Becali

Ich hab ja seit geraumer Zeit einen Lieblingsvereinspräsidenten. Gigi Becali ist ein 53-jähriger, rumänischer Milliardär, der aus sehr einfachen Verhältnissen kommt und es mit Immobiliengeschäften – die als dubios gelten, wie man so schön sagt – zu enormem Reichtum und Einfluss in seinem Land gebracht hat. Seit 2003 ist er Eigentümer des rumänischen Traditionsvereins Steaua Bukarest, seit 2004 hat er seine eigene, rechtsgerichtete Partei, und seit 2009 sitzt er sogar im Europaparlament.

Der Grund für sein Engagement bei Steaua ist einfach: “Nachdem ich mein Vermögen gemacht hatte, wollte ich wie jeder Mensch, der Macht hat, auch öffentliches Ansehen.” Das mit dem öffentlichen Ansehen sei mal dahingestellt, öffentliche Auftritte und Aufmerksamkeit beschert ihm sein Amt seitdem aber auf jeden Fall, der Mann ist eine laufende Zitat- und Eklatmaschine und beherrscht Woche für Woche die rumänischen Schlagzeilen. Das sich Steaua da einen doch sehr exzentrischen Vereinschef geangelt hatte, war spätestens dann klar, als er kurz nach Amstantritt eine persönliche Version des letzten Abendmahls anfertigen ließ – mit ihm selbst als Jesus und den Spielern des Vereins als Jüngern.

Becali ist der typische Oberproll, der es zu einer Menge Geld gebracht hat und nun eine öffentliche Bühne für seine Ausfälle hat, er ist aggressiv, hetzerisch, bizarr, vorlaut, egoistisch, vulgär, cholerisch, von sich selbst besessen. Oder wie er es selber beschreibt: “Ich bin kein zivilisierter Mensch.”

Becali ist wie ein Stück herumlaufende und herumschreiende Realsatire. Und wenn man ihn als solche betrachtet, ist er vor allem eins: unfassbar unterhaltsam. Hier ist eine chronologische Auswahl aus Becalis Eskapaden, Aussagen und Ausfällen in seiner bisherigen Zeit als Steaua-Chef:

September 2006: Steaua trifft im Europapokal auf Dynamo Kiev. Becali bereitet sich mit heiliger Hilfe auf die wichtige Partie vor: er bezahlt zwei Klöstern jeweils eine Million Euro, damit sie fleißig für einen Steaua-Sieg beten, und rupft einem Priester öffentlich zwei Stücke von seinem Bart ab, um sie in seine Tasche zu stecken, da ihm das Glück bringen werde. Er behält Recht und darf sich über einen 4:1-Auswärtssieg freuen.

Juni 2007: Becali ärgert sich über die Stadionmusik bei Steaua-Spiele und kündigt Änderungen an. “Ich werde vor den Spielen nur noch religiöse Musik spielen lassen, weil ich derjenige mit dem Geld bin und ich das eben so will. Als erstes streiche ich ‘We Will Rock You’. Warum sollten wir so etwas spielen? Sollen die Spieler sich umbringen? Wer Teufelsmusik hören will, soll nicht in mein Stadion kommen.”

September 2007: Vor einer Champions League-Partie gibt es Streit zwischen Becali und dem damaligen Trainer Gheorghe Hagi. Der Präsident will, dass die Aufstellung nach seinem Geschmack ausgerichtet wird. Becali: “Ich geben diesem Verein mein Geld und jeder muss exakt das tun, was ich sage. Wenn ich sage, dass ich einen Spieler in der Mannschaft sehen will, dann muss der Trainer das akzeptieren. Er ist mein Angestellter und muss das tun, was ich verlange.” Am nächsten Tag tritt Hagi zurück.

April 2008: Im Schlussspurt der Saison erzielt seine Mannschaft in einem wichtigen Spiel ein Abseitstor kurz vor Schluss und gewinnt mit 2:1. Die Fehlentscheidung des Schiedsrichter interessiert Becali nach der Partie wenig: “Gott macht es nichts aus, wenn man im Abseits steht.”

