Dankesrede von Katharina Wagenbach zur Verleihung des Kurt-Wolff-Preises

Leipzig, den 17. März 2006

Zunächst, um alle Mutmaßungen auszuräumen, ich bin nicht verwandt mit Kurt Wolff. Seine Familie stammt aus Bonn, die meine aus St. Petersburg.
Ich war noch sehr jung, als ich Anfang der 60er Jahre Kurt Wolff in Locarno kennenlernte, und es sind nur Erinnerungssplitter, die ich Ihnen dennoch nicht vorenthalten möchte. Es war für mich damals sehr überraschend, einen Verleger in der Umgebung eines noblen Hotels, das zugleich sein Verlagsdomizil war, zu treffen.

Während meiner Lehrzeit bei den Frankfurter Heften und der Frankfurter Verlagsanstalt war ich meinem Lehrherrn Eugen Kogon nur in Büroräumen hinter ledergepolsterten Türen in geschäftiger, sachlicher Atmosphäre begegnet. Auch Peter Suhrkamp, der mit seinem anfänglich eher kleinen Verlag im gleichen Haus in wenigen Kontor-Räumen residierte, nahm sich gern Zeit, Lehrlinge, darunter auch mich, zu Gesprächen, vor allem Belehrungen, in sein spartanisch eingerichtetes Büro ohne Sessel oder gar Sofas einzuladen.

Ganz anders die Atmosphäre, in der ich Kurt Wolff begegnete. Unvergeßlich seine unmanierierte, herzliche Höflichkeit; er verstand es, seine literarische Neugier hinter einer charmanten Liebenswürdigkeit zu verbergen, wobei er sich selbst zurücknahm und dem Gast suggerierte, der wissendere und ihm überlegene zu sein.

Er bat mich um ein Votum zu einem Manuskript von Abraham Terz - das Pseudonym, unter dem Andrej Sinjavskis Satiren aus der Sowjetunion geschmuggelt worden waren. Kurt Wolff, der die Rechte von Pasternaks „Doktor Schiwago" für Amerika erworben und damit einen sensationellen Erfolg erlebt hatte, hoffte auf weitere aufsehenerregende Stimmen aus Rußland. Ich riet ihm ab, die Rechte für diese Satiren zu erwerben, schrieb ein sehr subjektiv urteilendes Votum - natürlich nicht ganz frei von Angst über meine Vermessenheit, dem erfahrenen Verleger von einem von mir vielleicht verkannten Erfolg abgeraten zu haben. Kurt Wolff hat diese satirischen Erzählungen nicht verlegt und bedankte sich bei mir mit einem honorigen Scheck.

Etwas später, ich glaube, 1963, war ich noch einmal sein Gast während der Frankfurter Buchmesse, anläßlich eines Essens zu Ehren von Günter Grass und dessen sämtlichen ausländischen Verlegern. Wir erlebten Kurt Wolff als außerordentlich großzügigen Gastgeber, der sich gewandt in vielen Sprachen verständigte und den Autor, zu dessen Erscheinen der „Blechtrommel" in Europa und Amerika er uns alle eingeladen hatte, mit ausnehmender Liebenswürdigkeit und großem Respekt behandelte. Auch hier wieder sich zurücknehmend und sich entschuldigend für den nach seinem Geschmack missglückten Ossobucco des Hotelkochs.

Die Begegnungen mit diesem großen und bewunderungswürdigen Verleger hinterließen Spuren: Sie ermutigten mich, 1983 die Friedenauer Presse, die 1963 in der Wolff's Bücherei in Friedenau ihren Anfang nahm, fortzusetzen: von meinem Domizil aus, ohne perfektes Büro, ohne großen Apparat, nur auf die Erfahrungen gestützt, die ich zunächst bei den Frankfurter Heften und vor allem bei der Frankfurter Verlagsanstalt mit Alfred Andersch und Walter Maria Guggenheimer als Lektoren, dann längere Zeit im Verlag Klaus Wagenbach sammeln konnte - zusammengenommen eine wunderbare lange Lehrzeit.

