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Venedig: Biblioteca Marciana

(Vorlesung : Bedeutende Bibliotheken Europas)

3.1 Venedig. Allgemeines

Venedig, ital. Venèzia, 1. italien. Prov. in Venetien, 2460 km2, 834 000 Ew. (1989); Hptst.  - Nordostitalien. Hafen-, Regional- u. Prov.-Hptst., im Bereich der vom Golf von V. durch Nehrungen (Lidi) abgeschlossenen Lagune von V., 324 000 Ew. (1989), davon rd. 100.000 Ew. in Alt-V. Die Großgemeinde besteht aus der alten Stadt V., die auf 118 Inseln (durch 400 Brücken verbunden) auf Pfählen erbaut wurde, aus den benachbarten Laguneninseln Murano, Burano, Torcello u. einigen kleineren Inseln, aus dem Lido di Venèzia (Seebad) u. den auf dem Festland liegenden Wohn- u. Industrievororten Mestre u. Marghera.

Alt-V. ist seit 1846 durch eine 4 km lange Eisenbahnbrücke u. seit 1933 durch eine parallel dazu verlaufende Straßenbrücke mit dem Festland bei Mestre verbunden. In der Stadt spielt sich der Boots- u. Gondelverkehr auf 160 Kanälen, bes. dem 3,8 km langen und bis zu 70 m breiten Canal Grande, ab. Zentrum der Stadt sind der Markusplatz u. die anschließende Piazzetta mit dem byzantin.-venezian. Markusdom (9. Jh., vorwiegend 11.&endash;13. Jh.), dem 99 m hohen Campanile (9. Jh., 1499 beendet, Wiederaufbau 1912), dem Uhrturm (15. Jh.) u. dem Dogenpalast (14./15. Jh.) mit der Seufzerbrücke. Am Canal Grande mit der Rialtobrücke (16. Jh.) zahlreiche bedeutende Paläste (darunter Ca'd'Oro) u. die Kirche S. Maria della Salute (17. Jh.); unter den mehr als 100 Kirchen zahlreiche kunsthistorisch interessante (u. a. San Giovanni e Paolo, S. Maria dei Miracoli u. die Frari-Kirche) sowie Museen u. Gemäldegalerien; Universität (gegr. 1868) u. weitere Hochschulen, Kunstakademie, Musikkonservatorium, Markusbibliothek (gegr. 1486), Staatsarchiv; internationale Festspiele für zeitgenöss. Kunst (Biennale), Kunstausstellungen; Fremdenverkehr. &endash; In Altvenedig, Murano u. Burano vorwiegend handwerkl. Glas- u. Textilverarbeitung. Außer dem Hafen der Inselstadt wurde ab 1917 ein neuer Großhafen in Marghera mit Industrieflächen gebaut; hier befindet sich die Großindustrie in zwei Industriezonen; die Anlage einer dritten Zone ist aus Umweltschutzgründen stark umstritten. Vorwiegend petrochemische Industrie, Raffinerien, Aluminiumhütte, Eisen- u. Stahlwerk, Werftindustrie; Hafen (Erdölimporte), Flughafen Marco Polo auf dem Festland. Die Altstadt ist in zunehmendem Maße von Luft- u. Wasserverschmutzung sowie von Überflutung bedroht.

Lit.: H. Honour, V. 1973; E. Horst, V. 1986; M. Langewiesche, V. Geschichte u. Kunst. 1979; Reclams Kunstführer Italien. Bd. 2/I. 1974. (Aus Bertelsmann-Lexicodisk 1995)

3.1.1 Geschichte

Venedig wurde im Altertum von den Venetern bewohnt. Nach der Zerstörung des Bischofssitzes Aquileia u. anderer wichtiger Städte Venetiens durch Attila 452 flüchteten viele Bewohner Venetiens auf die Laguneninsel u. begannen dort auf künstl. Baugrund die Stadt zu bauen. Bereits im 8. Jh. war V. Seemacht. 724 wurde es Bistum. Seit 742 trug der gewählte Führer den Titel Doge. (Doge: das gewählte Staatsoberhaupt in den Rep. Venedig (seit 697) u. Genua (seit 1339) bis 1797. (Dogaressa, Gemahlin des D.) - aus: Bertelsmann Universallexikon 1995). - 811 wurde die schwer zugängliche Laguneninsel Rialto Regierungssitz. Die unabhängige Stadtrepublik bildete sich im 11. Jh. unter Führung der Dogen, beraten durch den Großen Rat (Rat der Weisen). Um 1000 begann V. im Interesse seines Orienthandels die Küsten Istriens u. Dalmatiens zu unterwerfen, u. während der Kreuzzüge entstand sein Kolonialreich auf dem Balkan bis nach Kleinasien. Unter dem Dogen Enrico Dandolo wurde mit Hilfe der Kreuzfahrer 1203 Konstantinopel erobert u. das unter venezian. Einfluß stehende Latein. Kaiserreich errichtet. Die Konkurrenzmacht Genua wurde nach Kampf 1256&endash;1381 überflügelt.

1297 wurde die Verfassung im aristokrat. Sinn umgebildet. Der Große Rat wurde auf Mitglieder der 287 im "Goldenen Buch" verzeichneten Familien beschränkt. Er wählte den Dogen auf Lebenszeit, seine 6 Räte, den kleinen Rat, aus dem sich seit dem 13. Jh. das eigentlich regierende Gremium entwickelte, sowie den aus 60 Mitgliedern bestehenden Consiglio dei Pregadi, später Senat genannt. 1310 bildete sich der Rat der Zehn (Consiglio dei dieci), der die anderen Gremien kontrollierte. Im 14. Jh. wurden verschiedene Verschwörungen, u. a. die des Dogen M. Faliero (1355), blutig unterdrückt. Ende des 15. Jh. wurde Zypern gewonnen (bis 1571). Im 15. Jh. hatte V. 200 000 Einwohner u. besaß eine riesige Handels- u. Kriegsflotte. Die Seemacht der Stadt war für jene Zeit fast unglaublich: 3300 Schiffe, 16 000 Mann und ein Arsenal, in welchem täglich eine Galeere fertigestellt wurde. Es gab 3000 Zimmerleute, 3000 Kalfaterer (bei 3000 Seiden- und 16 000 Barchentwebern).

