Der leitende Angestellte

im Sinne des

Betriebsverfassungsrechts

 

 

von

 

Dr. Ferdinand Brüggehagen

Fachanwalt für Arbeitsrecht

 

Kanzlei

Ritter, Gross & Partner

Hannover


I.

Einführung

 

 

Die leitenden Angestellten – obwohl Arbeitnehmer – werden vom Betriebsrat nicht vertreten. Dies galt für das BetrVG 1952 und gilt für das BetrVG 1972. Seit 1990 haben die leitenden Angestellten eine eigene Interessenvertretung: den Sprecherausschuß. Dieser hat im Vergleich zum Betriebsrat einen erheblich geringeren Wirkungskreis. Nach dem Sprecherausschußgesetz stehen der Interessenvertretung der leitenden Angestellten lediglich Unterrichtungs-, Anhörungs- und Beratungsrechte in sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten zu. Die besondere Stellung der leitenden Angestellten, deren Arbeitgebernähe und –funktionen haben den Gesetzgeber dazu veranlaßt, die Beteiligung dieses Vertretungsorganes auf Mitwirkungsrechte zu beschränken und – im Unterschied zum BetrVG – auf erzwingbare Mitbestimmungsrechte zu verzichten. (vgl. hierzu Kramer NZA 1993, 1024 ff.; derselbe zu Vereinbarungen des Arbeitgebers mit dem Sprecherausschuß in DB 1996, 1082 ff. m.w.N.)

Der Unternehmer kann in Groß- und Mittelunternehmen nicht alle unternehmensbezogenen Aufgaben selbst erledigen. Er muß (unternehmerische) Aufgaben delegieren. Diese werden von leitenden Angestellten mit eigenem Entscheidungsspielraum wahrgenommen. Gleichzeitig sind die leitenden Angestellten jedoch als Arbeitnehmer wirtschaftlich und persönlich abhängig. Sie haben daher auch Arbeitnehmerinteressen, die wiederum vom Sprecherausschuß wahrgenommen werden.

Da sich der leitende Angestellte mit den Interessen des Unternehmers identifizieren muß, ist Basis des Verhältnisses zwischen Unternehmer und leitenden Angestellten ein besonderes Vertrauen. Daher waren im BetrVG 1952 noch subjektive Abgrenzungsmerkmale vorrangig. Danach (§ 4 Abs. 2 c) war für die Bestimmung eines leitenden Angestellten wesentlich, daß er Aufgaben wahrnahm, die ihm „nur aufgrund besonderen persönlichen Vertrauens des Arbeitgebers ... übertragen werden“. Bei den kontroversen Diskussionen anläßlich der Beratungen des BetrVG 1972 lag der Schwerpunkt auf funktionsgebundenen Merkmalen, die schließlich auch Eingang in das Gesetz fanden. Leitend waren danach Angestellte, wenn sie nach Dienststellung und Dienstvertrag

 

       1.    zur selbständigen Einstellung und Entlassung von im Betrieb oder in der Betriebsabteilung beschäftigten Arbeitnehmern berechtigt sind oder

       2.    Generalvollmacht oder Prokura haben oder

       3.    im wesentlichen eigenverantwortlich Aufgaben wahrnehmen, die ihnen regelmäßig wegen ihrer Bedeutung für den Bestand und die Entwicklung des Betriebes im Hinblick auf besondere Erfahrungen und Kenntnisse übertragen werden.

 

Das BAG (in AP Nr. 1 zu § 5 BetrVG 1972) hielt die Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 nicht für ausreichend, um einen Angestellten als leitend zu charakterisieren. Es bemängelte den fehlenden Unternehmensbezug und ergänzte die Kriterien für den nicht näher definierten Begriff des leitenden Angestellten durch „unternehmensbezogene Leitungsaufgaben mit eigenem, erheblichem Entscheidungsspielraum“. Streitig war die Frage, ob der Leitende Angestellte gemäß § 5 Abs. 3 als „Oberbegriff“ mit Bedeutung auch außerhalb des Betriebsverfassungsgesetzes zu verstehen war. Die Diskussion fand ihr Ende durch das am 01.01.1989 in Kraft getretene „Gesetz zur Änderung des BetrVG, über Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten und zur Sicherung der Montanmitbestimmung“. Danach wurde der Personenkreis der leitenden Angestellten neu festgelegt. Abs. 3 wurde neu gefaßt und Abs. 4 hinzugefügt. Der Personenkreis wurde nach Maßgabe der BAG-Rechtsprechung zu § 5 Abs. 3 konkret bezeichnet, die Unternehmensbezogenheit festgeschrieben und klargestellt, daß für die Funktion des Leitenden Angestellten allein betriebsverfassungsrechtliche Überlegungen maßgeblich sind. Der Interessenpolarität (Kraft in GK-BetrVG, 5. Auflage § 5 Rdz. 68) des leitenden Angestellten als Träger unternehmerischer Entscheidungen und gleichzeitig als persönlich und wirtschaftlich abhängiger Arbeitnehmer wurde durch Schaffung einer eigenständigen betrieblichen Vertretung der leitenden Angestellten, des Sprecherausschusses, Rechnung getragen.

 

II.

Auswirkungen der Abgrenzung

 

Der in § 5 Abs. 2, 3 und 4 genannte Personenkreis besitzt weder das aktive noch das passive Wahlrecht zum Betriebsrat. Der Personenkreis findet auch dann keine Berücksichtigung, wenn eine bestimmte Zahl von Arbeitnehmern als Voraussetzung für die Anwendung einer Vorschrift verlangt wird, vgl. §§

 

       -      1      Errichtung von Betriebsräten (5 AN)

       -      9      Zahl der Betriebsratsmitglieder

       -      38    Freistellungen von Betriebsratsmitgliedern

       -      99    Mitbestimmung bei personellen Einzelmaßnahmen (>20 AN)

       -      106  Wirtschaftsausschuß (>100 AN)

       -      110  vierteljährliche Unterrichtung der AN (>1000 AN)

       -      111  Betriebsänderungen (>20 AN).

