Das Thema der Zeitgeschichte
Flucht aus Rumänien
Gleich zu Beginn der kommunistischen Zeit in Rumänien wurden die Flüchtlinge (illegale
Grenzüberschreiter) als Feinde des Regimes und sogar als Feinde des Volkes und Vaterlandsverräter bezeichnet. Heute, aus der nüchternen Distanz der Geschichte betrachtet, werden diese Taten als Protest gegen das Regime, sei es aus politischen oder wirtschaftlichen Hintergründen, eingestuft.
Rumänien hatte keine gemeinsame Grenze mit nichtkommunistischen Staaten sondern nur mit dem
liberaleren Jugoslawien. Somit blieb der „jugoslawische Kanal“ die einzige Möglichkeit die Grenze, sei es auf dem Lande oder durch die Donau, illegal zu überschreiten ohne zurück geschickt zu werden. Das war nicht immer so.
Erst als sicher war, dass Jugoslawien die „Grenzgänger“ nicht zurück schickt und das Ceausescu-Regime immer unerträglicher wurde, nahmen in den 80-ern Jahren des vorigen Jahrhunderts die Versuche die Grenze dort zu
überschreiten erhebliche Ausmaße an. In jeder Nacht wurden Dutzende „Grenzgänger“ aufgegriffen und eingesperrt. Für den Versuch die Grenze illegal zu überschreiten gab es damals eine Haftstrafe von zwei bis drei Jahren. Nachdem
die Gefängnisse schnell überfüllt waren, wurden auch fast regelmäßig Amnestien für diese Sträflinge erlassen.
Trotz der fast hermetischen Abriegelung dieser Grenze, ist es vielen gelungen hier in die Freiheit zu
gelangen.
Auch einigen Heldsdörfern ist hier die Flucht gelungen. Es wäre zu begrüßen, wenn sie ihre Erlebnisse von
damals an dieser Stelle schildern würden.
Es war sehr schwer sich der Grenze auch nur zu nähern. Jeder, der nicht hier wohnte, wurde
sofort verdächtigt. Jedes Schulkind musste als potentieller Zuträger der Miliz oder Securitate betrachtet werden. Jeder Trick konnte nur einmal genutzt werden, denn die Grenzsoldaten ergriffen sofort die Gegenmaßnahmen.
Besonders spektakulär war die Flucht von Dieter Lurtz (†) mit zwei Freunden aus Petersberg. Über
Kammwanderung hatten sie sich an die Donau herangeschlichen. Entlang des Donauufers gab es nur einen Steg, auf dem die Grenzsoldaten patrouillierten. Den Zeitpunkt zum Abstieg zur Donau hatten sie während des Finalspiels der Fußballweltmeisterschaft gewählt. Tatsächlich waren die Grenzsoldaten beim Fußball aber die Hunde kamen auf sie zu. Dieter hatte die Fähigkeit die wildesten Hunde zu besänftigen und so konnten sie die Donau unbehelligt durchschwimmen.
In diesem Bericht soll über eine andere Fluchtmöglichkeit und zwar auf dem Luftwege berichtet
werden. Von Beginn an gab es zwei Kategorien Bürger Rumäniens: Privilegierte, die ins Ausland reisen durften und solche, die nicht reisen durften. Zu den ersteren gehörten auch die Besatzungen der Luftflotte sowie die Matrosen der Handelsflotte (Hochsee- und Donauflotte). Durch ihre Fahrten ins westliche Ausland, konnten sich diese vom „sterbenden
Kapitalismus“, der von der kommunistischen Propaganda dauernd propagiert wurde, mit eigenen Augen überzeugen. Von ihren Reisen brachten sie Gebrauchsgegenstände mit, die in Qualität und Design die Produkte der „sozialistischen
Planwirtschaft“ um ein Vielfaches übertrafen. Durch die Natur ihres Dienstes, konnte dieser Personenkreis sich wann immer ins westliche Ausland absetzen und durch den Kontakt mit Ausländern konnten sie für Spionage zugunsten
der „Imperialisten“ angeworben werden. So war es selbstverständlich, dass sich diese Personen der besondern Obhut der Securitate „erfreuten“.
Die Bewachung der Grenzen des Landes überstieg um ein Vielfaches die militärische Notwendigkeit.
Was die Fluchtversuche auf dem Luftwege betrifft sind mehrere Ereignisse bekannt, von denen einige sogar
terroristische Ausmaße annahmen.
