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In Ägypten will die von Islamisten dominierte Verfassunggebende Versammlung heute ihren Entwurf für eine neue Verfassung vorlegen - eigentlich war dies für Dezember geplant. Die Opposition lehnt den Entwurf ab und wittert ein Ablenkungsmanöver von Präsident Mursi und seinen Muslimbrüdern.
Von Cornelia Wegerhoff, ARD-Hörfunkstudio Kairo
Und wieder haben sie einen Überraschungscoup gelandet: Die machthabenden Islamisten sorgen für ungläubiges Kopfschütteln in Ägypten. Was seit Monaten nur so mühsam vorankommt wie eine Wüsten-Karawane im Sandsturm, galoppiert plötzlich in ungeahntem Tempo Richtung Ziel: Die neue ägyptische Verfassung.
Es dauere nur noch ein paar Stunden bis der endgültige Entwurf vorliege, kündigte am frühen Abend Hossam el Gheriani, der Vorsitzende der Verfassunggebenden Versammlung, an. "Der Donnerstag wird ein großartiger Tag", so der Islamist vollmundig. Er rief die unter Protest aus dem Gremium ausgetretenen Mitglieder der liberalen und linken Parteien sowie die Vertreter der christlich-koptischen Minderheit auf, zur Abschlussdebatte zurückzukommen. Sie hatten die letzten Sitzungen boykottiert, weil die Vertreter der Muslimbruderschaft und die radikalen Salafisten in der verfassunggebenden Versammlung in der absoluten Übermacht sind.
Die säkularen politischen Kräfte Ägyptens und auch zahlreiche Menschenrechtsgruppen halten den religiös-fundamentalistisch geprägten Verfassungsentwurf für völlig inakzeptabel, da er die islamische Scharia wesentlich stärker zur Rechtsgrundlage Ägyptens macht als je zuvor. Dadurch seien weder die Rechte der koptischen Minderheit noch die der Frauen genügend berücksichtigt. Die Journalisten-Gewerkschaft hatte erst zu Beginn der Woche mit einem Generalstreik gedroht, weil die Islamisten in ihrem letzten Verfassungsentwurf den Grundsatz der Pressefreiheit nicht mal erwähnen.
Auch Ägyptens oberste Gerichte waren in den vergangenen Monaten damit beschäftigt, eine derartig einseitig geprägte neue Verfassung zu verhindern. Sie stellten in erster Linie das rechtmäßige Zusammenkommen des Gremiums in Frage. Denn die Mitglieder der Verfassunggebenden Versammlung wurden aus dem Parlament dorthin entsandt. Das wurde jedoch inzwischen aufgelöst, weil bei den Wahlen geschoben und betrogen worden ist. Doch seit sich der ägyptische Präsident am vergangenen Donnerstag handstreichartig über die Justiz stellte, sind die Richter kalt gestellt. Die alleinige Macht liegt in den Händen Mohammed Mursis. Genau deshalb herrschen seit Tagen Unruhen in Ägypten. Zu Hunderttausenden gingen die Leute auf die Straße, um gegen eine neue Diktatur zu demonstrieren.
"Die Beschleunigung des Verfassungsprozesses ist der beste Weg aus der Krise", erklärte am Abend Amr Darrag, der Generalsekretär des Verfassungskomitees, wie der Vorsitzende ein Mitglied der Muslimbruderschaft, aus deren Reihen Präsident Mursi stammt. Immer wieder hatten dessen Anhänger betont, die Machterweiterung gelte nur solange, bis es eine neue Verfassung gibt.
"Das ist ja nicht zu fassen", so ein wütender Demonstrant auf dem Kairoer Tahrir-Platz in einer ersten Reaktion. "Die Islamisten verkaufen das Ganze wie die Unschuldslämmer als Beitrag zum Frieden im Land. Dabei nutzen sie die angespannte Lage schamlos aus, um ihre Verfassung im Hauruckverfahren durchzudrücken."
Ursprünglich war die Vorlage des endgültigen Verfassungsentwurfs erst für Dezember vorgesehen. Nach der Abschlussdebatte werde der Entwurf dem Präsidenten vorgelegt. Schon Ende der Woche könne man mit der Terminplanung für den Volksentscheid beginnen, hieß es am Abend.
[Bildunterschrift: Ägyptens Präsident Mohammed Mursi: Verfassung nur ein Ablenkungsmanöver? ]
Die politische Opposition wittert ein Ablenkungsmanöver Mursis und der Muslimbrüder. Die plötzlich vorgezogene Debatte über die Verfassung solle den Eindruck erwecken, dass Mursi seine nahezu diktatorische Macht schon bald wieder demokratisch verteile. Beobachter vermuten, dass die Islamisten hoffen, bei einem vorgezogenen Referendum eine Mehrheit zu bekommen, indem sie den Bürgern die neue Verfassung als Alternative zur umstrittenen Verfassungserklärung von Präsident Mursi präsentieren.
Der führende Oppositionspolitiker Amr Mussa teilte mit, der Versuch, den Entwurf binnen eines Tages fertigzustellen, sei sinnlos. Vor dem Hintergrund des Widerstandes gegen die Verfassunggebende Versammlung solle dieser Schritt besser nicht unternommen werden. Auch Heba Morajef, Leiterin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch in Ägypten, warnte, es sei sehr ungünstig, zum jetzigen Zeitpunkt einer "extremen Spaltung" des Landes die Verfassung durchdrücken zu wollen.
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