 

Dem Betriebsrat stehen in Angelegenheiten, die leitende Angestellte betreffen, keine Beteiligungsrechte zu. Betriebsvereinbarungen entfalten  für leitende Angestellte keine normative Wirkung. Gemäß § 105 BetrVG ist dem Betriebsrat lediglich eine beabsichtigte Einstellung oder personelle Änderung eines leitenden Angestellten mitzuteilen.

 

Die leitenden Angestellten können eine eigene Interessenvertretung wählen, und zwar in Betrieben (§ 1 Sprecherausschußgesetz) oder in Unternehmen (§ 20 Sprecherausschußgesetz).Voraussetzung: Mehr als 10 leitende Angestellte sind im Betrieb oder Unternehmen beschäftigt.

 

 


III.

Rechtlicher Ausgangspunkt: § 5 Abs. 3 BetrVG

 

1.    Wortlaut:

 

„Dieses Gesetz findet, soweit in ihm nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist, keine Anwendung auf leitende Angestellte. Leitender Angestellter ist, wer nach Arbeitsvertrag und Stellung im Unternehmen oder im Betrieb

 

(1)   zur selbständigen Einstellung und Entlassung von im Betrieb oder in der Betriebsabteilung beschäftigten Arbeitnehmern berechtigt ist oder

 

(2)  Generalvollmacht oder Prokura hat und die Prokura auch im Verhältnis zum Arbeitgeber nicht unbedeutend ist oder

 

(3)   regelmäßig sonstige Aufgaben wahrnimmt, die für den Bestand und die Entwicklung des Unternehmens oder eines Betriebes von Bedeutung sind und deren Erfüllung besondere Erfahrungen und Kenntnisse voraussetzt, wenn er dabei entweder die Entscheidungen im wesentlichen frei von Weisungen trifft oder sie maßgeblich beeinflußt; dies kann auch bei Vorgaben insbesondere aufgrund von Rechtsvorschriften, Plänen oder Richtlinien sowie bei Zusammenarbeit mit anderen leitenden Angestellten gegeben sein.“

 

Wer eine der vorstehenden Voraussetzungen erfüllt, ist leitender Angestellter. Alle drei Nrn. sind gleichwertig. Nr. 1 stellt auf formale (Einstellungs- und Entlassungs-) Befugnisse ab. Auch Nr. 2 beschreibt den Arbeitgebervertreter im formalen Sinn und stellt auf Vollmachten ab. Nr. 3 ist tätigkeits-/funktionsbezogen und stellt auf den eigentlich gemeinten Personenkreis ab: Auf die Angestellten, die zwischen Unternehmer und den sonstigen Angestellten stehen (Hromadka in DB 90, 57, 58).

 

Ob ein Angestellter leitender Angestellter ist, ist eine Rechtsfrage.

 

Die Voraussetzungen von § 5 Abs. 3 können daher vertraglich weder abbedungen noch als gegeben festgeschrieben werden. Dies gilt sowohl für Regelungen durch Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen oder individualvertragliche Abreden. Der Status wird allein durch das Vorliegen der Voraussetzungen von § 5 Abs. 3 begründet. Insbesondere sind „Ernennungen“ oder „Beförderungen“ etc. zum leitenden Angestellten bedeutungslos. Ihnen kommt noch nicht einmal indizielle Wirkung zu. Durch die Eintragung in eine Wählerliste (zur Wahl des Sprecherausschusses) wird der Status eines leitenden Angestellen ebenfalls nicht begründet. Auch der Betriebsrat oder der betroffene Arbeitnehmer selbst können sich nicht verbindlich einer Gruppe nach Abs. 3 zuordnen.

 

2.       Allgemeine Voraussetzungen

 

a)    Nach Arbeitsvertrag und Stellung

 

       Die in den Nr. (1) bis (3) genannten Kriterien müssen sich

 

       -       formal aus dem Arbeitsvertrag und

       -       funktional aus der Dienststellung

 

       ergeben („Wer nach Arbeitsvertrag und Stellung ...“).

 

       Voraussetzung für den Status leitender Angestellter ist daher, daß der leitende Angestellte die Funktion nicht nur tatsächlich ausübt, sondern daß er sie aufgrund seines Arbeitsvertrages auch ausüben darf. Erforderlich ist damit eine Identität von vertraglicher – auch  mündlich vereinbarter - Befugnis und faktischer Ausübung, um Manipulationen entgegenzuwirken (Buchner NZA 89, Beilage 1 Seite 6).

 

       Die tatsächliche Ausübung leitender (unternehmerischer) Aufgaben ohne vertragliche Legitimation genügt damit genauso wenig wie die vertragliche Zuweisung leitender Aufgaben bei gleichzeitiger Ausübung anderer Funktionen. Rechtliches Dürfen und tatsächliches Können müssen dabei nicht völlig deckungsgleich sein, sondern sich „in etwa“ (Wlotzke DB 89, 111 (119)) entsprechen.

 

       In der Praxis werden die Fälle zahlreich auftreten, wo die tatsächliche Wahrnehmung leitender Aufgaben hinter den vertraglich zugesagten Aufgaben zurückbleiben. Hier dürfte es -so Kraft in GK-BetrVG an der gebotenen Deckungsgleichheit nur dann fehlen, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer im Rahmen seines Direktionsrechtes Aufgaben zuweisen darf, die außerhalb des unternehmerischen Wirkungskreises fallen. Im umgekehrten Fall, wo das rechtliche Dürfen (im vertraglichen Innenverhältnis) hinter dem rechtlichen Können zurückbleibt, handelt es sich entweder um eine widerrechtliche Kompetenzanmaßung oder im Falle der Duldung durch den Arbeitgeber um eine -zumindest konkludente- Vertragsänderung im Hinblick auf die geschuldete Leistung. Hromadka (in BB 90, 57, 58): „Übt ein Arbeitnehmer mit Billigung des Arbeitgebers leitende Funktionen aus, so wird man selbst bei anderslautendem schriftlichen Vertrag davon auszugehen haben, daß das „nach Arbeitsvertrag“ geschieht“.

