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Konrad Becker ist Kurator der Public Netbase: http://www.t0.or.at

Österreich -
das ewige Disneyland?

"Der Sklavenmarkt wird in die eigene Wohnung getragen"
~Interview mit Konrad Becker~

von Klaus Ambichl und Manuela Kaltenreiner

Zur Person

media nexus: Wie bist Du eigentlich zu dieser Thematik gekommen, zur Auseinandersetzung mit den neuen Medien ?

Konrad Becker: Ich habe diesbezüglich eine relativ lange und schlüssige Entwicklungslinie in dem Sinne, daß ich als Minderjähriger meine Hände auf elektronische Musikinstrumente gelegt habe und meine Finger auf die allerersten Computer die in Österreich gelandet sind, nämlich PC-Computer wohlgemerkt, also Personal Computer oder Micro Computer und sie schon Anfang der 80er Jahre dafür eingesetzt habe, um bestimmte metamathematische Systeme im Bezug auf ihre akustischen, visuellen Eigenschaften zu untersuchen. Wenn man da dabeibleibt haben Computer die natürliche Eigenschaft sich vernetzen zu wollen mit anderen Computern. Es wachsen ihnen quasi selbst Kabel, als würden sie sich mit anderen vernetzen. Es war bei den ersten Musikinstrumenten schon so, wo sie über SYNC-Befehle miteinander kommuniziert haben, später dann als große Revolution über Midi Befehle digital über den Computer, d.h. vom ZX-Spektrum bis ZX 81 bis C64, Amiga und sozusagen die PC Vor-DOS-Welt, daraus konnte sich eigentlich nur mehr ein ganz globales Datennetzwerk entwickeln. Im Grunde war ich da eigentlich immer involviert, selbstverständlich war da eine gewisse Faszination, die damit verbunden ist, mit dieser einen Maschine...
Meine Arbeit war immer sowohl auf einer visuellen als auch akustischen als auch auf einer konzeptionellen Ebene. Ich habe immer mehr, zwar am Anfang nicht ausschließlich, aber da sich die Möglichkeiten der Technik immer mehr verbessert haben, Musiktexte, audiovisuelle Environments etc. am Computer gemacht.

?: Wie glaubst Du werden sich die neuen Medien weiterentwickeln? Multimedia, die komplette Vernetzung der Welt, wie siehst Du da die Entwicklung, welche Tendenz siehst Du, in welche Richtung es sich bewegen wird ?

!: In eine mäßig gute, würde ich sagen. Wenn wir jetzt z.B. vom Internet sprechen wollen, und was daraus entstehen wird, Internet II und weitere Entwicklungen auf dem Gebiet. Klarer Fall, daß dieses Ding eine militärische Waffe ist. Historisch ist es so, daß das Internet gegen den Willen der freien Marktwirtschaft, gegen IBM, die gesagt haben, so etwas läßt sich nicht machen, vom Pentagon de facto in Auftrag gegeben wurde um den Atomkrieg zu führen. Es ging darum, daß, wenn eine Kommandozentrale sozusagen enthauptet ist durch einen Atomschlag, die Kommunikationsstrukturen weitergeführt werden können. Es ging um eine Dezentralisierung, dadurch wurde das Internet geboren. Das hat sich dann in den industriellen Bereich ausgedehnt - Rüstungsindustrie, in Amerika sind die Universitäten mit der Rüstungsindustrie irgendwie so. So ist es dann ein akademisches Netzwerk geworden. Die Konspirationstheorie geht auch in die Richtung, daß man das bewußt so wollte, weil man dadurch das Netz auch stabiler macht, d.h. du kannst noch so viele Kommandobunker bombardieren mit Atombomben, und trotzdem können irgendwo noch die IP-Traffic-Pakete durchgeschleust werden. Und das ist der Hintergrund dieser Geschichte, und das ist gleichzeitig das Produkt einer Sache, die man Command Control Computer Communication Intelligents nennt. Das ist das, was man unter dem Stichwort Informationskriegsführung einreiht.
Informationsgsellschaft - Informationskriegsführung, das ist sagen wir einmal zumindest ein Teil davon. Als solches ist dieses Kommando-Kontroll-Element nach wie vor stark enthalten in sozusagen Neuinkarnation dadurch, daß es quasi dezentral, postmodern rhizomantische Kontrolle ist.
Das langläufige Bild über CCCI, das da gezeichnet, wird ist sozusagen das der Industrie. Sämtliche Experten, die von Regierungen und auch transnationalen Kommissionen, UNESCO etc. bestellt werden oder zu Rate gezogen werden, sind ja keine kritisch-unabhängigen Experten sondern im Normalfall Vertreter der Industrie. Wenn du Zeitungen aufschlägst, sind das meistens Pressetexte der Industrie, und sozusagen das utopische Bild der Möglichkeit "information at your finger tip" ist in Wirklichkeit eine gefährliche Drohung und keine messianische Verheißung, weil die emanzipatorischen Möglichkeiten, die in dieser Technologie stecken, sehr konsequent nicht gefördert werden. Alles, was als gegenemanzipatorische Kraft in diesem System wirksam ist, sich zunehmend deutlicher macht. Der Hintergrund ist der, daß wir nicht einfach darüber reden, daß ein doofer Computer mit dem Modem eines anderen doofen Computers verbunden ist, sondern daß wir - Stichwort Konvergenzphänomen - tiefgreifende Umwandlung aller gesellschaftlichen Arbeitsprozesse und Kommunikationsprozesse bereits erleben. Viele checken es nicht ab, aber auch jemand der kein Modem zu Hause hat, ist davon betroffen. Wir sprechen da ja nicht nur über das Internet, wir sprechen da über Datennetze die jeden Tag Milliarden Dollar in der Welt herumschieben, z.B. das Swift-Netz, ein Bankennetz. Was uns dazu führt, daß alle Experten davon sprechen, daß wir auf bestimmten schnellen Strecken auf eine Einfünftel-Gesellschaft zugehen. Früher hat man von einer Zweidrittel-Gesellschaft gesprochen, inzwischen redet man nicht mehr von einer Zweidrittel-Gesellschaft, sondern jeder, der sich Gedanken darüber gemacht hat, weiß, daß nur mehr ein Fünftel der Gesellschaft in einem sinnvollen Arbeitsprozeß, wenn all diese Konvergenzphänomene und Expertensysteme etc. zu greifen kommen, eingegliedert werden kann. Das bedeutet, daß es gesellschaftliche Verwerfungen geben wird, die in der Form unbekannt sind. Die Frage ist: was macht man mit all den Leuten? Man wird wahrscheinlich den naheliegenden Weg nehmen und die Technologie, über die wir reden, als Kontrolltechnologie einsetzen.

