", meint auch Torsten Gellert, Managing Director von FXCM. Und worüber sich die Anleger am meisten Sorgen machen, ist die sogenannte Fiskalklippe. Vor einigen Tagen hatten bereits die Fachleute von Goldman Sachs vor deren Auswirkungen gewarnt.
Harte Schuldenbremse "Fiscal Cliff"
Zum Jahreswechsel drohen durch Gesetzesfristen mehrfach verlängerte Steuergeschenke auszulaufen. Außerdem drohen Einschnitte bei den Staatsausgaben, die laut Experten das Wirtschaftswachstum um vier Prozentpunkte nach unten drücken können. Auch FXCM-Experte Gellert geht in diesem Fall von einer drohenden Rezession aus. Die Ratingagentur Fitch sieht die US-Fiskalklippe kurzfristig als das "das größte Risiko für die Weltkonjunktur".
Das Haushaltsbüro des Kongresses beziffert die mögliche Gesamtsumme der defizitmindernden Effekte auf etwa 600 Milliarden Dollar, schreibt die Deutsche Bank in einer Studie. Geld das nicht verjubelt werden kann und deshalb in dieser Logik das Wirtschaftswachstum bremst.
Doch wegen des Wahlkampfes und der tiefen politischen Spaltung in Washington bleibt die Fiskalklippe ohne Gegenmaßnahme - Republikaner und Demokraten sind außerstande sich zu einigen. "Ich glaube, die Politik tut, was sie am besten kann – das Problem vertagen", ereifert sich ein Mann der Wirtschaft, Michael Hasenstab, Co-Director bei Franklin Templeton Investments. Auch er ist der Ansicht, dass diese Ausgabenkürzungen kräftig aufs Wachstum drücken würden.
Flucht in sichere Anlagen
Die Fachleute der VP Bank haben sich Gedanken darüber gemacht: "Auch wenn der Ausgang der Präsidentschaftswahl nur begrenzt Einfluss auf die Finanzmärkte haben dürfte, werden die Wahlen insgesamt einen entscheidenden Einfluss auf die Höhe der fiskalischen Klippe zum Jahresende haben", schreiben Analysten. Sie haben drei Szenarien identifiziert und deren Folgen auf die Finanzmärkte zusammengefasst.
Gewinner | Verlierer | |
---|---|---|
Fiscal Cliff | Staatsanleihen, Gold, Euro, Schweizer Franken | Globale Aktien, aktienähnliche Anlagen, High Yield Bonds, Dollar |
Kompromiss | US-Aktien, Unternehmensanleihen, High Yield Bonds | Staatsanleihen |
Vertagung | Unternehmensanleihen, Schweizer Franken, Euro | Dollar, eventuell Staatsanleihen |
Das schlimmste der Szenarien, wäre nach Ansicht der Experten das Auslaufen der Steuererleichterungen und die geplanten Ausgabenkürzungen. "Die drohende Rezession dürfte eine Flucht aus risikoreichen Anlageklassen verursachen", so deren Einschätzung. "Leidtragend wären insbesondere Aktien und aktienähnliche Anlagen." Profitieren würden vermeintlich sichere Anlagen wie US-Staatsanleihen, prognostizieren sie.
Vertagen oder Kompromiss oder egal?
Das Hauptszenario der Analysten wäre ein Kompromiss zwischen den Parteien – diese Variante hält die VP Bank für die wahrscheinlichste. Dann seien keine wesentlichen Marktbewegungen zu erwarten, denn die Märkte hätten es bereits eingepreist. Das Szenario "Vertagung" hätte zwar keine unmittelbaren Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum aber womöglich auf die Kreditwürdigkeit der USA. Das wiederum würde den Dollar belasten und Unternehmensanleihen wären die beste Entscheidung für Anleger, schreiben die Fachleute.
Wenn man Wirtschafts-Nobelpreisträger Paul Krugman glaubt, der die Wahl von einem übergeordneten Standpunkt betrachtet, braucht sich jedenfalls die Wall Street, egal wer Präsident wird, keine ernsten Sorgen zu machen: "Wir bekommen auf jeden Fall eine Regierung von den 0,01 Prozent durch die 0,01 Prozent für die 0,01 Prozent."