Venedigs Bedeutung als Handelsmacht ging durch die Ausdehnung des Osmanischen Reiches u. die Verlagerung der Handelswege nach den überseeischen Entdeckungen erheblich zurück. Im Kampf mit Mailand eroberte V. in der ersten Hälfte des 15. Jh. die terra ferma (Festlandbesitz), deren Ausdehnung seit dem Frieden von Lodi 1454 kaum noch verändert wurde. Die Verlagerung der Kräfte auf den Landbesitz bewirkte den Niedergang Venedigs. Im Frieden von Skutari 1479 mußte V. erstmals gegen die Osmanen erhebl. Gebietsverluste hinnehmen. Kreta ging nach langem Kampf (ab 1645, Verlust von Candia 1669) verloren. 1684 gelang es noch einmal, die Peloponnes zu erobern u. ihn bis 1715 zu halten. 1718 ging er im Frieden von Passarowitz endgültig verloren. Die Bedeutung V.s im 18. Jh. lag in seiner hochentwickelten Diplomatie u. seinem regen gesellschaftl. u. künstler. Leben. 1797 (Frieden von Campoformio) wurde der Staat V. durch französ. Truppen aufgehoben. 1798 kam er an Österreich, 1805 zum Königreich Italien, 1815 wieder an Österreich (Lombard.-Venezian. Königreich); 1866 vereint Venedig sich mit Italien.

Lit.: M. Hellmann, Grundzüge der Gesch. V.s. 1976; H. Kretschmayr, Gesch. von V. 3 Bde. 1905-1934. ; G. Rösch, V. u. das Reich. Handels- u. verkehrspolit. Beziehungen in der dt. Kaiserzeit. 1982; A. Zorzi, V.: eine Stadt, eine Republik, ein Weltreich. 1997. (Z.T. aus Bertelsmann-Lexicodisk 1995)

3.2 Biblioteca Nazionale Marciana

Eine von Petrarca i. J. 1382 der Stadt gestiftete öffentliche Bibliothek wurde 1499 von Ludwig XII. Z. T. entführt (heute in der BN Paris), der Rest vernichtet oder zerstreut. Die heutige BNM geht auf die Schenkung von Kardinal Bessarion im Jahre 1468 zurück.

3.2.1 Basilius Bessarion (1403-1472)

Bessarion, Basilius oder Johannes, byzantin. Theologe u. Humanist, * 2. 1. 1403 Trapezunt (heute Trabzon, Zürkei), Æ 18. 11. 1472 Ravenna. 1437 Metropolit von Nicäa (heute Iznik, Türkei), nahm am Unionskonzil von Ferrara-Florenz (1438/39) teil; Papst Eugen IV. ernannte ihn 1439 zum Kardinal. Nach der türkischen Eroberung von Konstantinopel Emigrant. 1463 (im Exil) lateinischer Titularpatriarch von Konstantinopel, Erzbischof von Nicäa und später Kardinal und Protektor des Basilianerordens in Italien. Er versuchte erfolglos, einen Kreuzzug zur Rückeroberung Konstantinopels von den Türken zustande zu bringen; in Italien sammelte er erfolgreich griechische Handschriften und wurde dadurch bedeutsam für die Vermittlung griech. Gelehrsamkeit u. platon. Philosophie ans Abendland durch Übersetzungen u. zahlreiche Schriften. Bessarion is the author of In Calumniatorem Platonis (Upon the False Condemnation of Plato), a work that attempted to reconcile the ideas of Aristotle and Plato. Er schenkte am 31. Mai 1468 seine an griechischen Schriften reiche private Bibliothek (746 Bde., darunter 482 griechische Hss., 264 lateinische u. ca. 300 Drucke) der Republik Venedig "ad communem hominum utilitatem", Ausdruck des Vertrauens in die Bibliothek als das unentbehrliche Werkzeug für die Wissenschaft. Bessarion ist damit ein wertvoller Beitrag zur Erhaltung antiker Texte und damit der Kultur der Antike zu verdanken.

Lorenzo Valla nannte ihn "Inter Graecos latinissimus, inter Latinos graecissimus". Ab 1416 studierte er in Konstantinopel unter der Anleitung von Ignatius Cortasmenus und Giorgios Chrisococcus. Mönch seit 1423, wählt er den Namen ÆBessarion", den des verehrten Anachoreten seiner Heimatstadt Trapezunt. Seine Intelligenz und sein Wissen öffnen ihm bald die Türen des Hofes. Nach den Priesterweihen gieng er 1430 für sechs Jahre auf die Peloponnes nach Mistra, der Hauptstadt des Despotats Morea und Hochburg der griechischen Gelehrsamkeit, und studierte bei dem Philosophen Giorgios Gemisthos (wegen seiner Verehrung für Platon genannt Gemisthos Plethon), der auf der Grundlage der Philosophie Platons ein eigenes philosophisches System entwickelt hatte, mit mysterischen Lehren und orientalischer Weisheit (Zoroaster) angereichert, das im Namen der menschlichen Vernunft die Religionen überwinden wollte, das Christentum eingeschlossen. Verbunden damit war die Absicht, die griechische Klassizität wiederzubeleben; gleichzeitig auch auf politischen Gebiet, ausgehend von der Peloponnes, die nationale Erhebung des Griechentums wiederherzustellen. Hierzu sollte das parasitäre Mönchtum unterdrückt, der Großgrundbesitz abgeschafft und ein Nationalheer geschaffen werden, das sich den Türken widersetzen würde. Auf dem Konzil von Florenz, an dem er teilnimmt, äussert er sich eines Tages gegenüber Georgius Trapezuntius, daß es in Kürze auf der Welt nur noch eine Religion geben werde. "Welche? Die des Christentums oder des Islams?" frägt Georgius daraufhin. - "Weder die eine, noch die andere" antwortet Gemisthos, "sondern eine Religion, die wenig verschieden ist von der der Heiden" . - Bessarion nahm nicht nur diese Gedanken und die antike Philosophie auf, auch die mathematischen und astronomischen Wissenschaften, unabdingbare Werkzeuge, um die Gesetze der kosmischen Harmonie zu durchdringen, daneben Geschichte, Rethorik und Poesie. In einem folgte er nicht seinem Lehrer Gemisthos nicht: er wandte sich nicht vom Christentum ab. 1436 wird er, vom Kaiser ernannt, Abt (hegoumenos) des Basiliusklosters in Konstantinopel, 1437 Erzbischof von Nicea, im Zusammenhang mit dem Unionskonzil von Ferrara (später Florenz), wohin Papst Eugen IV. (1437-1447, Gabriel Condulmer aus Venedig) das Baseler Konzil 1438 zur Fortsetzung verlegt hat: ein Konzil, auf das sowohl der byzantinische Kaiser Johann VIII. Palaiologos (1425-1448), wie auch Papst Eugen IV. Hoffnungen setzte, für die gemeinsame Abwehr der Türkengefahr.