?: Neugestaltung der Welt so à la "Schöne neue Welt", Kontrollgesellschaft, und sonstiges...?

!: Die Plakate zeigen dir jemanden, der am Strand sitzt mit einem Laptop und von da aus per Funkmodem seine Büroarbeit erledigt, solche Plakate sind das typische Bild, das dir die IP-Industrie vorgaukelt. In Wirklichkeit ist es so, daß der Sklavenmarkt in die eigene Wohnung getragen wird. De facto rennt das bereits, zwar alles auf freiwilliger Basis, vorläufig zumindest, doch im Grunde ist es die moderne Sklavengesellschaft, die hier auf uns zukommt. Es fängt damit an, daß jedes Netzwerk in einer größeren Firma Keystroke-Aktivitätsmessungen hat, d.h. sie können messen, welche Art von Tastenaktivitäten du hast, ob du Kreuzworträtsel löst oder ob du arbeitest. In Japan sind für Büroarbeiter Armklemmen auf dem Markt, die registrieren wieviele Anschläge du machst und wenn du unter einen Wert kommst, dann geht ein Alarmsignal los. Neue Software, wo du dich nicht mehr mit Password anmeldest, sondern per Gesichtserkennung. In den neuen Computergenerationen sind Kameras eingebaut, wo dir dein Chef über die Schulter schauen wird. Es geht aber wesentlich weiter, es geht da um Biometrie, um die Verbindung von Körper und Maschine. Wir sprechen von Hirnimplantaten in absehbarer Zukunft. Derzeit ist es so, daß es damit anfängt, daß man Biosensoren hat, d.h. Biometrik-Iriserkennung, Fingerabdruckerkennung, Handgeometrieerkennung wird jetzt generalstabmäßig eingeführt, bei den Flughäfen gibt es erste Testversuche in Frankfurt und Amerika.
In manchen englischen Städten gibt es schon mehr Kameras als Einwohner. Das Prinzip des Polizeistaats wird auf eine neue Ebene gehoben, weil keine Polizisten mehr notwendig sind, sondern nur mehr Expertenprogramme.

?: Auf der anderen Seite entwickelt sich im Netz eine gewisse Eigendynamik. Systeme, die als sicher gelten, werden von jugendlichen Hackern oft leicht außer Gefecht gesetzt.

