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Ausgabe 44 - Winter 2004/2005

Chinatown und Synagogen - Minderheiten in Havanna

Mehr als 400 Jahre lang, bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts, war Kuba ein Einwanderungsland. Heute kann man zweifellos sagen, dass die Mehrheit der Bevölkerung gebürtige Kubaner sind. Ihre quantitative Überlegenheit setzte Mitte des 19. Jahrhunderts ein und dauert bis heute an. Dies ist das Ergebnis einer lang anhaltenden, komplexen und vielfältigen transkulturellen Verschmelzung. Trotzdem gibt es Minderheiten, die ihre Eigenart als ethnische und religiöse Gruppe behaupten.

von Yasmín Boffill Orama

Unter der spanischen Herrschaft wurden die indigenen Völker Kubas in kurzer Zeit vollstän dig ausgelöscht was letztendlich den Sklavenhandel nach sich zog. Die spanischen Eroberer brachten nicht nur ihre Sprache, Kultur und Gesellschaftsform ins Land, sondern auch ihre Religion, den Katholizismus. Dieser war lange die einzige offizielle Religion und bis heute nimmt die katholische Kirche eine wichtige Stellung in der kubanischen Gesellschaft ein. Die Abhängigkeit der katholischen Kirche von der spanischen Krone im Allgemeinen, und der unterwürfige Gehorsam der lokalen kirchlichen Strukturen im Speziellen führten hier - in der Diaspora - zu einer besonderen Form des Katholizismus: dem so genannten spanischen Volkskatholizismus, der gegenüber den reformerischen Tendenzen in Europa verschlossenen war, und unter starkem Einfluss zum Christentum konvertierter Araber (Morisken) und Juden (Marranen) stand sowie sich eines mittelalterlichen Aberglaubens bediente.

Mit dem Sklavenhandel kamen mehr als eine Million Afrikaner nach Kuba, die auf den Kaffee- und Zuckerplantagen arbeiteten. Sie brachten aus ihren jeweiligen Herkunftsländern - hauptsächlich südlich der Sahara gelegen - kulturelle Riten, Religionen, Musik und Tänze mit. Die extrem hohe ethnische Diversität machte die Wiederherstellung der Endogamie vieler Völker unmöglich und die Bindung an ihre ursprünglichen Bräuche riss ab. Obwohl es den Sklaven verboten war, ihre Religionen auszuüben, konnten die spanischen Kolonialherren die afrikanischen Götter nicht aus ihren Köpfen vertreiben. Um sich ihre Gottheiten zu erhalten, suchten die Afrikaner sich Paten unter den Heiligen der römisch-katholischen Kirche: So wurde z.B. aus der heiligen Barbara Changó, der Gott der Männlichkeit, des Donners und des Krieges. Die heilige Mercedes stand Pate für den zweigeschlechtlichen Obatalá, Gott der Kreativität und der Klugheit. Die barmherzige Jungfrau von Cobre, die in einem feierlichen Akt durch Papst Johannes Paul II. während seines Aufenthaltes 1998 zur Nationalheiligen Kubas gekrönt wurde, symbolisiert Reinheit und Keuschheit, während ihr Pendant Ochún, die Göttin des Flusses, der Liebe, der Schönheit und des Reichtums ist. Sie alle sind Teil des Pantheons der orishas, der Götter der Santería-Religion, die von den Angehörigen des Yoruba-Volkes ausgeübt wird und aus dem heutigen Nigeria stammt.

Drei weitere wichtige ethnische Gruppen und ? von den Chinesen abgesehen ? auch Glaubensgemeinschaften sollen im folgenden genauer betrachtet werden: Araber, Juden und Chinesen.