April 2008: Kurz bevor Universitatea Cluj mit dem Titelkonkurrenten von Steaua aufeinandertrifft, wird ein Koffer abgefangen, in dem 1,7 Millionen Euro von Becali untergebracht sind. Seine Stellungnahme: “Die 1,7 Millionen Euro waren nur dafür gedacht, Schokolade und Lollipops zu kaufen. Es ist mein Geld. Ich kaufe, was ich will.”

Dezember 2008: Eine sportliche Krise bei Steaua bereitet Becali Kopfschmerzen. Der Grund dafür ist aus seiner Sicht klar – die Religion des türkischen Co-Trainers Yüksel Yesilova. “Steaua ist eine christliche Mannschaft. Er ist ein Muslim und bringt uns Pech. Bei einem Verein, der auf seinem Mannschaftsbus und seinem Trikot ein Kreuz trägt, kann kein Muslim arbeiten. Wir haben seit acht Wochen nicht mehr gewonnen. Meiner Meinung nach liegt das an Yesilova.” Kurz darauf wird Yesilova entlassen.

März 2009: Becali will den Spieler Tiago Gomes loswerden und will ihn anderen Vereinen mit einer finanziellen Belohnung schmackhaft machen: “Niemand will uns Geld für ihn bezahlen, also zahle ich demjenigen 100 000€, der ihn mir vom Hals schafft”.

Januar 2010: In letzter Sekunde sagt Becali einen Transfer ab, da er den zu verpflichtender Spieler plötzlich verdächtigt, schwul zu sein. “Ich löse lieber den Verein auf, bevor ich einem Schwulen erlaube, für Steaua zu spielen. Ich habe nichts gegen Schwule, ich werde nur nie einen einstellen.”

Februar 2011: Becali bekommt sich wieder einmal mit Dumitru Dragomir in die Haare. Dragomir ist der Präsident des rumänischen Verbandes und ein Lieblingsgegner Becalis. Da Dragomir sich während den Verhandlungen für einen neuen Fernsehvertrag nicht nach dem Geschmack Becalis verhält, erklärt dieser, dass Dragomir “verprügelt gehört”, da er Steaua erniedrige und den Fussball korrumpiere. Noch besser hatte er das Verhältnis zu Dragomir bereits im Jahr 2008 anhand einer vorherigen Auseinandersetzung auf den Punkt gebracht: “Er hat mich einen Behinderten genannt, ich ihn einen Penner. Dann gingen wir aufeinander los.”

April 2011: Becali hält eine Pressekonferenz ab, vor der er angekündigt hatte, er wolle sich bei jedem öffentlich entschuldigen, den er während der Saison beleidigt hat. Er tut das dann auch auf eigene Art, indem er sich nämlich erst bei den Gegnern kurz entschuldigt, um dann die Beleidigungen gegen sie einfach nochmal hintendranzuhängen.
So entschuldigt er sich beim Präsidenten von Rapid Bukarest, George Copos: “Ich bereue die Dinge, die ich zu ihm gesagt habe. Er ruft nie zurück. Ich verurteile ihn nicht. Klar, er ist billig, aber das soll Gott beurteilen. Ich muss das nicht tun.”
So bei allen Homosexuellen: “Ich entschuldige mich bei ihnen. Es ist ihr Problem, ihre Krankheit, nicht meine. Ob ich immernoch denke, dass es eine Sünde ist? Natürlich ist es eine Sünde. Ich sage immer, was ich denke.”
Bei den Anhängern seines Vereins: “Es tut mir leid, dass ich sie beleidigt habe. Außer diejenigen, die mir vor Ostern den Tod gewünscht haben. Die sind alle vom Teufel besessen.”
Sein Fazit am Ende der Entschuldigungs-PK: “Das fühlt sich gut an, ich fühle mich wie neugeboren. Und es wird Satan verrückt machen. Er hasst es nämlich, wenn eine Seele reiner wird. Aber ich habe das nicht für mich getan. Ich bin eine Inspiration für Millionen von Menschen.”

