SCHATTEN ALTER KONTINENTE:
DIE ÄLTESTEN TEILE ÖSTERREICHS

  Bei der Erforschung von Gesteinen auf österreichischem Boden, die älter als Perm (290 Millionen Jahre) sind, stellt sich die Frage nach deren Ursprungsgebiet. Die alten Krustenfragmente, die von diesen Gesteinen aufgebaut werden und heute in die Orogenzonen der Alpen und der Böhmischen Masse eingebaut sind, haben nämlich eine wahre Odyssee um den halben Globus hinter sich! Dabei formten sich aus bestehenden Landmassen immer wieder neue Kontinente, die dann an anderen Stellen erneut zerbrachen. Neue Ozeane füllten die Zwischenräume aus. Die Anordnung und Form der Kontinente war daher in jenen Zeiten mehrmals anders und gänzlich verschieden von heute.

Das älteste Gestein Österreichs: Der 1,38 Milliarden Jahre alte Dobragneis im Waldviertel (N.Ö.) besteht aus sauren und basischen Vulkaniten.

 

 

Wenn wir in die geologische Vergangenheit zurückblicken und versuchen, uns ein Bild dieser grauen Vorzeit zu machen, so verschleiern jüngere erdgeschichtliche Ereignisse die vorhergehenden Episoden. Das Bild von früheren Geschehnissen wird immer schemenhafter, je länger sie zurückliegen und je öfter die Gesteinszeugen von gebirgsbildenden Prozessen überprägt worden sind. Dabei sind die Zeugen der allerältesten Ereignisse nur mehr spärlich vorhanden und in vielen Gebieten auch völlig ausgelöscht.

Österreich hat Anteil am jungpaläozoischen variszischen Orogen der Böhmischen Masse und an der mesozoisch-tertiären alpinen Orogenzone. In diesen erdgeschichtlich vergleichsweise jungen Gebirgen finden sich aber noch Reste von z.T. wesentlich älteren Gebirgskörpern. 

Die voralpidische, geologische Entwicklungsgeschichte in Österreich, inklusive der variszischen Orogenese, lässt sich in drei Abschnitte gliedern:

     1. Österreich im Proterozoikum (Schatten alter Kontinente)

     2. Österreich im Altpaläozoikum

     3. Die variszische Gebirgsbildung

 

1. Österreich im Proterozoikum (Schatten alter Kontinente)

Die Böhmische Masse ist ein Beispiel für die Integration alter, proterozoisch (=präkambrisch) gebildeter Gesteinseinheiten in eine geologisch jüngere Orogenzone. Dies gilt z.B. für den über eine Milliarde Jahre alten Dobra-Gneis (1377 +- 10 Millionen Jahre) im mittleren Waldviertel, dem ältesten Gestein Österreichs. Erste Vorstellungen über die plattentektonische Anordnung der frühen Kontinente haben wir aber erst aus der Zeit zwischen 1000 und 800 Millionen Jahren. In diesem Zeitraum können wir uns eine Vielzahl kleinerer Landmassen vorstellen, die zu einem Superkontinent namens Rodinia vereinigt waren. Dieser begann vor rund 750 Millionen Jahren in mehrere Kontinentalplatten zu zerbrechen. So entstand z.B. der Protopazifik zwischen Laurentia (Nordamerika) und der ostantarktisch-australischen Kontinentalmasse. In den folgenden 100 Millionen Jahren wurden dann noch Sibiria, Baltica und ein südamerikanisch- NW-afrikanisches Plattensegment von Laurentia abgespalten. Aufgrund vergleichender geologischer Überlegungen vermuten wir, dass die Gebiete Urösterreichs - die erwähnten alten Krustenfragmente in der Böhmischen Masse und den Alpen - dem NW-afrikanischen Plattensegment angehörten, wobei dieses für die Vorläufergebiete des heutigen Mitteleuropas, und somit auch für den österreichischen Raum,  als Sedimentlieferant fungierte. 

