Zeit für die nächste Sozialstudie. Nachdem wir uns bereits angeschaut haben, was für Gestalten bei Gerümpelturnieren in der Halle rumlaufen, auf welche Arten man zuhause Fussball schaut und was Handzeichen von Fussballern bedeuten, schauen wir heute, wer sich warum während einer (Amateur-)Partie auf der Ersatzbank aufhält.
Die Ersatzbank, auf traditionelleren Sportplätzen in Form einer Oldschool-Bierbank in orange mit grünen Ständern, bei etwas modernerem Geländen eine überdachte Sitzreihe aus Plastik, ist auf den ersten Blick zwar ein recht unspektakulärer Ort, in Wahrheit aber Sammelstelle für verschiedenste Charaktere und Gefühle, von Selbstsicherheit über Freude bis hin zur Riesenenttäuschung.
Fangen wir mit dem Sitzplatz ganz rechts (oder ganz links, je nachdem, welcher Rand in Richtung Mittellinie steht) an:
Der Trainer
kann hier weitestgehend ausgeklammert werden. Meistens läuft der Trainer während der Partie eh die Seitenlinie auf und ab, gestikuliert, schreit Anweisungen an die Spieler oder Proteste in Richtung Schiedsrichter. Wenn er dann doch einmal Platz nimmt, dann eigentlich nur, um sich auszuruhen, seinen Notizblock aus der Tasche zu kramen und in Proficoach-Manier Notizen zu machen, oder einfach nur um etwas zu trinken.
Er selbst kann also hinsichtlich des Zusammenlebens auf der Bank außer Acht gelassen werden, umso größer ist aber sein Einfluss auf das Wohlbefinden der im Folgenden noch zu beschreibenden Personen, die auf den weiteren Plätzen der Bank sitzen und das nur deshalb tun, weil er es so entschieden hat. Also weiter.
Der Betreuer
Doch bevor wir zu den vom Coach auf die Bank beorderten Ersatzspieler kommen, muss noch der Betreuer erwähnt werden. Der sitzt immer auf dem Platz neben dem des Trainers, trägt einen Trainingsanzug und hat zwischen seinen Füßen eine rot-weiße Kühlbox stehen, die auch schon sein komplettes Aufgabengebiet symbolisiert und die immer nach folgendem Schema von ihm eingesetzt wird: Spieler bleibt verletzt liegen, Betreuer packt sich die Box und lauert in Gleich-aufs-Feld-sprinten-Position, der Schiedsrichter geht kurz zum Verletzten und fragt ihn etwas, dann winkt er in Richtung Seitenlinie, und schon rennt der Betreuer mit Box unterm Arm zum Patienten, um die einzige Behandlung durchzuführen, die er drauf hat:
1. Frage: “Wo tuts weh?” Antwort abwarten, dann:
2. Eisspray auf die gezeigte Stelle. Danach:
3. Eventuell beim Verlassen des Feldes den Spieler stützen.
Das wars. Auf den Betreuer lass ich jedenfalls nix kommen. Wer sich Sonntag für Sonntag freiwillig 90 Minuten auf die Bank hockt, nur um im Ernstfall die Schmerzen eines Verletzten, so gut es ihm möglich ist, zu lindern, der ist ein guter Mensch.
Der Ausgewechselte
Ist äußerlich sehr gut zu erkennen und zu unterscheiden von den anderen Mitspielern auf der Bank, denn man sieht ihm an, dass er im Gegensatz zu ihnen schon auf dem Platz war und zum Einsatz kam: verschwitzt, Schuhe ausgezogen, heruntergezogene Stutzen, dreckige Hose, Sprudelflasche in der Hand. Weil er eben noch mitten im Geschehen war und schon seinen Beitrag geleistet hat, hat er das Gefühl, dass er unter den Spielern von der Bank am meisten zu melden hat, und das äußert sich dann sichtbar darin, dass er von draußen laufend Kommandos in das Feld brüllt, seine Mitspieler pusht und noch immer voll mitgeht.
Vorausgesetzt natürlich, dass der Ausgewechselte zuvor eine gute Partie geliefert hat und mit seiner Auswechslung kurz vor Schluss völlig einverstanden war. Falls er aber schon kurz nach der Halbzeit heruntergenommen worden und darüber verärgert gewesen sein sollte, dann ist er schon längst nicht mehr hier, sondern an der Bank vorbei direkt in die Kabine gestapft.
Der Stammspieler
Der Relaxteste von allen. Er spielt normalerweise immer von Beginn und ist absoluter Leistungsträger, die Bank ist ihm völlig fremd. Dass es ihn nun trotzdem da hin verschlagen hat, ist für ihn kein Problem und war mit dem Trainer so abgesprochen, denn er war lange verletzt/konnte nicht trainieren/wird geschont.
Deshalb sitzt er während den ersten 45 Minuten ganz cool, mit verschränkten Armen und kaugummikauend mitten auf der Bank, schaut sich an, was sein Stellvertreter so abliefert und hat Spaß dabei, sich ein Spiel seiner Mannschaft mal aus dieser ungewohnten Perspektive anzuschauen und dabei mit seinen Kollegen über das Gesehene zu flachsen. Nach 45 Minuten hat er genug gesehen und schaut beim Halbzeitpfiff zu seinem Trainer und darauf, dass der sagt: “Männer, alle locker warmlaufen. (Zum Stammspieler) Du machst dich gleich richtig warm, du kommst dann gleich rein.”
Genau das tut der auch, und der Stammspieler zieht sich daraufhin zufrieden seine Schienbeinschoner an und freut sich auf seine überragende Leistung in der zweiten Halbzeit.