Die Araber

Die deutlichste Präsenz von Morisken in Amerika existierte lange in Kuba: Die ersten arabischen Spuren auf der Insel waren hispanisch-moriske und moriske-nordafrikanische Einwanderer, Sklaven wie freie Menschen, die zum Katholizismus konvertiert waren. Der geschichtliche Höhepunkt der arabischen Präsenz auf Kuba liegt zwischen der zweiten Hälfte des 19. und der ersten des 20. Jahrhunderts. In diesem Zeitraum erreichte eine große Zahl von Libanesen, Palästinensern, Syriern und - in geringerer Zahl - Ägyptern, Lybiern, Algeriern und Jemeniten die Insel. 1931 zählte die arabische Gemeinde 9.360 Mitglieder. Die arabischen Einwanderer werden nach ihren konfessionellen Unterschieden unterteilt: Die aktivsten in ihren liturgischen Praktiken waren die Maroniten. Ihre vier Prediger in Havanna ? in den Haupt-Gemeinden San Juda, San Nicolás, Jesús María y José und Santo Cristo del Buen Viaje sprachen die Gebete auf Arabisch. Die Maroniten führten für die christlich-arabische Gemeinde von Kuba Hochzeiten, Taufen und Bestattungen durch. Der Einfluss dieser Gruppe hinterließ auch Spuren in der Architektur: Während des XVII. und zu Beginn des XVIII. Jahrhunderts war der Mudejarstil sehr verbreitet. In Havanna, Remedios und Santiago de Cuba existiert ein bedeutendes Erbe dieser sevillianischen Bauschule. Er ist sichtbar in Kirchen und Profanbauten im historischen Zentrum von Havanna: An der Kirche zum Heiligen Geist, an den Häusern Nr.12 in der Straße Oficios und Nr.4 in der Straße Tacón sowie am Palacio de las Ursulinas in der Straße Bernaza. Große Teile von ihnen wohnten im so genannten barrio árabe im Stadtteil Centro Habana entlang den Straßen Monte als Hauptachse sowie San Nicolás, Corrales, Antón Recio und Figuras. Eine Dekade nach der Revolution, 1970, lebten noch 420 arabischstämmige Personen auf der Insel. Ihre Nachkommen sind heute in der Unión Árabe de Cuba, einer Nichtregierungsorganisation, zusammen geschlossen, die sich 1979 mit dem Ziel gegründet hat, die arabische Identität, Tradition und Kultur wirkungsvoller zu fördern. Heute leben in Kuba weniger als 100 arabischstämmige Menschen.

Die Juden

Der erste "Jude" betrat im Gefolge von Christoph Kolumbus kubanischen Boden: Luis de Torres war ein konvertierter Jude. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts kam es jedoch zu keiner nennenswerten Einwanderung von Juden nach Kuba.

Die 1920er Jahre sahen dann mehr jüdische Einwanderer in Kuba als jemals zuvor. Zu jener Zeit waren es vor allem Emigranten aus Osteuropa (z.B. Rumänien, Litauen, Russland, Polen). Doch viele der Juden, die nach dem Ersten Weltkrieg und später aufgrund der Verfolgung durch die Nationalsozialisten auf die Insel kamen - dann schon aus ganz Europa - sahen Kuba lediglich als Durchgangsstation auf ihrem Weg in die USA an: Die Zahl der Juden in Kuba stieg und fiel entsprechend der Möglichkeit, von dort aus nach Nordamerika zu gelangen. Die Gründung des Patronato de la Comunidad Hebrea de Cuba im Jahre 1953 und der Bau des jüdischen Zentrums in Havanna waren Versuche, die bestehende jüdische Gemeinde zu zentralisieren. Es kamen erstmals drei Gruppierungen zusammen: amerikanische Juden, Sephardim und Aschkenasim, wobei Letztere in der Gemeinde den Ton angaben. Außerdem war bis dahin eine Generation von in Kuba geborenen Juden herangewachsen, die sowohl ein kubanisches Nationalbewusstsein hatte, als auch die strengen Regeln des jüdischen Lebens befolgte. Zwischen 1933 und 1950 lebten etwa 20.000 Juden auf Kuba.

Der Sieg der Revolution in Kuba (1959) führte auch unter den Juden zu einer Auswanderungswelle: Viele von ihnen gingen - wie andere Exilanten auch - nach Miami, andere emigrierten nach Israel oder in lateinamerikanische Länder. Heute zählt die jüdische Gemeinschaft etwa 500 Familien mit 1.500 Personen, von denen ca. 80 Prozent in Havanna leben. Diejenigen, die blieben, passten sich den politischen und gesellschaftlichen Normen des neuen Regimes an und verloren während einiger Jahre den Kontakt zur jüdischen Gemeinschaft im Ausland. Den bekennenden Juden wurde die freie Ausübung ihres Glaubens garantiert und der Schutz ihrer religiösen Einrichtungen zugesagt. Bestimmte Vorhaben mussten sie, wie andere Glaubensgemeinschaften auch, beim Büro für Religiöse Angelegenheiten des Zentralkomitees der KP Kubas anmelden.

Heute agieren die zuvor genannten jüdischen Gruppierungen immer noch unabhängig voneinander. Sie organisieren aber gemeinsam religiöse Feierlichkeiten wie das Pessach-Fest, die Hilfe für Bedürftige und die Betreuung der Friedhöfe. Der VI. Kongress der kommunistischen Partei (1991) debattierte über den Eintritt religiös motovierter Menschen in die Partei. Danach lebte auch die jüdische Gemeinschaft wieder auf, so dass der jüdischen Weltgemeinde bewusst wurde, dass es auch Juden in Kuba gibt. Seitdem unterstützen jüdische Organisationen in Kanada, den USA, Mexiko und Lateinamerika das kubanische Judentum und koordinieren ihre Hilfe über das Jewish Joint Distribution Committee. 1998 wurde das Haus des Kulturerbes der jüdischen Gemeinde Kubas wieder eröffnet. An den Feierlichkeiten zum Chanukka-Fest im Jahr der Wiedereröffnung nahm auch Fidel Castro teil.