Die globale paläogeographische Skizze für die Zeit um  550 Millionen Jahre, also am Ende des Jungpräkambriums, dokumentiert das Endstadium der in mehreren orogenen Phasen abgelaufenen Konsolidierung von Afrika und Südamerika, sowie deren Zusammenschluss mit Indien, Australien und der Antarktis zum neuen Großkontinent Gondwana.

Gondwana war durch den Iapetus Ozean und den Tornquist Ozean von Laurentia, Baltica und Sibiria getrennt. An der Wende Präkambrium/Kambrium ereignete sich im afrikanisch-südamerikanischen Randbereich Gondwanas die cadomische Orogenese, deren Spuren sich auch noch in einigen Teilen Mitteleuropas nachweisen lassen. 

Beispiele für  Gesteine, die im jüngsten Präkambrium gebildet  wurden, finden wir vor allem in der Böhmischen Masse: es sind dies z.B. die Gesteine der Bunten und der Monotonen Serie, der "Bittescher Gneis" und der Thaya-Batholith. Relikte der cadomischen Gebirgsbildung am Ende des Präkambriums sind in den moravischen Einheiten der Böhmischen Masse im Osten des Waldviertels am Übergang zum Weinviertel erhalten.

 
 
  "Rodinia" - von russisch "rodit", zu deutsch "zeugen", weil in Rodinia die Kerne aller späteren Kontinente vereinigt waren.   "Gondwana" - ehemaliger Großkontinent in dem die alten Kerne des heutigen Südamerika, Afrika, Indien, Australien und der Antarktis vereinigt waren.
 

2. Österreich im Altpaläozoikum

Nach der Neuorganisation der kontinentalen Platten war Gondwana am Beginn des Kambriums (545 Millionen Jahre) zur Heimat von Teilen Mitteleuropas geworden. Wenn auch in den Gesteinsabfolgen Urösterreichs "handfeste" Beweise wie Fossilien fehlen, so zeigen die für tropische Breiten typischen Gesteine in unseren Nachbarländern (Rotsedimente, Riffkalke, Dolomite, Evaporite), daß auch die Gebiete Urösterreichs nahe am Äquator gelegen haben müssen.

Im frühen Altpaläozoikum begann das nördliche Afrika, als Teil Gondwanas, in Richtung Südpol zu driften. Etwa ab der Wende Kambrium/Ordoviz (495 Millionen Jahre) splitterten während dieser Bewegung kleinere Krustenfragmente vom Nordrand Afrikas ab, die dann als selbständige Terrane nach Norden drifteten. Zu diesen peri-Gondwana Elementen gehörten Avalonia, Armorika und wohl auch die alten Krustenteile der Alpen! Die Böhmische Masse ("Perunica") wird neuerdings als Teilstück von Armorika betrachtet.

       

  "Iapetus Ozean" - nach Iapetos, einem Ttanen der griechischen Mythologie, Sohn des Uranos und der Gäa.   "Rheischer Ozean" - nach Rhea, einer Titanin der griechischen Mythologie, Tochter des Uranos und der Gäa, Mutter des Zeus.
     

Einige geochronologische Daten aus dem österreichischen Raum sollen diese vielfältigen Geschehnisse dokumentieren: So zeigen in vielen Einheiten der Ostalpen metamorphe Abkömmlinge von Basaltgesteinen (z.B. Amphibolite im metamorphen Paläozoikum der Hohen Tauern), welche die Bildung von Ozeanböden zwischen den Mikroplatten belegen, Alterswerte um 500 Millionen Jahre. In der Böhmischen Masse belegen gleichartige Gesteine die Bildung von Ozeanboden um 430 Millionen Jahre. Auch metamorphe Inselbogenvulkanite sind aus dieser Zeit bekannt. Im westlichsten Teil des ostalpinen Kristallins, in den Ötztaler Alpen, haben die Gesteine mindestens einen altpaläozoischen (ordovizischen) Orogenesezyklus mitgemacht. Das kann an Hand von Aufschmelzungserscheinungen und der Intrusion granitischer Gesteine mit Altersdaten von 490 Millionen Jahren nachgewiesen werden. Der Blasseneckporphyroid  ist ein rund 460 Millionen Jahre alter, in der Grauwackenzone weit verbreiteter, kieselsäurereicher Vulkanit. Er wurde durch explosive Vulkanausbrüche auf einem inselartigen Festland gebildet, wodurch die kurzzeitige tektonische Heraushebung des Ablagerungsraumes angezeigt wird. Alter um 440 Millionen Jahre von granitischen Gesteinen der Deferegger Alpen belegen gebirgsbildende Prozesse mit tektonischer Verformung.