 

       Eine gelegentliche Ausübung leitender Funktionen reicht nicht aus. Vielmehr muß die Ausübung der Befugnisse einen wesentlichen Teil der Aufgaben ausmachen. Sie muß (so BAG DB 86, 1131) seine Stellung im Betrieb prägen. Bei einer zeitweiligen Vertretung eines Leitenden Angestellten liegt diese Voraussetzung beispielsweise nicht vor.

 

b)    Im Unternehmen oder Betrieb

 

       In der vor dem 01.01.1989 gültigen Fassung des § 5 Abs. 3 wurde die Stellung eines leitenden Angestellten weder auf das Unternehmen noch auf den Betrieb bezogen. Vielmehr blieb es der Rechtsprechung vorbehalten, an der Funktion des leitenden Angestellten unternehmerische (Teil-)Aufgaben zu knüpfen. Nunmehr kann sich eine leitende Funktion sowohl auf das Unternehmen als auch auf den Betrieb beziehen. Dies ändert allerdings an der nach wie vor maßgeblichen Rechtsprechung des BAG nichts, wonach auch für den Fall, daß sich Aufgaben und Befugnisse auf einen Betrieb beschränken, die Aufgaben auf das Unternehmen Auswirkungen haben. Das BAG hat einen solchen Unternehmensbezug stets dann genügen lassen, wenn sich die betriebsbezogenen Aufgaben funktionsmäßig auf das Unternehmen auswirken (BAG in AP Nr. 2, 3 Nr. 32 zu § 5 BetrVG 1972). Letztendlich dürfte stets eine leitende betriebsbezogene Aufgabe ausreichend sein, da der Bestand und die Entwicklung eines Betriebes einen wichtigen teilunternehmerischen Aspekt darstellen.

 

       Nach Auffassung des BAG (Beschluß vom 25.02.1997 in NZA 1997, 955 (957)) beurteilt sich der Status eines in mehreren Betrieben tätigen Angestellten als leitendem Angestellten nach dem Gesamtgepräge. Danach beantwortet sich die Frage, ob ein Angestellter in diesem Sinne Unternehmerfunktion wahrnimmt aufgrund einer Gesamtwürdigung seiner arbeitsvertraglichen Tätigkeit innerhalb des Unternehmens. Es kommt danach auf die im Schrifttum umstrittene Frage, inwieweit nur auf einen Betrieb bezogene Leitungsfunktionen den Status als leitender Angestellter begründen können, nicht mehr an.

 

3.    § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1:

 

       „... zur selbständigen Einstellung und Entlassung von im Betrieb oder in der Betriebsabteilung beschäftigten Arbeitnehmern berechtigt ist ..."

 

       § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ist gegenüber der vor dem 01.01.1989 geltenden Fassung unverändert geblieben. Die geforderte Einstellungs- und Entlassungsbefugnis muß nicht bezüglich sämtlicher Arbeitnehmer des Betriebes bestehen. Dies wird aus der Formulierung „oder in der Betriebsabteilung beschäftigten Arbeitnehmern“ deutlich. Eine Beschränkung auf einen eng begrenzten Personenkreis ist jedoch nicht ausreichend. Die Befugnis muß sich auf einen wesentlichen Teil der Arbeitnehmer des Betriebes erstrecken. Auf eine bestimmte Anzahl kommt es nicht an. Es muß zumindest eine Arbeitnehmergruppe sein, beispielsweise Angestellter oder Arbeiter. Es kann auch eine Arbeitnehmergruppe – z. B. die der AT-Angestellten – ausgeschlossen sein. In jedem Fall wird eine Einzelfallentscheidung erforderlich sein, für die nicht zuletzt die Betriebsgröße maßgeblich sein dürfte. Erforderlich ist jedoch nur eine „Berechtigung“. Abgestellt wird damit auf das Innenverhältnis zwischen Arbeitgeber und dem Angestellten. Ausreichend ist, daß der Angestellte einstellen und entlassen kann. Diese Berechtigung muß sich sowohl auf Einstellung und Entlassung beziehen. Eine der beiden Befugnisse reicht damit – anders als bei § 14 KSchG – nicht aus.

 

       Der Angestellte muß Einstellungen und Entlassungen selbständig vornehmen können. Selbständig bedeutet, daß der Angestellte insoweit Entscheidungsträger und nicht an die Zustimmung des Arbeitgebers oder anderer Angestellter gebunden ist. Die Berechtigung darf sich nicht darauf beschränken, nach Außen Unterschriftsbefugnis zu haben (z.B. Handlungsvollmacht, i.V.). Der leitende Angestellte muß nach Innen die Entscheidung über Einstellung und Entlassung treffen können (BAG in DB 82, 1990).

 

       Für den in der Praxis bedeutsamen Fall des Personalleiters bedeutet dies, daß ihm dann nicht die Eigenschaft als leitender Angestellter gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 zugesprochen werden kann, wenn er lediglich Entscheidungen der Fachabteilungen vollzieht (Buchner in NZA 89, Beilage 1 Seite 2, 6). Gleiches gilt auch für den Fall, daß der Personalleiter nur mit den zuständigen Leitern der Fachabteilung entscheiden darf. Davon unberührt bleibt die Möglichkeit des Status eines leitenden Angestellten nach Abs. 3 Satz 2 Nr. 3. Eine Bindung im Rahmen der Personalplanung und an Richtlinien nach § 95 schließt eine leitende Funktion gemäß Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 nicht aus. An Richtlinien nach § 95 muß sich auch der Arbeitgeber halten. Auch eine Bindung an eine unternehmenseinheitliche Personalpolitik (Auswahlrichtlinien) oder Auswahlverfahren (Tests etc.) steht dem Status eines leitenden Angestellten nicht entgegen. Muß der Personalleiter zwar die Fachabteilungen konsultieren, kann er weiterhin grundsätzlich ohne deren Zustimmung keine Entscheidung treffen, sich jedoch in bestimmten Fällen über das Votum der Fachabteilungen hinwegsetzen, dürfte er leitender Angestellter nach Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 sein (Kraft in GK-BetrVG § 5 Rdz. 80). In diesem Fall dürfte auch der in Nr. 3 zum tragen kommende Gedanke maßgeblich sein, wonach der Angestellte seine Entscheidungen nur „im wesentlichen frei von Weisungen“ zu treffen hat. Ein – so Kraft – gewisses Maß an Bindung steht der Eigenverantwortlichkeit damit nicht entgegen.

