Beiträge zur geistigen Situation der Gegenwart  Jg. 6 (2005), Heft 6


 

Artur R. Boelderl: Georges Bataille. Über GottesVerschwendung und andere Kopflosigkeiten, Berlin 2005, Parerga-Verlag, 129 S.,   ISBN 3-937262-18-0, 18,20 €.

Bataille in einem Spannungsfeld zwischen Hegel und Nietzsche zu verorten, ist fester Bestandteil der Bataille-Rezeption seit Ende der 60er Jahre. Derrida hatte mit seinem grundlegenden Aufsatz über Batailles „rückhaltlosen Hegelianismus“ von 1967 die starke Präsenz Hegels im Werk Batailles herausgestellt. Obwohl Batailles aphoristische und literarische Schreibweise viel eher den Bezug zu Nietzsche anzeigt, ist doch seine Sprache lexikalisch und in ihrer gesamten Architektur durch und durch hegelianisch. Dieses eigenartige Zusammen von Hegel und Nietzsche macht wohl den besonderen Reiz an Batailles Denken aus und es ist mit dieser Matrix wohl auch am besten möglich, sich diesem Denken zu nähern und dessen Struktur zu erfassen (die französische Rezeption, vor allem Denis Hollier, Philippe Sollers, Maurice Blanchot, Jacques Derrida u. a. erkannte und interpretierte Bataille zumindest prominent mit der Matrix Hegel/Nietzsche). Natürlich stellt dies auch eine Reduktion dar. Batailles Bezüge sind vielfältig und interdisziplinär. Sören Kierkegaard, Leo Schestow, Sigmund Freud, Marcel Mauss, D.A.F. de Sade, Batailles Auseinandersetzungen mit André Breton und Jean-Paul Sartre und weitere wichtige Quellen wären hier zu nennen. Hegel und Nietzsche stellen auf diesem Horizont aber gewisse Fixpunkte dar, an denen das Denken Batailles seine stärksten Resonanzen findet, auf die es sich fortwährend bezieht und an denen es sich schreibend abarbeitet.

Der Autor des vorliegenden Buches über Bataille richtet seine Ausführungen an dieser gesicherten Rezeptions- und Interpretationslinie aus und referiert in den ersten zwei Kapiteln jeweils Batailles Bezug zu Hegel sowie den zu Nietzsche. Die Argumentation hat dabei zum größten Teil reproduktiven Charakter und gibt die Wissensbestände der Sekundärliteratur in knapper Form wieder. Hierbei richtet Boelderl die Argumentation an bestimmten Schlüsselkategorien wie Opfer, Wiederholung, das Heilige u.s.w. aus und legt damit inhaltliche Verbindungszusammenhänge durch die einzelnen Kapitel. Dem Begriff des Opfers kommt dabei besondere Bedeutung zu, er dient dem Autor als roter Faden durch das Hegel/Nietzsche-Labyrinth, der bei Boelderl in einer Betonung der Religionstheorie Batailles hinausläuft.

Der Bezug Batailles zu Hegel steht ganz unter einer bestimmten Lesart von Hegels „Phänomenologie des Geistes“, die den Fokus auf die Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft, das Moment der Anerkennung und die Negativität des Bewusstseins lenkt. Es ist eine Lesart, die durch Alexandre Kojève geprägt ist, der in den 1930er Jahren an der „Ecole des Hautes Etudes“ in seinen Seminaren eine Hegel-Rezeption initiierte, die für die französische Geistesgeschichte ganz außerordentliche Bedeutung gewinnen sollte (Lacan, Merlau-Ponty, Queneau, Caillois, Sartre, Aron u. a. waren neben Bataille an diesen Seminaren beteiligt und wurden maßgeblich von dieser Hegel-Lesart beeinflusst). Kojève bewerkstelligte eine radikale Anthropologisierung des Hegelschen Geistes, die die Phänomenologie auf die Herr/Knecht-Dialektik zuspitzt, Hegels „Ende der Geschichte“ beim Wort nimmt und die „Phänomenologie“ als eine Philosophie des Todes liest. Erst durch diese Lesart ist überhaupt ein Anschluss an Nietzsche denkbar, ein Anschluss und eine Koalition, die in Batailles literarischer Praxis ständig präsent sind. Die Überschreitung, die Subversion Hegels führt hier direkt zur Souveränität Nietzsches.

