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Interview - 01/10/04

"Die Guten sind wir."

Mord war in der Antike ein gern gewähltes Mittel, wenn es um die Beseitigung eines Gewaltherrschers ging. Heute wird das politische Attentat geächtet. Doch gibt es Umstande, unter denen die Tötung eines politischen Gegners gerechtfertigt sein kann? Alexander Demandt, Professor für Geschichte an der Freien Universität Berlin, gibt ambivalente Antworten.

Warum werden seltener Gewaltherrscher Opfer eines Attentats als Politiker des Friedens wie beispielsweise Mahatma Gandhi oder Jitzhak Rabin?


Der Begriff des Friedens ist sehr relativ. Die Attentäter sehen das völlig anders: Der Ermordete, das Opfer des Attentats, ist für sie der Böse und immer der Feind. Alle Attentate beruhen auf dieser Dichotomie: Es gibt Gute, es gibt Böse und die Guten sind wir.


Was sind es für Persönlichkeiten, die einen politischen Mord begehen?

Es gibt gelegentlich Wahnsinnige, aber das ist die Ausnahme. In der Regel handelt es sich um Intellektuelle, um politische sehr stark engagierte Menschen, vielfach um Einzeltäter, Fanatiker manchmal könnte man sagen. Erfolg mit ihrem Anschlag haben in der Regel nur Einzeltäter oder kleine Gruppen, denn je mehr Leute von den Attentatsplänen erfahren, desto unwahrscheinlicher ist, dass die Sache gelingt.

Wann ist ein politischer Mord gerechtferigt?

Auch hier gilt: Die Legitimität von Gewalt ist immer ein standortgebundenes Urteil. Aus der Sicht der Attentäter ist der politische Mord immer legitim, aus der Sicht der Opfer ist er immer illegitim. Und aus einer neutralen Sicht ist es oft sehr schwer zu beurteilen. Man kann nur sagen, dass die Geschichte in bestimmten Fällen den Mördern recht gegeben hat - und das es in anderen Fällen nicht der Fall war. Das ist immer sehr ambivalent.

Haben Sie ein Beispiel?

Aus der Sicht der römischen Senatoren war der Mord an Cäsar durchaus nachvollziehbar. Aber wenn man sich dann zu Gemüte führt, dass der Senat zwar die Mörder amnestiert hat, aber gleichzeitig sämtliche Maßnahmen Cäsars legitimiert und unterstrichen hat, dann fragt man sich doch nach dem Sinn des Ganzen. Zudem hat der Mord in einen Bürgerkrieg geführt, der Tausenden das Leben gekostet hat.

Was sagt denn die politische Ethik zum Mord?

Der Begriff des « Tyrannenmordes « ist seit den Griechen bis zu den Attentätern des 20. Juli immer wieder bemüht worden. Ein Tyrann ist jemand, der im eigenen Interesse, ohne Rücksicht auf sein Volk, seine Macht missbraucht und daher im Interesse der Allgemeinheit beseitigt werden muss. Und sobald jemand glaubhaft als Tyrann stilisiert ist, ist gewissermaßen auch das Verfahren gegen ihn, also das Messer oder die Bombe gerechtfertigt.

Im Zeitalter des Terrorismus erscheint der politische Mord fast als « humanes « Mittel im politischen Kampf. Immerhin trifft die Gewalt nicht unbeteiligte Zivilisten.

Den Eindruck habe ich überhaupt nicht. Im Gegenteil: Der politische Mord wird ja nicht dadurch moralischer, dass es noch unmoralischere Mittel gibt, um politische Ziele zu erreichen. Die Bedrohung durch den Terrorismus ändert an der Beurteilung des politischen Mordes nichts.

Wenn man aber an die Kriege in Jugoslawien oder im Irak denkt – wäre ein Attentat auf Milosevic oder Saddam Hussein nicht moralischer gewesen, als ein ganzes Land zu bombardieren?

Ohne Frage, von der Seite der Opfer oder der Menge des geflossenen Blutes her wäre dies sicher gerechtfertigt. Ich würde mich selber auch eines politischen Mordes für fähig halten, wenn ich auf diese Weise hunderte oder tausende Menschenleben retten könnte.

Warum werden Opfer von Attentaten so oft zum Mythos?

Die Menschen haben ein Bedürfnis nach Märtyrern, das ist gar keine Frage. Es werden Helden und Vorbilder gebraucht. Der Tod für die eigene Sache verklärt das politische Wirken und die Laufbahn. Das Sterben für die eigene Idee ist der letzte Kranz des Märtyrers. Es gibt Politiker, für die der Tod gewissermaßen ein Glücksfall gewesen ist.

An wen denken Sie?

Ich würde sagen für Kennedy allemal. Denn hätte er den Vietnam-Krieg ausbaden müssen, würden wir heute ein anderes Bild von ihm haben.

Das Gespräch führte Patrick Aufenanger


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Alexander Demandt ist Autor des Buches “Das Attentat in der Geschichte”. Area Verlag, 2004.

Erstellt: Thu Sep 30 17:11:28 CEST 2004
Letzte Änderung: Fri Oct 01 15:40:09 CEST 2004