 

4.    § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2:

 

       „Generalvollmacht oder Prokura hat und die Prokura auch im Verhältnis zum Arbeitgeber nicht unbedeutend ist ...“

 

       Infolge der umfassenden Vertretungsmacht, die Generalvollmacht und Prokura gewähren, fingiert das Gesetz den Status eines leitenden Angestellten bei Generalbevollmächtigten und Prokuristen.

 

       a)       Generalvollmacht

 

       Generalvollmacht ist eine umfassende Vollmacht und kann formlos erteilt werden. Der Generalbevollmächtigte hat im Zweifelsfall dieselben Befugnisse wie der Vollmachtgeber.

 

       Gemäß § 105 Aktiengesetz bezieht sich die Generalvollmacht auf die Führung des gesamten Geschäftsbetriebes. Das BAG (in AP Nr. 1 zu § 5 BetrVG 72) sieht einen Generalbevollmächtigten (der Begriff Generalvollmacht ist im Gesetz nicht definiert) zwischen einem Vorstandsmitglied und einem Prokuristen mit der Folge, daß bei einem Generalbevollmächtigten stets die Merkmale vorliegen, die einen leitenden Angestellten ausmachen, zumindest habe ein Generalbevollmächtigter dieselben Befugnisse wie ein Prokurist (BAG in NZA 91, 857(858)). Im Regelfall hat ein Generalbevollmächtigter auch Prokura. Wenn im Einzelfall eine Generalvollmacht hinter den Befugnissen eines Prokuristen zurückbleibt, scheidet eine Zuordnung nach Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 aus. Ausreichend ist, wenn eine Generalvollmacht der Vollmacht eines Prokuristen entspricht.

 

       b)       Prokura

 

       Der Umfang einer Prokura ergibt sich aus den §§ 48 ff. HGB. Sie ermächtigt zu allen Arten von gerichtlichen und außergerichtlichen Geschäften und Rechtshandlungen, die der Betrieb eines Handelsgewerbes mit sich bringt.

 

       Die ab dem 01.01.1989 geltende Neufassung von § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 sollte in Bezug auf den Prokuristen sicherstellen, daß die sogenannten Titularprokuristen von § 5 Abs. 3 Nr. 2 nicht erfaßt werden sollten. Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 wurde daher um die Formulierung ergänzt, daß

 

          „die Prokura auch im Verhältnis zum Arbeitgeber nicht unbedeutend“

 

       sein darf. Hintergrund für diese Formulierung war eine Entscheidung des BAG (in AP Nr. 37 zu § 5 BetrVG 1972), wonach § 5 Abs. 3 Nr. 2 alter Fassung nur dann Anwendung finden sollte, wenn der Angestellte zur Wahrnehmung aller sich aus der Prokura ergebenden Befugnisse auch im Innenverhältnis gegenüber dem Arbeitgeber berechtigt sei. Das BAG forderte damit eine Deckungsgleichheit von Innen- und Außenverhältnis. Insbesondere die Prokuristen, deren Prokura in größeren Unternehmen auf die ihnen jeweils übertragenen Bereiche beschränkt ist, sollten wieder unter den Anwendungsbereich des BetrVG fallen. Die nunmehr gewählte Formulierung erfordert keine völlige Deckungsgleichheit des rechtlichen Könnens mit dem rechtlichen Dürfen. Die Prokura darf jedoch nicht lediglich als Titel verliehen sein. Der ihr zugrundeliegende Aufgabenbereich darf auch nicht unbedeutend sein. Die Aufgaben müssen – so FKHE § 5 Rdz. 150 – „einigermaßen bedeutungsvoll“ sein. Im Einzelfall gilt es auszuloten, welches Maß an rechtlichem Dürfen erforderlich ist, damit eine Prokura im Verhältnis zum Arbeitgeber nicht unbedeutend ist. Festzustellen bleibt, daß das formale Merkmal der Prokura allein nicht ausreichend ist. Denn Prokura muß als Vertretungsmacht gegenüber Dritten Befugnisse von einigem Gewicht entsprechen. In der Literatur hat sich die Auffassung durchgesetzt, wonach die Voraussetzungen von Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 dann vorliegen, wenn dem Prokuristen arbeitsvertragliche Befugnisse eingeräumt sind, die den in Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 beschriebenen Aufgaben in etwa gleichwertig sind. Eine Gesamtprokura (§ 48 Abs. 2 HGB) oder einer auf eine Niederlassung beschränkte Prokura (§ 50 Abs. 3 HGB) steht dem Status leitender Angestellter nicht entgegen, genauso wenig wie die interne Beschränkung der Prokura auf bestimmte Aufgabengebiete wie Produktion, Verkauf etc.

 

       Einigkeit besteht jedenfalls darüber, daß eine Handlungsvollmacht nicht ausreicht. Ihre Erteilung kann allenfalls Indiz für die Erfüllung der Voraussetzungen nach Nr. 3 sein (BAG NZA 91, 857(859)).

 

5.    § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3:

 

       Der funktionale Grundtatbestand

 

       Unter diesem Sammeltatbestand sollen all diejenigen leitenden Angestellten fallen, die Führungsaufgaben wahrnehmen, jedoch die formalen Kriterien nach den Nr. 1 und 2 nicht erfüllen. Letztendlich wird mit Nr. 3 die Tendenz des BAG bestätigt, wonach die Bestimmung der leitenden Angestellten nicht aufgrund formaler Kriterien, sondern aufgrund der von den Angestellten ausgeübten unternehmerischen Funktionen vorgenommen werden soll. Während bei den Nrn. 1 und 2 der Schwerpunkt auf formelle Kriterien liegt, liegt er in Nr. 3 auf einer funktionalen Betrachtungsweise (FKHE § 5 Rdz. 154).