Boelderl erwähnt diese besondere Lesart Hegels aber nur ganz kurz, er steigt viel mehr thematisch ein und verfolgt einige Aspekte aus Hegels „Phänomenologie“, die er dann im Folgenden direkt mit Batailles Theorie des Opfers verbindet (die er dessen Schrift „Theorie der Religion (1948) entnimmt). Boelderl hebt hervor, dass „der Hegelsche Geist offenbar einer Opferlogik folgt“ (S. 20) die mittels der Hegelschen Dialektik vollzogen werde: Das (Selbst-)Bewusstsein „opfert … Grunderfahrungen menschlichen Daseins, um sich auf die Ebene des Geistes aufschwingen zu können“ (S. 31), Hegel beschreibe eine idealistische Selbstaufopferung des Bewusstseins, welches im „Verzicht auf Begierde und Genuß“ (S. 31) zu seiner Einheit finde.

Es wird bei diesen Ausführungen nicht klar, aus welcher Perspektive argumentiert wird: liest der Autor dies aus dem Hegelschen Text selbst heraus? Wird hier die Interpretation Hegels durch Kojève/Bataille vorgestellt? Oder handelt es sich um eine eigene Interpretation des Autors durch die Brille von Kojève/Bataille? Durch das Fehlen der Abstützung durch die Bezugsliteratur (anhand derer aber zweifellos implizit argumentiert wird) bleibt der Referenzrahmen der einzelnen Interpretationsstränge diffus. Dabei setzt Boelderl mit der Opfertheorie Batailles in Bezug auf Hegel durchaus treffsicher an. In der Interpretation Hegels durch Bataille bzw. Kojève haben Tod und Opfer zentrale Bedeutung. An den Stellen, wo Hegel die Genese des Bewusstseins akzentuiert, liest Bataille im Anschluss an Kojève dort den Tod des animalischen Seins heraus und setzt diesen als Problem. Die Zerstörung bzw. die Negation der Sinnlichkeit, gelesen als eine Opferung, gewinnt hierbei Gewicht. Boelderl zitiert zentrale Stellen aus der Herr/Knecht-Dialektik und weist mit Bataille (ohne ihn selbst heranzuziehen) auf die Opferung des Selbstbewusstseins hin, das „unglückliche, in sich entzweite Bewußtsein“ (Hegel) gelangt dadurch zur Einheit, zur Vorstellung der Vernunft, dass es aus sich die Begierde und den Genuss opfert, d. h. negiert und aufhebt. Das Selbstbewusstsein wird sich selbst gegenständlich, vergegenständlicht sich durch die Opferung der Dimension der Sinnlichkeit.

Dieses Opfer scheint bereits auf einer höheren Stufe des Selbstbewusstseins stattzufinden, in der ein in sich entzweites Bewusstsein dialektisch fortschreitet. Das Selbstbewusstsein ist eines, welches die „Unwirklichkeit" (Hegel) des Todes bereits in sich aufgenommen hat; Boelderl stellt die (Selbst-)Opferung des Selbstbewusstseins mit der Herr/Knecht-Dialektik heraus (S. 27-31). Hier lässt sich jedoch differenzieren. Wenn das Thema die Negation von Sinnlichkeit ist, so müsste hier eigentlich auch einfließen, was Hegel im Kapitel über die „sinnliche Gewissheit" ausarbeitet. Denn hier wird gewissermaßen eine anfängliche Negation beschrieben, die ebenso Opferzüge trägt und für Batailles Überlegungen hohe Wichtigkeit hat. Das Bewusstsein sieht sich hier einem unmittelbaren sinnlichen Sein gegenüber. Diese Unmittelbarkeit kann geistig nicht erfasst werden und es ist die erste Tat des Bewusstseins, diese „sinnliche Gewißheit" (Hegel) zu negieren. Aus dieser „blinden Nacht", wie Hegel schreibt, der „unmittelbaren Sinnlichkeit", welche nicht denkbar ist, erhebt sich das Bewusstsein durch die negierende Tat. Diese Tat ist die Benennung durch die Kraft des Verstandes (Hegel). Bataille wird dies als die Tat der Sprache herausstellen und diese Tat als eine Fluchtbewegung vor der bedrohlichen „sinnlichen Gewißheit" interpretieren. Die Sprache, der anhebende sinnhafte Diskurs ist der Exekutor der Negation, durch die sich das menschliche Sein Bewusstsein verschafft und das positive animalische Sein opfert, die Trennung von Materie und Geist vollzieht. Bewusstsein, Sprache und Sinn verweilen in der Negativität. Während Hegel nun aber mit der genialen Figur der Aufhebung die positive Unmittelbarkeit als geistige Gegenwärtigkeit zu bewahren vorgibt, sieht Bataille hier einen Ausschluss, eine Zerstörung: die sprachlich-geistige Repräsentation hebt nicht auf, sondern mordet; die Sprache ist eine Lüge, ein Komplott. Das „Ich"-sagende Bewusstsein wähnt sich als souveränes aufgehobenes Sein, hat aber den konstitutiven Ausschluss in seinem Zentrum. Sprache und Sinnlichkeit sind daher für Bataille nicht vermittelbar.