Die Griechen in Venedig und Ferrara/Florenz

Der Papst lud die Griechen nicht nur ein, er übernahm auch alle Reise- und Aufenthaltskosten. Die päpstliche Flotte aus acht Galeeren stach am 27. November 1437 von Konstantinopel aus in See. Auf der Admiralsgaleere reiste der Kaiser Johannes III. Paläologus, auf drei anderen sein Bruder Demetrios, der Patriarch Joseph II. von Konstantinopel, von 29 Metropoliten und Bischöfen begleitet, darunter Bessarion. Dabei waren auch drei Philosophen im Laienstand, die der Souverän bei sich haben wollte, Vertreter dreier Schulen: Georgius Amirutzes aus Trapezunt, Georgius Gemisthos Plethon aus Mistra und Georgius Scolarius aus Konstantinopel. Unter diesen Gelehrten befand sich auch Ioannes Argyropulos. Die übrigen Würdenträger, Hofleute, Prälaten, Mönche, Diakone, Kantoren ergaben eine Menge von 700 Personen, eine Zahl, die wohl übertrieben ist. (Ein anonymer Brief aus Venedig spricht von mehr als 600 Griechen, darunter 25 Bischöfen). Aus der Aufstellung über die Vergütungen, die den Griechen während ihres Aufenthaltes in Florenz bezahlt wurden, errechnet Gill 170 Kleriker mit deren Anhang (Gill, Il Concilio, 212 Nr. 4). - Am frühen Morgen, Samstag den 8 Februar 1438 hatte das kaiserliche Schiff die Lagunentore von San Nicolò und Sant' Andrea passiert und war vor dem Lido-Kloster Sant' Andrea vor Anker gegangen. Wenig später trafen die anderen Schiffe ein. Der Kaiser, der an Gicht bis zur Unbeweglichkeit litt, sandte Ioannes Dysipatos und Silvester Syropoulos mit einer Delegation von Griechen zum Dogen. Die Gesandten wurden mit den Zeichen warmer Freundschaft empfangen und nach kurzem begab sich der Doge Francesco Foscari (1373-1457, Doge seit 1423, 1457 durch die von der Familie Loredan geführte Opposition gestürzt), von einigen Senatoren begleitet, auf die kaiserliche Galeere und entbot den hohen Gästen seinen ersten Gruß. Am folgenden Tag, einem feuchten und regnerischen Sonntag, begab sich Foscari auf den festlich geschmückten "Bucintoro", das Gala-Schiff des Dogen, begleitet von zwölf Galeeren und einer Menge von reich gezierten Schiffen. Auf allen glänzten der Löwe von San Marco und der kaiserliche Adler. Weil der Kaiser zusehr an seiner Gicht litt, um in den ÆBucintoro" umzusteigen, kam der Doge auf das kaiserliche Schiff. Hier hätte Ambrogio Traversari dem Kaiser und seinem Gefolge seinen vorbereiteten Willkomm in griechischer Sprache vortragen sollen, dies untersagte jedoch der Kardinal Niccolò Albergati und andere Prälaten, denen wahrscheinlich der Text nicht opportun erschien, noch dazu vorgetragen von einem einfachen Mönch. Gegen Mittag bewegte sich die Flottille langsam voran, unter dem Klang von Musik, Gesang, festlichen Rufen und aller Glocken Venedigs, und fuhr in den Canal Grande ein. Die Griechen konnten den Dogenpalast bewundern, die glänzenden Kuppeln von Sankt Markus und die prunkvollen Paläste der Patrizier. Für ihre Fahrt war die Rialtobrücke geöffnet, eine großartige Hebebrücke in Holzkonstruktion. Gegen Sonnenuntergang erreichte der Kaiser das für ihn vorbereitete Quartier, den Plazzo Ferrara (den späteren Fondaco dei Turchi). Die Patriarchen und ihr Gefolge von Bischöfen und Äbten, fanden im Benediktinerkloster auf der Insel San Giorgio Herberge.

Bessarion und Italien

Bessarion begegnete zum ersten Mal auf dieser für ihn unvergesslichen Weise der Stadt, die in seinem Leben eine so wichtige Rolle einnehmen sollte; er war wie die anderen Griechen von der Schönheit und dem Reichtum Venedigs und von der Leichtlebigkeit und Heiterkeit seines Volkes bezaubert. Dorotheos von Mitilene brachte die Verwunderung der Griechen mit dem Ausruf zum Ausdruck: "Leuchtendes, bewundernswertes Venedig, wahrhaft glänzend, wundersam über alle Grenzen, reich, vielfältig, golden, geschmückt, unendlichen Lobes würdig, weise, hochgelehrte Stadt Venedig". Nach Venedig brachte der Erzbischof von Nicäa schon Grundkenntnisse des Lateinischen mit, die es ihm erlaubten, die Lateiner "ex-abrupto" zu unterbrechen. Übersetzungsübungen in seinen Handschriften der Jahre unmittelbar danach zeigen, daß er seine Lateinkenntnisse rasch vervollkommnete. In der Widmung seiner lateinischen Übersetzung von De nativitate des Hl. Basilius an Tommaso Parentucelli da Sarzana, den späteren Papst Nikolaus V., damals noch sacrae paginae Magister und noch nicht Kardinal von Bologna, schreibt er zwischen 1441 und 1444, daß er am Anfang seiner Studien den Text übersetzt habe, um die lateinische Sprache zu erlernen, Æin primordio studiorum meorum latinis in litteris exercendi ingenii mei causa translatum", aber es sei ihm sicherlich nicht gelungen, die Schönheit des Stils und der Lehre des "Doctor sanctus" ins Lateinische zu bringen.

