Fehlstart + Phantomtor

Der SSC Neapel hat gestern im Achtelfinale der Coppa Italia mit 2:1 gegen Cesena gewonnen und steht nun im Viertelfinale, in dem der Gewinner der Partie Inter-Genua wartet. Das Spiel war aus zwei Gründen interessant:

Eduardo Vargas feierte sein Debüt. Der 22-jährige Chilene war bis vor kurzem neben Neymar der vielleicht meistgejagte Spieler jenseits des Großen Teichs, hat sich im Gegensatz zu diesem aber inzwischen für einen Wechsel nach Europa entschieden und in Neapel angeheuert. Neapel musste 11,4 Millionen hinlegen und stach dabei andere namhafte Interessenten wie Inter, Milan, Liverpool, Arsenal und vor allem Chelsea aus. Vargas ist ein beweglicher, dribbelstarker Offensiv-Allrounder, der an Nationalmannschaftskollege Alexis Sanchez erinnert, auch wenn er bereits bei seiner Ankunft in Italien erklärte, dass ihn die ewigen Vergleiche mit Sanchez nerven.

Im vergangenen Jahr hat er vor allem als herausragender Spieler seiner Mannschaft Universidad de Chile auf sich aufmerksam gemacht und den ersten Triumph des Vereins in der Copa Sudamericana, dem südamerikanischen Cousin der Europa League, mit elf Treffern im Wettbewerb und drei Treffern in den zwei Finalspielen praktisch im Alleingang klar gemacht.

Der Verlauf seines ersten Einsatzes gegen Cesena war dann das, was man klassischen Fehlstart nennt. Mit allen Facetten. Die miese Bilanz: Führung des Gegners verschuldet, kaum Offensivaktionen, Auswechslung in der ersten Halbzeit, nach der Partie schließlich die Aussage seines Trainers Walter Mazzari, dass es ein Fehler war, ihn von Anfang an auflaufen zu lassen und dass er sich wohl von der allgemeinen Euphorie habe anstecken lassen. Mal abwarten, was aus Vargas in Neapel noch wird. Eine schlechte Halbzeit bedeutet natürlich noch nichts. Und nach dem, was ich aus seinen Zeiten in Chile gesehen habe, könnte aus ihm noch eine ganz große Nummer werden.

Ironischerweise sorgte dann Goran Pandev, der für Vargas in die Partie kam, für den Aufreger des Tages. Pandev musste zunächst in der Startelf für den Neueinkauf Platz machen, nahm nach dessen schwacher Leistung seinen Platz wieder ein, und sorgte dann so ziemlich im Alleingang für den Sieg. Erst köpfte Stürmer Cavani einen Pandev-Freistoß zum Ausgleich ein, kurz vor Schluss besorgte Pandev dann den Siegtreffer.

Vier Minuten vor Schluss schlug er einen Freistoß vom rechten Flügel über die Mauer in Richtung kurzes Eck und überraschte damit den gegnerischen Torwart Ravaglia. Der konnte den Ball zwar noch parieren, der Schiedsrichter sah den Ball aber hinter der Linie und entschied auf Tor. Damit war Neapel durch, Pandev der Held des Abends, und die tapfer kämpfende Gastmannschaft, die sich sofort nach der Entscheidung geschlossen in Richtung Linienrichter machte, war draußen. Bei solch strittigen Szenen freut man sich als Beobachter ja immer auf die erste Wiederholung, um sich selbst ein Bild von der Entscheidung zu machen, nur leider bringt die in diesem Fall auch nicht viel.

Ganz verzwicktes Ding, auch mit Videobeweis. Phantomtor oder nicht?


De Sanctis

Dass heutzutage jede mysteriöse Bewegung auf einem Fussballplatz für einen Profi ein virales Nachspiel bedeuten kann, erfährt nun als aktuellstes Beispiel Morgan De Sanctis, Torwart beim SSC Neapel.