Auf dem Flugplatz von Kronstadt gab es 1951 ein zweimotoriges Flugzeug, das für Übungszwecke
zum Absetzen von Fallschirmspringern genutzt wurde. Dieses Flugzeug wurde in der damaligen dort befindlichen
Reparaturwerkstatt (URMV-3) repariert und wie vorgeschrieben, danach der Probeflug durchgeführt. Mit der gesamten Abnahmekommission an Bord war der Pilot in das damals verfeindete Jugoslawien geflohen. Unter den Mitgliedern an
Bord waren Eingeweihte als auch Nichteingeweihte. Wie damals üblich wurde das Ereignis in der gesteuerten Presse mit keinem Wort erwähnt, umso mehr brodelte die Gerüchteküche. Ich kann mich erinnern, wie bald danach der Witz
kreiste, die Flüchtigen seien alle zurück gekommen, denn sie hätten ihre Brotkarten (cartele) vergessen. Brot war damals in Rumänien rationiert.
Dieses Ereignis hatte bei den kommunistischen Machthabern eine wahre Hysterie ausgelöst.
Strengste Maßnahmen zur Überwachung des Luftraumes wurden ergriffen. Diese Hysterie wurde noch angeheizt, als in den Jahren
1951-1953 amerikanische Flugzeuge in den Luftraum Rumäniens eindrangen und mehrere Kommandogruppen mit Fallschirmen absetzten. Diese sollten den antikommunistischen Widerstand im Gebirge unterstützen.
In den 70-er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde die Überwachung der Flugzeuge als auch des Bordpersonals
erheblich verstärkt. Einerseits durch die erhöhte terroristische Gefahr und andererseits weil viele Rumänen enttäuscht von den Liberalisierungsbestrebungen der Jahre 1968-1970 mit aller Gewalt versuchten Rumänien zu verlassen.
Am 27. Mai 1971 wurde auf dem Flugplatz von Oradea ein Passagierflugzeug von rumänischen Staatsbürgern in
ihre Gewalt gebracht und nach Österreich entführt. Es folgte ein richtiges „Erdbeben“ in der Securitate, Ceausescu persönlich diktierte eine Reihe von drastischen Maßnahmen. Trotz der Erweiterung des Informantennetzes und der
Überprüfung des Bordpersonals „bis ins siebte Glied“ vor der Einstellung, fanden weitere Fluchtversuche statt.
Am 19. Mai 1978 hatten zwei Bordmechaniker auf dem Flughafen Baneasa (bei Bukarest) die Kontrolle über das
Flugzeug BN 2-ZR-BNK übernommen und waren damit nach einem vierstündigen Flug in Österreich gelandet.
Ähnlich war der Fall des Piloten Vasile Popescu. In der Früh des 3. Juli 1980 war er mit einem
Landwirtschaftsflugzeug AN-2 (Doppeldecker) von der Staatsfarm Horia bei Arad mit 20 Personen an Bord (Verwandte und Freunde) gestartet. Diese hatten vorher ihr ganzes Hab und Gut verkauft und waren dank des mutigen, nur 27-jährigen Piloten im Tiefflug gut in Österreich angekommen.
Danach wurden die Landwirtschaftsflugzeuge nicht mehr vollgetankt.
Der spektakulärste Fall ereignete sich 1982 im Banat. Darin waren ausschließlich Deutsche
beteiligt und wie aus dem nachherigen Rapport des Chefs der Securitate Timis, Oberst Aurelian Mortoiu ersichtlich, nur durch das völlige Versagen des Informantennetzes vor Ort gelungen.
Helmer Johann, geboren 1934, wohnhaft in Ortisoara, war als Schneider bei einer Genossenschaft
im Ort beschäftigt. Im Juli 1980 war er mit einem Touristenpass zu Verwandtenbesuch in die Bundesrepublik Deutschland gereist und nicht mehr nach Rumänien zurückgekehrt. Den Kontakt zur Familie hatte er mit Briefen und über
Verwandte, die nach Rumänien zu Besuch reisten, aufrecht erhalten. Nachdem die Familie keine Ausreisegenehmigung erhalten konnte, beschloss er sie auf eine andere Art herauszuholen. Zu diesem Zweck nahm er mit seiner Ehefrau
Helmer Margarete telefonisch Kontakt auf und bat sie am Abend des 24. August 1982 ihre beiden Töchter, deren Ehemänner mit
ihren Kindern zu sich zu rufen, denn er habe ihnen etwas wichtiges mitzuteilen. An besagtem Abend hat er nicht mehr angerufen, dafür erschien aber ein Deutscher Staatsbürger namens Scheunemann Dieter-Georg. Dieser war am selben
Tag mit dem Mietwagen W-354683 über den Grenzübergang Jimbolia aus Jugoslawien eingereist. An der Grenze hatte er erklärt nach Bukarest zu fahren und Zwangsumtausch für drei Tage getätigt. In der Wohnung von Margarete Helmer
hatte er den Anwesenden erklärt, er sei gekommen sie mit einem Flugzeug, das er auf einem Flugplatz in Belgrad abgestellt habe, abzuholen.