Mioni vermutet, daß die Übersetzung in die Jahre 1436-1437 zurückreicht, als sich das Konzil abzeichnete und Bessarion sich Mühe gab, nicht gänzlich ahnungslos in Italien anzukommen. Jedenfalls kurz nach dem Beginn des Konzils ist sein Latein bereits "ultra quam mediocriter". Am 6. Juli 1439 liest der Kardinal Giuliano Cesarini in der Kirche Santa Croce in Florenz die lateinische Fassung der Unionsakte; Bessarion kommt die Ehre zu, die griechische Fassung zu verlesen. Er ist zur Verkörperung der Öffnung nach Westen geworden: auf dem Wege, "latinissimus" zu werden. Das Konzil bringt die kurzlebige Union der morgen- und abendländischen Kirche, die aber weder Hilfe gegen die Türken vermittelt, noch von der Mehrheit der griechischen Bevölkerung und des Klerus akzeptiert wird. Bessarion reist mit dem Kaiser nach Konstantinopel zurück, kurz nachdem ihm Papst Eugen IV. den Kardinalspurpur angeboten hatte. Im Dezember 1440 ist er erneut in Italien: zuerst in Florenz, wo der Papst noch hofhält: im Dom erhält er die Kardinalsinsignien. Am 5. Februar 1442 ist er dort unter den Unterzeichnern der Unionsakte zwischen der katholischen und der koptischen Kirche. Im September 1443 begibt er sich mit dem päpstlichen Hof nach Rom und residiert bei der Kirche SS. Apostoli (Piazza SS. Apostoli - Foto bei Fischer-Pace, Rom 1 Abb.85), deren Titularkardinal er geworden ist. Er meint, in Italien mehr für sein Land und den Kampf gegen die Türken ausrichten zu können, als im fernen Nicäa.

Ein Humanist als Papst: Nikolaus V.

Vom neuen Papst Nikolaus V. (1447-1455), dem Humanisten und Gelehrten, Freund seit den Zeiten des Konzils, erhält er zahlreiche Kirchenämter, darunter 1449 die Titulatur des Kardinalbischofs von Tusculum (cardinalis Tusculanus). Der Papst, selber bibliophil, läßt Handschriften für seine neuerrichtete Vatikanische Bibliothek abschreiben und aufkaufen, schart die bedeutendsten Gelehrten seiner Zeit um sich: Poggio Bracciolini, Lorenzo Valla, Giannozzo Manetti, Giovanni Tortelli, Francesco Filelfo, Marsilio Ficino und andere. Es entstehen die ersten großen Bibliotheken: es genügt, an Johannes Aurispa und Giovanni Corbinelli zu denken. Auch nicht wenige Kardinäle sammeln Handschriften: Giordano Orsini, Domenico Capranica, Giuliano Cesarini, Guilleaume d'Estouteville, Jean Jouffroy, Nikolaus Cusanus, Marco Barbo und Jacopo Ammannati. (Cf. Scrittura, biblioteche e stampa a Roma nel Quattrocento, Città del Vaticano 1980, = Littera Antiqua ; 1.1). Bessarion und die anderen Griechen, die jetzt in großer Zahl (und mit der unermüdlichen Hilfe des Kardinals) nach Italien strömten, hätten nicht soviele Bewunderer gefunden, wenn es nicht schon in Italien ein geistiges Umfeld gegeben hätte, das bereit war, das Wissen und die Schriften der Griechen aufzunehmen. Die Ankunft der Griechen war sicherlich für den Humanismus in Italien ein unschätzbarer Beitrag: dieser hatte jedoch schon vorher seinen sicheren und eigenen Weg gefunden.

Griechische Studien in Venedig

Seit den Anfängen des 15. Jahrhunderts hatten sich die studia humanitatis auch in Venedig ausgebreitet. Selbst der über achzigjährige General Carlo Zeno (gest. 1418), Sieger des venezianisch-genuesischen Krieges von Chioggia (1381), hatte griechisch lernen wollen. Schon in den Jahren 1408/09 lehrte Guarino da Verona, Gast im Hause von Francesco Barbaro, diesem und Leonardo Giustiniani (venezianisch: Zustinian) die Anfangsgründe des Griechischen. Barbaro rief daraufhin Georgius Trapezuntius als den am meisten geschätzten unter den griechischen Gelehrten als Lehrer nach Venedig. Giustiniani und Barbaro hielten 1423 dem Nebenkaiser Johannes VIII. Paläologos die Willkommensrede auf griechisch und dienten ihm als Führer während seines Aufenthaltes. Im ausgehenden 14. Jh. , während der Florentiner Studien (1397-1400), hatte Manuel Chrysoloras (um 1430-1414 Konstanz) eine Schule des Griechischen gegründet. Seine Grundzüge der Grammatik, von Guarino Veronese vereinfacht, wurde von der Lektüre Plutarchs und Platos begleitet. Die Studenten des Chrysoloras und wiederum ihre Schüler lehrten griechisch in öffentlichen und privaten Schulen. Dabei wurde der Wunsch nach guten Übersetzungen laut, nicht mehr ad verbum, wie Bartholomäus von Messina und Wilhelm von Moerbeke den Aristoteles übersetzt hatten, oder Leontius Pilatus den Homer: die Gedanken und die Schönheit des Stils der antiken Schriftsteller sollten wieder lebendig werden. Schon Chrysoloras hatte gegen die alte Übersetzungsweise des Mittelalters polemisiert und versichert, daß die Übersetzung "Wort für Wort" nicht den geringsten Wert habe, sondern daß ad sententiam übersetzt werden müsse. Wer nicht die Originale lesen konnte, für den waren rasch die Übersetzungen der unmittelbaren und mittelbaren Schüler des Chrysoloras verfügbar: von Guarino Veronese, Leonardo Bruni, Poggio Bracciolini, Giovanni Aurispa, Pier Paolo Vergerio, Francesco Filelfo, um nur die bekanntesten zu nennen. Der Bedarf wuchs. Auch Bessarion, der schon zu Anfang des Konzils De nativitate des Hl. Basilius übersetzt hatte, nahm sich jetzt ein historisch-philosophisches Werk vor, die Memorabilia des Xenophon. Er benütze dabei eine der wertvollen Handschriften aus seinem Besitz (Marc. gr. 511) , die er mit Anmerkungen vollschrieb. Er widmete die Übersetzung dem Kardinal Cesarini (Vat. Lat 1806). Sie wurde 1521 von Giano Vitali für den Druck der lateinischen Ausgabe der Werke Xenophons benutzt und häufig nachgedruckt (cf. D. E. Rhodes, Il cardinale Bessarione e Senofonte. - In: Miscellanea Marciana di Studi Bessarionei, Padova 1976, 353-356).