 

 

       Wenn der Angestellte als Voraussetzung für eine leitende Funktion sonstige Aufgaben wahrnehmen muß, so wird vertreten, daß diese sonstigen Aufgaben mit den in den Nrn. 1 und 2 genannten Aufgaben gleichwertig sein müssen (vgl. Wlotzke DB 89, 120, FKHE § 5 Rdz. 158). Die Autoren berufen sich auf die Motive zum Gesetzesentwurf, wonach die Formulierung „sonstige Aufgaben“ deutlich machen soll, daß es sich auch um Führungsaufgaben handeln müsse (BT-Drucksache 11/2503, Seite 30). Andere Autoren (Kraft in GK-BetrVG § 5 Rdz. 90) treten dem mit dem Argument entgegen, in den Nrn. 1 und 2 seien Kompetenzen und nicht Aufgaben beschrieben. Die Nrn. 1 und 2 könnten daher für die Auslegung von Nr. 3 nicht herangezogen werden. Darüber hinaus sei mit der Neufassung von Nr. 3 der Schwerpunkt auf funktionale Merkmale zur Umschreibung des leitenden Angestellten gelegt worden. Nr. 3 bilde daher den Grundtatbestand des leitenden Angestellten, der auf die Nrn. 1 und 2 zurückstrahle und nicht umgekehrt (Hromadka in BB 1990, 57, 62).

 

       Unabhängig davon, ob die in Nr. 3 aufgeführten Aufgaben mit denen der Nrn. 1 und 2 gleichwertig sein müssen, ist jeweils im Einzelfall eine Subsumtion vorzunehmen. Nach Nr. 3 ist leitender Angestellter

 

a)    wer sonstige Aufgaben wahrnimmt, die für den Bestand und die Entwicklung des Unternehmens oder eines Betriebes von Bedeutung sind, und

 

b)    deren Erfüllung besondere Erfahrungen und Kenntnisse voraussetzt und

 

c)    wer bei der Erfüllung dieser Aufgaben entweder die Entscheidungen im wesentlichen frei von Weisungen trifft oder sie maßgeblich beeinflußt, wobei diese auch bei Vorgaben insbesondere aufgrund von Rechtsvorschriften, Plänen oder Richtlinien sowie bei Zusammenarbeit mit anderen leitenden Angestellten gegeben sind und

 

d)    wer diese Aufgaben regelmäßig wahrnimmt.

 

Im einzelnen:

 

a) Wahrnehmung sonstiger Aufgaben, die für den Bestand und die Entwicklung des Unternehmens oder eines Betriebs von Bedeutung sind.

 

       Zu der vor dem 01.01.1989 geltenden Fassung ist der Unternehmensbezug neben dem Betriebsbezug hinzugekommen. Für die Praxis ist insoweit keine Änderung eingetreten, als das BAG auch bereits vor 1989 die Formulierung „Betrieb“ im Sinne von „Unternehmen“ verstanden hat. Nach der Begründung zum Gesetzesentwurf sollen alle Fälle erfaßt werden, „in den der leitende Angestellte Führungsaufgaben unter anderem in wirtschaftlicher, technischer, kaufmännischer, organisatorischer, personeller, rechtlicher oder wissenschaftlicher Hinsicht ausübt (BT-Drucksache 11/2503, Seite 30). Der leitende Angestellte muß jeweils für den Arbeitgeber handeln in Polarität zu den vom Betriebsrat vertretenen Interessen der Arbeitnehmer . Dies kann regelmäßig bei einem Angestellten mit Vorgesetztenfunktion bejaht werden. Der leitende Angestellte ist insoweit als „Gegner“ zum Betriebsrat als dem Repräsentanten der Belegschaft zu sehen (Kraft in GK-BetrVG § 5 Rdz. 93). Die Weisungsbefugnis des Angestellten muß ihm aber das Recht verleihen, im Rahmen des ihm zugewiesenen Aufgabenbereiches die notwendigen Anordnungen zu treffen. Dies allein stellt den erforderlichen Unternehmensbezug aber dann noch nicht her, wenn es sich nur um Anordnungen handelt, die zur Durchführung des arbeitstechnischen Zweckes des Betriebes gehören (BAG in AP Nr. 6 zu § 5 BetrVG). Im Umkehrschluß bedeutet dies, daß auch Angestellte ohne Vorgesetztenfunktion leitend sein können, wenn sie unternehmerische Funktionen wahrnehmen, die eine Zuordnung zur Unternehmensseite zulassen mit der Feststellung, daß sich ein „natürlicher Interessengegensatz zur übrigen Belegschaft und damit die Unvereinbarkeit der Aufgabe mit dem aktiven und passiven Wahlrecht zum Betriebsrat ergibt“. Um eine leitende Funktion zu bejahen ist stets ein Gegnerbezug, die Interessenpolarität erforderlich.

 

       Die vom Angestellten wahrgenommenen Aufgaben sind dann für Bestand und Entwicklung des Unternehmens oder eines Betriebes von Bedeutung, wenn sie einen beachtlichen Teilbereich der unternehmerischen Aufgaben betreffen. Insoweit ist zunächst die Gesamtheit der Unternehmensaufgaben festzustellen und in Relation zu den unternehmerischen Aufgaben des Angestellten zu setzen. Letztendlich dürfte ausschlaggebend sein, ob der leitende Angestellte nur vorgegebene Ziele erarbeitet oder aber eigeninitiativ unternehmerisch tätig sein kann (vgl. BAG AP Nr 24, 30 zu § 5 BetrVG 1972).