 

Verteilung der Kontinente im ausgehenden Silur (nach G. M. Stampfli et al. 2002 verändert)

     

In den vergangenen Jahren konnte Dr. Kathleen Histon in einem vom FWF geförderten Projekt in den Karnischen Alpen erstmals Spuren vulkanischer Aktivitäten nachweisen. Sie fand zahlreiche, oft nur mm-dünne Lagen von so genannten K-Bentoniten, die hauptsächlich aus Tonmineralien mit akzessorischen Einsprenglingen von Biotit, Quarz, Kalifeldspat, Plagioklas, Amphibolen, Zirkon und Apatit bestehen. Sie werden als chemisch veränderte ehemalige vulkanische Staubtuffe interpretiert.

Solche Lagen kommen in mehreren, durch Fossilien gut datierten altpaläozoischen Schichtfolgen wie beispielsweise dem berühmten Cellonprofil vor. Insgesamt wurden bisher in 8 Profilen an die 100 Aschelagen in verschiedenen Positionen vom jüngsten Ordoviz bis in das jüngste Silur entdeckt, wobei ein gehäuftes Auftreten im älteren Silur zu beobachten ist.

   
Licht- und elektronenmikroskopische Aufnahmen (Apatit, Zirkon) von Einsprenglingen in silurischen K-Bentoniten der Karnischen Alpen (Cellonprofil).

 

VERTEILUNG SILURISCHER K-BENTONITE

 

Die Frage nach der Herkunft dieser vulkanischen Aschelagen ist vorerst schwierig zu beantworten, da ein zeitgleicher Vulkanismus in nächster Nähe nicht bekannt ist. Allerdings erscheint es nahe liegend, die Aschelagen eher mit magmatischen Aktivitäten in der Umgebung in Verbindung zu bringen als einen Ferntransport über tausende Kilometer hinweg anzunehmen. Somit kommen als wahrscheinlichster Ursprung die im „Europäischen Hun-Superterrane“ (vgl. G.M. Stampfli et al.2001, 2002) vereinigten Intraalpinen, Austroalpinen oder Penninischen Mikrokontinente in Frage, vielleicht aber auch das Moldanubische Terrane (Perunica).

Vom Ordoviz bis ins Karbon bewegten sich die Gebiete Urösterreichs kontinuierlich in Richtung Äquator auf niedere Breiten zu: Im Silur weist das Vorkommen von Korallen und Stromatolithen in Gesteinen der zentralen Karnischen Alpen auf eine Position in rund 35° südlicher Breite hin. Im Unter- und Mitteldevon erlauben Gesteine mit fossilen Resten riffbildender Organismen, die in warmen tropischen Meeren lebten, Rückschlüsse auf die Klimabedingungen jener Zeit. Sie deuten eine Position um 25° südlicher Breite an. Auf dieser Breite liegen heute z.B. die Fidschi Inseln oder Rio de Janeiro!