Als Kardinal in Rom und Bologna: Beginn von Bessarions Büchersammlung

Der Kardinal hat schon im ersten Jahrzehnt seines römischen Aufenthaltes (1440-1450) mit seiner Sammlung begonnen. Vorher war er mittellos gewesen, aber die Kirchenämter, die ihm Papst Nikolaus V. verlieh, erlaubten ihm nun den kontinuierlichen Erwerb und Ausbau einer Bibliothek. Im September 1449 wurde er päpstlicher Legat in den Friedensverhandlungen zwischen Venedig und Mailand, kurz darauf im März 1450 Gouverneur-Legat (legato apostolico a latere) in Bologna, der wichtigsten Stadt der Kirchenstaats nach Rom, deren Herrschaft sich auch auf die Kirchenprovinzen Romagna, Marken und das Exarchat Ravenna erstreckte. In Rom sind es noch hauptsächlich griechische Handschriften, die er kauft, kopieren läßt oder selbst abschreibt. In Bologna nehmen die lateinischen Handschriften zu: er läßt sie wohl in einem der Kloster-Skriptorien schreiben oder auch von Berufsschreibern, an denen es in der Universitätsstadt nicht mangelt. Er bestellt in den folgenden Jahren einige Handschriften von erlesener Eleganz, die sehr teuer gewesen sein mußten: Vergils Bucolica, Georgica und die Eneis (lat. 439, 440, ersterer trägt das Kolophon "MCCCCLIII die XXIX Iulii hora XV. Per me Antonius Scopexis de Godano faeliciter explicit"), Vitruvs "De architectura" und Vegetius' "De re militari" (lat. 463), Quintilians "Institutiones", aus einem von Lorenzo Valla entliehenen Codex (lat. 435). Im Exlibris des eleganten Marc. Lat. 467, der Apuleius und Hermes Trismegistus enthält, schreibt Bessarion selbst, er sei in Bologna gebunden ("legatus bononiensis"). Zahlreiche weitere Handschriften gehören in diese Zeit.

Der Fall Konstantinopel 1453: Bessarion als Retter des griechischen Erbes

In Bologna erreicht ihn am 4. Juli 1453 die Nachricht vom Fall Konstantinopels: die heilige Stadt, Bollwerk des Glaubens, Hauptstadt des Reiches, Herz der griechischen Welt, war in die Hände der Türken gefallen. Am 29 Mai war sie erobert, geschändet, geplündert und verwüstet worden. Kaiser Konstantin XII. war heldenhaft gefallen, mit ihm zahllose Würdenträger, Kirchenfürsten, Adelige und Mönche. Die griechische Welt war führungslos, wie enthauptet. Bessarion fühlt nun die Verantwortung für das griechische Erbe auf seinen Schultern: er ist der einzige Grieche, der im sicheren, noch nicht von den Türken bedrohten Italien nicht nur spirituelle, sondern auch politische Macht besitzt. In großem Umfang läßt er nun Texte aufkaufen, zuerst im bis 1460 noch nicht besetzten Morea (der Peloponnes), nach dessen Fall in Kreta, wo er ein Skriptorium unterhält, das für ihn griechische Handschriften kopiert. In einem Brief an seinen Schüler Michael Apostolis dorthin erklärt er, die Bücher, die er kaufen wolle, seien nicht für ihn bestimmt, er habe schon genug; sie seien für die Griechen, damit sie eines Tages, nach dem Sturm, ihre Sprache (phonè) wiederfinden könnten. Implizit ist gemeint, daß die Texte einem noch höheren Ziel dienen sollten: der moralischen und geistigen Erneuerung der Menschheit insgesamt. (Bessarions Haltung erinnert uns hier an Cassiodor, der in einer anderen Zeit des Untergangs einer Zivilisation, nämlich der römischen, die Werke der Antike in Vivarium abschreiben ließ, um sie für spätere Generationen zu bewahren).

Seine Fürsorge um die griechischen Flüchtlinge und Exulanten ist unermüdlich. Dem Despoten von Morea Thomas Palaeologus und seinen Kindern Andreas und Zoë vermittelt er die päpstliche Gastfreundschaft und eine würdige Apanage (Zoë wird später die Gemahlin des Fürsten Iwan III. von Moskau, den der Metropolit Zosimo im Jahre 1492 als den "Souverän und Herrscher aller Reussen, den neuen Zar Konstantin der neuen Stadt Konstantinopel, nämlich Moskau" begrüßen wird: die Ehe trägt dazu bei, in diesem großen Reich die byzantinische Tradition zu bewahren, zu deren Erbe der Zar sich bekennt). Den griechischen Gelehrten Johannes Argyropulos, Andronikus Kallixtus, Demetrius Calcondyles und Konstandinos Laskaris (1434-1501) verschafft er angesehene Lehrstühle. Theodor Gaza holt er zu sich ins Haus. Anderen verschafft er Arbeit als Schreiber in seinem Skriptorium oder anderswo. Ioannis Laskaris, gen. Janos (1445-1534) besorgt er die Mittel zum Studium in Paris. Für alle Griechen ist er der sichere Anker in dem Schiffbruch, den ihre Welt erleidet. Er ist der einzige, der bei den Mächtigen der Welt Gehör findet; der einzige, der seine Macht für seine Landsleute einsetzt. Er bemüht sich, Lehrstühle für Griechisch an der Universität Messina zu schaffen, wo dann Konstandinos Laskaris unter seinen Schülern einen Pietro Bembo haben wird. Auf der großen politischen Bühne bemüht er sich unermüdlich um Allianzen gegen die Türken. Venedig ist durch einen Friedensvertrag mit der Hohen Pforte gebunden. Es kann und will auch die türkische Eroberung des damals genuesischen Lesbos 1462 nicht verhindern, die mit den schon bekannten grauenvollen Massakern endet. Als die Türken 1463 das venezianische Argos einnehmen, ist der Krieg nähergerückt. Bosnien, von dem man geglaubt hatte, daß es mindestens ein Jahr widerstehen würde, wird von den Türken Æuno haustu", in weniger als einem Monat erobert. Im Juli erklärt Venedig den Krieg, erobert bis zum 1. September Argos und Morea, bei der Belagerung von Korinth wird der venezianische General Berthold d'Este schwer verwundet, die wiedererrichtete antike Schutzmauer der Halbinsel, das "Hexamilion", muß geräumt werden, die Truppen ziehen sich nach Nauplia zurück, Morea fällt wieder an die Türken. Auch in den folgenden Jahren bleiben die Venezianer erfolglos. 1470 erobert der Sultan das venezianische Negroponte, das antike Euböa, Stützpunkt Venedigs für seinen gesamten Levantehandel. Eine antitürkische Allianz der europäischen Kräfte kommt nicht zustande. Bessarion reibt sich in Verhandlungen auf, nach einer ergebnislosen Reise als Kardinallegat nach Paris an den Hof König Ludwig XI. stirbt er im November 1472 erschöpft in Ravenna.

