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Mohamed Choukri
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Mohamed Choukri wird 1935 in einem kleinen Dorf im marokkanischen Rif-Gebirge geboren, als Sohn eines tyrannischen, schlagenden Vaters von armer Herkunft. Während der Hungersnot im Krieg flieht die Familie nach Tanger, wo sie sich ein Auskommen erhofft. Die Hoffnungen zerschlagen sich, und aus angestauter Wut über die Enttäuschung, aus Wut aber auch über das unstillbare Weinen von Mohameds Bruder bringt der Vater diesen mit eigenen Händen um.

Mohamed, der diese traumatische Erfahrung nie verwinden soll, erfährt durch sie die Ungerechtigkeit, den Riss, das Sinnwidrige, das sich durch die Welt zieht, allzu früh, auf furchtbare Weise, bitter. Bald wird er das Elternhaus fliehen und sich als minderjähriger Schuhputzer, Bettler, Dieb, Zuhälter, Dealer und Schmuggler durchbringen. Eine schiefe Bahn, von allem Anfang an, chancenlos.

Eines Tages gerät der 20jährige in die Fänge der marokkanischen Polizei und landet im Gefängnis. Dort lernt er von einem Mitgefangenen in einer Zelle die ersten drei Buchstaben des arabischen Alphabets. - Und das ist die Atemwende im Leben von Mohamed Choukri. Der Mitgefangene macht ihn auf ein Lyceum in Larache aufmerksam, das Choukri nach seiner Entlassung besucht.

Mit der Schrift erschliesst er sich eine neue Welt. Sie verstattet Poesie, Vergessen der ungenügenden Gegenwart und der schmerzlichen Vergangenheit. Choukri lernt begierig, wie ein Besessener, liest jeden beschrifteten Fetzen, schreibt auf jedes leere Blättchen, das er finden kann. Ein Selbstporträt aus dem zweiten Teil von Choukris Autobiographie Zeit der Fehler zeigt den Mittellosen, wie er nachtsüber in einem Hauseingang, den Kopf auf zwei Bücher gelegt, schläft. Wahnsinn und Trunksucht bleiben die Abgründe dieses gezeichneten Lebens. Nach der Ausbildung unterrichtet Choukri kurz. Dann betreut er sporadisch literarische Radiosendungen; dies bis auf den heutigen Tag.

In den 60er Jahren lernt er Jean Genet, Tennessee Williams, Samuel Beckett und Paul Bowles kennen. Sie bekräftigen ihn in seinem Entschluss, Schriftsteller zu werden. Bowles übersetzt 1973 den ersten Teil von Choukris Autobiographie Das nackte Brot ins Amerikanische, Tahar Ben Jelloun übersetzt es 1980 ins Französische. Seither wächst Choukris Anerkennung weltweit: Er wird zur Stimme von Tanger schlechthin.

Florian Vetsch

Choukri, Mohammed: Das nackte Brot; Piper Verlag, München, 3. Aufl. 1996
Choukri, Mohammed: Zeit der Fehler; Piper Verlag, München 1996
Choukri, Mohammed: Zoco Chico; Das Arabische Buch Verlag, Berlin 1998




Ein Realist von brutaler Sachlichkeit

Mit dem Tod des Marokkaners Mohamed Choukri verliert die arabische Welt einen ihrer wichtigsten Autoren

Mohamed Choukri lernte die arabischen Schriftzeichen erst mit 21 Jahren im Gefängnis. Wieder in Freiheit, liess ihn die Schrift nicht mehr los. Er drückte die Schulbank eines Gymnasiums im nordmarokkanischen Larache. Bald schon verschlang er alles Geschriebene, was ihm in die Hände fiel. Er begann Gedichte zu schreiben und stellte sich schliesslich einer ganz persönlichen Katharsis: In drei Bänden - «Das nackte Brot», «Die Zeit der Fehler» und dem bisher noch nicht auf Deutsch erschienenen «Gesichter, Lieben und Flüche» - trug er zusammen, was ihm die wichtigste Schule seines Lebens beigebracht hat, die Strasse.

Der 1935 in einem kleinen Dorf des damals unter spanischer Verwaltung stehenden Rifgebirges geborene Choukri beschreibt seine Kindheits- und Jugenderfahrungen. Mit brutaler Sachlichkeit erzählt er vom harten Leben am Rande der Gesellschaft: ein gescheiterter, aus der Armee desertierter Vater, der Kinder und Frau verprügelt und den einen seiner Söhne im Wahn schliesslich erdrosselt. Das Leben in den Gassen der Medina der internationalen Stadt Tanger, wohin die Familie umzieht. Die Flucht von zuhause, die Gosse, Schmuggel, Diebstahl, Erfahrungen mit Drogen und Nutten, die eigene Prostituierung, um sich ein paar Dollar mit seinen Diensten an homosexuellen Touristen zu verdienen.