!: So leicht ist es auch nicht, wenn sie es mal geschafft haben, bekommen sie zwei Wochen später einen Job vom Pentagon oder sie werden umgebracht. Beim Chaos Computerclub Deutschland gab es schon Tote. Ansonsten z.B. die beiden kroatischen Kids, die letztes Jahr ins Pentagon eingedrungen sind, habe n jetzt einen Job.
Die Möglichkeiten des elektronischen Widerstands z.B. the critical art ensemble oder autonome Afrikagruppe, im Dezember hatten wir das Thema Kommunikationsguerillia, sind eher gering. Natürlich gibt es Leute, die in Bürgerrechtsgruppen solche Themen behandeln, aber hier geht es doch um großflächige Tendenzen und da kann man mit anekdotischen Gegenentwürfen nicht viel ausrichten.
Wenn wir sagen, wir betreiben Public Netbase um öffentliche Bewußtseinsbildung zu betreiben, so hat das ja einen bösen Hintergrund. Die meisten Leute haben nicht die geringste Ahnung, was sich in dem Bereich abspielt. Weder die Öffentlichkeit sagt "Hallo, unser Interesse ist gefährdet", der elektronische öffentliche Raum als Idee, die reelle Partizipation, demokratiepolitische Aspekte sind gefährdet. Das spielt sich nicht ab und unsere Politiker glauben diese Dinge stehen in Sience Fiction Romanen. IBM hat als Ziel, innerhalb der nächsten 30 Jahre 40% der Weltbevölkerung biometrisch zu erfassen und das ist nur eine Firma.

?: Könnte man sagen, die Wirklichkeit hat die Science Fiction überholt?

!: Es geht einfach sehr schnell und die heute Fünfzig-, Sechzigjährigen, die in der Politik Entscheidungsträger sind, checken überhaupt nicht mehr ab, was Sache ist.

?: Wie siehst Du das: herrscht eine Informationsflut oder ein Informationsüberangebot und wie definierst Du den Begriff?

!: Information ist an sich schon - da könnte ich jetzt fast jemanden zitieren, wie auch immer - ...Information ist an sich schon Propaganda. Im Grunde vermittelt Information ein Ammenmärchen, das ist etwas, damit die Leute ruhig schlafen, weil sie dann (k)einen Sinn im Leben haben, weil sie Informationen bekommen haben. Das Problem geht noch weiter. Es ist ja nicht so, daß wir nicht jetzt schon genug Informationen hätten. Die meisten gebildeten Leute, die sich auf einem Level halten wollen, sind jetzt ja kaum in der Lage, auch nur mit dem Gedruckten Schritt zu halten. Als guter Bildungsbürger mußt du "Die Zeit" lesen und was weiß ich was für Bücher und mir mal erklären wie du das schaffst. Dann kommt plötzlich wie aus heiterem Himmel noch einmal diese wunderbare Informationswelt. Wie weit es nun Zugang zu echten Informationen gibt und wie weit das nur Desillusion ist, ist eine andere Frage. Ein neuer Aspekt ist der, daß in diesem Falle klarerweise nicht mehr die Information gefragt ist, sondern die Strukturierung der Information. Sprich: es nützt dir nichts, dein Bildschirm ist nur so und so groß, d.h. du kannst nur so und so viele Links auf einer Seite unterbringen, wobei ein Link schon eine Metainformation ist, eine Information über eine Information. Wir gehen da immer mehr in die Metaebene. Das, was am dringensten gefordert ist, ist die Zensur - was du selber willst. Du hast ein Thema und wenn du Pech hast, bekommst du darauf 30 Millionen Antworten und das erste wonach du schreist ist der Zensor, in welcher Form auch immer. Zensor ist ein böses Wort, aber jemand oder etwas das filtert, jemand dem du vertraust, möglicherweise. Ein wichtiges Thema dabei sind Softwareagenten. Ein grundsätzliches Thema ist Komplexität und wie man damit umgeht, und das Wort Hypermedia. Hyper hat zu tun mit Hyperdimensionalität, mit komplexer Topologie und Informationsarchitektur. Auch diese Frage ist letztenendes eine politische, z.B. Repräsentationssysteme als solche. Wie repräsentierst du Daten, wie repräsentierst du Symbole? Alles sozusagen gesellschaftlich sehr wichtig, denn Repräsentationsspesen werden von jedem Land getätigt, obwohl sie nur Repräsentationsspesen sind, das ist aber ganz wichtig. Ein gutes Beispiel für ein Repräsentationssystem sind Landkarten. In dem Fall spreche ich über Informationskarten, aber auf alten Landkarten und gebräuchliche Landkarten war Europa immer in der Mitte und riesengroß und rundherum waren kleine Dinge. Man kam drauf, daß das etwas komisch ist und hat nachgemessen und sah, daß diese Länder hundertmal größer sind als dieses "große" Europa, das da in der Mitte klebt. Das ist eine typische propagandistische Symboldarstellung, wo mit Hilfe der dimensionalen Verzerrung, der Vereinfachung von komplexer Information mehrdimensionale Information, sprich einer Kugel auf eine Fläche, eine Verzerrung propagandistisch ausgenützt wird. Ältere Landkarten können das noch besser zeigen. China hat sich überhaupt das Land der Mitte genannt, war ganz groß in der Mitte und hatte eine Mauer rundherum gegen die Barbaren. Im wesentlichen funktioniert so auch das moderne Medium.

