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http://www.bpb.de/themen/5O3X3P.html

Ideologie

Aktuelle Gestalt und Bedeutung des intellektuellen Rechtsextremismus in Deutschland

Uwe Backes
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Als intellektueller Rechtsextremismus sollen politische Diskurse, Programme und Ideologien gelten, die sich implizit oder explizit gegen grundlegende Werte und Verfahrensregeln demokratischer Verfassungsstaaten richten (Extremismus) und – im Gegensatz zu radikal-egalitären Strömungen (Linksextremismus) – das Ethos fundamentaler Menschengleichheit nicht anerkennen (Rechtsextremismus) (Backes 2006, S. 238).

Die Einstufung von Ideen und Orientierungssystemen als rechtsextrem erfolgt mithin am Maßstab des demokratischen Verfassungsstaates und sagt zunächst einmal weder etwas über die intellektuellen Qualitäten (gemessen etwa an Originalität, logischer Stringenz und Erklärungskraft) noch über die moralische Integrität (gemessen etwa an Idealismus und Überzeugungstreue) derer aus, die sie vertreten. Die angesichts von "Auschwitz" naheliegende Annahme, es handele sich um intellektuelle Monster, führt aus mehreren Gründen in die Irre. Sie unterstellt ein simples Verhältnis zwischen Gedanken und Handlungen, reduziert die – geistig vielgestaltige - extreme Rechte auf den Nationalsozialismus und ignoriert die besondere Gefährlichkeit der aus totalitären Bewegungen bekannten idealistischen Überzeugungstäter.

Zur Person
Prof. Dr. Uwe Backes
Geb. 1960, ist Professor an der Technischen Universität Dresden und stellvertretender Leiter am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung (HAIT). Forschungsschwerpunkte: Demokratietheorie, Ideologiegeschichte, vergleichende Extremismusforschung, autoritäre und totalitäre Diktaturen. Uwe Backes gibt gemeinsam mit Eckhard Jesse das Jahrbuch Extremismus und Demokratie heraus.

Die Entwicklung des intellektuellen Rechtsextremismus blieb im westlichen Nachkriegsdeutschland so nachhaltig von der politischen Katastrophe der Jahre 1933 bis 1945 geprägt, dass selbst den NS-kritischen deutsch-nationalen und "konservativ-revolutionären" Varianten zu keinem Zeitpunkt ein Ausbruch aus dem geistigen Ghetto gelang (Sontheimer 2004). Aber auch die Vereinigung Deutschlands und der Niedergang des "realen Sozialismus" bewirkten – im Gegensatz zu den Befürchtungen mancher Beobachter – keine Renaissance des Nationalismus. Der wichtiger Agitationsthemen (deutsche Teilung, Antikommunismus) beraubte intellektuelle Rechtsextremismus blieb ein Randphänomen.

Die "Intellektualisierung" regional zeitweise erfolgreicher Rechtsaußenformationen wie der "Republikaner" (REP) scheiterte schon an der populistisch schwer ausbeutbaren Sperrigkeit (z.B. Neuheidentum) neu-rechter Konzepte. Aus dem 1986 gegründeten Freiburger Studentenblatt "Junge Freiheit", das in der Ära Schönhuber längere Zeit im REP-Kielwasser navigiert und sich aus dem neu-rechten Ideensteinbruch intellektuell versorgt hatte, wurde 1994 zwar eine regelmäßig erscheinende Wochenzeitung. Ihre Verbreitung blieb aber bescheiden. Das heftig befehdete Organ kämpfte ums Überleben. Wurde die verkaufte Auflage Ende 2000 mit 36.000 angegeben, waren es Ende 2007 nur mehr 15.800 Exemplare. Zur Stabilisierung der Leserschaft musste sich die Redaktion zudem politisch mäßigen, den Informationsgehalt erhöhen und hartnäckige Verfechter eines nationalistischen Kampfjournalismus entlassen (Weber 2002).

An Akzeptanz gewann die Zeitung durch die erfolgreiche Werbung konservativer Gastautoren und Interviewpartner sowie erfolgreiche Verwaltungsgerichtsklagen gegen die Erwähnung in Verfassungsschutzberichten. Parteipolitisch blieb die "Junge Freiheit" heimatlos, wahrte Distanz zu der bei Wahlen in östlichen Ländern zeitweilig erfolgreichen "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD). Zwar wurde deren Vorsitzenden Udo Voigt mit einem Interview Gelegenheit zur Selbstdarstellung geboten; doch gelang es dem Fragesteller, seinen Gesprächspartner als Hitler-Verehrer ("großer Staatsmann") zu entlarven (Schwarz 2004).