In Marokko unbeliebt

Choukris «Nacktes Brot» wurde in 39 Sprachen übersetzt. Selbst auf Hebräisch ist es erhältlich. Er ist damit nach Nagib Machfus der am weitesten verbreitete arabischsprachige Autor. Doch in Marokko wurde er nicht nur geliebt. Das 1973 verfasste «Nackte Brot» war bis in die Neunzigerjahre in Marokko verboten. «Pornografie» und «Respektlosigkeit vor den Eltern und der Religion» wurden dem Werk vorgeworfen, das doch nur ein minuziöses Bild dessen bietet, was das nordafrikanische Königreich ausserhalb der intellektuellen, verweltlichten und der religiös veröstlichten Kreise bis heute ist. Während ihm die Modernisten dafür zujubelten, verdammten ihn die Traditionalisten.

Zuletzt hatte Choukri eine grosse Sorge. In Interviews warnte er immer wieder vor den Vereinnahmungsversuchen der Islamisten. Oft, wenn er auf der Strasse von Tanger, das mittlerweile stramm islamistisch wählt, angepöbelt wurde, kam in ihm die Angst hoch, ein Fanatiker könnte ihn eines Tages ermorden.

Ausgerechnet dem sterbenden Choukri wurde jetzt die Anerkennung zuteil, die der lebende nie erfuhr. Auf Anweisung von König Mohamed VI. wurde der umstrittene Schriftsteller im Militärhospital in Rabat von den besten Ärzten behandelt. Es sollte nichts mehr nützen. Choukris Körper erlag dem Krebs. Das Leben in Armut, die langen Nächte zwischen Alkohol, Tabak und sonstigen Freuden, die der Nährboden für seinen erschreckend klaren Realismus waren, verlangte seinen Preis.

www.ebund.ch
Reiner Wandler 17.11.2003




Literatur ist Freiheit
Eine Erinnerung an den marokkanischen Schriftsteller Mohamed Choukri


Der Marokkaner Mohamed Choukri war eine der bewegendsten Stimmen in der arabischen Welt. Ein Nachruf.

Am vergangenen Samstag, am 15. November 2003, ist Mohamed Choukri an einem schweren Krebsleiden, 68-jährig, gestorben. Der marokkanische Schriftsteller hinterlässt ein vielschichtiges Werk aus Romanen, Erzählungen, Theaterstücken, Essays, und hinter ihm liegt ein Leben, das durch seine autobiografischen Bücher legendär geworden ist. Wäre nicht der 11. September 2001 gekommen, so wäre die Arbeit an einer Verfilmung seiner Lebensgeschichte wohl schon längst abgeschlossen. «Das nackte Brot und «Zeit der Fehler», so die Titel seiner zweiteiligen Autobiografie, erzählen sie.

Kindheit im Hunger

Da ist der 1935 geborene Knabe aus dem Rif-Gebirge, der von Krieg und Hunger in den 40er-Jahren nach Tanger getrieben wird - mit falschen Hoffnungen, denn auch in Tanger gibt es nichts zu essen. Der hungernde Bub kann lediglich mit Bitterkeit feststellen, dass «die Abfälle der Christen besser sind als die der Muslime».

In einem unkontrollierten Wutanfall tötet derVater den Bruder des Knaben, als er dessen Geschrei nicht mehr erträgt. Mit dieser fürchterlichen Tat lädt der Vater eine Schuld auf sich, die ihm Mohamed Choukri nie verzeihen sollte; spät erst sagte er, dass ebenso sein Vater das Opfer der sozialen Verhältnisse, in denen er habe leben müssen, gewesen sei.

Dass Choukri auch diese äusserste Brutalität seines Vaters realistisch, beinhart und ohne Beschönigung niederschrieb, wurde nach der Publikation des Buches zu einem Stein des Anstosses. Die Fundamentalisten mahnten an, dieser Autor unterwandere die heilige Unantastbarkeit der väterlichen Autorität, beschmutze, weil er keinen verzeihenden Gott walten lasse, die Religion...

Der Aufschrei der konservativen Kreise war so gross, dass «Das nackte Brot» in Marokko lange Zeit verboten war. In der gesamten arabischen Welt provoziert es seit seiner Veröffentlichung Positionsbezüge, die von der staatlich deklarierten Zensur über die mehr oder weniger verschwiegene Duldung bis hin zur restlosen, hingebungsvollen Bejahung des Texts reichen. Ein klares Zeichen für Choukris späte Anerkennung in Marokko gibt das offizielle Beileidsschreiben von König Mohammed VI. das Choukri als einen der bedeutendsten Autoren Marokkos würdigt.

Initiation durch Verse

In der westlichen Welt würde «Das nackte Brot» durch seine Übersetzer Paul Bowles und Tahar Ben Jelloun schnell berühmt. Die packende Autobiografie eroberte die Herzen vieler Leserinnen und Leser. Sie verfolgten gespannt, wie der Knabe seine Familie verlässt, in Bordellen und auf einem Landgut bei Oran seine ersten sexuellen Erfahrungen-macht, wieder in Tanger zum Dieb wird und auf eine Laufbahn gerät, die nur ins Gefängnis führen kann.