?: Wie stehst Du zu dem Thema Microsoft, dem Versuch der Vereinnahmung des Nets durch einen großen Konzern?

!: Wir sehen hier das Beispiel von Medienkonzentration an einem exemplarischen Beispiel, wie man es sich vor 20 Jahren noch gar nicht hätte vorstellen können. Hier wird einfach ein Trend exekutiert, der gnadenlos weitergeht. Gerade fusioniert sich Chrysler mit Daimler und die größten Weltbanken haben sich vor zwei Monaten irgendwie fusioniert und schon in den klassischen Medien haben wir eine Medienkonzentration. Die Rolle die bestimmte Zeitungen im Land spielen, brauchen wir ja nicht erläutern, aber die Rolle die Medienkonzerne weltweit spielen, und das sind nur ein paar, das sind nur ein paar Leute, die man an den Fingern aufzählen kann. Das ist ein Angriff auf die Öffentlichkeit als solches, das ist sozusagen Krieg.

?: Wie sieht Dein Standpunkt zur Netzkultur und der Netzentwicklung in Österreich aus? Du bist ja der Hauptgründer von Public Netbase. Was war die Idee dahinter und was waren Deine persönlichen Beweggründe?

!: Da gibt es einige. Ganz vordergründig war, daß wir uns auch adaptieren, daß das Internetjahr wie die Hundejahre mal sieben multipliziert werden muß. Die dreieinhalb Jahre, vor denen wir angefangen haben, das ganz aufzuziehen, sind fast schon urgeschichtlich. Zu diesem Zeitpunkt - 94/95 - war es so, daß es für einen Privatmann, welcher Art auch immer, überhaupt keine Möglichkeit gab, in diesem Netzwerk sinnvoll zu arbeiten oder sich damit auseinanderzusetzen. Wenn du nicht zufällig auf irgendeinem speziellen Universitätsinstitut gesessen bist, damals hat die Uni insgesamt zwei Modems gehabt, oder wenn du nicht in irgendeiner High-Tech-Firma gearbeitet hast, dann warst du draußen. Die kulturelle Präsenz dieses Themas ist mir seit geraumer Zeit geläufig und es war mir ein Anliegen, eine Möglichkeit zu schaffen, natürlich auch für uns selbst und unser Umfeld, aber so gut es ging für alle Leute, die etwas für die inhaltliche Gestaltung dieser Netzwerke etwas beitragen möchten. Das war für den Kulturbereich die erste Möglichkeit eine Email-Adresse zu bekommen, geschweige denn alles erklärt zu bekommen, wie das läuft und sich eine Website zu bauen etc. Eine besondere Situation ist, daß Österreich ein isoliertes Land ist, im Schatten des eisernen Vorhangs, in der Dunstglocke des Kalten Krieges, eine künstlichen Mickey-Mouse-Existenz geführt hat und aus seinem postimperialem Trauma nicht mehr aufgewacht ist und de facto immer noch im 19. Jahrhundert schwebt und dementsprechend auch der Diskurs oder die Diskussion in Österreich nicht auf der Höhe der Zeit ist. Das hat natürlich auch damit zu tun, daß vieles, was diskutiert wird, nicht auf Deutsch diskutiert wird, sondern im angelsächsischen Raum und bis diese Bücher in Österreich "landen"... Wenn sie überhaupt landen, dann zu völlig überteuerten Preisen in Spezialbuchhandlungen, oder viele Jahre später als Übersetzungen auf den Markt kommen, wenn dieses Thema schon längst gegessen ist. Das ist auch eine persönliche Motivation. Es macht keinen Spaß, mit Leuten zu streiten, die überhaupt nicht wissen wovon du redest. Insofern war das für mich eine Motivation plötzlich in der Lage zu sein, den aktuellen Diskurs mit Leuten die wir z.B. eingeladen haben als Online-Publikation anbieten zu können. Jetzt gibt es schon jede Möglichkeit von Textsites im Internet, sie sind regelrecht explodiert, denn wie wir angefangen hatten, konnte man sie noch an den Händen abzählen. Ich weiß von vielen Leuten, aus anderen Provinzen, z.B. Spanien, für die es nicht leicht ist, ein aktuelles Buch zu einem bestimmten Thema zu bekommen und uns benützt haben um sich bestimmte Texte herunterzuladen.