Der Ersatztorwart
Verdient ebenso Anerkennung und Respekt wie der Betreuer. Unter Fussballern gibt es ja den ewiggebrauchten Spruch, dass Ersatztorwart bei den Profis der Traumjob schlechthin wäre, jede Woche ein Topspiel aus guter Perspektive anschauen dürfen und dafür Millionen kassieren.
Anders ist es beim armen Ersatztorwart einer Amateurmannschaft, der den Keeper vor ihm einfach nicht verdrängen kann und sich daher Woche für Woche, Bank für Bank, bei Wind und Regen 90 Minuten lang den Hintern platt sitzen muss. Nach einiger Zeit hat er sich aber an sein Schicksal gewöhnt und mutiert daher mit der Zeit zu einer Art Gastgeber der Bank, der die Gesprächsthemen bestimmt und für gute Laune sorgt, meistens mit dem ähnlich gutgelaunten und eben beschriebenen Stammspieler neben ihm.
Der Beleidigte
Anders ist die Laune aber beim Beleidigten, denn die ist, wie am Namen unschwer zu erkennen ist, im Eimer. Er ist normalerweise auch einer für die erste Elf und ging auch vor dem aktuellen Spiel fest davon aus, dass er wie immer auf seiner angestammten Position beginnen wird, ein Ersatzspielerdasein kam für ihn garnicht in Betracht. Also lief für ihn der Spieltag und das Vorbereiten auf die Partie so wie immer, bis der Trainer ihn zur Seite nahm und ihm die Hiobsbotschaft übermittelte. Heute leider nur auf der Bank. Boom.
Danach war für ihn der Tag gelaufen, beim Warmmachen, bei dem alle Ersatzspieler immer den Torwart warmschießen, während sich die Stammspieler zusammen warmlaufen, nahm er sich einen Ball und jonglierte lustlos in der Gegend herum. Jetzt, während der Partie, spricht er kein Wort und beteiligt sich erst recht nicht an den kollektiven Anfeuerungen seiner Mannschaft. Je nach Charakter und Ausgeprägtheit seines Eigensinns freut er sich außerdem innerlich, wenn es in der ersten Halbzeit für sein Team schlecht läuft, da dadurch seine Chancen auf eine baldige Einwechslung steigen.
Als es dann soweit ist, bekommt er vom Trainer an der Seitenlinie kurz vor seinem Einsatz noch längere Anweisungen als alle anderen, nickt aber nur mit ernster Miene und schaut dabei in die Ferne. Wenn er bei seinem Einsatz dann vielleicht sogar ein genugtuendes Tor erzielt, verweigert er jeden Jubel.
Der ewige Ersatzspieler
Er macht, er tut, er ackert in jedem Training, er redet oft mit dem Trainer über seine Situation, doch es klappt einfach nicht, es ändert sich nichts: er sitzt Woche für Woche auf der Bank. Es fehlt an Talent, Erfahrung, Sicherheit im Spiel, auf jeden Fall fehlt es an irgendwas, das der Trainer als fussballerische Voraussetzung für viel Einsatzzeit ansieht.
Außerdem muss er sich fast den gesamten Spieltag die Jammereien und Lästereien des Beleidigten anhören, der in ihm einen Verbündeten ausgemacht hat und nun bei ihm über den Trainer herzieht. Einfach nur bemitleidenswert ist dann das, was mit ihm jedes Mal abgezogen wird, wenn der Trainer die gesamte Ersatzgang in der zweiten Halbzeit hinter das Tor der eigenen Mannschaft schickt, um sich in Trainingsleibchen für einen eventuellen Einsatz warmzulaufen.
Nach und nach ruft der Coach dann die drei Spieler her, die eingewechselt werden sollen, und nach und nach sprinten die vorbei am ewigen Ersatzspieler in Richtung Seitenlinie, er selber muss dann nach dem dritten wieder an den Zuschauern vorbei in Richtung Ersatzbank trotten, für jeden klar erkennbar als der Auswechselspieler, der wie wie so häufig mal wieder als nicht gut genug für einen Einsatz befunden wurde. Wenn Bekannte oder Familienangehörige unter den Zuschauern sind, ist es umso schlimmer. Die reinste Schmach. Der Arme.
Der Hochgeholte
Am, vom Betreuer aus gesehen, anderen Ende der Bank sitzt der jüngste Vertreter der Ersatzbande. Für ihn ist das Spiel und das ganze Drumherum ein großes Ereignis, denn er spielt normalerweise in der A-Jugend und wurde zum ersten Mal berufen, da einige Spieler ausgefallen waren und der Kader aufgefüllt werden musste, und er freut sich sehr und ist stolz, dass ausgerechnet er unter den Spielern seines Jahrgangs dafür ausgewählt wurde, bei den Großen dabei zu sein.
Die Aussicht auf viel Einsatzzeit ist aber für den Anfang leider gering. Wenn er Glück hat, wird er nach einer Verletzung eines Spielers früh in der zweiten Halbzeit ins kalte Wasser geworfen, wenn es normal läuft, bekommt er in der Garbage-Time ein paar Minuten, in denen er sich zeigen darf, wenn es schlecht läuft, wird er bei einem knappen Rückstand hinter eines der Tore geschickt und muss den Balljungen geben, indem er ins Toraus geflogene Bälle schnell zurückzubringt und damit Zeit für seine Mannschaft und für die Aufholjagd spart.
Für ihn ist das aber nicht weiter schlimm, denn aufgrund seines Alters und seines Talents hat er gute Aussichten darauf, die Ersatzbank in Zukunft zu meiden und wenn überhaupt, dann als der relaxte, pausierende Stammspieler auf sie zurückzukehren. Von solchen Aussichten kann sein Nebensitzer nur träumen.