Bessarions Vermächtnis seiner Bibliothek an die Republik Venedig zu Lebzeiten

Des Kardinals Sammeleifer hat die erste griechische Bibliothek der westlichen Welt entstehen lassen, in diesem Teil bedeutender noch als die vatikanische, welche durch die humanistischen Päpste Nikolaus V. und Pius II. zur reichsten und wertvollsten Bibliothek der Christenheit geworden war. Es war nicht die Quantität, sondern die Qualität, die Bessarion suchte ("conati autem sumus, quantum in nobis fuit, non tam multos quam optimos libros colligere"). Seine griechische Bibliothek bot nicht nur den Überblick über die gesamte griechische Kultur ("cuncta fere sapientium graecorum opera, praesertim quae rara erant et inventu difficilia, coegimus"), sondern auch von jedem Text die beste Lesart und die zuverlässigste, oder älteste, oder am meisten geschätzte Ausgabe. Hinter der relativ geringen Zahl von etwa 500 griechische Kodizes verbergen sich weitaus mehr Titel: Bessarion hatte den wissenschaftlichen Tick (Mioni) , häufig in einem Band alle Werke eines Autors zusammenbinden zu lassen. Bei Aristoteles ist eine Handschrift von enormem Umfang daraus geworden, in der nur das "Organon" fehlt.

Der Hauptteil des Bestandes ist den Philosophen gewidmet: Aristoteles, Alexander von Aphrodisias, Themistios, Plato, Plotin, Proklos, Julian (Apostata) sind in großem Umfang vertreten und tragen die Zeichen seiner aufmerksamen Lektüre. Viel vertreten und von ihm gelesen waren auch die Historiker: Herodot, Thukydides, Xenophon, Flavius Arrianus, Polybius, Plutarch, Dionysius von Halikarnass, Cassius Dio, Josephus Flavius. Danach folgen die Redner, darunter Demosthenes, von dem sich der Kardinal in seinen leidenschaftlichen Aufrufen gegen die Türken inspirieren ließ, weiter die Dichter und Tragiker Sophokles, Euripides und Aeschylus, letzterer in einem für die Überlieferung seiner Texte bedeutsamen Kodex, ebenso wie bei dem Komödiendichter Aristophanes. Die Epigrammatiker sind in einer unschätzbaren Handschrift erhalten, die 2500 kurze Gedichte aus der Sammlung von Maximos Planudes (um 1260-1310) von Sappho bis Kaiser Leon VI. dem Weisen (um 865-912) enthält: nur diese Handschrift ( Marc. gr.481) und eine aus der Heidelberger Palatina stammende Anthologie, heute geteilt in der Vaticana und in Paris (Cod. Pal. Gr. Heid. 23 und BN Ms.gr.suppl.384 überliefern die griechischen Epigramme). Von Homer besaß der Kardinal zwei überaus bedeutende Handschriften, von denen eine ("Homerus Venetus", Mitte 10. Jh.) über die Jahrhunderte hinweg die diakritischen Zeichen der alexandrinischen Philologen bewahrt hat, die sonst nur auf den Papyrus-Fragmenten dieser Dichtung überliefert sind. Es fehlen auch nicht die juristischen Werke, einschließlich der kaiserlichen Gesetzessammlungen. Von erstem Rang für die Wissenschaftsgeschichte ist der Bestand an Mathematik: Appolonios von Perge, Archimedes, Aristarchos von Samos, Diophantos von Alexandria, Euklid, Heron von Alexandria, Aristoteles' Mechanicorum libri, einschließlich des "Almagest" von Ptolemäus und der "Epitome" des Johannes Müller (aus Königsberg bei Bamberg, daher Regiomontanus), der durch Vermittlung des Kardinals von Nürnberg zur Kalenderreform nach Rom zog. Indem Bessarion diesen Teil seiner Bibliothek durch Druck veröffentlichen ließ, gab er bedeutende Impulse für die Erneuerung der Naturwissenschaften, auch durch seinen großartigen ptolemäischen Atlas. Auch die gesamte klassische Medizin ist vertreten, darunter eine besonders wichtige Hippokrates-Handschrift aus der Mitte des 10. Jhs., eine der ältesten und vollständigsten. Der Schreiber der Handschrift hatte noch Zugang zu verschiedenen älteren Sammlungen der hippokratischen Werke, die wir heute nicht mehr besitzen, und entnahm daraus die besten Lesarten. Auch zur Botanik hatte sich Bessarion die wichtigsten Texte verschafft: den Dioskorides in der systematischen und in der alphabetischen Fassung; seinen Theophrast von Eresos hatte er von Giovanni Aurispa entliehen und von Demetrios Sguropulos kopieren lassen. Der Kirchenfürst besaß selbstverständlich auch die bedeutensten Werke der Theologie , darunter eine ansehnliche Sammlung der Kirchenväterschriften, unter den Bibeln eine aus dem 8. Jh., und liturgische Texte.