Die geistige Nähe der NPD zum historischen Nationalsozialismus konterkarierte das Werben der Partei um intellektuelle Bündnispartner (Backes/Steglich 2007). Immerhin bot die Dresdener Landtagsfraktion eine Anzahl gut bezahlter Stellen für den Import publizistisch versierten Personals aus dem Westen. Der Historiker Jürgen W. Gansel, Redakteur des Parteiblatts "Deutsche Stimme", ehemaliger hessischer NPD-Funktionär und Abgeordneter des Sächsischen Landtags, proklamierte mit Unterstützung seines Kollegen Karl Richter gar eine "Dresdner Schule", die ein intellektuelles Gegengewicht zur "Frankfurter Schule" und der angeblich von dieser geprägten "BRD-Nomenklatur" bilden, die Auseinandersetzung mit dem "Imperium Americanum" führen und die durch eine "irrwitzige Vergangenheitsbewältigung" neurotisierten Deutschen von der "Schuldknechtschaft" (Jesse 2006, S. 152) befreien werde. Solch schmetternden Fanfarenklängen folgten wenige Taten, die über publizistischen Trommelwirbel im Theorieorgan "Deutsche Stimme" hinausgegangen wären.
Aufgrund ihrer ideologischen wie strategischen Aggressivität erhielt die NPD intellektuellen Zulauf vorwiegend von sektiererischen Fanatikern wie dem ehemaligen RAF-Terroristen Horst Mahler, der die Partei jedoch bald wieder verließ, weil sie ihm nicht radikal genug erschien. Aus anderen Gründen kehrte ein langjähriger Partei-Intellektueller, Jürgen Schwab, der NPD den Rücken: Er zog das Staatsverständnis Carl Schmitts und des italienischen Faschismus dem "Hitlerismus in der NPD" vor (Pfahl-Traughber 2007). Schützenhilfe erhielt die Partei von der Coburger Monatsschrift "Nation & Europa", die aber zugleich bemüht war, ihre Position als Forum des gesamten "nationalen Lagers" rechts von der Union zu wahren (Pfahl-Traughber 2000). Ende 2006 wurde ihre Auflage auf rund 18.000 Exemplare geschätzt (VSB 2006, S. 128).

Größere Distanz zur NPD hielt demgegenüber das "Institut für Staatspolitik" (IfS) im thüringischen Albersroda um Karlheinz Weißmann und Götz Kubitschek mit der Zeitschrift "Sezession" und dem Verlag "Edition Antaios". In einem "Deutsche Stimme"-Interview konfrontierte Andreas Molau, Vorsitzender der "Gesellschaft für freue Publizistik" und für "Bildung" zuständiges NPD-Bundesvorstandsmitglied, Kubitschek mit dem Vorwurf, der thüringische Think Tank stelle "das System nicht in Frage" (Molau 2007). Kubitschek konterte: "Wissen Sie, wie leicht es ist, etwas zu zerschlagen, und wie schwer, etwas Ordentliches aufzubauen?", schrieb aber an anderer Stelle selbst: "So wie unser Staat gebaut ist, ist er kaum zu stabilisieren. In seinen Fundamenten finden sich viele Einschlüsse, die der Nation das Verderben bringen" (Kubitschek 2006).

Der politische Einfluss der intellektuellen Zirkel im Spektrum zwischen liberal-demokratischem Konservativismus und aggressiv-verfassungsfeindlichem Rechtsextremismus ist im neuen Jahrtausend keineswegs gewachsen. Neben den festen Größen "Junge Freiheit" und "Nation & Europa" gibt es nicht wenige Zirkel und Blättchen teils esoterischen, teils dogmatisch-kämpferischen Zuschnitts, die sich nur mühsam am Leben erhalten, mitunter nur im Internet präsent sind. Die Diagnose des Bundesamtes für Verfassungsschutz für das Jahr 2000, es herrsche eine "desolate Situation rechtsextremistischer Intellektueller" (VSB 2000, S. 97), hat ihre Gültigkeit nicht verloren. Dazu nur wenige Beispiele: Von den Organen des "Thule Seminars" unter der Ägide von Pierre Krebs ("Elemente" und "Metapo – Metapolitik im Angriff zur Neugeburt Europas") erschienen jeweils nur wenige Nummern.

Das von Karl Richter 1998 gegründete Magazin "Opposition" (Verlagsgesellschaft Berg) ging wenige Jahre später wieder ein. Vom Aus der "Staatsbriefe" Hans-Dietrich Sanders, die seit 1990 im Verlag Castel del Monte in München erschienen waren, berichtete die "Junge Freiheit" im Januar 2002 (Stoltz 2002). Das wichtigste Diskussionsforum einer autoritär-konservativen Rechten, "Criticón" (gegründet 1970), wandelte sich nach der Niederlegung der Herausgeberschaft durch ihren Gründer, Caspar von Schrenck-Notzing, grundlegend und mutierte in den Augen des "Junge Freiheit"-Chefredakteurs Dieter Stein zu "einem skurrilen Mitteilungsblatt für PR-Leute mit Spezialbereich Abfallwirtschaft" (Dittrich 2007, S. 322). Die Zeitschrift "Sezession" (gegründet 2003) kann bislang nicht den Platz ausfüllen, den "Criticón" als dezidiert anti-linkes Organ in der Grauzone zwischen etabliertem Konservativismus und fundamentaloppositioneller Rechten besetzt hatte.