 

       Ein Abarbeiten unternehmerischer Entscheidungen in arbeitstechnischer Hinsicht reicht genauso wenig wie eine Aufsichts- und/oder Überwachungsfunktion aus. Die Bedeutung für den Bestand und die Entwicklung des Unternehmens gewinnt auch nicht durch eine hohe Umsatz- oder Etatverantwortung. Diese Kriterien können allerdings indizielle Wirkung entfalten. Dasselbe gilt für die Anzahl der Arbeitnehmer, für die der Angestellte verantwortlich ist.

 

b) Besondere Erfahrungen und Kenntnisse

 

       Die geforderten besonderen Erfahrungen und Kenntnisse sind an den Aufgaben zu orientieren mit Blick darauf, ob dafür eine besondere Ausbildung oder längere Berufserfahrung erforderlich ist. Für die Kenntnisse ist eine akademische Ausbildung nicht Richtschnur. Selbststudium oder Erfahrungen durch längere Tätigkeit sind gleichwertig. Besondere Erfahrungen setzen jedoch in der Regel eine mehrjährige Praxis voraus.

 


 

c) Weisungsfreiheit oder maßgeblicher Einfluß auf Entscheidungen

 

       Das Weisungsrecht unterscheidet den Arbeitgeber vom Arbeitnehmer. Derjenige, der Weisungen entgegennimmt, steht in keinem freien Dienst- sondern in einem (abhängigen) Arbeitsverhältnis. Da der Unternehmer als Arbeitgeber letztendlich jede Entscheidung an sich ziehen kann, steht eine gewisse Weisungsgebundenheit dem Status eines leitenden Angestellten nicht entgegen. Die Weisungsgebundenheit darf allerdings nicht so stark ausgeprägt sein, wie bei einem „normalen“ Angestellten.

 

       Das BAG (in AP Nr. 2, 3, 11 zu § 5 BetrVG 1972) verneint einen persönlichen Handlungsspielraum, wenn unternehmerische Entscheidungen nur in arbeitstechnischer Hinsicht vorprogrammiert durchgeführt werden. Unerheblich ist, ob der Angestellte eine sogenannte Linienfunktion oder Stabsfunktion wahrnimmt. Bei einer Linienfunktion trifft der Angestellte die maßgeblichen Entscheidungen selbst, bei einer Stabsfunktion ist er insoweit vorbereitend, planend und beratend tätig. Die Gleichwertigkeit von Linien- und Stabsfunktion wird durch die Formulierung „frei von Weisungen oder maßgeblicher Beeinflussung“ festgeschrieben.

 

aa) Eigener Entscheidungsspielraum

 

       Hier wird die Linienfunktion angesprochen.

 

       Die Leitungsebene, auf der der Angestellte tätig ist, hat insoweit indizielle Wirkung (BAG in AP Nr. 32 zu § 5 BetrVG). Im Einzelfall spielt hier auch die Größe des Unternehmens eine Rolle. Je größer das Unternehmen desto größer die zu delegierenden Aufgaben. Bei einem sehr großen Unternehmen kann auch auf einer relativ niedrigeren Delegationsstufe eine Entscheidungsfreiheit vorliegen. Auf der anderen Seite wird auf den unteren Leitungsebenen der personelle Handlungsspielraum regelmäßig von geringer Bedeutung sein. Der Angestellte in Linienfunktion muß jedenfalls selbst Entscheidungen treffen können, wobei eine völlige Weisungsunabhängigkeit nicht erforderlich ist. Das Gesetz geht eingrenzend selbst von der Einengung eines Spielraumes infolge von Rechtsvorschriften, Plänen oder Richtlinien aus. Zusammenarbeit in einem Team gleichberechtigter Mitarbeiter ist ebenfalls für die Annahme einer Leitungsfunktion nicht hinderlich, soweit dem Angestellten ein eigener Entscheidungsspielraum verbleibt. Die Grenze ist dort überschritten, wo die zu treffenden Entscheidungen in ihrer Mehrzahl vorprogrammiert sind (BAG in DB 75, 2138). Es geht dann um eine selbstbestimmte Tätigkeit.

 

       bb) Maßgebliche Beeinflussung

 

              Hier ist die Stabsfunktion gemeint.

 

          Das BAG (in AP Nr. 1, 2, 3, 11 und 22 zu § 5 BetrVG 1972) bejaht eine maßgebliche Beeinflussung dann, wenn der Angestellte

 

       Voraussetzungen schaffe, an denen die eigentliche Unternehmensführung nicht vorbeigehen könne,

 

       oder anders – mit den Worten der Gesetzesentwurfsbegründung – formuliert:

 

               „...aufgrund seiner Position Fakten schafft, die bei der Findung der unternehmens- oder betriebsleitenden Entscheidungen nicht unbeachtet gelassen werden können“

 

       (BT-Drucksache 11/2503, Seite 30). Die Bewertung eines maßgeblichen Einflusses muß letztendlich der Beurteilung des Einzelfalles überlassen bleiben. Allerdings muß der maßgebliche Einfluß auch im Arbeitsvertrag Niederschlag gefunden haben.

 

d) Regelmäßige Wahrnehmung

 

       Eine gelegentliche Ausübung steht einer regelmäßigen Wahrnehmung entgegen. Eine kurzzeitige oder vorübergehende Wahrnehmung unternehmerischer Aufgaben dürfte grundsätzlich nicht ausreichen (FKHE § 5 Rdz. 61). Andere – wie Kraft in GK-BetrVG § 5 Rdz. 106 – gehen die Problematik theoretischer an, indem sie „regelmäßig“ dahin deuten, „daß die Tätigkeiten sich nach gewissen voraussehbaren Abläufen oder Gesetzmäßigkeiten wiederholen“ müssen. Eine gelegentliche Wahrnehmung sei dagegen nicht von kalkulierbaren Umständen, sondern von Zufälligkeiten abhängig. Danach kann beispielsweise auch eine kurzzeitige Urlaubsvertretung das Merkmal der Regelmäßigkeit erfüllen, sofern diese Vertretung vorhersehbar, insbesondere zuvor geregelt war. In jedem Fall muß der Angestellte auch bei dieser Auslegung unternehmerische Tätigkeiten erbringen, die ihren Niederschlag in seinem Arbeitsvertrag gefunden haben. Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß die kurzfristige Wahrnehmung unternehmerischer Aufgaben infolge einer Urlaubs- oder Krankheitsvertretung eine regelmäßige Wahrnehmung unternehmerischer Aufgaben nicht begründet.