April 2011: Becali wird live im Fernsehen gefragt, was er von Dinu Gheorghe halte, der Präsident von Rapid Bukarest ist und sich öffentlich über Becalis Vergangenheit als Schäfer lustig gemacht hatte: “Was? Er ist ein dreckiger Idiot. Ein fetter Penner. Ich werde diesen Zigeuner zurück in seine Mutter zwängen. Ich habe genug von ihm, seiner Ironie und seinen Witzen. Er bringt mich immer dazu, die Kontrolle zu verlieren! Sein Verhalten ist völlig unangebracht.”

April 2011: Cristian Borcea, der Präsident von Ligakonkurrent Dinamo Bukarest ist, trennt sich von seiner Ehefrau und heiratet ein Model. Becali kennt den Grund: “Es ist eine Strafe Gottes. Ein Mann muss eben Entscheidungen treffen. Wie sagte Gott: ein Mann ist ein Mann und eine Frau ist eine Hure.”

Mai 2011: In der Endphase der Saison stellt sich heraus, dass Becali jedem Spieler von Universitatea Craiova 5000 € angeboten hat, falls sie gegen eine Mannschaft gewinnen, die sich gerade mit Steaua um die Europapokalqualifikation streitet. Darauf angesprochen, bezeichnet Becali es als “völlig normale Spende” und sagt: “Niemand kann behaupten, dass so etwas falsch ist. Es ist mein Geld.”

August 2011: Vor Beginn der Saison wird Becali nach den Zukunftsaussichten seines Sportdirektors Mihai Stoica gefragt. Er spricht ihm auf väterliche Art Mut bei: “Glaubt ihr wirklich, dass er nicht weiß, was passieren wird, wenn wir keinen Erfolg haben werden? Gott stehe ihm bei. Der Jihad wird ausbrechen.”

Oktober 2011: Eine Steaua-Partie wird abgebrochen, nachdem ein Anhänger der gegnerischen Mannschaft eine Massenschlägerei auf dem Feld angezettelt hatte. Der Präsident erklärt nach dem Spiel, dass er eine andere Reaktion seiner Schützlinge erwartet hätte: “Die ganze Mannschaft hätte auf diesen Penner einschlagen sollen!”

Dezember 2011: Nachdem Becali behauptet hatte, dass der Titelkonkurrent CFR Cluj Schiedsrichter besticht, wird er von deren Präsidenten öffentlich zu einem Ringkampf unter echten Männern herausgefordert (“nur Fäuste und Füße, keine Regeln!”). Als er vor laufenden Kameras mit der Aussage des Cluj-Präsidenten konfrontiert wird, nimmt er die Herausforderung natürlich an und verschärft sie zusätzlich: “Du willst also in den Ring? Dann lass uns in den Ring steigen, du Schlampe. Ich breche dir deine Arme und Beine. Lass uns auch Waffen benutzen. Schießen wir mit Waffen aufeinander.”

Januar 2012: Becali gibt sich öffentlich geläutert und verspricht: “Dieses Jahr werde ich mit niemandem streiten. Das ist Gottes Wille. Ich werde mir zwischen drei- und viertausend Schafe besorgen und ihnen beim grasen zusehen. Ich bin äußerst sensibel. Die kleinste Sache kann mich aus der Ruhe bringen.” Lange hält sein Versprechen nicht, wie sich noch im selben Monat herausstellt. Zuerst nennt er den Manager von St.Etienne während Transferverhandlungen einen “Bettler”, danach bezeichnet er alle Schiedsrichter als Diebe, und schließlich schickt er folgende Botschaft an seinen Patensohn (!) und Dinamo Bukarest-Eigentümer Cristi Borcea: “Er will einen Jihad? Kann er haben. Ihr werdet sehen, wer gewinnt.” Mit dem Jihad hat ers ja, der Gigi. Die Schafe scheinen ihre Sache nicht sehr gut gemacht zu haben.