In den letzten Tagen machte folgende Aufnahme, die vom 8. Dezember stammt, zunächst ihre Runde durch italienische Nachrichtensendungen, und kurz darauf durch diverse Blogs und Sportseiten im Netz. Zu sehen ist darauf die Reaktion von De Sanctis auf ein gerade erzieltes Tor seiner Mannschaft, das Neapel am 14. Spieltag gegen Lecce in der Schlussphase mit 4:1 in Führung brachte:

Das Heben der Arme, das Kopfschütteln und die insgesamt eher unzufrieden aussehende Mimik von De Sanctis, sein Teamkollege, der hinter dem Tor steht und ihm grinsend mitteilt, dass noch 7-8 Minuten zu spielen seien, und die Tatsache, dass Gegner Lecce in der verbliebenen Spielzeit noch ein Tor zum 2:4 erzielen konnte, sorgen in Italien für dahingehende Spekulationen, dass De Sanctis eine lukrative Wette auf das Spiel seiner Mannschaft laufen gehabt und das Tor seines Teamkollegen ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht habe.

Einen großen Faktor bei den aufgetretenen Verdächtigungen wird dabei sicherlich der erst kürzlich aufgetretene Wettskandal spielen, der den italienischen Fussball erschüttert hat.

Mal ganz abgesehen davon, dass man schon selten naiv und unvorsichtig sein müsste, um sich in einem solchen Fall so sichtbar über ein Tor der eigenen Mannschaft zu ärgern, hätte ich die Gestik und Mimik eher übersetzt mit “Na endlich kriegt ihr Pfeifen es gebacken da vorne, hat lang genug gedauert”. Auch wenn man sagen muss, dass die Sache mit dem grinsenden Teamkollegen und dem später kassierten Gegentor den Verdächtigungen in die Karten spielt.

De Sanctis hat kurz nach dem Auftauchen der ersten Berichte und Youtube-Clips Stellung zu der Sache genommen, seine gezeigte Unzufriedenheit in dem Moment mit den Punktverlusten in den vorangegangen Spielen begründet und die Person, die den Youtube-Clip zusammengestellt hat, als “Feigling” bezeichnet.

Retro-Rot

Retro-Streitszene des Tages:

Champions League Viertelfinalhinspiel 2006, Chelsea gegen Barcelona. Ein kleiner Jungspund, den damals noch keiner kennt und der seit gestern dreifacher Weltfussballer ist, erobert nach einem langen Zweikampf mit dem damals noch mit Kopfbehaarung ausgestattenen Arjen Robben an der Eckfahne den Ball, lässt diesen danach kurz alt aussehen, und geht dann nach einem Zusammenstoß mit Außenverteidiger Asier Del Horno zu Boden. Alle restlichen Spieler kommen zum Ort des Geschehens angerannt, es gibt Stress, Rudelbildung, Aufregung, am Ende die Rote Karte für Del Horno.

Richtige Entscheidung oder nicht? Ich bin mir genauso unsicher wie damals. Sieht irgendwie nach unglücklichem Zusammenstoß aus, sieht aber auch irgendwie nach gezieltem Bodycheck aus, bei dem der Ball von Del Horno komplett außer Acht gelassen wurde.

Die Schiedsrichterentscheidung stand damals nach der Partie im Mittelpunkt aller Diskussionen.

Der damalige Chelsea-Coach Mourinho: “Was heißt ‘betrügen’ auf Katalanisch? Kann man Messi fürs Schauspielern sperren? Barcelona ist eine kulturelle Stadt mit vielen großartigen Theatern und der Junge hat dort anscheinend viel gelernt.”

Der Beschuldigte: “Er ist über den Ball gesprungen mit der Absicht, mich zu verletzen. Deswegen bin ich auch gesprungen und nur aus dem Grund habe ich mich dabei nicht verletzt. Ich spiele kein Theater. Ich mache mir nichts über Mourinhos Aussagen, denn wir alle wissen, wie er ist. Er redet gern, und er sagt gerne Dinge, um die Atmosphäre aufzuheizen.”

Und, auch ganz interessant, der Telegraph über den 18-jährigen Messi, der gerade seine erste volle Profisaison spielte: “Der Versuch, Lionel Messi zu bändigen, war zweckslos. Der gewiefte Rechtsaußen aus Argentinien war der Inbegriff von Unaufhaltsamkeit, steckte mühelos Grätschen weg, traf die Latte und richtete mit seinen schnellen Füßen und seinen noch schnelleren Gedanken Chaos an.”

Es hat sich also damals schon alles irgendwie angekündigt mit der glorreichen Karriere und den unzähligen Auszeichnungen.