 

       Im Zusammenhang mit der Diskussion des Merkmales „regelmäßig“ erfährt auch die zum „alten“ § 5 Abs. 3 (vor dem 01.01.1989) vom BAG vertretene Geprägetheorie eine Renaissance. Danach mußte zumindest ein beachtlicher Teil der Arbeitszeit des Angestellten von Unternehmeraufgaben geprägt sein. Andere sehen „Routineaufgaben“ der Funktion eines leitenden Angestellten als hinderlich an. Nach wohl richtiger Auffassung dürfte es weder auf eine Routine noch auf eine bestimmte Quantität der Arbeitszeit, sondern ausschließlich und allein darauf ankommen, ob die vom leitenden Angestellten wahrgenommenen unternehmerische Funktion in natürlicher Interessenpolarität zur Arbeitnehmerschaft steht und die leitenden Angestellten daher vom Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes – weitgehend – ausgeschlossen sein sollen.

 

 

IV.

§ 5 Abs. 4 BetrVG

 

1.       Auslegungsregel

 

       Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 bestimmt den Kreis der leitenden Angestellten nach funktionalen Merkmalen, während Abs. 4 auf formelle (objektive) Merkmale abstellt. In der Literatur gibt es nun Streit darüber, ob Abs. 3 gegenüber Abs. 4 vorrangig ist (vgl. Richardi in NZA 1990, Beilage Nr. 1 Seite 9), ob es sich bei Abs. 4 um Regelbeispiele handelt (Martens in RDA 1989, 81 ff.) oder ob es sich um eine Auslegungshilfe für den Abs. 3 handelt (Hromadka BB 1990, 57, 62 und Löwisch, Kommentar zum Sprecherausschußgesetz, 2. Auflage, § 1 Rdz. 27). Überwiegend wird davon ausgegangen, daß es sich bei Abs. 4 um einen den Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 verdrängenden Spezialtatbestand handelt, der das Vorliegen der Voraussetzungen des Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 unabhängig von den tatsächlichen Verhältnissen als gegeben annimmt (Kraft in GK-BetrVG § 5 Rdz. 122). Allerdings komme Abs. 4 nur dann zum Zuge, wenn man bei Prüfung von Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 nicht zu einem eindeutigen Ergebnis komme (so auch FKHE § 5 Rdz. 174 ff.). Abs. 4 sei eine Entscheidungshilfe im Falle von Zweifeln bei der Anwendung von Abs. 3 Nr. 3.

 

       Es ist demzufolge eine zweistufige Prüfung vorzunehmen. Zuerst sind die Voraussetzungen des Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 zu prüfen, bevor Abs. 4 als Hilfsvorschrift zur Anwendung kommt. Ergibt die Prüfung von Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 kein eindeutiges Ergebnis, ob die betreffende Person als leitender Angestellter oder nicht eingeordnet werden kann, kann auf die – formellen – Kriterien des Abs. 4 zurückgegriffen werden, wobei Abs. 4 keine eigenen Tatbestandsmerkmale enthält. Abs. 4 ist im Zusammenhang mit § 18 a zu sehen. Danach haben sich (bei den Wahlen zum Sprecherausschuß) die Wahlvorstände darüber zu unterrichten, welche Angestellte sie den leitenden Angestellten zugeordnet haben. Besteht kein Einvernehmen der Wahlvorstände über die Zuordnung, ist in einer gemeinsamen Sitzung eine Einigung zu versuchen, im Falle des Scheiterns ein Vermittlungsverfahren einzuleiten. Abs. 4 gibt den Wahlvorständen bzw. dem Vermittler Entscheidungshilfen.

 

2.    Die einzelnen Merkmale

 

       Bei den Nrn. 1 bis 3 handelt es sich um alternative Tatbestände. Ist ein Tatbestand erfüllt, sind die Zweifel, die nach der Prüfung von Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 verblieben sind, ausgeräumt. Die betreffende Person ist leitender Angestellte. Nr. 4 hingegen greift nur, wenn bei der Anwendung von Nr. 3 noch Zweifel bleiben, weil das Jahresarbeitsentgelt das regelmäßige Jahreseinkommen für leitende Angestellte nicht erreicht.

 

       a)       Zuordnung als leitender Angestellter

 

       Gemäß § 5 Abs. 4 Nr. 1 ist leitender Angestellter, wer aus Anlaß der letzten Wahl eines Betriebsrates, des Sprecherausschusses oder von Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer oder durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidung den leitenden Angestellten zugeordnet worden ist. Maßgeblich ist insoweit die Entscheidung des Wahlvorstandes. Im Falle einer gerichtliche Überprüfung der Zuordnung ist allein die gerichtliche Entscheidung maßgeblich, es sei denn, die tatsächlichen Verhältnisse haben sich zwischenzeitlich geändert. Dies gilt jedoch nur für gerichtliche Beschluß- und nicht für Urteilsverfahren. Der Grund dafür liegt in dem Amtsermittlungsgrundsatz bei Beschlußverfahren.

 


 

       b)       Leitungsebene

 

       Nach Abs. 4 Nr. 2 ist leitender Angestellter, wer einer Leitungsebene angehört, auf der in dem Unternehmen überwiegend leitende Angestellte vertreten sind. Gemeint ist damit die Leitungsebene im Sinne von hierarchischer Ebene im Unternehmen (FKHE § 5 Rdz. 186). Organisationspläne können insoweit nur indiziellen Charakter haben. Gegebenenfalls ist auch zwischen der Organisation von Stabs- und Linienbereichen zu differenzieren. Auf der Hierarchiestufe müssen überwiegend, mithin mehr als 50 % leitende Angestellte vertreten sein (Wlotzke DB 89, 123). Zu berücksichtigen sind insoweit auch nur solche leitende Angestellte, die unstreitig leitende Angestellte im Sinne von § 5 Abs. 3, 4 BetrVG sind.