Februar 2012: Becali ist zwar schon mehrmals zur Präsidentschaftswahl angetreten und jeweils gescheitert, seinen politischen Ambitionen kann das aber nichts anhaben, er hat es jetzt auf einen neuen Posten abgesehen: “Ich möchte Premierminister werden, damit ich der General von Christus auf Erden sein kann. Dieses Land braucht 5000 Becalis – aber auch schon mit 100 Becalis wären wir besser als Deutschland und Frankreich. Becali ist Liebe – Liebe führt mich zu den Menschen in Not. Alles was ich tue, tue ich für Jesus.”

Edelfan

Letzte Woche trat der brasilianische Drittligist Santa Cruz im Pokal beim Erstligisten Gremio Porto Alegre an. Aufgrund des Klassenunterschieds war die Rollenverteilung vor dem Spiel klar, im Normalfall würde die Heimmannschaft gewinnen.

Das schreckte wohl die meisten Fans der Gastmannschaft ab und ließ sie darauf verzichten, die lange Reise ins Olimpico Monumental anzutreten. Die meisten, aber nicht alle. Darf ich vorstellen: Tiago Rech.

Wie er da ganz alleine und um sich blickend im Gästeblock sitzt, neben 6734 Gremio-Fans im Stadion tapfer die Stellung hält und seiner Mannschaft beisteht, die erwartungsgemäß mit 1-4 untergehen wird, da geht mir als alter Fussballromantiker doch glatt das Herz auf.

Das sagte er zu seinem einsamen Stadionaufenthalt:

“Als ich reinkam, sah ich, dass nur ich und vier Polizisten im Block waren. Aber es hat sich gelohnt. Als wir das Tor erzielten, war es mir egal, dass ich alleine war. Ich schrie durch die Gegend und drehte völlig durch. Im Radio sprachen sie später vom ‘Tanz des einsamen Santa Cruz-Anhängers’. Es war ein toller Tag.”

Toller Typ!

FIlippo

Beim mourinho- und et’olosen Inter will es einfach nicht laufen. Siebter Platz, 14 Punkte Rückstand auf die Tabellenspitze, drei Spiele in Folge verloren, drei Spiele lang kein Tor erzielt. Nachdem der Trainer während der Hinrunde ausgetauscht und Claudio Ranieri ins Amt gekommen war, hatten zwar zwischenzeitlich sieben Siege in Folge für Aufbruchstimmung gesorgt, die Leistung und Ergebnisse in den letzten Spielen haben diese aber schnell wieder beendet. Wie weit die Konsequenzen der negativen sportlichen Entwicklung reichen, hat ein neunjähriger Fan namens Filippo am Wochenende demonstriert.

Bei der Heimpartie gegen Bologna am Freitag war der Kleine im Stadion und hielt ein Plakat in die Höhe, auf dem folgende Botschaft bzw. Bitte an die Inter-Truppe festgehalten war, die während und nach der Partie viel Aufmerksamkeit erhielt:

“Könnt ihr bitte gewinnen? Wenn nicht, werde ich in der Schule fertiggemacht! Danke, Filippo.”

Und was machte die Mannschaft? Ignorierte die höfliche Bitte des Jungen und unterlag dem Tabellensiebzehnten Bologna sang- und klanglos mit 0:3. Und sorgte dadurch dafür, dass der Spott von Nicht-Inter-Fans schon am Wochenende umso mehr anwuchs. “Filippo, suche dir eine neue Schule oder eine neue Mannschaft”, hieß es auf einem Banner bei der Partie Juventus-Catania am Samstag. Und ein Fan des AC Mailand hielt folgende Botschaft während der Begegnung mit Cesena hoch: “Gewinnt weiterhin, damit ich mich noch länger über Filippo in der Schule lustig machen kann”. Und dass der gleiche Effekt im Schulalltag auf den armen Filippo wartete, kann man sich ausmalen.