 

3. Die Variszische Gebirgsbildung

Im Vergleich zum Silur und Devon hatte sich am Beginn des Karbons der Rheische Ozean  zwischen Afrika - immer noch ein Teil Gondwanas - und Baltica bereits bedeutend verschmälert. Damit stand die variszische  Orogenese unmittelbar bevor. Aus dem jüngeren Devon kennen wir z.B. in metamorphen Gesteinsserien aus dem Paläozoikum der Hohen Tauern bereits vulkanische Gesteine, die typisch für Inselbogenvulkanite (vergleichbar mit Gesteinen der südamerikanischen Anden oder der nordamerikanischen Kordillieren) sind und ein klarer Hinweis auf Subduktionsereignisse sind. Im jüngsten Devon zeigen Deformations- und Metamorphoseereignisse in den mitteleuropäischen Kristallingebieten weitere Subduktionsvorgänge und erste Kollisionen kontinentaler Platten an. An ein solches Subduktionsereignis erinnern z.B. die 360 Millionen Jahre alten Hochdruckgesteine (Eklogite), im zentralen Ötztalkristallin und in der Böhmischen Masse. Im älteren Oberkarbon ereigneten sich Deformationen und Überschiebungen in den Außenzonen der neu entstandenen variszischen Gebirgsketten. Belege finden sich in der Grauwackenzone und in den Südalpen.

 Die variszische Gebirgsbildung bewirkte die Akkretion aller Terrane und Kontinentalplatten zu "Pangäa" , die das Bild der Erde für annähernd 200 Millionen Jahre prägen sollte. Während des Höhepunkts der variszischen Orogenese ereigneten sich großräumige Deckenüberschiebungen und regionalmetamorphe Überprägungen. Das Aufdringen zahlreicher granitischer Plutone in der Böhmischen Masse, in den Hohen Tauern (Zentralgneise) und im Ostalpinen Kristallin (z.B. Grobgneise des Semmering- und Wechselgebietes) kennzeichnet das weitere variszische Geschehen.

 
 
  "Variszische Orogenese" - nach dem germanischen Volksstamm der Varisker.   "Pangäa" - (griechisch) kann mit "Gesamterde" übersetzt werden.
 

Reste des variszischen Orogens finden sich in weiten Teilen der später alpidisch geprägten Bereiche Europas. Die tektonische Entschlüsselung dieser Reste ist aber überaus schwierig. Dagegen lassen sich die variszischen Strukturen in den nicht von der jungen alpidischen Gebirgsbildung erfassten Gebieten  ausgezeichnet studieren. In Österreich trifft dies auf die Böhmischen Masse zu, die einen tiefen, ursprünglich nicht an der Oberfläche sichtbaren Kern des variszischen Gebirges darstellt. Ihre variszische Entwicklung begann vor rund 370 Millionen Jahren mit der Subduktion von Teileinheiten

des Moldanubikums in Tiefen von rund 50 km. Dabei wurden unter hohem Druck und hohen Temperaturen Granulite gebildet. Nachdem jene Einheiten wiederum in mittlere Krustenniveaus gehoben wurden, erfolgte dort, gemeinsam mit weiteren moldanubischen Einheiten, eine neuerliche metamorphe Überprägung. Zunächst bewirkte die anhaltende Deckenstapelung und erste granitische Intrusionen das stetige Anwachsen der moldanubischen Einheit, ehe jene in der Folge als große Decke auf das Moravikum überschoben wurde. Abgeschlossen wurden diese orogenen Prozesse durch eine neue Phase von granitischen Intrusionen, welche schließlich vor 315 Millionen Jahren endeten.

Gegen Ende des Karbons und im Perm kündigte sich die Ausweitung des Tethysgolfes gegen Westen an. Basische Ganggesteine in Kor- und Saualpe belegen dieses Stadium. Östlich und südlich der Tauern verursachte der erhöhte Wärmefluß sogar eine Metamorphose mit Pegmatitbildung. Vor allem in den Südalpen  ist der neuerliche Meeresvorstoß durch fossilreiche Gesteine des Flachwassers dokumentiert. In den Ostalpen und auf der Böhmischen Masse sind aus dieser Zeit hingegen nur terrestrische Ablagerungen bekannt.

 
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