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18.02.2012Politik-News
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Internet gefährlicher als Schusswaffen

Ein kanadischer Minister wird zur Galionsfigur der konservativen Umgestaltung des Landes. Er kämpft gegen Schwule, Ökos und – das Internet. Das aber wehrt sich.

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Während weltweite Proteste den Befürwortern eines möglichst offenen und freien Internets mit den Rückziehern bei SOPA, PIPA und ACTA in kurzer Zeit gleich mehrere Etappenerfolge beschert haben, schlafen die Überwachungsfreunde keineswegs. So hat die konservative kanadische Regierung am vergangenen Dienstag ein Gesetz in die erste Parlamentslesung gegeben, das unmissverständlich polizeistaatliche Züge trägt.

Mit der Nummer C-30 und dem recht dramatischen Arbeitstitel „Protecting Children from Internet Predators Act“ enthält der Entwurf weitreichende Befugnisse für die Exekutive in Bezug auf die Informationsbeschaffung von Internetprovidern. Ideen wie die deutsche Vorratsdatenspeicherung muten daneben beinahe wie liberale Freiheitsfantasien an:

Ermittlungsorgane können dem Entwurf nach von Telekommunikationsfirmen ohne staatsanwaltliche Anordnung, geschweige denn einen richterlichen Beschluss, Auskunft über sämtliche dort vorliegende Daten von als verdächtig eingestuften Nutzern anfordern. Internetanbieter sollen überhaupt nur zum Betrieb zugelassen werden, wenn das sogenannte Ministerium für Öffentliche Sicherheit bestätigt, dass die nötigen technischen Voraussetzungen für die Überwachung der Nutzer installiert sind.

Der verantwortliche Minister, Vic Toews, ist ein streitbarer und umstrittener Politiker. Nicht erst seit der Regierungsübernahme der Konservativen im Jahre 2006 hat sich Toews (dessen Muttersprache Deutsch ist) vor allem mit rechtspopulistischen Äußerungen und Gesetzentwürfen profiliert. So lehnte er Antidiskriminierungsgesetze zum Schutz gleichgeschlechtlicher Lebensweisen und die Ehe für homosexuelle Paare ab, ist erklärter Abtreibungsgegner, bekämpfte die Liberalisierung des Umgangs mit Cannabis, wie auch jene des Strafvollzugs unter der Vorgängerregierung.

Toews plädiert für „three strikes“-Regelungen, die Gewalt- und Sexualtäter nach der dritten Verurteilung automatisch lebenslänglich hinter Gitter bringen. Strafrechtlich belangbar, inklusive Gefängnisstrafen, sollen nach seinen Vorstellungen bereits 10-Jährige sein. DNS-Datenbanken gehören natürlich auch zum Repertoire des Hardliners.

Es nimmt kaum Wunder, dass Vic Toews’ Rhetorik gespickt ist mit emotionalen Attacken auf Terroristen, Kinderschänder, Ökofaschisten, kommunistischen Faschisten und faschistische Faschisten. Zur Vorstellung des C-30-Entwurfes verstieg er sich zu dem finalen Anwurf, dass man „entweder für uns oder für Kinderpornos“ sei. Diese irrationale Emotionalisierung der Debatte und Dämonisierung anderer politischer Positionen sorgt in ihrer Schärfe selbst bei kanadischen Medienvertretern für Irritation.

Die Antwort aus dem Netz auf die veränderte Debattenkultur ließ nicht lange auf sich warten. So richteten Unbekannte einen Twitteraccount ein - mit dem programmatischem Motto „Vic wants to know about you. Let's get to know Vic.“ („Vic will über euch bescheid wissen. Lasst uns also Vic kennenlernen.“) Seit Dienstag Abend werden dort süffisant Auszüge aus der (durchaus dramatischen) Scheidungsakte des Politikers zitiert und sein großzügiger privater Umgang mit Steuergeldern für Essen, Reisen und Unterkünfte dargestellt. Dazwischen lockern immer wieder Zitate des Law-and-Order-Mannes die Lektüre auf.

Vic Toews selber lehnt weitere Stellungnahmen ab und arbeitet daran, den Ursprung des Twitteraccounts zu klären. Nach kanadischen Medienberichten ist dieser inzwischen mit einer IP-Adresse im kanadischen Unterhaus in Verbindung gebracht worden, was den Verdacht automatisch auf die oppositionellen Liberalen fallen lässt. Die weisen den Vorwurf weit von sich. Der Account selber ist inzwischen geschlossen. Kanadische Twitterer amüsieren sich derweil mit dem Hashtag #TellVicEverything, wo sie alltägliche und banale Informationen an den Account des Ministers mit dem hohen Informationsbedürfnis adressieren

Dessen Reputation dürfte unter den Anhängern der Konservativen trotzdem kaum leiden. Die sind noch damit beschäftigt, den Minister für Öffentliche Sicherheit dafür zu feiern, dass er die Registrierungspflicht für privat geführte Gewehre abgeschafft hat. Eine Begründung für die Vernichtung des Registers ist ausgerechnet, dass darin ohne Anlass private Daten der Eigentümer gesammelt werden. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, die kanadische Regierung sei besorgter was die Folgen der freien Nutzung des Internets angeht, als jene des unkontrollierten Umgangs mit Schusswaffen.

screenshotvikileaks30.jpg Vergrößern

Bild: Daniél Kretschmar

http://www.heise.de/tp/blogs/8/151454
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