Einen schönen Trost gab es dann aber doch noch. Als Inter-Präsident Massimo Moratti Wind von der Sache bekam, orderte er sofort an, die Familie des Jungen zu kontaktieren und lud ihn noch am Wochenende zu einer Trainingseinheit ein. Dort traf Filippo Mannschaft und Trainer persönlich, bekam zur Entschuldigung von Kapitän Javier Zanetti ein Trikot geschenkt und konnte sogar mit Coach Ranieri über die sportliche Misere fachsimpeln: “Claudio Ranieri kam zu mir und schüttelte meine Hand, und ich bat ihn darum, bald wieder zu gewinnen. Ich fragte ihn, warum die Spieler in letzter Zeit so selten aufs Tor schießen. Wenn man nicht viel schießt, erzielt man auch nicht viele Tore.”

Durchaus zutreffende Analyse – gegen Bologna gelangen Inter in 90 Minuten nur acht Torschüsse – die sich Ranieri ans Herz nehmen sollte, und das nicht nur, damit der kleine Edelfan nicht weiter aufgezogen wird. Denn wie in den italienischen Medien berichtet wird, könnte eine Pleite am Mittwoch in der Champions League gegen Marseille bereits das Ende seiner Amtszeit bedeuten.

Erwachsen?

Gestern hatte ich dank der Champions League-Partie Mailand-Arsenal die Chance, etwas zu tun, was ich schon länger vorhatte, nämlich Kevin-Prince Boateng näher zu beobachten. Dass dieser in seiner Entwicklung so weit vorankommen konnte, dass er inzwischen als gesetzter Spieler beim AC Mailand in ein Achtelfinale der Königsklasse geht, finde ich nämlich so von weitem ziemlich bemerkenswert. Kicken konnte der Prince ja schon immer (ist gerade irgendwo ein Phrasenschwein explodiert?), aber ich war doch davon überrascht, wie gut er sich bei so einem großen Verein zu machen scheint.

Und ich muss sagen, nach dem Spiel war ich ziemlich beeindruckt. Boateng begann in einem 4-4-2 als Zehner vor Mark van Bommel und hinter dem Doppelsturm Zlatan Ibrahimovic und Robinho. Er machte von Anfang an einen sehr selbstbewussten Eindruck, forderte jeden Ball in seiner Nähe, war laufstark, hatte viele Ballkontakte und war sicher im Passspiel. Gemeinsam mit Ibrahimovic ist er der zentrale Mann im Aufbauspiel seiner Mannschaft, und besonders das Zusammenspiel zwischen ihm und dem langen Schweden vorne drin ist schon sehr stark. Sobald Ibrahimovic aich fallen lässt und den verkappten Zehner gibt, was er oft und gerne und gut macht, stößt Boateng in die Spitze und wird von Ibra gut in Szene gesetzt, was sein Spiel umso torgefährlicher macht. So geschehen auch beim gestrigen 1:0, bei dem er in die Lücke lief, ein Anspiel mit der Brust kontrollierte und sehenswert unter die Latte knallte. Dazu noch die enorme Laufarbeit, das häufige Ausweichen auf die Flügel, von wo er durch seine Dribbelstärke ebenfalls gute Angriffe einleitete, undsoweiter. Sehr starker Auftritt, Respekt. Spätestens nachdem er nach seinem Wechsel von Berlin nach Tottenham dort nicht den Durchbruch geschafft hatte, hätte ich ihm eine solche Entwicklung niemals zugetraut.

Am Fall Boateng ist auch interessant zu beobachten, wie gern in deutschen Medien die Leistung eines Spielers mit seinem Privatleben verknüpft bzw. erklärt wird, auch wenn es dabei mit der Logik und den Schlussfolgerungen häufig sehr hanebüchen zugeht. In keiner Zeitung wird man jemals so etwas hier lesen: “Seit Spieler A sich von seiner Frau getrennt hat und sich mit ihr in einem Scheidungskrieg befindet, scheint er auf dem Feld förmlich zu explodieren.” So ein Beispiel wird aber jedem bekannt vorkommen: “Was ist nur mit Spieler B los? Seit Wochen geht es mit seiner Leistung bergab. Eine Rolle wird dabei sicherlich die gerichtliche Auseinandersetzung mit seiner Ex-Frau spielen, mit der er sich seit Monaten um das Sorgerecht für die drei gemeinsamen Kinder streitet.”