?: Wohin soll sich das Projekt Public Netbase entwickeln und wo sind Deine realen Grenzen? Ab wann würdest Du sagen, Du warst erfolgreich oder Du bist gescheitert?

!: Wir sind hier sozusagen die ad-hoc-Operative, wir machen diesbezüglich keine Fünfjahrespläne. Das hat auch damit zu tun, daß wir nicht wissen, ob wir das nächste halbe Jahr finanzieren können. Das ist das Besondere an dieser Entwicklung in den letzten Jahren, es war ja ganz lustig, in gewisser Weise. Da war ein Ding und einige Leute haben kapiert, das ist wichtig. Inzwischen hat jede Escape-Firma ihre URL auf dem Plakat. Aber die Leute, die sich damals damit beschäftigt haben, waren entweder Freaks, Visionäre, Anarchisten oder sonst etwas. Und es war lustig zu sehen, wie die plötzlich alle in qualifizierten Gremien gesessen sind oder mit viel Glück irre gut verdienende Firmen aufgezogen haben. Das war ein interessantes Phänomen wo die Stimmen von Leuten gehört wurden, die sonst nie etwas zu sagen hatten. Am Anfang, wenn noch keiner hinsieht und dieses Bächlein noch sehr zart vor sich hinrieselt, kann man durch relativ kleine Interventionen Einfluß nehmen, später geht das nicht mehr. Ich interessiere mich z.B. fürs Fernsehen überhaupt nicht, weil es nur aus monolithischen verkarsteten Blöcken, bei denen es keinerlei Möglichkeiten der Intervention gibt, besteht. Es ist durchaus denkbar, daß das, worüber wir heute sprechen, bald auch so ist, daß es keine Möglichkeiten der Einflußnahme mehr gibt. Jetzt passieren halt Dinge, meistens zum Schlechteren, aber du kannst zumindest dagegen antreten. Wenn du keine Möglichkeit mehr anzutreten hast, als jemand der taktisch operieren muß, bleibt nur mehr der Rückzug, und vielleicht die Möglichkeit zu einem späteren Zeitpunkt in einer anderen Situation zuzuschlagen.

?: Wo ist der Punkt, an dem das System für Dich zu festgefahren ist, wenn keine persönliche Motivation mehr möglich ist? Sagen wir, wenn Du zum Aufgeben gezwungen wärst.

!: Aufgeben tun wir nie, wenn schon "aufgeben müssen".

?: Oder siehst Dich zum Beenden gezwungen, siehst keine Möglichkeit mehr in der Form weiterzumachen.

!: Wenn du einer Übermacht gegenüberstehst, ist es nicht besonders mutig anzugreifen. Es würde nichts bringen, du würdest der Sache selbst nicht nützen können. Andererseits ist dieses Werkzeug, das eher eine Waffe ist als ein Werkzeug, durchaus sehr wirkungsvoll, sowohl im negativen als auch im positiven Sinne. Ich habe mich in meinen Ausführungen mehr auf die negativen Seiten konzentriert. Die positiven kann sich jeder ein wenig ausrechnen, wenn man Phantasie hat, und wenn nicht, kommt man eh zu nichts. In unserer täglichen Arbeit zeigen wir hier sehr viele positive Beispiele, wie Leute, die in entfernten Ländern der Welt sitzten, gemeinsam Projekte machen und das Medium als Mittel der Emanzipation nützen und des Inpowerments. Ich glaube, daß kleine, unabhängige Gruppierungen z.B. im Kulturbereich gar nicht anders können, als flexibel, mobil, intelligent zu sein, kleine Strukturierungen zu verwenden um in der Lage zu sein, zu operieren. Du mußt, wenn du arbeiten willst, auf dem neuesten Stand sein, du mußt diese Dinge benützen, um überhaupt mitspielen zu können. Natürlich gibt es eine eigene Dimension, die sich eröffnen könnte durch einen emanzipatorischen, liberatorischen Einsatz dieser Technologien.
Obwohl über Strecken vieles von dem, was man diesbezüglich kennt, von der Industrie vereinnahmt wurde, kann man aber trotzdem sagen, daß eine ganze Generation von Kids sich ihre eigene Welt geschaffen hat durch die Appropriation neuer Medien, in dem sie eine völlig neue Musik geschaffen haben mit Hilfe dieser Maschinen, die so nicht vorgesehen waren.