Die Opferthematik ist für Batailles Bezug zu Hegel ein zentraler Punkt, sie ist aber verbunden mit dem Problem oder vielmehr mit der Dimension von Sprache und Sprachlichkeit, was Bataille immer wieder betont. Dass diese gewichtige Dimension bei Boelderl keine Beachtung findet ist eigentlich seltsam, gerade auch, weil die französische Rezeption herangezogen wird. Der gesamte Bataillsche Diskurs gestaltet sich als einer, der gegen die Diskursivität selbst anschreibt. Es gilt für Bataille, diese aus ihrer Knechtschaft zu führen, an der Aufhebung der Negativität der Sprache zu arbeiten. Was im sog. „theoretischen Werk“ schon evident ist, das gilt in besonderer Weise für das literarische bzw. „obszöne Werk“, Texte, für die, wie Derrida treffend bemerkt, der Philosoph „blind ist“. Dieser blinde Punkt ist die Wunde, die Hegel verdeckt hatte und in die Bataille seinen Finger legt. Der sinnhafte Diskurs selbst ist mit Blindheit über seinen eigenen konstitutiven Ausschluss geschlagen. Der Triumph Hegels, alles sagen zu können, alles in restloser Aufhebung zu bewahren, ist nach Bataille lächerlich, eine knechtische Repräsentation, die der Sinnlichkeit ausweicht, ihr den Rücken kehrt; sie hat die souveränen Anteile des Seins geopfert.

Der Begriff des Opfers bei Bataille, dessen Präsenz über sein ganzes Werk verstreut ist, ist vielschichtig und fungiert als Schlüsselbegriff. Das Opfer taucht zwar in Batailles „Theorie der Religion“ (1948), welche Boelderl bevorzugt heranzieht, mit ethnologischer Konnotation auf, diese Ebene wird aber von Bataille ständig unterlaufen bzw. verweist in ihrem Subtext auf den zentralen Hegelschen Komplex von Negation und Repräsentation. Das archaische Opferritual, welches Bataille in der „Theorie der Religion“ beschreibt, bildet insofern die Folie für Batailles Theorie der Subjektivität: die Autonomie des Bewusstseins wird mit den Anteilen in Berührung gebracht, die es ausstoßen musste, um sich zu konstituieren, auf seinem Grund befindet sich jene negierte Positivität, die nicht in den sinnhaften Diskurs überführt werden konnte. Diese Konfrontation ist die große Leistung Batailles, an der er sich schreibend abarbeitet, es ist die Stelle, an der er das Hegelsche System zum Kollabieren bringt, der Punkt, an dem die sinnhafte Rede aussetzt. Es ist auch diejenige Stelle, an der Nietzsche bzw. die Souveränität auf die Bühne tritt.

So richtig die Hervorhebung des Opferbegriffes in Verbindung zu Hegel ist, Boelderl bleibt auf halber Strecke stehen, da er mit dem Auslassen der Dimension von Sprache und Sprachlichkeit und der damit verbundenen subjekttheoretischen Ebene die wesentliche Bewegung des Bataillschen Diskurses verfehlt. Die Wucht, mit der die philosophische Subjekttheorie hier dekonstruiert wird, kommt somit gar nicht ins Blickfeld.

Der bezeichnete blinde Fleck im Hegelschen System ist jene Stelle, die Bataille als Chance sieht, der Negativität zu entkommen. Dies führt bei Bataille zu einer Überschreitung an der Grenze der Sprache hin zu jenem Punkt, an dem der Sinn geopfert wird, keine Repräsentation mehr möglich ist, also keine Unterordnung unter einen Diskurs, der Bedeutung vermittelt. Für Bataille markiert Nietzsche diese souveräne Position.