Die lateinische Bibliothek Bessarions spiegelt ebenso ganz unmittelbar die individuellen Interessen des gelehrten Kirchenfürsten, die theologischen, philosophischen und religiösen Auseinandersetzungen, an denen er teilnahm. Ausser einigen älteren Handschriften, wie die reich illuminierte Bibel des 12. Jhs., gehören die meisten Kodizes dem 15. Jahrhundert an und sind auf Veranlassung Bessarions für seine Studien und Aktivitäten abgeschrieben worden. Es fehlen auch nicht die Drucke: 25 Inkunabeln, von denen 15 aus er Presse von Sweynheim und Pannartz stammen, den Erstdruckern Italiens. Der Kardinal hat den Wert der neuen Technik zur Verbreitung von Ideen sogleich erkannt, sie beträchtlich gefördert und sich ihrer für die Veröffentlichung seiner Schriften bedient. Guilleaume Fichet, Kanzler der Sorbonne und Vertrauter des Kardinals, rief wohl auf dessen Anregung, im Jahre 1470 drei deutsche Buchdrucker nach Paris und ließ sie eine seiner Schriften drucken, einige Klassiker und die "Epistulae et orationes" Bessarions. Im Widmungsexemplar an Bessarion (Bibl. Marciana Inc. 53 fol 1) überreicht Fichet dem Kardinal seine "Rhetorica". (Zorzi, Il Cardinale Bessarione e la sua biblioteca, In: I luoghi della memoria scritta, S. 398).

Seine Bibliothek stand von Anfang an anderen zur Verfügung: den aus Konstantinopel, der Peloponnes und später aus Kreta geflüchteten Griechen ebenso wie den italienischen Humanisten. Das Beispiel der "Anthologia Planudiana" (Marc. gr.481), deren weiteste Verbreitung Bessarion angeregt hat, zeigt das humanistische Prinzip des "usu amicorum". Folgerichtig suchte er eine Bleibe für seine Bibliothek, die sie auch für Jahrhunderte bewahren würde. Wohl während seines Aufenthalten in Venedig 1463/64 reifte in ihm die Idee, seine Sammlung jener Stadt zu überlassen, der er sich von Anfang an verbunden fühlte. Im Oktober 1463 schreibt er an den Kardinal Ammanati: "Ich werde immer in dieser großartigen Stadt bleiben, in der ich geehrt und von der Verehrung aller umgeben bin" und der Senat nennt ihn "nobilis noster et de nostro gremio". In verschiedenen Urkunden nennt er sich "Bessarion Venetus", er sieht in der Stadt seine Wahlheimat und beweist dies in einer Reihe von ausserordentlichen Wohltaten, voller Zuneigung und Gunst: der Scuola di S. Giorgio degli Schiavoni gewährt er reichen Ablaß, als Zeichen der Dankbarkeit für den Eifer, mit dem die Dalmatier wider den gemeinsamen Feind kämpfen. Der Scuola Grande della Carità schenkt er ein Reliquiar, das zwei Späne aus dem Kreuz Christi enthält, die "Staurotheka". Dem Kloster San Giorgio Maggiore, in dem er bei seinem ersten Besuch Venedigs im Februar 1438 gewohnt hatte, will er sein wertvollstes Gut überlassen: die griechische Bibliothek, in der er die Hoffnung für das kulturelle Überleben seines Volkes verkörpert sah. Für diese Wahl gab es mehrere Gründe: die Bindungen des Klosters zum griechischen Osten (es hatte seit Jahrhunderten Besitz in Negroponte (Euböa), Theben, Kreta, Pera und Konstantinopel mit verschiedenen Kirchen und Klöstern auf griechischem Boden; der Namenspatron des Klosters selbst ist der Nationalheilige Griechenlands, sein Haupt und ein Arm waren als Reliquien im Jahr davor (1462) von Ägina, wo sie sich seit 1451 befunden hatten, nach San Giorgio Maggiore verbracht worden. Kurz, das Kloster war das Symbol für Venedigs Willen, das Erbe von Byzanz anzutreten. Im Juli 1464 verließ der Kardinal Venedig, um nicht mehr zurückzukehren; aber er hörte nicht auf, die Stadt als Verbündete und Beschützerin der Griechen zu sehen, als zweites Byzanz, und gewährte ihr jegliche diplomatische Unterstützung während ihres Krieges gegen die Türken. So änderte er seine Stiftung im Jahre 1467 zugunsten der Stadt selbst. Die offiziellen Gründe dafür waren, daß die Insellage des Klosters die Benützung der Bibliothek erschwert hätte. Vielleicht sah er in der monastischen Einrichtung auch nicht die Garantie für das Überdauern der Bibliothek. Zu oft hatte er die wechselnden Interessen der Äbte erlebt; auch war der jetzt regierende Papst Paul II. ein erklärter Feind der Akademien und der platonischen Philosophie, welche Bessarion verehrte und die weiten Raum in seiner Bibliothek einnahm. In der Republik Venedig und in ihrer Verwaltung sah er hingegen die Harmonie von Platos Staat verwirklicht. Im März 1468, als der Papst die römische Akademie wegen einer angeblicher Verschwörung der Humanisten verfolgt, entscheidet sich Bessarion, die Schenkung zu beschleunigen, um seine Bibliothek in Sicherheit zu bringen. Als Kirchenfürst schenkt er sie der Markuskirche. Aber die Bibliothek an San Marco zu geben, der von Staatsprokuratoren verwalteten Kirche des Dogen, hieß, sie der Republik selbst zu schenken. Als Ort war der Markusplatz selbst bestimmt: "in plateis nostris Sancti Marci", es sollte die eben erbaute "sala novissima" des Dogenpalastes sein, und es sollte die ganze Bibliothek sein, die griechische und lateinische. Der Kardinal schrieb aus Viterbo, wo er in Gesellschaft seines Freundes Niccolò Perotti (1430-1480, er latinisierte im Auftrag Papst Nikolaus V. den Polybios) Heilbäder nahm, am 31. Mai den berühmten und noblen lateinischen Brief an den Dogen und den Senat, in dem er die Gründe für seine Entscheidung darlegt: er spricht darin von sich, von der Amut und dem Fleiß seiner Jugend, die von der Liebe zu den Büchern bestimmt war, den Büchern, die "voll sind von den Stimmen der Wissenden, voll von Lehrbeispielen aus der Antike ... , Stimmen, welche mit uns leben, zu uns sprechen ..., uns belehren, uns trösten ...". Im April 1469 erreicht die erste Sendung von Büchern Venedig, in dreissig Kisten, von 15 Maultieren getragen. Die übrigen kommen bis 1473 nach. Das Inventar von 1474 nennt 1024 Bände in 57 Kisten. Venedig ist damit mehr denn je zum Zentrum des Hellenismus geworden; es hat gleichzeitig die erste Staatsbibliothek der Moderne: nicht nur eine zur öffentlichen Benutzung, sondern auch in öffentlichem Eigentum.