Auch der Mut zu persönlichen, „subjektiven“ Entscheidungen gehört zu diesen Spuren. Mir hatten seinerzeit die Satiren Sinjavskis einfach nicht gefallen, mein Urteil war, soweit ich mich erinnere, sehr subjektiv, aber offenbar glaubwürdig, so daß ich mir jetzt diese persönliche Entscheidungsfreiheit zum Gradmesser oder als Richtschnur zugelegt habe, gewiß nicht ohne die Interessen einer Leserschaft einzubeziehen.

Dieser Rezeptur scheint auch meine jüngere Mitpreisträgerin, Daniela Seel, zu folgen, dafür spricht ihr schöner und beachtlicher Erfolg, zu dem ich ihr herzlich gratuliere.

Wir gehören beide zu den oft zitierten Nischen-Verlagen. Dieser Begriff will mir nicht recht gefallen, zumal kürzlich der Buchhandelsriese Thalia den kleinen Buchhandlungen den Weg in die Nische empfohlen hat. Auch bei den Großverlagen hat er sich, auf die kleinen gemünzt, eingebürgert und wird meist etwas abschätzig als - unprofessionelles - Hinterzimmer mit beschränkten Vertriebsmöglichkeiten und begrenzter Resonanz verstanden.

Mir erscheint die architektonische Bedeutung - Nische als kleine Erweiterung eines Raumes - in seiner sehr viel aufwertenderen Bedeutung akzeptabler und treffender. Diese kleine Erweiterung verschafft die Möglichkeit, freier in seinen Entscheidungen zu sein, und verringert Belastungen wie hohe Miete und Gehaltskosten, übermäßigen Werbeetat und weiteren Aufwand. Wichtig ist, daß man weiß, wie es in diesem Raum des Verlegens zugeht - ich erwähnte schon meine lange Lehrzeit - man sollte schon ein paar Bücher gelesen haben, ein paar Sprachen können und wissen, wie vom Manuskript bis zum Einband ein Buch entsteht und vor allem, wie es aussehen soll.

Kurt Wolff hat in seinem schönen Buch „Autoren/Bücher/Abenteuer", das ich allen, so Sie es noch nicht kennen, sehr empfehle. Er hat darin ausführlich anhand von vielen Beispielen beschrieben, welche Elemente zusammenkommen müssen, um diesen Raum, das Verlegen von Büchern zu erklären. Doch auch er, der erfahrene, hochgebildete, so fachkundige Verleger und Kollege, schreibt hier nach Ratschlägen und Erfahrungen den abschließenden, beschwörenden Satz. „Unentbehrlich ist, Glück zu haben."

Dem Enthusiasmus, von dem er als Voraussetzung für diesen Beruf spricht, können wir kleinen Verleger in unserer als Erweiterung verstandenen Nische freieren Lauf lassen. Enttäuschungen über schlechte Absatzzahlen, abgeworbene Autoren, fehlende Besprechungen sind schnell vergessen, wenn man ein neues, ein elektrisierendes Manuskript liest, von dem man meint, daß es auch andere Leser fesseln, packen und beglücken wird - wenn es denn den Weg zu ihnen findet.

Und wenn dieser Enthusiasmus gelobt wird und Anerkennung findet durch den Kurt-Wolff-Preis, so wird die Begeisterung - und die viele Arbeit - großzügig gewürdigt, wofür ich der Jury herzlich danke.
Danken möchte ich auch meinen Mitstreitern, dem Künstler und Autor Horst Hussel, der fast alle Umschläge gestaltet hat und das Gesicht des Verlages prägte, ich danke Peter Urban für seine zahlreichen hervorragenden und anerkannten Übersetzungen und Editionen russischer Literatur, vor allem danke ich dem treuen Setzer Harald Weller, der von Beginn an, zunächst auf seiner Linotype in Blei, in jüngerer Zeit mit dem Computer, alle Bücher des Verlages gesetzt hat.

Ich gratuliere bei der Gelegenheit Maximilian zu seinem heutigen 13. Geburtstag und danke den drei jungen Herren, daß sie heute für mich die Schule schwänzen. Zum Schluß soll noch einmal Kurt Wolff zu Wort kommen, mit dem schönen Satz, ich zitiere: „Am Anfang war das Wort und nicht die Zahl." Ich danke Ihnen.

Katharina Wagenbach-Wolff