Am Morgen des 25.08.1982 fuhren der Pilot, der Schwiegersohn Istok Günther und sein Bruder
Istok Robert mit dessen Pkw Skoda 2-TM-6335 los um einen Landeplatz zu suchen. Sie fanden einen geeigneten Platz auf einem Feldweg neben der Ortschaft Varias. Scheunemann hatte ausreichend Kartenmaterial mit dem Grenzgebiet zu Jugoslawien und Ungarn. Istok Günther zeigte dem Piloten den Landeplatz auf der Karte. Zurückgekehrt in die
Wohnung von Margarete Helmer zeichnete Scheunemann die Flugroute in die Karte ein und sie legten den Zeitpunkt des Treffens für den 26.08.1982 um 11.00 Uhr fest. Am Nachmittag desselben Tages verließ Scheunemann mit dem
gemieteten Pkw Rumänien über den Grenzübergang Stamora-Morawitza.
Zu vereinbartem Zeitpunkt hatten sich eingefunden:
- Helmer Margarete, Ehefrau, 42 Jahre
- Istok Herta, Tochter, 23 Jahre
- Istok Günther, Schwiegersohn, 27 Jahre
- Istok Gabriele, Enkelin, 2 Jahre
- Gruber Anna, Tochter, 21 Jahre
- Gruber Norbert, Schwiegersohn, 26 Jahre
- Gruber Gerhard, Enkel, 4 Jahre
Diese Personen wurden vom Bruder Istok Norbert mit dem gleichen Pkw Skoda bis zum Strandbad am Rande der
Ortschaft Varias gefahren. Von dort sind sie bis zum vereinbarten Ort zu Fuß gegangen. Statt zu dem vereinbarten Zeitpunkt 11.00 Uhr erschien das Flugzeug erst 14.30 Uhr, landete auf dem Feldweg, ohne den Motor anzuhalten
stiegen die sieben Personen zu und der Pilot startete erneut und überflog im Tiefflug die nahegelegene Grenze. Noch in derselben Nacht wurden die Verwandten telefonisch benachrichtigt, dass alle gut in der Bundesrepublik
Deutschland angekommen sind.
In seinem Bericht geht der Chef der Securitate des Kreises Timis, Oberst Mortoiu Aurelian autokritisch auf
die Umstände ein, die diese Flucht ermöglicht hatten bzw. durch die sie verhindert hätte werden können.
- Obwohl Helmer Johann illegal im Westen geblieben ist, wurden seine Angehörigen, Ehefrau, Töchter und
Schwiegersöhne nicht informativ beobachtet um ihre Absichten zu ergründen.
- Der Chef des Milizpostens der Ortschaft Ortisoara war nicht informiert, dass im Hof von Margarete Helmer
ein ausländisches Fahrzeug parkt, dessen Besitzer sich bei ihm nicht gemeldet hat, wie die Vorschriften es vorsahen.
- Die Grenzbeamten am Grenzübergang Stamora-Morawitza hatten die Kontrolle nur oberflächlich durchgeführt,
sonst hätten sie die Karten mit der eingezeichneten Flugroute in der Tasche von Scheunemann entdecken müssen, insbesondere weil dieser kein anderes Gepäck bei sich hatte. Dass er schon nach 24 Stunden wieder ausgereist war
hätte ebenfalls verdächtig sein müssen. Dieses hatte er damit begründet, seine „Verwandten“ seien in Urlaub gefahren.
- Niemandem ist aufgefallen, dass sich acht unbekannte Personen mehrere Stunden an einem Ort aufhalten,
der nicht zu einem Wander- oder Ausflugziel gehört.
- Sowohl am Abend des 25. August als auch am Morgen des 26. August fuhren in dem kleinen Skoda-Pkw auf der
Strecke Ortisoara-Varias sechs Erwachsene und zwei Kinder, ohne dass jemand diese Gesetzwidrigkeit bemerkt.
Erst am Abend des 26. August 1982 wurde der Chef des Milizpostens der Ortschaft Varias von mehreren Personen
informiert, dass um 14.30 Uhr auf einem Feldweg zwischen den Ortschaften Varias-Satchinez ein einmotoriges Flugzeug gelandet, zwei Männer, drei Frauen und zwei Kinder an Bord genommen und gleich in eine unbekannte Richtung
weitergeflogen sei.
Der Milizchef meldete den Vorfall gleich an seine Vorgesetzten an Kreis. Daraufhin wurden zuerst
Nachforschungen bei der Flugstaffel Temesvar durchgeführt. Keines der hier stationierten Flugzeuge fehlte oder war von der vorgegebenen Flugroute abgewichen. Erst nach weiteren intensiven Nachforschungen konnte die Flucht
überhaupt aufgeklärt und die geflohenen Personen identifiziert werden.
Karl-Heinz Brenndörfer
Quelle: DOSARELE ISTORIEI Nr.7/2003
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