3.3 Der Bibliotheksbau

Die Republik Venedig wußte jedoch lange Zeit nichts rechtes mit diesem Geschenk anzufangen. Den humanistischen Freunden Bessarions in Venedig, denen die Stadt diese Erwerbung zu verdanken hatte, Domenico Morosini und Bernardo Gustinian, gelang es nicht, die Mehrheit der Patrizier für die Aufbewahrung im Dogenpalast zu gewinnen. Nach einer provisorischen Unterbringung im Dogenpalast blieb die Bibliothek für lange Jahre in einem kleinen Zimmer in ihre 57 Kisten eingeschlossen, die sich bis 1494 auf 48 verringerten. Der venezianische Amtsschimmel brachte 1492 eine Verordnung hervor, wonach eine Entleihung aus der Bibliothek das Einverständnis von zwei Dritteln der Senatsmitglieder voraussetzte. Eine Liste der "nicht zurückgegebenen Bücher" von 1494 nennt die Namen der Entleiher und läßt jedoch erkennen, daß die Ausleihe nicht ohne Großzügigkeit zu Gunsten von Diplomaten, Professoren und Patriziern gehandhabt wurde. Auch Lorenzo il Magnifico in Florenz war darunter. Venedig war inzwischen zum Zentrum des europäischen Buchdrucks geworden. 1486 eröffneten zwei griechische Drucker aus Kreta, Leonikos und Alexandros, den Beginn des Buchdrucks in griechischer Sprache in Venedig. Ihnen folgte 1493 Zaccaria Calergi und Nicola Vlastos. Kurz darauf eröffnete Aldus Manutius seine Offizin, angezogen von der Lebendigkeit der Weltstadt, aber auch von ihren griechischen Bibliotheken, angefangen mit der Bessarions, um sein vornehmes und ehrgeiziges Programm zu verwirklichen: den Druck der Hauptwerke der griechischen Klassik. Er verwirklichte damit Bessarions Ideen, die Zeugnisse der griechischen Welt bis in die Häuser der Gelehrten Europas zu verbreiten. Die Bibliothek mußte jedoch noch auf ihr Haus warten. Erst 1530 gelang es dem Bibliothekar Pietro Bembo, sie in einem Raum im ersten Stock des Markusdoms unterzubringen, und erst 1537 entschied man sich für einen eigenen Bau. Der Architekt Jacopo Sansovino errichtete bis 1553 an der Piazzetta ein Bibliotheksquartier, das, mit Wandgemälden von Veronese, Schiavone und Tintoretto, 1588 eröffnet und lange Zeit als eine der größten architektonischen Errungenschaften Italiens in der Renaissance gefeiert wurde. Jakob Burckhardt bezeichnet es in seinem "Cicerone" als das prächtigste profane Gebäude Italiens.

Literatur (ausführlichere Liste: siehe Literaturauswahl)

L. Mohler, Kardinal B. als Theologe; Omont, Inventaire; Mioni, La formazione; In weiten Strecken übersetzt aus: Mioni, Vita del Cardinale Bessarione und vor allem aus Zorzi, Il Cardinale Bessarione; Zorzi, Bessarione e Venezia; Zorzi, Cenni sulla vita. (Auch: Bertelsmann Lexicodisk 1995; Microsoft (R) Encarta '95)

Sansovino, italien. Bildhauer u. Architekten: 1. Andrea, eigentl. A. Contucci, * um 1460 bei Monte Sansavino, + 1529 bei Monte Sansavino; schuf im Stil der Hochrenaissance Gräber in Santa Maria del Popolo in Rom, 1514;1527 Kirchenbaumeister in Loreto. Hptw.: Marmorgruppe "Die Taufe Christi" 1502&endash;1505, Florenz, Baptisterium; Hl. Anna Selbdritt 1512, Rom, San Agostino.

2. Jacopo, eigentl. J. Tatti, Schüler von 1), * 1486 Florenz, + 27. 11. 1570 Venedig; wirkte seit 1527 in Venedig, baute dort die Bibliothek San Marco seit 1536, den Palazzo Corner seit 1537, die Logetta del Campanile 1537; Schöpfer der Goldenen Treppe im Dogenpalast 1540 u. vieler Bildwerke von malerischer Lebendigkeit, u. a. Bacchus-Statue, Florenz, Bargello; Sakristeitür für San Marco, Venedig, seit 1545.

(Nach Lorenzetti, La libreria Sansoviniana; Mummendey S. 230; Bertelsmann-Lexicodisk 1995)

3.4 Weitere Geschichte der Bibliothek / ihre Stellung heute

Pflichtexemplarrecht ab 1603. Überführung der B. in den Dogenpalast 1812, dann ab 1904 in die ehemalige Münze Venedigs (Palazzo della Zecca). Der Lesesaal ist in den überdachten ehemaligen Hof des Palastes 1929 eingefügt worden. Nach dem Fall der Republik und derAufhebung der Klöster waren bedeutende Bestände in die Bibliothek gelangt. Die Einzigartigkeit ihrer Sammlung besteht noch immer in ihren besonders kostbaren Handschriften (insgesamt 13319), wie dem lateinischen Homer (übersetzt von Leontius Pilatus), der langobardischen Gesetzessammlung, Sarpi's Geschichte des Konzils von Trient, den 2837 Inkunabeln, Aldinen, dem Material zur Geschichte Venedigs, der Theater- und Musikaliensammlung und einem umfangreichen Bestand an frühen Reisebeschreibungen.

(Nach: Lexikon des Gesamten Buchwesens, 1. Aufl. Bd.3 1937 S. 487 und der in der Liste venedlit.htm angegebenen italienischsprachigen Literatur).

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