Streift man heute durch die Altstadt von Havanna, kann man sich so etwas wie ein jüdisches Viertel vorstellen. Im Umfeld der Acosta-Straße im Stadtteil Belén - Bethlehem - gab es Synagogen und Schulen wie das "Colegio Tarbut". Für viele Bewohner Havannas war die Muralla die Straße der "polnischen Händler", bei denen man billig einkaufen konnte. In der Altstadt existiert noch eine koschere Metzgerei, die nur dienstags und nur gegen Vorlage einer Lebensmittelkarte Fleisch verkauft. Geblieben ist auch der Name der Bäckerei "La flor de Berlin", in der in den fünfziger Jahren koschere Backwaren angeboten wurden und es heute normales Brot auf Karte gibt. Leider sind kaum noch Straßennamen und Ladenschilder auf Jiddisch erhalten. Fast überraschend prangt ein großer Davidstern am Zaun der Synagoge "Adath Israel" in der Straße Acosta.

Die Chinesen

Chinesen wurden als billige Arbeitskräfte nach Kuba geholt. Ihre Einwanderung vollzog sich in zwei großen Wellen im 19. Jahrhundert und einer dritten zwischen 1900 und 1930. Schon während der Kolonialzeit arbeiteten in Kuba ca. 150.000 Kulis, die unter schlechteren Bedingungen als die Afrikaner und deren Nachkommen lebten.

Die Chinesen, die im 20. Jahrhundert aus Kalifornien auf die Insel kamen, hatten es hingegen besser: durch ihren gesellschaftlichen Status als "freie Menschen" gewannen sie entscheidenden Einfluss auf die chinesische Gemeinde in Havanna. Ihre kulturellen Traditionen pflegte die chinesische Gemeinde vor allem in Vereinen. Im Vergleich zu anderen Einwanderergruppen gab es unter den Chinesen allerdings einen deutlichen Männer-Überschuss: Aus ihren Verbindungen mit kubanischen Frauen ging eine Generation hervor, die weltweit wohl einen einzigartigen ethnischen Mix darstellt. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wuchs die Zahl der chinesischen Betriebe in Havanna: Restaurants, Kneipen, Wäschereien, Lebensmittelläden, Bekleidungsgeschäfte, Druckereien und Filmtheater entstanden. Das chinesische Viertel von Havanna war zu jener Zeit das größte und bekannteste in Lateinamerika. Sein Zentrum lag in der Zanja-Straße, doch erstreckte es sich auch auf weitere Teile von Centro Habana.

Diese Situation änderte sich ab 1959 radikal: Zunächst verschwanden die privaten Betriebe und Geschäfte sowie die Banken und Handelshäuser der großen chinesischen Gemeinde, dann die Chinesen selber. 1995 lebten in Kuba nur noch 700 chinesischstämmige Personen, die meisten von ihnen alte Menschen. In "Chinatown" finden sich heute noch an einigen Gebäuden bronzene Schilder mit chinesischen Schriftzeichen, Hinweise auf ehemalige Vereine und Einrichtungen. Nur wenige davon sind noch aktiv. Der chinesische Friedhof in Nuevo Vedado und die Chung-Wah-Apotheke in der Zanja-Straße, in der es nur noch wenige chinesische Medikamente zu kaufen gibt, haben kaum mehr als Erinnerungswert. Ähnlich ergeht es der chinesischen Zeitung Kwong Wah Po in der Straße San Nicolás: Der Herausgeber und die Redakteure sind alle über 70 Jahre alt. Auf musealen Satz- und Druckmaschinen wird noch alle zwei Wochen eine Ausgabe in chinesischer Sprache gedruckt.

Neuerdings kümmert sich ein Förderverein mit Unterstützung der kubanisch-chinesischen Gesellschaft und der chinesischen Botschaft in Kuba um das alte Viertel: Zwischen der Dragones-Straße und der Amistad-Straße wurde ein neues chinesisches Tor errichtet, das auf die Geschichte hinweisen soll. Chinesische Restaurants haben wieder eröffnet, der Tanz des Löwen ist zum festen Bestandteil des Karnevals von Havanna geworden. Das Viertel wird allerdings nie wieder die Bedeutung erlangen, die es bis 1959 hatte. Dabei muss betont werden, dass es nie dem Ruf entsprach, den ihm einige Reiseführer andichteten, nämlich ein Hort für Opiumraucher und Prostitution gewesen zu sein. Als Mittelpunkt dieses Treibens wurde das "Schanghai-Theater" ausgemacht, doch das einzig chinesische an diesem Theater war sein Name.


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