Ausgerechnet dort begegnet dem 21-jährigen durch einen Mitgefangenen die Literatur (in Gestalt einer Hand voller Verse über die Freiheit). Von dieser Erfahrung angestachelt, eignet er sich nun obsessiv die Beherrschung der Schrift an. Hilfreich ist für ihn dabei, neben einem öden Lyzeum in Larache, ein erblindeter Koran- und Literaturgelehrter, dem der junge Choukri die Meisterwerke der arabischen Literatur vorliest und der ihm diese dafür grammatikalisch erklärt und inhaltlich aufschlüsselt.

Dem Lichtstrahl der Schrift blieb Choukri treu; er erschloss ihm eine andere Existenz als Lehrer, Radiomitarbeiter und Autor, der Freundschaften mit Jean Genet, Samuel Beckett oderTennessee-Williams pflegte umd dessen Tod von einem weltweiten Leserkreis - «Das nackte Brot» liegt in nahezu vierzig Sprachen vor - mit tiefem Bedauern zur Kenntnis genommen wird.

So gesehen geben Mohamed Choukris Leben und Werk ein singuläres Beispiel für den von Susan Sontag unlängst anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in Frankfurt geäusserten Satz: «Literatur ist Freiheit.»

Quelle: kultur
Florian Fetsch 22.11.2003
Florian Vetsch ist Autor des Buches «Sein Girlitz heisst Mozart / Eine Begegnung mit Mohamed Choukri», Sabon Verlag St. Gallen 1998, Fr. 19.50




Mehr Informationen - Links

Mohamed Choukri: Das nackte Brot. Eine Autobiographie als Katharsis
Was motiviert jemanden, seine eigene Lebensgeschichte niederzuschreiben und in Form einer Autobiographie zu veröffentlichen? Soll diese Veröffentlichung etwas bewegen, anregen oder vermeiden? Und worin unterscheidet sich diese Autobiographie von anderen literarischen Gattungen, wie z.B. dem Roman? Allgemein gesprochen ist die Autobiographie eine rückblickende Erzählung, in der das Leben einer Person dargestellt wird. Diese Person ist der Autor selbst. Hier ist der entscheidende Unterschied zum Roman: es besteht eine Identität zwischen dem empirischen Autor und der von ihm beschriebenen Figur. Häufig konzentrieren sich traditionelle Autobiographien a posteriori auf die Kindheit und Jugend und beschreiben das Leben des noch nicht sozialisierten Menschen, die Geschichte seines Werdens und seiner Bildung, seines Hineinwachsens in die Gesellschaft1. Der eigentliche Inhalt ist nicht die chronologische Abhandlung von Ereignissen, sondern das Kommentieren des Erlebten. Was nun Beweggründe sein können für das Kommentieren der eigenen Kindheit und Jugend, möchte ich später am speziellen Beispiel von Mu...ammad Ãukrñs Das nackte Brot thematisieren.
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Paul Bowles - Der Titan von Tanger
Mohamed Choukri sitzt im Café Pilo, trinkt Bier, Marke Flag. Schreiben Sie gerade an einem Buch? - Ja, es wird 'Paul Bowles und die Einsamkeit Tangers' heissen. Man sagt, Sie mögen Bowles nicht; er hat Sie doch entdeckt und berühmt gemacht? Bowles ist ein Dieb. Er hat sich für meine ersten übersetzten Bücher das Copyright unter den Nagel gerissen. Ich sehe davon keinen Sou. Taher Ben Jalloun hat dasselbe in Frankreich getan. Warum verklagen Sie Bowles dann nicht? Er ist ein alter Herr. Grüssen Sie ihn.
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Mohamed Choukri: Das nackte Brot
Choukri schöpft Literatur aus der Wirklichkeit der Ereignisse, die ihm widerfahren sind. Im Nackten Brot zeichnet sich seine Prosa durch Härte, Sachlichkeit und Tempo aus. Schlag auf Schlag folgen die Erinnerungen aus der Kindheit und der Adoleszenz. Kaum je ein Ansatz zur Deutung, zur innehaltenden Reflexion. Der Verzicht auf Überbau ist mitunter so rigoros, dass der Leser schier atemlos den Zeilen folgt, die eine schwer zugängliche Lebenswelt bezeugen. Authentizität ist eine erstrangige Qualität von Mohamed Choukris Büchern, eine Qualität allerdings, die den Autor bitter zu stehen kommen sollte. 1983, im Jahr der arabischen Erstveröffentlichung des Nackten Brotes, wurde das Buch in Marokko verboten, und sechs Jahre später wurde Choukris Name von islamischen Fundamentalisten auf die berüchtigte Schwarze Liste gesetzt; der Autor habe religiöse Dogmen verletzt, z.B. die Unantastbarkeit des Vaters... In den 90er Jahren aber lernte Marokkos Regierung den Fundamentalismus fürchten, weshalb Choukri 1992 den zweiten Teil seiner Autobiographie problemlos veröffentlichen konnte.
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