Vor allem bei einer Leistungssteigerung eines Spielers, der vorher durch öffentlichkeitswirksame Zwischenfälle im Privatleben aufgefallen ist, muss durch eine positive charakterliche Entwicklung der Person begründet sein, warum auch immer. Während deshalb früher bei der öffentlichen Beurteilung Boatengs stets sein exzentrischer Charakter und diverse Eskapaden im Vordergrund standen und als Karrierehindernis dargestellt wurden, wird jetzt nach seinen starken Leistungen versucht, ihm einen Reifeprozess bzw. ein Erwachsenwerden an den Leib zu schreiben.

So habe ich heute auf verschiedenen Seiten gelesen, dass Boatengs Wechsel ins Ausland und die “Abnabelung aus dem Milieu” ihn hätten erwachsen werden lassen, Schlagzeilen produziere er im Gegensatz zu früher nur noch auf dem Platz. Selbst seine Aussagen in der englischen “Sun” vor der Partie gegen Arsenal, in denen er unter anderem erklärte, der Gegner bestehe “aus lauter jungen Spielern ohne Erfahrung, die noch nicht wissen, wie sie ein Ziel erreichen können”, wird nun von der SZ wohlwollend als “gnadenlose Analyse” bezeichnet. Gnadenlose Analyse? Hätte er so etwas eine Woche nach der Nacht in Berlin gesagt, in der er mit Ex-Teamkollege Patrick Ebert mehrere Autos auf der Straße beschädigt haben soll, da wäre aber auf sämtlichen Sportseiten Rambazamba gewesen.

Dabei sind die selbstbewussten Aussagen nur ein Hinweis darauf, dass sich im bewegten Privatleben bei Boateng im Vergleich zu früher nicht viel geändert hat. Ein näherer Blick abseits des Platzes bestätigt das. Er hat sich inzwischen von seiner Frau getrennt und ist mit einem italienischen Topmodel liiert, das früher mit Christian Vieri zusammen war und in den Boulevardmedien gerne über das Sexleben des Paares berichtet. Dazu liest man, das er sowohl im Mailänder Nachtleben als auch auf den zahlreichen Modeschauen der Stadt Stammgast ist.

Das exzentrische Privatleben ist also immernoch gegeben, aber tut das fussballerisch irgendetwas zur Sache? Nein, tut es nicht. Aber wäre es zu früheren Zeiten, in denen er noch nicht solch starke Leistungen wie heute brachte, von der Öffentlichkeit ausgeschlachtet und ihm angelastet worden? Das auf jeden Fall.

Gallaga

Nachdem seine Spieler gerade ein Lehrstück in Sachen Unfairness hingelegt hatten, bestrafte Mauricio Gallaga sie damit, aus ihrer Aktion kein Kapital schlagen zu dürfen, was wiederum von Gallaga ein Lehrstück in Sachen Fairness war.

Gallaga trainiert die U-20 des mexikanischen Vereins Estudiantes Tecos. Als seine Mannschaft gegen Pachuca mit 0-3 zurücklagen, gab es eine kurze Unterbrechung, da sich ein Estudiantes-Spieler verletzt hatte. Danach gab es Schiedsrichterball in der Hälfte des Gegners, und dann machten Gallagas Jungs das hier:

Auch wenn er ganz ruhig an der Seitenlinie steht, gefiel dem Coach das Gesehene garnicht. Also griff er ein und verbot seinem Spieler, den Elfmeter als gute Gelegenheit für ein Tor zu interpretieren, wie man es sonst so tut. Stattdessen musste der Schütze die Kugel mit Absicht ins Aus schieben und damit das vorherige unfaire Verhalten seines Mitspielers wiedergutmachen. Applaus, Senor Gallaga! So und nicht anders bringt man den Jungs das Spiel richtig bei.