Die Kontroverse um die Szene zwischen Del Horno und Messi war nur eines von vielen Highlights in der langen gemeinsamen Championsleaguegeschichte zwischen den beiden Vereinen: Umstrittener Platzverweis von Anders Frisk gegen Didier Drogba, gefolgt von Morddrohungen und dem Rücktritt des Schiedsrichters, Ronaldinhos Traumtor aus dem Stand an der Stamford Bridge 2004, Lampards Traumtor aus der Drehung im Camp Nou 2006, Mourinhos Torjubel auf den Knien in Barcelona, Övebrö schmeißt Chelsea raus, Iniesta trifft in den letzten Minuten…Gegen ein erneutes Aufeinandertreffen in dieser Saison hätte ich nichts einzuwenden.

Henry

Für das, was sich bis vor ungefähr einer Stunde beim Comeback des Thierry Henry im Arsenal-Trikot abspielte, stehen in der Fussballsprache mehrere Phrasen zur Verfügung, ich nehm mal die nächstbeste:

Solche Geschichten schreibt nur der Fussball.

Im Emirates Stadium traf Arsenal im FA-Cup auf den Zweitligisten Leeds United, es war lange Zeit kein besonders unterhaltsames Spiel, doch das spielte keine besondere Rolle, die Hauptrolle hatte an diesem Tag nämlich Henry, egal ob in der Berichterstattung vor dem Spiel, beim Warmmachen mit seinen Kollegen oder auf der Bank. Während er dort saß, hatte er schon die meisten Stimmen bei der ESPN-Abstimmung zum Man Of The Match, so groß war der Hype. Und das völlig zurecht, der Mann, der neben Ronaldo DER Stürmer unserer Zeit ist, sollte hier schließlich nach vier Jahren Abstinenz wieder für den Verein auflaufen, bei dem er seine goldenen Jahre verbracht hat. In dem Stadion, vor dem ihm vor kurzem ein Denkmal aufgebaut wurde. Da ist jeder Hype berechtigt. Henry ist König, da kann aus meiner Sicht auch die miese Aktion gegen Irland nicht daran kratzen.

In der 68. Minute war es dann soweit, Henry stand an der Seitenlinie, das ganze Stadion erhob sich, er wischte sich mit dem Ärmel noch ein paar Tränen weg, und dann war er wieder da, beim Stand von 0-0. Und nicht nur bei mir war der erste Gedanke: mach doch gleich ne Bude, Titi! Der schönen alten Zeiten wegen.

In seinen ersten Minuten war er in seinen Aktionen noch recht zurückhaltend, wenn auch jeder Ballkontakt bejubelt wurde, auffallend war aber, dass er sofort die Rolle des Leitwolfs übernahm und seinen neuen, jungen Kollegen häufig Anweisungen gab, wie der jeweilige Angriff abzulaufen hat. Und dann die 78.: Alexandre Song hat vor dem Strafraum den Ball, Henry lauert auf Höhe der Viererkette im Strafraum, Song spielt ihn mit einem perfekt getimten Ball an, kurze Annahme, mit der Innenseite flach ins lange Eck, Tor. Ganz klassischer Henry, schnell, platziert, elegant.

Henry dreht ab, klopft sich aufs Vereinsemblem, läuft zuerst die Grundlinie und dann die Seitenlinie entlang, fällt schließlich Coach Wenger in die Arme. Und das alles sieht ganz anders aus als sein berühmter Nichtjubel-Jubel aus früheren Zeiten, als er einfach bewusst emotionslos zur Eckfahne joggte, das wäre auch nicht dem Anlass entsprechend gewesen.

Es blieb beim 1:0, Henrys Treffer bedeutete also den Sieg für Arsenal. Nach dem Schlusspfiff hob er zunächst die Arme und verweilte einige Sekunden mit geschlossenen Augen in der Position, drehte seine Runde im Stadion, das ganze Stadion applaudierte. Das alles war sehr schön mitanzusehen.

Henry wird nur zwei Monate bei Arsenal sein, Wunderdinge wird man nicht erwarten können, aber ich erinnere mich unter anderem an ein ähnliches Engagement von Henrik Larsson, der vor einigen Jahren auch für wenige Monate bei Manchester United ausgeholfen hatte, und daran, dass Mitspieler und Coach Ferguson über die Vorbildfunktion Larssons und seinen positiven Einfluss auf jüngere Spieler schwärmten. So sollte es auch mit Henry ablaufen, das lässt das heutige Spiel vermuten. Gut, dass er zurück ist.