Obwohl der intellektuelle Rechtsextremismus in seinen verschiedenen Spielarten im vereinten Deutschland keine an Mitgliederzahlen oder Auflagenhöhen messbaren Erfolge vorweisen konnte, warnten linksintellektuelle Beobachter unermüdlich vor einer Renaissance des Nationalismus. Dabei war die intellektuelle Landschaft Deutschlands lange Zeit eher von einem "negativen Nationalismus" als von dessen Gegenteil bestimmt (Dann 1993). Neu-rechte Inhalte der skizzierten Form drangen in weit geringerem Maße in die politische Mehrheitskultur vor, als manche annahmen: Eine intellektuelle "Aufrüstung" rechtsextremer Parteien blieb weitgehend aus, und diese konnten nur bescheidene politische Terraingewinne verbuchen. Zwar hat die NPD in den letzten Jahren vor allem im östlichen Deutschland überdurchschnittlich viele Jungwähler mobilisiert; der Prozentsatz der Jugendlichen, die von rechtsextremen Parteien Problemlösungen erhoffen, ist jedoch sehr klein geblieben (15. Shell Jugendstudie 2006, S. 109).

Vergangenheitsfixierte Warner vor "neuem Nationalismus" nehmen vollmundige Bekundungen vom rechten Rand nicht selten für bare Münze. Verbale Entgleisungen demokratischer Politiker und populistische Strategien zur Stimmenmaximierung nach rechts bei demokratischen Großparteien sind im Wesentlichen falsche Mittel für einen – aus der Perspektive des demokratischen Verfassungsstaates – richtigen Zweck: neuem Nationalismus das Wasser abzugraben.

Literatur

Backes, Uwe, Politische Extreme. Eine Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis in die Gegenwart, Göttingen 2006.

Backes, Uwe/Henrik Steglich (Hrsg.), Die NPD. Erfolgsbedingungen einer rechtsextremistischen Partei, Baden-Baden 2007.

Dann, Otto, Nation und Nationalismus in Deutschland 1770-1990, München 1993.

Dittrich, Sebastian, Zeitschriftenporträt: Criticón, in: Uwe Backes/Eckhard Jesse (Hrsg.), Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Bd. 19, Baden-Baden 2007, S. 300-323.

15. Shell-Jugendstudie, hrsg. von Klaus Hurrelmann u.a., Frankfurt a.M. 2006.

Jesse, Eckhard, Dokumentation 2005, in: Uwe Backes/ders. (Hrsg.), Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Bd. 18, Baden-Baden 2006, S. 147-153.

Kubitschek, Götz, Preußen! Und nun?, http://staatspolitik.de/pdf/kubitschek-preussen.pdf (5. Febr. 2007).

Pfahl-Traughber, Armin, Zeitschriftenporträt: Nation Europa, in: Uwe Backes/Eckhard Jesse (Hrsg.), Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Bd. 12, Baden-Baden 2000, S. 305-322. Pfahl-Traughber, Armin, Eine nationalrevolutionäre Kritik an der NPD – Der rechtsextremistische Intellektuelle Jürgen Schwab als Ideologe und Kritiker der Partei, in: Backes/Steglich (Hrsg.), Die NPD, S. 383-397.

Schwarz, Moritz, im Gespräch mit Udo Voigt: "Ziel ist, die BRD abzuwickeln", in: Junge Freiheit vom 24. Sept. 2004.

Molau, Andreas, im Gespräch mit Götz Kubitschek: "Respektlosigkeit als politische Waffe verwenden", in: Deutsche Stimme, Nr. 1/2007, S. 3.

Sontheimer, Kurt, Die Kontinuität antidemokratischen Denkens. Von der Weimarer Republik zur Bundesrepublik, in: Wolfgang Gessenharter/Thomas Pfeiffer (Hrsg.), Die Neue Rechte – eine Gefahr für die Demokratie?, Wiesbaden 2004, S. 19-29.

Stoltz, Richard, Quer zum Zeitgeist. Totalopposition: Hans-Dietrich Sanders Monatszeitschrift "Staatsbriefe" wird eingestellt, in: Junge Freiheit vom 11. Jan. 2002.

VSB (Verfassungsschutzbericht) 2000, hrsg. vom Bundesministerium des Innern, Berlin 2001.

VSB (Verfassungsschutzbericht) 2006, hrsg. vom Bundesministerium des Innern, Berlin 2007. Weber, Matthias, Zeitschriftenporträt: Junge Freiheit, in: Uwe Backes/Eckhard Jesse (Hrsg.), Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Bd. 14, Baden-Baden 2002, S. 203-226.


05. Februar 2008
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