 

       c)       Regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt

 

       Gemäß Abs. 4 Nr. 3 ist leitender Angestellter, wer ein regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt erhält, das für leitende Angestellte in dem Unternehmen üblich ist. Auf das branchenübliche kommt es nicht an. Darunter sind alle laufenden und einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung zu verstehen (vgl. § 15 SGB IV). Variable Vergütungsbestandteile wie Tantiemen, Gratifikationen oder auch Sachbezüge zählen mit. Nicht mitzählen einmalige Leistungen, die keine Wiederholung erwarten lassen. Es fehlt insoweit an der Voraussetzung „regelmäßig“. Bezugsgröße ist das Unternehmen, bei dem der Angestellte beschäftigt ist. Die „Üblichkeit“ bezieht sich auf die gesamte Bandbreite des Gehaltes mit der Folge, daß ein Arbeitnehmer bereits dann leitender Angestellter ist, wenn er ein regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt erhält, das an der untersten Schwelle der Bandbreite liegt (Kraft in GK-BetrVG § 5 Rdz. 140).

 


 

       d)   Jahresgehalt über dem Dreifachen der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV

 

       Abs. 4 Nr. 4 hat keinen Unternehmensbezug. Eine Anwendung dieser Vorschrift kommt daher nur dann in Betracht, „falls auch bei der Anwendung der Nr. 3 noch Zweifel bleiben“. Nr. 4 tritt damit an die Stelle der Nr. 3 für den Fall, daß sich das übliche Jahresarbeitsentgelt nicht ermitteln läßt. Ausschlaggebend ist, daß das Jahresarbeitsentgelt das Dreifache der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV überschreitet. Das Dreifache der Bezugsgröße betrug im Jahre 1998 in den alten Bundesländern einschließlich Berlin 156.240,00 DM, in den neuen Bundesländern einschließlich Berlin-Ost 131.040,00 DM. Die Bezugsgröße wird jährlich neu festgesetzt (vgl. FKHE, BetrVG § 5 Rdz. 192).

 

 

V.

Zuordnungsverfahren nach § 18 a BetrVG

 

Die Wahlvorstände haben sich bei der Wahl des Betriebsrates und des Sprecherausschusses gegenseitig darüber zu unterrichten, welche Angestellten sie den leitenden Angestellten zugeordnet haben. Wenn kein Einvernehmen zustande kommt, haben sie in einer gemeinsamen Sitzung eine Einigung zu versuchen. Erfolgt eine Einigung, sind die Angestellten entsprechend ihrer Zuordnung in die jeweilige Wählerliste einzutragen (§ 18 a Abs. 1 BetrVG). Kommt keine Einigung zustande, hat ein Vermittler spätestens eine Woche vor Einleitung der Wahlen erneut eine Verständigung der Wahlvorstände über die Zuordnung zu versuchen. Bleibt der Verständigungsversuch erfolglos, so entscheidet der Vermittler nach Beratung mit dem Arbeitgeber (§ 18 a Abs. 2 BetrVG).

 

Auf die Person des Vermittlers müssen sich die Wahlvorstände einigen. Zum Vermittler kann nur ein Beschäftigter des Betriebes oder eines anderen Betriebes des Unternehmens oder Konzerns oder der Arbeitgeber bestellt werden. Kommt eine Einigung nicht zustande, so schlagen die Wahlvorstände je eine Person als Vermittler vor. Das Los entscheidet. (§ 18 a Abs. 3 BetrVG).

 

VI.

Rechtsstreitigkeiten

 

1.    §§ 18 a Abs. 5 BetrVG

 

       Gemäß § 18 a Abs. 5 BetrVG wird durch die Zuordnung der Rechtsweg nicht ausgeschlossen. Auf eine fehlerhafte Zuordnung kann die Anfechtung der Betriebsratswahl oder der Wahl nach dem Sprecherausschußgesetz nicht gestützt werden (§ 18 a Abs. 5 Satz 2 BetrVG), es sei denn, die Zuordnung ist offensichtlich fehlerhaft.

 

       Die Zuordnungsentscheidung nach § 18 a Abs. 1 bis 3 BetrVG entfaltet damit keinerlei Rechtswirkung. Damit wird durch die Zuordnung nicht rechtskräftig festgeschrieben, daß ein Arbeitnehmer leitender Angestellter ist oder nicht. Vielmehr kann diese Frage als Vorfrage jederzeit in einem gerichtlichen Verfahren – auch in einem Kündigungsschutzverfahren – entschieden und auch anders bewertet werden als von den Wahlvorständen bzw. dem Vermittler.

 

2.       Statusverfahren

 

       Losgelöst von einem konkreten Anlaß für eine Überprüfung des Status (beispielsweise in einem Kündigungsschutzverfahren) kann die Frage nach dem Status jederzeit auch außerhalb einer Betriebsrats- bzw. Wahl zum Sprecherausschuß im sogenannten Statusverfahren gerichtlich geklärt werden. Antragsberechtigt sind der Arbeitgeber, der Betriebsrat, der Sprecherausschuß und der betroffene Arbeitnehmer. Wird in einem gerichtlichen Statusverfahren rechtskräftig festgestellt, ob ein Arbeitnehmer leitender Angestellter ist oder nicht, so ist diese Entscheidung verbindlich, auch für eine anstehende Wahl. Dem Zuordnungsverfahren nach § 18 a Abs. 1 bis 3 BetrVG kann dann eine entgegenstehende Entscheidung nicht mehr fallen. Wird beispielsweise in einem Wahlverfahren eine Person den leitenden Angestellten zugeordnet, diese Person in den Sprecherausschuß gewählt und später dann im Statusverfahren rechtskräftig festgestellt, daß diese Person nicht den Status als leitende Angestellte hat, so verliert er mit Rechtskraft des entsprechenden Urteiles seine Mitgliedschaft im Sprecherausschuß (vgl. § 9 Abs. 2 Nr. 6 Sprecherausschußgesetz).