Boelderl zieht die Verbindungslinie zu Nietzsche mit dem Leitbegriff des Opfers und zeichnet die besondere Verfahrensweise Batailles in Bezug auf Nietzsche heraus. Hier ist Boelderl näher am Thema der Repräsentation bzw. der Überschreitung der Repräsentation durch Batailles textliche Verfahrenspraxis (ohne dies jedoch als eine Leitlinie herauszuarbeiten). Bataille identifiziert sich schreibend mit Nietzsche, und zwar so, dass er Nietzsche nicht einem intelligiblen Diskurs unterordnet: er beseitigt die hermeneutische Distanz zwischen sich und Nietzsche. Damit suspendiert Bataille die Aneignungsfunktion des Selbstbewusstseins. Das souveräne Moment wird nur im Aufgeben der knechtischen Subjektivität möglich. Bataille leistet bezüglich Nietzsche das Opfer des Eigenen und schreibt aus Nietzsche heraus anstatt über ihn. Das Opfer besteht in der Wiederholung Nietzsches. Boelderl führt hierzu aus: „Insofern stellt … die Wiederholung als solche bereits ein Opfer dar, impliziert sie doch den Verlust der Identität sowohl dessen, der wiederholt, als auch dessen, was (oder der) wiederholt wird“ (S. 70). Der Text Batailles geht eine Verbindung ein, praktiziert das, was Bataille „Gemeinschaft“ („communauté“) nennt, er bezieht sich auf Nietzsche nicht wie auf einen Autor, wie auf ein Objekt, welches geschlossenes, auf Kohärenz reduziertes Wissen mitteilt, sondern folgt Nietzsche in der Bewegung der Souveränität.

(Dass dieses Durchstreichen, diese Dezentrierung des Subjekts den später proklamierten Komplex „Tod des Autors" bereits avant la lettre darstellt, ist augenfällig).

In einem dritten Kapitel stellt Boelderl Batailles spezifisches Verständnis von Religion vor. Boelderls These ist, dass Batailles Oeuvre letztlich auf seinen Begriff von Religion hinausläuft. Man muss hier beachten, und das unterstreicht Boelderl auch, dass es sich nicht um einen theologischen Religionsbegriff handelt, sondern um einen Begriff der Erfahrung. Das Heilige erscheint als eine Erfahrung des Nicht-Wissens (non-savoir), d. h. es erscheint durch die Überschreitung des negativen knechtischen Bewusstseins (man könnte auch sagen: des transzendentalen Bewusstseins). Für Bataille ist dies, auf die Sprache bezogen, der Bruch mit dem Diskurs, der Entzug des Sinns und des Wissens. Diesen Punkt des Außersich-Seins, der keine Bedeutung vermittelt und überhaupt eine Auflösung des Subjekts ist, beschreibt Bataille als das Heilige. „Der Mensch ist göttlich in der Erfahrung seiner Grenzen“ schreibt Bataille. Die Bewegung der Überschreitung, die Bataille anstrebt, führt das Subjekt hin zu jenem Ausgeschlossenen (Geopferten), durch welches es sich abkehrend konstituiert hatte.

Ob nun der Begriff der Religion die Klammer ist, die die Elemente des Bataillschen Denkens zusammenhält, wie Boelderl meint, sei dahingestellt. In einer Tiefendimension gleiten die Begriffe Batailles ineinander und weisen letztlich in eine Richtung. Die theologischen, ethnologischen oder soziologischen Maskierungen stellen Diskursschablonen dar, in die sich Bataille einschreibt. Sie dienen als Oberflächenfolie, gewissermaßen als Sprungbrett, um die Überschreitung des Diskurses zu initiieren. Innerhalb des Sprachraums vollzieht Bataille ständig einen Bruch hin zur Öffnung des servilen Seins. Diese Bewegung, dieser Bezug zum Nicht-Darstellbaren, stellt die tiefer liegende Intention dar, welche als Subtext das gesamte Werk Batailles durchzieht.

Die Publikation von Boelderl hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Der Autor kämpft sich zwar stolz durch das Dickicht des Bataillschen Textes, ist aber nur bewaffnet mit den Exegesen der Sekundärliteratur, sodass hier nur ein Nachvollzug, ein Nachgehen eines bereits abgesteckten Weges geliefert wird. Es gibt hier nichts Neues zu lesen, sondern eine Zusammenfassung, ein Nachvollzug, der sich zudem eine gewisse Selbstgefälligkeit zu zeigen nicht scheut. Diese komprimierte Darstellung hat aber dennoch durchaus ihren Reiz. Bedenklich ist dabei aber, dass hier eine bloß halbierte Interpretation gegeben wird, die zwar prinzipiell mit dem Bezug auf Hegel und Nietzsche den Horizont des Bataillschen Denkens treffsicher absteckt und erläutert, aber die gewichtigen Tiefendimensionen von Sprachlichkeit und Subjektivität auslässt und sich somit an Oberflächenphänomenen abarbeitet.

Lars Steinmann

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