Ben Arfa

Hatem Ben Arfa hatte ich vor ein paar Jahren eine ganz große Zukunft vorausgesagt, sagen wir vorausgedacht. Aufmerksam wurde ich auf ihn das erste Mal in der Champions League Partie mit Lyon gegen Stuttgart anno 2007, in der dieser mir damals noch unbekannte 20-jährige Außenstürmer einen Doppelpack erzielte und besonders bei einem seiner Tore sein Können aufblitzen ließ, als er Ludovic Magnin mit einer sehr raffinierten Bewegung im Strafraum ins Leere laufen ließ und abschloss. Danach sah ich mir noch ein paar Ligaspiele mit Lyon an, und war schnell überzeugt: aus dem wird was, was Großes.

Mit der Ansicht war ich natürlich nicht alleine, Ben Arfa und sein beinahe gleichaltriger Mannschaftskollege Karim Benzema, die beide in der gleichen Spielzeit aus der Jugendmannschaft Lyons in den Profikader geholt wurden, galten damals nach kurzer Zeit als mit die größten Talente in Europa. Benzema ist inzwischen im dritten Jahr bei Real Madrid und hat sich vor allem in dieser Saison als erster Stürmer etabliert (und ist mein Schrecken in vielen Fifa 12-Onlinepartien), hat also den Sprung vom Talent zum Star gepackt.

Anders lief es bei Ben Arfa. Interessanterweise soll dessen Zeit in Lyon im Sommer 2008 vor allem deswegen ein Ende gefunden haben, weil zwischen ihm und Benzema Unstimmigkeiten und Konkurrenzdenken herrschten. Er wurde an Marseille verliehen, aber auch da ging nicht viel. Ich hab ihn nach dem Wechsel zu OM zwar ziemlich aus dem Blickfeld verloren, aber wenn man sich Berichte aus seiner dortigen Zeit anschaut, stößt man nicht auf sportliche Highlights, sondern auf unterschiedlichste Eskapaden und auf die Erkenntnis, dass der Gute nicht gerade der pflegeleichteste Zeitgenosse ist: Schlägerei mit Teamkollege Cisse, Schlägerei mit Teamkollege M’bami, Stress mit Trainer Eric Gerets, weil er sich als Ersatzspieler weigerte, sich warmzumachen, ebenfalls Stress mit dem nächsten Trainer Didier Deschamps im Training.

Im Sommer 2010 provozierte Ben Arfa schließlich seinen Weggang aus Marseille, so wie er seinen Abgang aus Lyon zwei Jahre zuvor provoziert hatte, indem er nämlich einfach öffentlich erklärte, dass er keine Lust mehr habe, für den Verein aufzulaufen, und dass er das daher auch nicht mehr tun werde, und das obwohl die Saison noch nicht beendet war.

Dass es in Newcastle dann weiter bergab mit seiner sportlichen Entwicklung ging, lag dann ausnahmsweise nicht an ihm selbst, sondern an Nigel de Jong, der ihm in seinem erst vierten Spiel für Newcastle das Schienbein zertrümmerte. Das Foul habe ich nie gesehen, weil ich bei solchen Aufnahmen traditionell überempfindlich bin, aber es soll wohl eines vom sogenannten Prädikat Horrorfoul gewesen sein.

Nach langer Leidenszeit gab Ben Arfa im vergangenen September sein Comeback, als er am sechsten Spieltag unter tosendem Applaus beim Heimspiel gegen die Blackburn Rovers eingewechselt wurde. Wird er endlich abrufen können, was er drauf hat, und das über längere Zeit, ohne Verletzungen und ohne Eskapaden? Auch wenn sein damaliger Konkurrent Benzema uneinholbar davongeeilt scheint, der Zug zum Superstar-Status ist auch für Ben Arfa mit seinen 24 Jahren noch nicht ganz abgefahren. Dass er es noch immer drauf hat, steht jedenfalls nach diesem Tor fest, das er am Wochenende im FA-Cup gegen Blackburn erzielt hat.

Ich werde seine Entwicklung wohl doch wieder etwas näher verfolgen müssen.